Entscheidungsdatum: 13.06.2013
Eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) liegt beim Nachzug eines minderjährigen Kindes in eine Kernfamilie, der mindestens ein minderjähriges deutsches Kind angehört, jedenfalls dann vor, wenn a) die Kernfamilie ihren Schwerpunkt in Deutschland hat und mit dem Nachzug vervollständigt wird, b) das nachziehende Kind das 13. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und c) gegen die Eltern keine Sanktionen wegen Verletzung ihrer sozialrechtlichen Verpflichtungen nach §§ 31 ff. SGB II (juris: SGB 2) verhängt worden sind.
Der Kläger, ein am 8. Januar 2000 geborener gambischer Staatsangehöriger, begehrt die Erteilung eines Visums zum Kindernachzug.
Die Eltern des Klägers, ebenfalls gambische Staatsangehörige, leben im Bundesgebiet zusammen mit zwei weiteren - 2007 und 2009 geborenen - Kindern, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Der Vater kam 1995 nach Deutschland und erhielt aufgrund seiner damaligen Ehe mit einer Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis; inzwischen ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Die Mutter folgte ihm im August 2006 und ist seit Oktober 2007 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen.
Im Januar 2008 beantragte der Kläger die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung. Die Deutsche Botschaft in Dakar lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29. Mai 2008 ab, weil der Lebensunterhalt nicht gesichert sei. Das Verwaltungsgericht gab den von den Eltern sowohl im eigenen als auch im Namen des Klägers erhobenen Klagen statt und verpflichtete die Beklagte zur Erteilung eines Visums zum Kindernachzug.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Klagen mit Urteil vom 19. März 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Erteilung eines Visums scheitere allein an der fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts. Ein atypischer Fall, der ein Absehen von dieser Regelerteilungsvoraussetzung gebiete, liege nicht vor. Dass die Geschwister des Klägers Unionsbürger seien, begründe keinen Nachzugsanspruch. Sie hätten von ihrer Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht. Der tatsächliche Genuss des Kernbereichs der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleihe, werde ihnen durch die Visumverweigerung nicht verwehrt. Als deutsche Staatsangehörige könnten sie im Unionsgebiet verbleiben und die Lebensgemeinschaft mit ihren Eltern fortsetzen. Auch das Recht auf Familienleben gebiete nicht die Annahme eines atypischen Falles. Die Sicherung des Lebensunterhalts liege in der Verantwortung der Eltern. Dass sie beide außer Stande seien, einer Beschäftigung nachzugehen, sei weder vorgetragen noch ersichtlich. In einem solchen Fall sei das öffentliche Interesse an der Vermeidung einer nachzugsbedingten Ausweitung der Sozialleistungen höher zu gewichten als das private Interesse an der Herstellung der Familieneinheit im Bundesgebiet. Der Vater des Klägers habe sich vor 2008 nicht um eine Einreise des Klägers bemüht. Auch sei nicht erkennbar, dass der Kläger bei einem weiteren Aufenthalt in Gambia in seiner Entwicklung beeinträchtigt würde. Art. 24 GR-Charta begründe ebenfalls keinen Nachzugsanspruch. Der Schutz von Kindern nach der Grundrechte-Charta sei ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union zu beachten und habe nicht zur Folge, dass deren Wohl generell und ausnahmslos Vorrang vor dem öffentlichen Interesse habe und sich auch dann durchsetze, wenn die Eltern keine zumutbaren Bemühungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entfalteten. Auch nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention komme dem Kindeswohl kein unbedingter Vorrang zu.
Der Kläger macht mit seiner Revision im Wesentlichen geltend, das Berufungsurteil verletze die Rechte der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta. Außerdem verletze es den Kernbereich der Unionsbürgerrechte der Geschwister und deren Grundrecht auf negative Freizügigkeit sowie das Recht des Klägers auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Eltern und auf Berücksichtigung des Kindeswohls. Die von seinen Eltern im eigenen Namen erhobene Klage wird nach Abtrennung in einem gesonderten Verfahren geführt.
Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Die Revision hat Erfolg. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Kindernachzug. Dieser scheitert nicht an der fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts, da eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegt. Die gegenteilige Annahme des Berufungsgerichts verstößt gegen Bundesrecht.
Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, vgl. Urteile vom 16. Juni 2004 - BVerwG 1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86 <88> = Buchholz 402.240 § 19 AuslG Nr. 10 S. 4 f., jeweils m.w.N. und vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 LS 3 und Rn. 37 ff. = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4). Spätere Rechtsänderungen sind im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15 S. 32). Das klägerische Begehren ist daher an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86) zu messen. Hierdurch haben sich die hier maßgeblichen Rechtsvorschriften aber nicht geändert.
1. Das Berufungsgericht ist der Sache nach zu Recht davon ausgegangen, dass das Aufenthaltsbegehren des Klägers ungeachtet der deutschen Staatsangehörigkeit seiner Geschwister nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu beurteilen ist. Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ist nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen, da die Rechtsstellung des Klägers nicht von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) - erfasst wird.
Dem Kläger steht weder nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU noch nach der Richtlinie 2004/38/EG - sog. Unionsbürgerrichtlinie - ein Aufenthaltsrecht zu, da sich seine Geschwister in Deutschland als dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, aufhalten (§ 1 FreizügG/EU, Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG); auch ist der Kläger im Verhältnis zu seinen Geschwistern kein Familienangehöriger im Sinne des § 3 Abs. 2 Freizüg/EU und des Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38/EG. Ebenso fehlt es an den Voraussetzungen für die Annahme eines sog. Rückkehrerfalls, da seine Geschwister von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht keinen nachhaltigen Gebrauch gemacht haben (vgl. Urteil vom 22. Juni 2011 - BVerwG 1 C 11.10 - NVwZ 2012, 52 Rn. 9 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 53, jeweils m.w.N.).
Entgegen der Auffassung der Revision kann der Kläger ein Aufenthaltsrecht auch nicht unmittelbar aus den Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft herleiten (vgl. EuGH, Urteile vom 8. März 2011 - Rs. C-34/09, Zambrano - InfAuslR 2011, 179 Rn. 40 ff., vom 5. Mai 2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - InfAuslR 2011, 268 Rn. 44 ff., vom 15. November 2011 - Rs. C-256/11, Dereci u.a. - InfAuslR 2012, 47 Rn. 61 ff., vom 8. November 2012 - Rs. C-40/11, Iida - InfAuslR 2013, 6 Rn. 66 ff., vom 6. Dezember 2012 - Rs. C-356/11 und 357/11, O. und S. - InfAuslR 2013, 58 Rn. 35 ff. und vom 8. Mai 2013 - Rs. C-87/12, Ymeraga - juris Rn. 34 ff.). Seinen deutschen Geschwistern wird durch die Versagung eines Visums an den Kläger nicht der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie infolge der Verweigerung de facto gezwungen wären, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Die bloße Tatsache, dass es für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats - wie hier - zur Aufrechterhaltung oder Herstellung einer Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich ein Familienangehöriger, der nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, mit ihnen zusammen im Gebiet der Union aufhalten kann, rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Annahme, dass sie gezwungen wären, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn dem Familienangehörigen kein Aufenthaltsrecht gewährt würde. Vielmehr ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob die Ablehnung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke der Familienzusammenführung tatsächlich dazu führen könnte, die Unionsbürgerschaft der betroffenen Unionsbürger ihrer praktischen Wirksamkeit zu berauben. Dabei stellt der EuGH bei minderjährigen Unionsbürgern, die sich altersbedingt nicht allein im Unionsgebiet aufhalten können, maßgeblich darauf ab, ob zwischen ihnen und dem Drittstaatsangehörigen, dem ein Aufenthaltsrecht verweigert wird, ein Abhängigkeitsverhältnis besteht (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 56). Hieran fehlt es zwischen dem Kläger und seinen Geschwistern. Deren Aufenthalt hängt de facto nicht vom Aufenthalt des Klägers, sondern vom Aufenthalt der Eltern ab. Diese sind im Besitz von Aufenthaltstiteln. Damit ist sichergestellt, dass sich die Geschwister weiterhin hier aufhalten und den Kernbestand der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, in Anspruch nehmen können.
2. Findet das Aufenthaltsgesetz auf das Nachzugsbegehren Anwendung, unterliegt der Kläger als gambischer Staatsangehöriger nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 539/2001 und deren Anhang I der Visumpflicht und bedarf für den von ihm angestrebten Daueraufenthalt nach § 6 Abs. 3 AufenthG eines vor der Einreise einzuholenden (nationalen) Visums.
2.1 Nach § 6 Abs. 3 i.V.m. § 32 Abs. 3 AufenthG ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ein Visum zum Kindernachzug zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen. Dies ist hier der Fall. Der Kläger hat das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet und seine Eltern verfügen über eine Niederlassungs- (Vater) bzw. eine Aufenthaltserlaubnis (Mutter).
2.2 Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG stehen der Erteilung eines Visums nicht entgegen. Zwar ist der Lebensunterhalt des Klägers nicht gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Von dieser Regelerteilungsvoraussetzung ist im vorliegenden Fall aber eine Ausnahme zu machen. Die gegenteilige Annahme des Berufungsgerichts verstößt gegen Bundesrecht.
a) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Das ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann; dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts verfügen seine Eltern über keinerlei Erwerbseinkommen und beziehen schon derzeit Leistungen nach dem SGB II (zur Maßgeblichkeit des Gesamtbedarfs der Kernfamilie, der Berechnung nach dem SGB II und den Besonderheiten im Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/86/EG vgl. grundlegend Urteile vom 29. November 2012 - BVerwG 10 C 4.12 - zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen und vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 20.09 - BVerwGE 138, 135 = Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 3).
b) Von dem Regelerfordernis der Unterhaltssicherung ist hier aber ausnahmsweise abzusehen. Sowohl verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen als auch atypische Umstände des Einzelfalls, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, können eine Ausnahme vom Regelfall rechtfertigen. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt keinem Einschätzungsspielraum der Behörde, sondern ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar (Urteil vom 22. Mai 2012 - BVerwG 1 C 6.11 - BVerwGE 143, 150 = Buchholz 402.242 § 28 AufenthG Nr. 3, jeweils Rn. 11 m.w.N.).
aa) Ein Ausnahmefall ergibt sich für den Kläger nicht bereits unmittelbar aus der Richtlinie 2003/86/EG - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie. Diese regelt die Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten (Art. 1 der Richtlinie) und gewährt bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen und Bedingungen ein Recht auf Einreise und Aufenthalt (Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie).
Die Richtlinie 2003/86/EG findet hier Anwendung. Sie gilt für die Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige, die sich - wie die Eltern des Klägers - rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten und die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie erfüllen. Der Kläger ist ebenfalls Drittstaatsangehöriger und erfüllt die Nachzugsvoraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 Buchst b der Richtlinie. Der Anwendung der Richtlinie steht nicht entgegen, dass seine Geschwister die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Nach Art. 3 Abs. 3 findet die Richtlinie zwar keine Anwendung auf Familienangehörige eines Unionsbürgers. Unter Berücksichtigung des mit der Richtlinie 2003/86/EG verfolgten Ziels der Begünstigung der Familienzusammenführung und des Schutzes, der insbesondere minderjährigen Drittstaatsangehörigen durch sie gewährt werden soll, ist die Anwendung aber nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil die zusammenführenden Eltern zugleich Eltern von Unionsbürgern sind (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - Rs. C-356/11 und 357/11, O. und S. - InfAuslR 2013, 58 Rn. 69).
Einem Anspruch des Klägers auf Familienzusammenführung unmittelbar aus der Richtlinie 2003/86/EG steht aber Art. 7 Abs. 1 Buchst c entgegen. Auch wenn die Genehmigung der Familienzusammenführung nach der Richtlinie die Grundregel darstellt (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 - Rs. C-578/08, Chakroun - Slg. 2010 I-1839 Rn. 43), können die Mitgliedstaaten sie an bestimmte Voraussetzungen knüpfen. Insbesondere können sie nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie verlangen, dass der Zusammenführende nachweist, dass er über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaates für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen. Von dieser Befugnis hat Deutschland in der Weise Gebrauch gemacht, dass beim Kindernachzug zu einem Drittstaatsangehörigen die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gilt. Bei den von der Familie bezogenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff. SGB II handelt es sich um Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie (Urteil vom 31. Mai 2012 - BVerwG 10 C 8.12 - Buchholz 402.261 § 4a FreizügG/EU Nr. 3).
bb) Ob im Fall des Klägers mit Blick auf den besonderen Schutz des Familienlebens und die nach Art. 5 Abs. 5 und Art. 17 der Richtlinie 2003/86/EG geforderte Einzelfallprüfung, bei der alle zu berücksichtigenden Interessen, insbesondere die der betroffenen Kinder, ausgewogen und sachgerecht bewertet werden müssen (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 72 und 81), eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu machen ist, kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
Auf nationaler Ebene genießt die Familie den Schutz des Art. 6 GG. Zwar gewähren weder das in Art. 6 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf familiäres Zusammenleben noch die in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Wahrnehmung der Elternverantwortung im Interesse des Kindeswohls einen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörden und die Gerichte, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1 <47 ff.>). Steht einem Nachzugsbegehren - wie hier - der Schutz der öffentlichen Kassen entgegen, bedarf es im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG einer Abwägung dieses öffentlichen Interesses mit den gegenläufigen privaten Belangen der Familie und muss die Entscheidung insbesondere den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots entsprechen. Dabei sind alle relevanten Umstände des Einzelfalls einzustellen. Besteht zwischen Eltern und minderjährigen Kindern eine Eltern-Kind-Beziehung oder ist deren Aufnahme beabsichtigt, ist insbesondere zu ermitteln, welche Folgen die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für die Ausübung der Elternverantwortung und für das Wohl der minderjährigen Kinder hätte. Bei der Gewichtung der betroffenen Belange ist auch zu berücksichtigen, ob eine familiäre Lebensgemeinschaft nur im Bundesgebiet verwirklicht werden kann. Ist einem Mitglied der aus Eltern und ihren minderjährigen Kindern gebildeten Kernfamilie ein Aufenthalt im Ausland zur Fortführung der Lebensgemeinschaft nicht möglich oder zumutbar, kommt dem Interesse der Familie, die Lebensgemeinschaft gerade im Bundesgebiet zu führen, besonderes Gewicht zu. In diesem Fall bedarf es für aufenthaltsrechtliche Entscheidungen, die dies verhindern, entsprechend gewichtiger gegenläufiger öffentlicher Belange.
Die Beziehung zwischen Eltern und minderjährigen Kindern unterfällt zudem dem Schutz des Art. 8 EMRK. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) garantiert aber auch die Konvention kein Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen und sich dort aufzuhalten. Maßnahmen im Bereich der Einwanderung können jedoch das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK berühren. Danach hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; ein Eingriff ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK statthaft. In beiden Fällen ist ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den gegenläufigen Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herzustellen. Im Ergebnis verpflichtet damit auch Art. 8 EMRK zu einer Abwägungslösung nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen. In diesem Zusammenhang misst auch der EGMR bei der Frage, ob der Nachzug des Familienangehörigen das adäquate Mittel zur Etablierung eines gemeinsamen Familienlebens wäre, regelmäßig dem Umstand Bedeutung bei, ob er die einzige Möglichkeit darstellt, ein Familienleben zu entwickeln, etwa weil Hindernisse für eine Wohnsitzbegründung im Ausland bestehen oder besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer eine solche Wohnsitzbegründung nicht erwartet werden kann (Urteil vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 8.09 - BVerwGE 136, 231 = Buchholz 402.242 § 30 AufenthG Nr. 2, jeweils Rn. 33 f. m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR).
Besonderen Schutz genießt das Familienleben auch nach der Grundrechte-Charta, die hier nach Art. 51 Abs. 1 zu beachten ist, da der Nachzug eines minderjährigen Kindes zu seinen drittstaatsangehörigen Eltern in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/86/EG fällt. Art. 7 und 24 der GR-Charta, die auf Unionsebene die Bedeutung des Familienlebens für Kinder unterstreichen, sind aber nicht dahin auszulegen, dass den Mitgliedstaaten der Ermessensspielraum genommen würde, über den sie nach der Richtlinie 2003/86/EG bei der Prüfung von Anträgen auf Familienzusammenführung verfügen. Inhaltlich entspricht das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 7 GR-Charta den in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechten in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung des EGMR (EuGH, Urteil vom 15. November 2011 - Rs. C-256/11, Dereci u.a. - InfAuslR 2012, 47 Rn. 70). Auf Unionsebene ist zudem die Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls nach Art. 24 Abs. 2 GR-Charta und das in Art. 24 Abs. 3 GR-Charta niedergelegte Erfordernis zu beachten, dass das Kind regelmäßig persönliche Beziehungen zu beiden Elternteilen unterhält (EuGH, Urteil vom 27. Juni 2006 - Rs. C-540/03, Europäisches Parlament gegen Rat der EU - Slg. 2006 I-5769 Rn. 58).
Im Ergebnis verpflichten damit sowohl die Richtlinie 2003/86/EG als auch Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 i.V.m. Art. 24 Abs. 2 und 3 GR-Charta beim Kindernachzug in Fällen, in denen - wie hier - die Voraussetzungen für ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach der Richtlinie nicht vorliegen und den Mitgliedstaaten ein Handlungsspielraum verbleibt, bei dessen Ausfüllung den Schutz der Familie und das Recht auf Familienleben zu achten und dabei insbesondere das Kindeswohl angemessen zu berücksichtigen. Weitergehenden Schutz vermag auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (BGBl 1992 II S. 121, 990) - UN-Kinderrechtskonvention (KRK) - nicht zu gewähren. Den Regelungen zur Berücksichtigung des Kinderwohls (Art. 3 Abs. 1 KRK), zum familiären Zusammenleben (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 KRK) und zur Behandlung von Anträgen auf Familienzusammenführung (Art. 10 Abs. 1 Satz 1 KRK) ist weder ein unmittelbarer Anspruch auf einen voraussetzungslosen Kindernachzug noch ein unbedingter Vorrang des Kindeswohls vor entgegenstehenden öffentlichen Belangen zu entnehmen.
Ob bei Berücksichtigung dieser rechtlichen Vorgaben die Verweigerung eines Visums an den Kläger unverhältnismäßig ist, hängt damit vor allem davon ab, welche Folgen diese Entscheidung für das Wohl der zur Kernfamilie gehörenden Kinder hat und ob die Familie darauf verwiesen werden kann, die angestrebte familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Kläger in Gambia zu führen, oder ob dem Hindernisse oder sonstige erhebliche Belange der Familie entgegenstehen. Hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen, so dass dem Senat insoweit eine abschließende Entscheidung weder zugunsten noch zulasten des Klägers möglich ist.
Mit Blick auf die deutsche Staatsangehörigkeit der zur Kernfamilie zählenden Geschwister des Klägers fehlen bereits Feststellungen, ob diesen ein dauerhafter Aufenthalt in Gambia tatsächlich möglich ist. Dies setzt voraus, dass sie entweder ebenfalls die gambische Staatsangehörigkeit besitzen oder sonst ein Recht auf Einreise und Aufenthalt bei einer Rückkehr der Eltern nach Gambia hätten. Hierzu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Nach dem von der Beklagten vorgelegten Auszug aus der Gambischen Verfassung spricht zwar viel dafür, dass die Geschwister - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - neben der deutschen auch die gambische Staatsangehörigkeit erworben haben. Da die Auslegung und Anwendung ausländischen Rechts Teil der tatrichterlichen Sachverhaltsfeststellung ist, kann der Senat diese Frage aber nicht abschließend entscheiden.
Zudem fehlen Feststellungen dazu, ob den Geschwistern ein Verlassen des Bundesgebiets zumutbar ist. Sollte das nicht der Fall sein, bestünde zumindest in rechtlicher Hinsicht ein Hindernis. Allein die deutsche Staatsangehörigkeit begründet allerdings für sich genommen noch keine Unzumutbarkeit. Gehören einer familiären Lebensgemeinschaft deutsche Staatsangehörige an, besteht aber besonderer Anlass zur Prüfung, ob diesen ein Verlassen Deutschlands zuzumuten ist. Bei minderjährigen deutschen Kindern, die bei einem Elternteil leben, kann sich eine Unzumutbarkeit beispielsweise aus ihren Beziehungen zum anderen - in Deutschland verbleibenden - Elternteil ergeben (BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320 m.w.N.). Mit zunehmendem Alter können bei minderjährigen deutschen Kindern auch sonstige schutzwürdige Bindungen an hier lebende Personen eine Unzumutbarkeit begründen. Außerdem ist zu berücksichtigen, für welchen Zeitraum und unter welchen Bedingungen sie im Ausland aufwachsen würden und ob hierdurch eine spätere Reintegration in die hiesigen Lebensverhältnisse unmöglich oder wesentlich erschwert würde.
Schließlich fehlen auch in Bezug auf das Wohl des Klägers und dessen Interesse an einem Aufwachsen zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern hinreichend tragfähige Feststellungen. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger werde bei einem weiteren Aufenthalt in Gambia in seiner Entwicklung nicht beeinträchtigt, beruht nicht auf festgestellten Tatsachen und setzt sich insbesondere nicht mit dem Vorbringen des Klägers auseinander, seine Versorgung in Gambia durch die Großmutter sei nicht mehr sichergestellt.
cc) Unabhängig von der in tatsächlicher Hinsicht nicht hinreichend aufgeklärten Frage, ob dem Begehren des Klägers aus Gründen höherrangigen oder vorrangig anzuwendenden Rechts die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts nicht entgegensteht, stellt sich die Entscheidung des Berufungsgerichts aber schon aus anderen Gründen im Ergebnis als unrichtig dar. Denn eine Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist hier jedenfalls aufgrund atypischer Umstände anzunehmen, die darauf beruhen, dass die Kernfamilie des Klägers bereits ihren rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland hat und deutsche Staatsangehörige umfasst. Diese Umstände sind so bedeutsam, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen (Urteil vom 16. August 2011 - BVerwG 1 C 12.10 - Buchholz 402.242 § 28 AufenthG Nr. 2 Rn. 17). Auf dieser Grundlage kann der Senat abschließend entscheiden, ohne dass es weiterer Sachverhaltsaufklärung bedarf.
Der Normzweck des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht darin, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte durch die Erteilung von Aufenthaltstiteln zu vermeiden. Dabei handelt es sich um eine Erteilungsvoraussetzung von grundlegendem staatlichem Interesse (BTDrucks 15/420 S. 70). Diese gilt aber nur in der Regel. In dem hier vorliegenden Fall stehen die mit dem Regelerfordernis verfolgten fiskalischen Interessen in einem Spannungsverhältnis mit den Belangen der Familie. Denn der Kläger hat ein schützenswertes Interesse, zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern aufzuwachsen, und seine deutschen Geschwister haben ein schützenswertes Interesse, dass diese Lebensgemeinschaft in Deutschland geführt werden kann. Dieses Spannungsverhältnis hat der Gesetzgeber beim Familiennachzug zu Deutschen dahin aufgelöst, dass - über zwingende verfassungs- oder völkerrechtlichen Vorgaben hinaus - sowohl das ausländische minderjährige ledige Kind eines Deutschen als auch der ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis haben (§ 28 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG). Auch dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen soll eine Aufenthaltserlaubnis in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt werden (§ 28 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Diese den Familiennachzug begünstigenden einfachgesetzlichen Regelungen sind hier weder unmittelbar noch analog anzuwenden, da kein Nachzug zu einem Deutschen erfolgt. Ihnen kann aber der allgemeine Rechtsgedanke entnommen werden, dass beim Nachzug in eine Familie, der ein deutscher Staatsangehöriger angehört, dem fiskalischen Interesse ein geringeres Gewicht zukommt als beim Nachzug in eine rein ausländische Familie. Diese Wertung ist auch bei der Frage, ob im vorliegenden Fall besondere atypische Umstände eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigen, zu berücksichtigen. Dies führt allerdings nicht dazu, dass allein die Tatsache, dass einer Kernfamilie ein oder - wie hier - mehrere minderjährige deutsche Kinder angehören, bereits ein Absehen vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung rechtfertigt. Hierzu bedarf es vielmehr des Hinzutretens weiterer Umstände, die bei einer wertenden Gesamtschau das ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG beseitigen. Von einem derartigen Ausnahmefall ist nach Auffassung des Senats hier auszugehen. Ausschlaggebend dafür sind folgende Umstände:
(1) Der Nachzug erfolgt in eine Kernfamilie, die bei einer qualitativen Betrachtung aller für die Bestimmung des Lebensmittelpunkts maßgeblichen Umstände ihren Schwerpunkt in Deutschland hat. Die Eltern des Klägers haben sich dauerhaft im Bundesgebiet niedergelassen und sind im Besitz einer Niederlassungs- bzw. Aufenthaltserlaubnis. Der Vater lebt seit 1995 hier, die Mutter seit 2006. Alle Geschwister sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Der Kläger ist das einzige Mitglied der Kernfamilie, das außerhalb Deutschlands lebt. Mit seinem Nachzug würde allen Mitgliedern der Kernfamilie ein Zusammenleben ermöglicht.
(2) Der Kläger war im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erst 12 Jahre alt. Bis zu diesem Lebensalter besteht ein gesteigerter Schutz- und Betreuungsbedarf und sind Kinder in besonderem Maße auf ein Aufwachsen in der Kernfamilie angewiesen, so dass ein Zusammenleben regelmäßig dem Wohl des nachzugswilligen Kindes entspricht.
(3) Dass die Eltern des Klägers nach Auffassung des Berufungsgerichts und der Beklagten keine hinreichenden Bemühungen entfaltet haben, um den Lebensunterhalts der Familie aus eigenen Kräften zu sichern, steht wegen des hier geringeren Gewichts fiskalischer Belange einer Ausnahme nicht entgegen. Ausreichend ist, dass gegen sie - von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt - keinerlei Sanktionen wegen Verletzung ihrer sozialrechtlichen Verpflichtungen nach §§ 31 ff. SGB II verhängt worden sind.
2.3 Der Kläger erfüllt schließlich auch die allgemeinen Nachzugsvoraussetzungen der §§ 27 und 29 AufenthG. Die Erteilung eines Visums hängt insbesondere nicht nach § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG von einer Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde ab. Nach dieser Vorschrift kann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug versagt werden, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfindet, für den Unterhalt von anderen Familienangehörigen oder anderen Haushaltsangehörigen auf Leistungen nach dem SGB II oder XII angewiesen ist. Liegt - wie hier - hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein Ausnahmefall vor, mit der Folge, dass der Lebensunterhalt des Nachziehenden nicht gesichert sein muss, reduziert sich damit zugleich das der Ausländerbehörde nach § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eröffnete Versagungsermessen zugunsten des Ausländers auf Null. Denn durch die Regelung soll dem Schutz der öffentlichen Kassen auch in Fällen Rechnung getragen werden können, in denen durch den Zuzug von Familienangehörigen die Sicherung des Lebensunterhalts für Personen in Frage gestellt wird, denen der Unterhaltsverpflichtete, zu dem der Zuzug stattfindet, bisher Unterhalt geleistet hat, weil nunmehr vorrangig den hinzukommenden Familienangehörigen Unterhalt gewährt wird (BTDrucks 15/420 S. 81). Bei der Interessenabwägung ist daher maßgeblich zu berücksichtigen, in welchem Umfang der Nachzug in Bezug auf andere Personen zu einer stärkeren Belastung der Sozialsysteme führt. Dies ist hier nicht der Fall, denn der Nachzug des Klägers führt zu keiner Erhöhung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für seine Eltern und Geschwister.