Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 19.03.2013


BVerwG 19.03.2013 - 1 C 12/12

Niederlassungserlaubnis; Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG; Nebeneinander mehrerer Aufenthaltstitel; Gebühr für die Ausstellung eines Aufenthaltsdokuments


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
19.03.2013
Aktenzeichen:
1 C 12/12
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend VG Aachen, 14. März 2012, Az: 8 K 1159/10, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 13 EGRL 109/2003
Art 14ff EGRL 109/2003
Art 14 EGRL 109/2003
Art 25 Abs 2 EGRL 38/2004
Art 6 EWGAssRBes 1/80
Art 10 EWGAssRBes 1/80
Art 11 EWGAssRBes 1/80
Art 13 EWGAssRBes 1/80
Art 14 EWGAssRBes 1/80
Art 16 EWGAssRBes 1/80
Art 59 EWGAbkTURZProt

Leitsätze

1. Der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG (juris: AufenthG 2004) steht der Besitz einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nach § 9a AufenthG nicht entgegen.

2. Die Erhebung einer Gebühr für die Ausstellung eines Aufenthaltsdokuments verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 10 ARB 1/80 (juris: EWGAssRBes 1/80), wenn sie im Vergleich zu den von Unionsbürgern in einer vergleichbaren Situation erhobenen Gebühren unverhältnismäßig ist (hier: bejaht für die Erhebung von Gebühren für die Ausstellung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG und für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG).

3. Eine - über einen Inflationsausgleich hinausgehende - nachträgliche Erhöhung einer Gebühr für die Ausstellung eines Aufenthaltsdokuments verstößt unter diesen Voraussetzungen zugleich gegen die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 (hier: bejaht hinsichtlich der Erhöhung der Gebühr für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG von 85 € auf 135 €).

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Zugleich wendet er sich gegen mehrere Gebührenbescheide.

2

Der Kläger, ein 1980 geborener türkischer Staatsangehöriger, kam 2003 zum Studium nach Deutschland. Er erhielt zunächst eine Aufenthaltsbewilligung, später eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16 AufenthG, die mehrfach - zuletzt bis Juni 2010 - verlängert wurde. Ab Januar 2004 war er bei der RWTH A. beschäftigt.

3

Im April 2010 beantragte der Kläger, ihm zu bestätigen, dass ihm spätestens seit August 2009 ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht zustehe. Außerdem beantragte er die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sowie einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG. Im Juni 2010 stellte die Beklagte dem Kläger rückwirkend zum 1. August 2009 eine auf den 30. Juni 2011 befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 AufenthG aus. Hierfür zahlte der Kläger eine Gebühr in Höhe von 40 €.

4

Im Juli 2010 erhob der Kläger Klage. Während des Klageverfahrens verlängerte die Beklagte die Aufenthaltserlaubnis des Klägers im Juni 2011 um ein Jahr und erteilte ihm im März 2012 eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG als eigenständiges Dokument mit elektronischem Speicher- und Verarbeitungsmedium. Hierfür zahlte der Kläger Gebühren in Höhe von 30 € und 135 €. Hinsichtlich des Begehrens auf Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG wurde das Verfahren eingestellt. Zuletzt beantragte der Kläger vor dem Verwaltungsgericht, die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Außerdem beantragte er, die Gebührenbescheide der Beklagten vom 9. Juni 2010 über 40 €, vom 15. Juni 2011 über 30 € und vom 20. Januar 2012 über 135 € aufzuheben, soweit sie den Betrag von 20,45 €, 15,45 € bzw. 30,68 € übersteigen, und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Überzahlung in Höhe von insgesamt 138,42 € nebst Zinsen zurückzuzahlen.

5

Das Verwaltungsgericht Aachen hat der Klage mit Urteil vom 14. März 2012 stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Hinsichtlich des Begehrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis fehle dem Kläger nicht das Rechtsschutzbedürfnis, da dieser Aufenthaltstitel unter bestimmten Voraussetzungen einen besseren Schutz gewähre als eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG. Nach dem Wortlaut des Aufenthaltsgesetzes bestehe ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ohne Begrenzung auf einen einzelnen Titel. Auch aus der Systematik des Aufenthaltsgesetzes lasse sich nicht ableiten, dass mehrere Aufenthaltstitel nicht nebeneinander erteilt werden könnten. Die Richtlinie 2003/109/EG gehe ebenfalls von einem Nebeneinander aus. Der in der Verordnung (EG) Nr. 380/2008 hervorgehobene Grundsatz "eine Person - ein Dokument" beziehe sich auf das technische Dokument, in dem die dem Aufenthalt zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen anzugeben seien. Bei Schwierigkeiten praktischer Art müsse die technische Ausgestaltung der Aufenthaltstitel den gesetzlichen Verpflichtungen angepasst werden.

6

Die Gebührenforderungen verstießen im angefochtenen Umfang gegen die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 und gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 10 ARB 1/80, da sie höher seien als die Gebühren für die Ausstellung vergleichbarer Aufenthaltstitel bei Inkrafttreten des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 am 1. Dezember 1980 und sie im Vergleich zu den von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten verlangten Gebühren unverhältnismäßig seien. Der Gebührenbescheid vom 9. Juni 2010 über 40 € betreffe die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG. Für die Erteilung einer vergleichbaren Aufenthaltserlaubnis habe die Gebühr im Dezember 1980  40 DM (= 20,45 €) betragen; dies entspreche selbst bei einer inflationsbereinigten Umrechnung nur 37,43 €. Unionsbürger hätten - im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Gebührenbescheids - für die Ausstellung einer Aufenthaltsbescheinigung keine Gebühren entrichten müssen. Der Gebührenbescheid vom 15. Juni 2011 über 30 € betreffe die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Im Dezember 1980 habe die Gebühr für eine vergleichbare Verlängerung 30 DM (= 15,45 €) betragen; dies entspreche selbst bei einer inflationsbereinigten Umrechnung nur 28,71 €. Da Unionsbürger bei Erlass des Bescheids keine vergleichbare Gebühr hätten zahlen müssen, sei auch diese Gebühr unverhältnismäßig. Der Gebührenbescheid vom 20. Januar 2012 über 135 € betreffe die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG. Auch diese Gebühr verstoße - jedenfalls soweit sie den Betrag von 30,68 € übersteige - gegen Art. 10 und 13 ARB 1/80. Als Vergleichsmaßstab sei die Aufenthaltsberechtigung nach § 8 AuslG 1965 heranzuziehen. Im Dezember 1980 habe die Gebühr für die Erteilung dieses Aufenthaltstitels 60 DM (= 30,68 €) betragen; dies entspreche selbst bei einer inflationsbereinigten Umrechnung nur 57,89 €. Unionsbürger hätten im Januar 2012 für die Bescheinigung ihres Daueraufenthalts lediglich 8 € und ihre freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen für die Ausstellung einer Aufenthaltskarte oder einer Daueraufenthaltskarte höchstens 28,80 € zahlen müssen. Der Assoziationsrechtswidrigkeit stehe nicht entgegen, dass die Erhöhung der Gebühr im Zusammenhang mit der Einführung des elektronischen Aufenthaltstitels stehe, der auf Unionsebene für Drittstaatsangehörige verbindlich vorgeschrieben worden sei und zusätzliche Material- und Verwaltungskosten verursache. Der Rückzahlungsanspruch ergebe sich aus § 21 VwKostG; ab Rechtshängigkeit sei er in entsprechender Anwendung der §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zu verzinsen.

7

Die Beklagte macht mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision geltend, für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis fehle schon das Rechtsschutzbedürfnis. Außerdem widerspreche die Erteilung mehrerer Aufenthaltstitel nebeneinander der Systematik des Aufenthaltsgesetzes. Die Ausstellung eines zweiten (elektronischen) Aufenthaltstitels sei zudem technisch nicht möglich. Hinsichtlich der Gebührenbescheide fehle es an einer neuen Beschränkung im Sinne des Art. 13 ARB 1/80. Die Anhebung der Gebühren stelle sich im Wesentlichen als eine aufgerundete Anpassung an die Geldentwertung dar und sei nicht geeignet, die Verwirklichung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu behindern. Die Gebühren seien auch nicht unverhältnismäßig höher als die Gebühren, die Unionsbürger unter "gleichartigen Umständen" zu zahlen hätten. Die Erhöhung der Gebühr für die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG sei auf die Einführung des elektronischen Aufenthaltstitels zurückzuführen. Dieser Aufenthaltstitel sei mit der Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechts bei Unionsbürgern nicht vergleichbar. Er sei mit einem höheren Material- und Verwaltungsaufwand verbunden und diene der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des Art. 14 ARB 1/80.

8

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.

9

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt und unterstützt die Revision der Beklagten.

10

Der Kläger ist während des Revisionsverfahrens umgezogen. Die Beklagte hat mitgeteilt, dass sie das Verfahren mit Zustimmung der für den neuen Wohnort zuständigen Ausländerbehörde fortführt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das der Klage in vollem Umfang stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts ist im Ergebnis mit revisiblem Recht zu vereinbaren. Der Kläger hat Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zusätzlich zu der ihm bereits erteilten Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG (1.). Die Gebührenbescheide sind, soweit der Kläger sie angegriffen hat, wegen Verstoßes gegen das Assoziationsrecht EWG-Türkei rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (2.). Hinsichtlich des Rückzahlungsbegehrens war im Tenor allerdings klarzustellen, dass die Beklagte insoweit nicht verpflichtet, sondern verurteilt wird (3.).

12

1. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte ohne Verstoß gegen Bundesrecht zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis verpflichtet.

13

1.1 Der Umstand, dass der Kläger bereits Inhaber einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG ist, stellt das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage nicht in Frage. Denn der (zusätzliche) Besitz einer Niederlassungserlaubnis würde seine aufenthaltsrechtliche Rechtsposition verbessern. Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis für ihn völlig nutzlos wäre.

14

Niederlassungserlaubnis und Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG sind beides unbefristete und weitgehend unbeschränkte Aufenthaltstitel, die kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen (§ 9 Abs. 1, § 9a Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG). Bei Umsetzung der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl EU Nr. L 16 S. 44) - Daueraufenthaltsrichtlinie - hat der deutsche Gesetzgeber entschieden, die Vorgaben dieser Richtlinie durch Schaffung eines neuen Aufenthaltstitels umzusetzen, der nach unionsrechtlichen Grundsätzen erteilt wird. Daneben besteht weiterhin die Möglichkeit der Aufenthaltsverfestigung über eine Niederlassungserlaubnis. Soweit das Aufenthaltsgesetz nichts anderes regelt, ist die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG der Niederlassungserlaubnis gleichgestellt (§ 9a Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Über diese "Gleichstellung" hinaus, gewährt die Daueraufenthaltserlaubnis-EG weitergehende Rechte, die dem Inhaber einer Niederlassungserlaubnis nicht zustehen, etwa das Recht zum Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten nach Art. 14 ff. der Richtlinie 2003/109/EG. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass umgekehrt die Niederlassungserlaubnis dem Ausländer bei den Erlöschensgründen eine geringfügig bessere Rechtsstellung gewährt. Denn die Daueraufenthaltserlaubnis-EG erlischt - in Umsetzung der Vorgaben aus Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/109/EG - kraft Gesetzes, wenn der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat erwirbt (§ 51 Abs. 9 Nr. 5 AufenthG), während eine Niederlassungserlaubnis in diesem Fall nur unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG und unter Berücksichtigung der nach § 51 Abs. 2 bis 4 AufenthG geltenden Einschränkungen entfällt. Dieser Nachteil der Daueraufenthaltserlaubnis-EG wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass einem Ausländer mit dem Erwerb der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat unter den Voraussetzungen des § 38a AufenthG in Deutschland ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zusteht, wenn er sich länger als drei Monate hier aufhalten will. Denn dieser Anspruch bleibt hinter den Rechtswirkungen einer fortbestehenden Niederlassungserlaubnis zurück. Der Kläger muss sich auch nicht entgegenhalten lassen, dass derzeit ungewiss ist, ob er jemals auf den weitergehenden Schutz der Niederlassungserlaubnis angewiesen sein wird, und ihm bei einem entsprechenden Bedürfnis zu einem späteren Zeitpunkt eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden könnte. Denn der Besitz einer Niederlassungserlaubnis bewirkt eine vom weiteren Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen unabhängige Aufenthaltsverfestigung.

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1.2 Die Klage richtet sich gegen die richtige Beklagte. Der Kläger ist während des Revisionsverfahrens zwar umgezogen. Die für den neuen Wohnort zuständige Ausländerbehörde hat der Beklagten aber die Zustimmung zur Fortführung des Verfahrens in eigener Zuständigkeit erteilt (vgl. Art. 3 Abs. 3 LVwVfG NRW). Eine solche Handhabung ist rechtlich nicht zu beanstanden und dient der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens (Urteil vom 24. Mai 1995 - BVerwG 1 C 7.94 - BVerwGE 98, 313 <316> = Buchholz 402.240 § 24 AuslG 1990 Nr. 1).

16

1.3 Der Kläger hat Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Er erfüllt unstreitig die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 AufenthG. Auch materiell steht dem Anspruch nicht entgegen, dass er bereits im Besitz einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG ist. Ein Verbot beider Aufenthaltstitel nebeneinander mit der Folge, dass dem Kläger nur einer dieser beiden Aufenthaltstitel erteilt werden könnte, ist dem Aufenthaltsgesetz nicht zu entnehmen. Es widerspräche auch der Systematik des Aufenthaltsgesetzes.

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a) Das Aufenthaltsgesetz enthält keine allgemeine Regelung, wie zu verfahren ist, wenn ein Ausländer die gesetzlichen Voraussetzungen für mehrere Aufenthaltstitel erfüllt. Soweit § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bestimmt, dass Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet "eines" Aufenthaltstitels bedürfen, kann dem nur entnommen werden, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet unter einem Erlaubnisvorbehalt steht (BTDrucks 15/420 S. 68). Das Erfordernis einer Erlaubnis zum Aufenthalt im Bundesgebiet sagt aber nichts darüber aus, ob bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen mehrerer Aufenthaltstitel nur ein Aufenthaltstitel erteilt werden darf. Soweit in der Gesetzesbegründung zum Zuwanderungsgesetz darauf hingewiesen wird, dass "die gesetzliche Grundlage" für die Erteilung "eines" Aufenthaltstitels auf dem Dokument vermerkt werde (BTDrucks 15/420 S. 69), schließt dies die Erteilung mehrerer Aufenthaltstitel aufgrund unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen nicht aus.

18

Die Vorschriften über die Niederlassungserlaubnis und die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG enthalten ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine wechselbezügliche Sperrwirkung. Beide Aufenthaltstitel beruhen auf unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen mit eigenständigen Tatbestandsvoraussetzungen. Auch in den Rechtsfolgen stimmen sie zwar weitgehend, aber eben nicht vollständig überein. Vielmehr handelt es sich nach der gesetzlichen Ausgestaltung um zwei gleichberechtigt nebeneinander gestellte Aufenthaltstitel, die beide dem Inhaber einen dauerhaften Aufenthalt ermöglichen.

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b) Dass einem Ausländer - solange das Gesetz nicht eindeutig etwas anderes bestimmt - mehrere Aufenthaltstitel nebeneinander erteilt werden können, ergibt sich insbesondere aus dem dem Aufenthaltsgesetz zugrunde liegenden Konzept unterschiedlicher Aufenthaltstitel mit jeweils eigenständigen Rechtsfolgen. In Umsetzung dieses Konzepts definiert das Aufenthaltsgesetz verschiedene Aufenthaltstitel (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) und regelt deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen. Erfüllt ein Ausländer - wie hier - sowohl die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG als auch einer Niederlassungserlaubnis, hat er nach dem Gesetz einen Anspruch auf beide Aufenthaltstitel. Folglich sind ihm auf einen entsprechenden Antrag hin beide Aufenthaltstitel zu erteilen. Denn nur so kann der Ausländer von den mit beiden Aufenthaltstiteln verbundenen Rechtsvorteilen effektiv Gebrauch machen. Müsste er sich für einen der beiden Aufenthaltstitel entscheiden, würden ihm hierdurch die nur mit dem anderen Titel verbundenen Rechtsvorteile verlorengehen, obwohl er nach dem Gesetz auch auf diesen Titel und die damit verbundenen Rechtsvorteile einen Anspruch hat.

20

Die gleichzeitige Erteilung einer Niederlassungserlaubnis neben einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG führt nicht zu einer vom Aufenthaltsrecht nicht gedeckten Rechtsstellung des Ausländers. Er erhält hierdurch insbesondere kein über die gesetzlich geregelten Aufenthaltstitel hinausgehendes "neues" Aufenthaltsrecht, sondern lediglich zwei Aufenthaltstitel, die in ihren Rechtsfolgen und in ihrem Fortbestand weiterhin jeweils ihren eigenen Regelungen unterliegen. Damit lässt sich auch beim Besitz mehrerer Aufenthaltstitel der aufenthaltsrechtliche Status des Ausländers jederzeit eindeutig bestimmen. Dass dem Aufenthaltsgesetz das gleichzeitige Bestehen verschiedener - in ihren Rechtsfolgen unterschiedlich ausgestalteter - Rechtsstellungen eines Ausländers nicht fremd ist, zeigt im Übrigen die Regelung in § 4 Abs. 5 AufenthG. Danach ist ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzt. Dem ist zu entnehmen, dass das Bestehen eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts, das in seinen Rechtsfolgen und in seinem Fortbestand ebenfalls eigenen Regelungen unterliegt, der (konstitutiven) Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels nicht entgegensteht (so im Ergebnis auch Nr. 4.5.1 der VV-AufenthG).

21

Auch das in §§ 7 und 8 AufenthG verankerte Trennungsprinzip steht der gleichzeitigen Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG und einer Niederlassungserlaubnis nicht entgegen. Dieses Prinzip besagt lediglich, dass die Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - anders als zuvor die Aufenthaltserlaubnis nach § 15 AuslG 1990 - nur für einen bestimmten Aufenthaltszweck erteilt wird. An diesen knüpft das Gesetz unterschiedliche Rechtsfolgen, etwa hinsichtlich der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder der Verfestigung des Aufenthalts. Das hat zur Folge, dass ein Ausländer seine aufenthaltsrechtlichen Ansprüche nur aus den Rechtsgrundlagen ableiten kann, die der Gesetzgeber für die spezifischen, vom Ausländer verfolgten Aufenthaltszwecke geschaffen hat. Damit handelt es sich bei den unterschiedlichen Arten von Aufenthaltserlaubnissen um jeweils eigenständige Regelungsgegenstände, die zueinander im Verhältnis der Anspruchskonkurrenz stehen (Urteile vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 Rn. 26 = Buchholz 402.242 § 31 AufenthG Nr. 2 und vom 9. Juni 2009 - BVerwG 1 C 11.08 - BVerwGE 134, 124 Rn. 13 = Buchholz 402.242 § 7 AufenthG Nr. 3). Das Trennungsprinzip verhält sich hingegen nicht zu der vorgelagerten Frage, ob ein Ausländer immer nur einen Aufenthaltstitel beanspruchen kann oder ob ihm bei Vorliegen der gesetzlichen Erteilungsvoraussetzungen und Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses auf einen entsprechenden Antrag hin auch mehrere Aufenthaltstitel - ggf. zu unterschiedlichen Zwecken - erteilt werden müssen. Es wirft in dem hier vorliegenden Fall auch deshalb keine Probleme auf, weil es sich bei der Niederlassungserlaubnis und der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG um unbefristete Aufenthaltstitel handelt, die keiner Zweckbindung unterliegen.

22

c) Ungeachtet dieses sich bereits aus dem nationalen Recht ergebenden Befunds finden sich auch in der Richtlinie 2003/109/EG keine Anhaltspunkte für die Zulässigkeit einer Sperrwirkung. Vorrangiges Ziel dieser Richtlinie ist die Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind. Erfüllt ein Drittstaatsangehöriger die in der Richtlinie aufgestellten Bedingungen, hat er Anspruch auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten und der weiteren Rechte, die sich aus der Zuerkennung dieser Rechtsstellung ergeben (EuGH, Urteil vom 26. April 2012 - Rs. C-508/10, Kommission/Niederlande u.a. - ABl EU Nr. C 174 S. 7 = InfAuslR 2012, 253 Rn. 65 ff.). Die Richtlinie verbietet den Mitgliedstaaten zwar nicht, für die Ausstellung dauerhafter oder unbefristeter Aufenthaltstitel günstigere Voraussetzungen als diejenigen der Richtlinie vorzusehen (Art. 13 der Richtlinie). Der nationale Gesetzgeber durfte daher die bestehenden Regelungen über die Niederlassungserlaubnis beibehalten. Dem Unionsrecht ist aber nicht zu entnehmen, dass sich ein Drittstaatsangehöriger in diesem Fall für einen der beiden Aufenthaltstitel entscheiden muss, wenn sie - wie hier - in Teilbereichen unterschiedliche Vorteile gewähren (vgl. hierzu auch Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Anwendung der Richtlinie 2003/109/EG betreffend der Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, KOM <2011> 585 endg. S. 8 ABl EU Nr. C 335 S. 20).

23

d) Der Einwand der Beklagten, die Erteilung eines zweiten elektronischen Aufenthaltstitels sei ihr technisch nicht möglich, übersieht, dass es für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis nicht der Ausstellung eines weiteren Dokuments bedarf. Die erforderlichen Eintragungen können als Zusatz zur Art des Titels oder im Anmerkungsfeld vorgenommen werden (Urteil vom 22. Mai 2012 - BVerwG 1 C 6.11 - BVerwGE 143, 150 Rn. 30 unter Hinweis auf § 78 Abs. 1 Satz 3 Nr. 8 und 12 AufenthG, § 59 Abs. 2 i.V.m. Anl. D 14a AufenthVO, Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Anhang a) Verordnung Nr. 1030/2002 des Rates vom 13. Juni 2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige, in der durch VO Nr. 380/2008 des Rates vom 18. April 2008 geänderten Fassung ABl EG Nr. L 115 S. 1). Damit ergeben sich auch weder aus der Verordnung (EG) Nr. 380/2008 noch aus dem Grundsatz "eine Person - ein Dokument" durchgreifende Bedenken gegen die gleichzeitige Erteilung einer Niederlassungserlaubnis neben einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG.

24

2. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht auch hinsichtlich der angegriffenen Gebührenbescheide stattgegeben. Diese sind, soweit der Kläger sie angefochten hat, rechtswidrig. Zwar ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass nicht nur der Gebührenbescheid vom 20. Januar 2012, sondern auch die Gebührenbescheide vom 9. Juni 2010 und 15. Juni 2011 gegen die Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ANBA 1981 S. 4) - ARB 1/80 - verstoßen, mit Bundesrecht nicht zu vereinbaren (2.1). Diese Annahme ist aber nicht entscheidungstragend, da alle drei Gebührenbescheide jedenfalls das Diskriminierungsverbot des Art. 10 ARB 1/80 verletzen (2.2). Offen bleiben kann, ob der Gebührenbescheid vom 20. Januar 2012 darüber hinaus mit der Richtlinie 2003/109/EG zu vereinbaren ist (2.3).

25

Die Rechtmäßigkeit der Gebührenbescheide bestimmt sich grundsätzlich - und so auch hier - nach der im Zeitpunkt ihres Erlasses maßgeblichen Rechtslage (Urteil vom 16. Oktober 2012 - BVerwG 10 C 6.12 - Rn. 12, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen).

26

Der Gebührenbescheid vom 9. Juni 2010, der die rückwirkende Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 AufenthG anstelle der dem Kläger zuvor erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 16 AufenthG betrifft, findet seine Rechtsgrundlage in § 69 AufenthG i.d.F. des Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten - GewVVG - vom 30. Juli 2009 (BGBl I S. 2437) i.V.m. § 45 Nr. 3 AufenthV i.d.F. vom 15. Juni 2009 (BGBl I S. 1287) - AufenthV 2009/2010. Danach ist für die durch einen Wechsel des Aufenthaltszwecks veranlasste Änderung der Aufenthaltserlaubnis einschließlich deren Verlängerung eine Gebühr in Höhe von 40 € zu erheben. Der Anwendung dieses Gebührentatbestands steht nicht entgegen, dass die der Gebührenerhebung zugrunde liegende Aufenthaltserlaubnis auf einem assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht beruht. Denn türkische Staatsangehörige, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, sind unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 AufenthG verpflichtet, das Bestehen dieses Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen. Auch die Ausstellung einer solchen - deklaratorischen - Aufenthaltserlaubnis unterfällt der Gebührenregelung in § 45 AufenthV 2009/2010.

27

Der Gebührenbescheid vom 15. Juni 2011, der die Verlängerung der nach § 4 Abs. 5 AufenthG ausgestellten Aufenthaltserlaubnis betrifft, findet seine Rechtsgrundlage in § 69 AufenthG i.d.F. des Gesetzes zur Anpassung des deutschen Rechts an die Verordnung (EG) Nr. 380/2008 des Rates vom 18. April 2008 zur Änderung der Verordnung Nr. 1030/2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige - EGV380/2008AnpG - vom 12. April 2011 (BGBl I S. 610) i.V.m. § 45 Nr. 2 Buchst. b AufenthV i.d.F. vom 2. August 2010 (BGBl I S. 1134) - AufenthV 2010/2011. Danach ist für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis für einen weiteren Aufenthalt von mehr als drei Monaten eine Gebühr in Höhe von 30 € zu erheben. Auch hier steht der Anwendung des § 45 AufenthV 2010/2011 nicht entgegen, dass der Verlängerung lediglich deklaratorische Wirkung zukommt.

28

Der Gebührenbescheid vom 20. Januar 2012 über 135 € betrifft schließlich die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nach § 9a AufenthG als eigenständiges Aufenthaltsdokument im Scheckkartenformat mit integriertem Chip (vgl. § 78 AufenthG; sog. elektronischer Aufenthaltstitel). Er findet seine Rechtsgrundlage in § 69 Abs. 1 AufenthG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex - EURL/VisakodexUmsG - vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) i.V.m. § 44a AufenthV i.d.F. vom 25. November 2011 (BGBl I S. 2347) - AufenthV 2011/2012.

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2.1. Mit der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 nicht zu vereinbaren ist nur der Gebührenbescheid vom 20. Januar 2012. Die den Bescheiden vom 9. Juni 2010 und 15. Juni 2011 zugrunde liegenden Gebühren stellen hingegen schon keine neue Beschränkung im Sinne des Art. 13 ARB 1/80 dar.

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Der Kläger erfüllt aufgrund seiner Beschäftigung bei der RWTH A. unstreitig die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1, 3. Spiegelstrich ARB 1/80. Als türkischer Arbeitnehmer kann er sich auf die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 berufen. Danach dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass diese Bestimmung unmittelbare Wirkung entfaltet, so dass sich türkische Staatsangehörige, die die Voraussetzungen der Stillhalteklausel erfüllen, vor den innerstaatlichen Gerichten auf diese Vorschrift berufen können, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts auszuschließen (EuGH, Urteil vom 17. September 2009 - Rs. C-242/06, Sahin - Slg. 2009, I-08465 Rn. 53 ff. m.w.N.).

31

Art. 13 ARB 1/80 verbietet die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung in dem betreffenden Mitgliedstaat galten (EuGH, Urteil vom 17. September 2009 a.a.O. Rn. 63). Maßgeblich für diesen Vergleich ist die am 1. Dezember 1980 geltende Rechtslage (Art. 16 Abs. 1 ARB 1/80; Urteil vom 8. Dezember 2009 - BVerwG 1 C 16.08 - BVerwGE 135, 334 Rn. 23 = Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 58; EuGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - Rs. C-300/09 und C-301/09, Toprak und Oguz - Slg. 2010, I-12845 Rn. 62). Darüber hinaus erfasst die Stillhalteklausel auch die nachträgliche Verschärfung einer nach diesem Stichtag in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeführten Bestimmung, die eine Erleichterung der damals geltenden Bestimmungen vorsah, auch wenn diese Verschärfung nicht die Bedingungen für die Erteilung der Erlaubnis im Vergleich zu den bei Inkrafttreten geltenden Bedingungen verschlechtert (EuGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 50 ff.). Nicht jede Änderung einer nationalen Bestimmung stellt aber eine Verschärfung dar. Die Stillhalteklausel ist darauf gerichtet, günstige Bedingungen für die schrittweise Verwirklichung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu schaffen, indem den innerstaatlichen Stellen verboten wird, neue Hindernisse für diese Freiheit einzuführen, um die schrittweise Herstellung dieser Freiheit zwischen den Mitgliedstaaten und der Republik Türkei nicht zu erschweren (EuGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 53). Änderungen bestehender Vorschriften führen daher nur dann zu einer neuen Beschränkung im Sinne des Art. 13 ARB 1/80, wenn sie ein neues Hindernis für die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit begründen (EuGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 54). Der Erlass neuer Vorschriften steht allerdings dann nicht im Widerspruch zur Stillhalteklausel, wenn die neuen Vorschriften in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Unionsbürger Anwendung finden. Andernfalls befänden sich türkische Staatsangehörige in einer günstigeren Position als Unionsbürger, was gegen Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen vom 23. November 1970 (BGBl 1972 II S. 385) - Zusatzprotokoll (ZP) - verstieße, wonach der Republik Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden darf als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander einräumen (EuGH, Urteil vom 17. September 2009 a.a.O. Rn. 67).

32

Hieraus hat der EuGH gefolgert, dass die Stillhalteklausel die Einführung von Gebühren für die Ausstellung von Aufenthaltsdokumenten nicht hindert, solange diese im Vergleich zu Gebühren, die Unionsbürger in vergleichbarer Lage zu zahlen haben, nicht unverhältnismäßig sind (EuGH, Urteil vom 17. September 2009 a.a.O. Rn. 69 ff.). Dabei ist nach der Rechtsprechung des EuGH nicht jede im Vergleich zur Lage der Unionsbürger höhere Gebühr notwendigerweise unverhältnismäßig (EuGH, Urteil vom 29. April 2010 - Rs. C-92/07, Kommission/Niederlande - Slg. 2010, I-03683 Rn. 71). Vielmehr geht der Gerichtshof davon aus, dass Gebühren, die etwas höher sind als die von Unionsbürgern für die Ausstellung entsprechender Dokumente verlangten, in bestimmten Sonderfällen als verhältnismäßig angesehen werden können.

33

a) In Anwendung dieser Grundsätze verstößt der Bescheid vom 9. Juni 2010 nicht gegen Art. 13 ARB 1/80. Denn die Erhebung einer Gebühr in Höhe von 40 € für die (rückwirkende) Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG mit einer Geltungsdauer von zwei Jahren stellt gegenüber der am 1. Dezember 1980 geltenden Rechtslage keine neue Beschränkung im Sinne des Art. 13 ARB 1/80 dar.

34

Dies ergibt sich allerdings nicht schon aus dem Umstand, dass türkische Arbeitnehmer in Deutschland - im Gegensatz zur Rechtslage in den Niederlanden, die den Urteilen des EuGH vom 17. September 2009 (a.a.O.) und vom 29. April 2010 (a.a.O.) zugrunde lag - bereits im Dezember 1980 für die Ausstellung von Aufenthaltsdokumenten Gebühren entrichten mussten. Denn auch die Änderung einer bereits vorhandenen Regelung kann zu einer Verschärfung der Bedingungen für den Arbeitsmarktzugang führen. Allein die zwischenzeitliche Erhöhung der Gebühren in Deutschland begründet in Bezug auf die dem Bescheid vom 9. Juni 2010 zugrunde liegende Gebühr aber noch kein neues Hindernis für die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c der im Dezember 1980 geltenden Gebührenverordnung zum Ausländergesetz vom 20. Dezember 1977 (BGBl I S. 2840) - AuslGebV - betrug die Gebühr bei Aufenthaltserlaubnissen für einen Aufenthalt von länger als einem Jahr 40 DM. Dies ergibt nach dem amtlichen Umrechnungskurs 20,45 € und entspricht - nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit bindenden tatrichterlichen Feststellungen - bei einer inflationsbereinigten Umrechnung zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt 37,43 €. Die im Bescheid vom 9. Juni 2010 festgesetzte Gebühr liegt damit inflationsbereinigt nur unwesentlich über der am 1. Dezember 1980 zu entrichtenden Gebühr. Allein die - geringfügig aufgerundete - Anpassung einer Gebühr an die Geldentwertung begründet aber noch kein neues Hindernis für die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Denn in diesem Fall bleibt die tatsächliche Belastung im Wesentlichen gleich. Ein Verstoß gegen Art. 13 ARB 1/80 scheidet daher aus, ohne dass es darauf ankommt, ob die festgesetzte Gebühr im Vergleich zu den Gebühren, die von Unionsbürgern im Juni 2010 für die Ausstellung entsprechender Dokumente verlangt wurden, unverhältnismäßig ist.

35

b) Gleiches gilt hinsichtlich der dem Bescheid vom 15. Juni 2011 zugrunde liegenden Gebühr in Höhe von 30 € für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG um ein Jahr. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Nr. 1 Buchst. b AuslGebV betrug im Dezember 1980 die Gebühr für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis von mehr als drei Monaten bis zu einem Jahr 30 DM. Dies ergibt nach dem amtlichen Umrechnungskurs 15,45 € und entspricht nach den tatrichterlichen Feststellungen bei einer inflationsbereinigten Umrechnung 28,71 €. Auch hier liegt die festgesetzte Gebühr inflationsbereinigt mithin nur unwesentlich über der am 1. Dezember 1980 zu entrichtenden Gebühr.

36

c) Die Erhebung einer Gebühr in Höhe von 135 € für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nach § 9a AufenthG ist hingegen mit der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 nicht zu vereinbaren.

37

aa) Auch hier fehlt es - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - zwar an einer neuen Beschränkung gegenüber der am 1. Dezember 1980 geltenden Rechtslage. Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG ist nach § 9a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ein unbefristeter Aufenthaltstitel, der - wie sich aus § 12 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ergibt - nicht mit Auflagen und Bedingungen versehen werden kann und im Gegensatz zur Niederlassungserlaubnis dem Inhaber ein Recht zum Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Art. 14 ff. der Richtlinie 2003/109/EG gewährt. Sowohl die Aufenthaltsberechtigung nach § 8 AuslG 1965 als auch die unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 2 AufenthG 1965 gewährten dem Ausländer kein über das Bundesgebiet hinausgehendes Aufenthaltsrecht. Schon wegen dieser unterschiedlichen Rechtsfolgen kann die Gebühr für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG daher nicht an den Gebühren für die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder einer Aufenthaltsberechtigung nach altem Recht gemessen werden. Als Gebühr für einen mit weitergehenden Rechten verbundenen neuen Daueraufenthaltstitel stellt sie keine neue Beschränkung, sondern eine nachträgliche Verbesserung der Bedingungen im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar.

38

Die Gebühr für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG wurde aber nachträglich erhöht. Bei Einführung dieses Aufenthaltstitels durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 betrug sie nach § 44a AufenthV i.d.F. vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - AufenthV 2007 - zunächst 85 €. Erst durch die Sechste Verordnung zur Änderung der Aufenthaltsverordnung vom 22. Juli 2011 (BGBl I S. 1530) - AufenthV 2011 - wurde sie mit Wirkung ab dem 1. September 2011 auf 135 € angehoben. Diese - über einen Inflationsausgleich deutlich hinausgehende - Erhöhung begründet eine nachträgliche Verschärfung der Bedingungen im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dabei ist unerheblich, dass der Kläger zum Nachweis und zur effektiven Inanspruchnahme der ihm mit dem Assoziationsrecht eingeräumten Rechte nicht auf den Besitz dieses Aufenthaltstitels angewiesen ist. Denn die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG berechtigt zum Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat und ist damit sowohl gegenüber dem assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht als auch dem Besitz eines nationalen Aufenthaltstitels in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit von einer anderen rechtlichen Qualität.

39

bb) Die nachträgliche Erhöhung der Gebühr für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG von 85 € auf 135 € ist im Vergleich zu den von Unionsbürgern für die Ausstellung vergleichbarer Dokumente erhobenen Gebühren auch unverhältnismäßig. Bei diesem Vergleich ist auf die in Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl EU Nr. L 158 S. 77) - Unionsbürgerrichtlinie - im Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU -) geregelten Aufenthaltsdokumente abzustellen. Allein der Umstand, dass bei Unionsbürgern über § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU das Aufenthaltsgesetz entsprechende Anwendung findet, wenn es im Einzelfall eine günstigere Rechtsstellung vermittelt, hat entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zur Folge, dass Unionsbürger schon deshalb hinsichtlich der im Aufenthaltsgesetz geregelten Aufenthaltstitel der gleichen Gebührenpflicht unterliegen wie Drittstaatsangehörige.

40

Die Unionsbürgern in Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG im Januar 2012 auszustellenden Aufenthaltsdokumente ergeben sich aus § 5 FreizügG/EU in der seinerzeit gültigen Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Wiedereingliederungschancen am Arbeitsmarkt - EinglVerbG - vom 20. Dezember 2011 (BGBl I S. 2854) - FreizügG/EU a.F. Die damit korrespondierenden Gebührentatbestände richten sich nach § 47 Abs. 3 AufenthV 2011/2012. Danach war von Unionsbürgern für die Bescheinigung ihres Daueraufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 6 Satz 1 FreizügG/EU a.F. eine Gebühr in Höhe von 8 € zu entrichten (§ 47 Abs. 3 Satz 4 AufenthV 2011/2012); die - inzwischen weggefallene - Ausstellung einer Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU a.F. war nicht gebührenpflichtig (§ 2 Abs. 6 FreizügG/EU a.F.).

41

Als "vergleichbares" Dokument kommt hier die Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechts für Unionsbürger nach § 5 Abs. 6 Satz 1 FreizügG/EU a.F. in Betracht. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG für Drittstaatsangehörige im Gegensatz zur Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechts bei Unionsbürgern um einen konstitutiven Aufenthaltstitel handelt, der zudem nach der Verordnung (EG) Nr. 380/2008 des Rates vom 18. April 2008 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige (ABl EU Nr. L 115 S. 1) - sog. eAT-Verordnung - als eigenständiges Dokument im ID-1- oder ID-2-Format ausgestellt werden muss. Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen türkischen Staatsangehörigen, auf die Art. 13 ARB 1/80 Anwendung findet, keine neuen Pflichten auferlegt werden, die im Vergleich zu denen der Unionsbürger unverhältnismäßig sind. Als Anknüpfungspunkt hat er in der Rechtssache Sahin die von Unionsbürgern "unter gleichartigen Umständen" verlangten Gebühren herangezogen (EuGH, Urteil vom 17. September 2009 a.a.O. Rn. 74). In der Rechtssache Kommission/Niederlande hat er die Gleichartigkeit der von türkischen Staatsangehörigen und von Unionsbürgern gestellten Anträge hervorgehoben und auf die von Unionsbürgern "für entsprechende Dokumente" verlangten Gebühren abgestellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2010 a.a.O. Rn. 54 und 74). Damit ist Anknüpfungspunkt für die Prüfung der Unverhältnismäßigkeit die finanzielle Belastung eines Unionsbürgers, der sich in einer vergleichbaren Situation befindet. Hinsichtlich der Gebühren für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG ist daher auf die Kosten abzustellen, die einem Unionsbürger entstehen, der innerhalb der Union von seiner Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch macht und zu diesem Zwecke im Aufnahmemitgliedstaat die Ausstellung eines Dokuments über sein Recht zum Daueraufenthalt begehrt.

42

Sind diese Kosten - wie hier - niedriger als die Gebühren, die ein türkischer Arbeitnehmer für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG zu entrichten hat, können allerdings bei der Frage, ob diese unterschiedliche Belastung eine Unverhältnismäßigkeit begründet, die der Ungleichbehandlung zugrunde liegenden Gründe eine Rolle spielen. Dabei stellt aber allein der Umstand, dass es sich bei der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG für Drittstaatsangehörige im Gegensatz zur Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechts für Unionsbürger um einen konstitutiven Aufenthaltstitel handelt, kein stichhaltiges Argument für eine unterschiedliche Gebührenerhebung dar. Auch die mit der Umstellung der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG auf ein elektronisches Aufenthaltsdokument verbundenen Nutzungsmöglichkeiten rechtfertigen nicht die bestehende Ungleichbehandlung. Denn der Verordnungsgeber ist bei der Festlegung der Gebührensätze davon ausgegangen, dass allein mit dieser Umstellung der Wert oder Nutzen der Amtshandlung für den Empfänger im Vergleich zum bisherigen Recht unverändert bleibt (BRDrucks 264/11 S. 23). Für den Empfänger vorteilhaft ist allein die Einschaltung des elektronischen Identitätsnachweises. Hinsichtlich dieser Amtshandlung ergeben sich aber keine Unterschiede zum elektronischen Personalausweis, weshalb diesbezüglich nach § 45a AufenthV die gleichen Gebühren erhoben werden wie beim Personalausweis (BRDrucks 264/11 S. 25 f.).

43

Ob eine Ungleichbehandlung türkischer Arbeitnehmer gegenüber Unionsbürgern mit den bei der Ausstellung eines elektronischen Aufenthaltsdokuments anfallenden höheren Kosten und Auslagen begründet werden kann (hinsichtlich der Gebührenkalkulation vgl. BRDrucks 264/11 S. 21 ff. zur Änderung der §§ 44, 44a und 45 AufenthV), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst wenn man - zu Lasten des Klägers - davon ausgeht, dass insoweit stichhaltige Gründe für eine Ungleichbehandlung vorliegen, wofür einiges spricht, würde dies jedenfalls nicht die tatsächliche Höhe der festgesetzten Gebühr rechtfertigen. Denn in dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt im Januar 2012 wurden auch die für drittstaatsangehörige Familienangehörige von Unionsbürgern in Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG vorgesehenen Aufenthaltsdokumente als elektronische Aufenthaltsdokumente ausgestellt (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU a.F. i.V.m. § 78 AufenthG). Für deren Ausstellung fielen mithin die gleichen Kosten und Auslagen an wie bei der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG. Drittstaatsangehörige Familienangehörige von Unionsbürgern mussten aber für die Ausstellung sowohl einer Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 2 als auch einer Daueraufenthaltskarte nach § 5 Abs. 6 Satz 2 FreizügG/EU a.F. höchstens eine Gebühr in Höhe von 28,80 € entrichten (vgl. § 47 Abs. 3 Satz 1 AufenthV 2011/2012). Dieser Betrag markiert unionsrechtlich zugleich eine absolute Grenze für die Erhebung von Gebühren für die Ausstellung von Aufenthaltsdokumenten an Unionsbürger und deren Familienangehörige. Denn nach Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG werden die nach der Unionsbürgerrichtlinie auszustellenden Aufenthaltsdokumente unentgeltlich oder gegen Entrichtung eines Betrags ausgestellt, der die Gebühr für die Ausstellung entsprechender Dokumente für Inländer nicht übersteigt. In Umsetzung dieser unionsrechtlichen Vorgabe ist der deutsche Verordnungsgeber davon ausgegangen, dass es sich bei der Aufenthaltskarte und der Daueraufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern um Dokumente handelt, die in ihrer technischen Herstellung und Ausgestaltung dem (elektronischen) Personalausweis vergleichbar sind, so dass für sie höchstens eine Gebühr erhoben werden darf, die der Gebühr für die Ausstellung eines Personalausweises entspricht (BRDrucks 264/11 S. 27). Diese beträgt nach der Personalausweisgebührenverordnung bei Inländern, die bei Antragstellung mindestens 24 Jahre alt sind, 28,80 € (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 PAuswGebV).

44

Dürfen die Kosten und Auslagen für die Ausstellung eines Aufenthaltdokuments bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen nach Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG allenfalls in Höhe der von Inländern für die Ausstellung entsprechender Dokumente erhobenen Gebühren weitergegeben werden, wirkt sich diese unionsrechtliche Gebührenobergrenze über das Assoziationsrecht auch auf türkische Arbeitnehmer aus. Denn ausgehend von dem Ziel, dass ihnen keine neuen Pflichten auferlegt werden dürfen, die im Vergleich zu denen der Unionsbürger unverhältnismäßig sind, ist es mit der Standstillklausel des Art. 13 ARB 1/80 jedenfalls nicht zu vereinbaren, wenn bei ihnen die für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG erhobene Gebühr nicht nur erheblich über der von Unionsbürgern für eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltsrechts erhobenen Gebühr liegt, sondern zugleich die von drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von Unionsbürgern - in Umsetzung der in Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG unionsrechtlich vorgegebenen Grenze - zu entrichtende Gebühr um mehr als das Vierfache übersteigt, ohne dass für diese Ungleichbehandlung stichhaltige Gründe erkennbar sind. An diesem Befund ändern auch die - im Fall des Klägers ohnehin nicht einschlägigen - Befreiungs- und Ermäßigungstatbestände nach §§ 52 und 53 AufenthV 2011/2012 nichts.

45

Die erhebliche Differenz zu den von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen für die Ausstellung elektronischer Aufenthaltsdokumente verlangten Gebühren kann auch nicht über Art. 14 ARB 1/80 gerechtfertigt werden. Danach gelten - ähnlich den in Art. 45 Abs. 3, Art. 52 Abs. 1 und Art. 62 AEUV enthaltenen Einschränkungen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit bei Unionsbürgern - die Bestimmungen des 1. Abschnitts nur vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. Auch wenn die mit der Einführung des elektronischen Aufenthaltstitels vorgesehenen technischen Standards den Schutz vor Fälschungen und Verfälschungen von Aufenthaltstiteln weiter erhöhen und damit zur Verhinderung und Bekämpfung illegaler Einwanderung und des illegalen Aufenthalts beitragen und so letztlich der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen, vermag dies eine unterschiedliche Behandlung türkischer Staatsangehöriger gegenüber Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen bei der Erhebung von Gebühren für unter gleichen Umständen ausgestellte aufenthaltsrechtliche Dokumente und die damit einhergehende Ungleichbehandlung bei der Ausgestaltung der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt nicht zu rechtfertigen.

46

2.2 Im Einklang mit revisiblen Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass alle drei Gebührenbescheide gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 10 ARB 1/80 verstoßen. Danach räumen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft den türkischen Arbeitnehmern, die ihrem regulären Arbeitsmarkt angehören, eine Regelung ein, die gegenüber den Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft hinsichtlich des Arbeitsentgelts und der sonstigen Arbeitsbedingungen jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausschließt. Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auch diese Bestimmung unmittelbare Wirkung entfaltet und sich ein türkischer Staatsangehöriger vor den nationalen Gerichten des Aufnahmemitgliedstaates hierauf berufen kann (Urteil vom 8. Dezember 2009 - BVerwG 1 C 16.08 - BVerwGE 135, 334 Rn. 13 = Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 58; EuGH, Beschluss vom 25. Juli 2008 - Rs. C-152/08, Real Sociedad de Futbal SAD u.a. - Slg. 2008, I-6291 Rn. 29).

47

Soweit ein Mitgliedstaat von türkischen Arbeitnehmern für die Ausstellung von Aufenthaltsdokumenten Gebühren verlangt, die im Vergleich zu den von Unionsbürgern für entsprechende Aufenthaltsdokumente verlangten Gebühren unverhältnismäßig sind, stellt dies eine gegen Art. 10 ARB 1/80 verstoßende diskriminierende Arbeitsbedingung dar (EuGH, Urteil vom 29. April 2010 a.a.O. Rn. 75). Dabei ist nach der Rechtsprechung des EuGH auch hier - wie bei Art. 13 ARB 1/80 - nicht jede im Vergleich zur Lage der Unionsbürger höhere Gebühr notwendigerweise unverhältnismäßig. Vielmehr können in Sonderfällen Gebühren, die etwas höher sind als die von Unionsbürgern für die Ausstellung entsprechender Dokumente verlangten, noch als verhältnismäßig angesehen werden. Auch insoweit hat der EuGH aber die niederländischen Gebühren, die innerhalb einer Spanne lagen, deren niedrigster Wert um mehr als 2/3 höher war als die von Unionsbürgern für die Ausstellung entsprechender Dokumente verlangten Gebühren, insgesamt als unverhältnismäßig angesehen (EuGH, Urteil vom 29. April 2010 a.a.O. Rn. 74).

48

a) In Anwendung dieser Grundsätze führt die im Bescheid vom 9. Juni 2010 festgesetzte Gebühr in Höhe von 40 € mit Blick auf die von Unionsbürgern für entsprechende Dokumente verlangten Gebühren zu einer Diskriminierung im Sinne des Art. 10 ARB 1/80. Als vergleichbares Dokument ist hier die Unionsbürgern seinerzeit noch ausgestellte Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU in der damals anwendbaren Fassung des Gesetzes zur Änderung des Bundespolizeigesetzes und anderer Gesetze - BPolGuaÄndG - vom 26. Februar 2008 (BGBl I S. 215) heranzuziehen, die nach § 47 Abs. 3 AufenthV 2009/2010 unentgeltlich ausgestellt wurde. Damit liegt bereits betragsmäßig eine nicht von vornherein zu vernachlässigende finanzielle Mehrbelastung vor, für die keine stichhaltigen Gründe vorgetragen oder ersichtlich sind. Zudem war die dem Gebührenbescheid zugrunde liegende Aufenthaltserlaubnis auf zwei Jahre befristet, während die Unionsbürgern nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU a.F. auszustellenden Bescheinigungen keiner Befristung unterlagen.

49

b) Gleiches gilt hinsichtlich der dem Bescheid vom 15. Juni 2011 zugrunde liegenden Gebühr in Höhe von 30 €. Als vergleichbares Dokument ist auch hier die Unionsbürgern seinerzeit noch ausgestellte Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU in der damals anwendbaren Fassung des Gesetz zur Anpassung des deutschen Rechts an die Verordnung (EG) Nr. 380/2008 des Rates vom 18. April 2008 zur Änderung der Verordnung Nr. 1030/2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige - EGV380/2008AnpG - vom 12. April 2011 (BGBl I S. 610) heranzuziehen, die nach § 47 Abs. 3 AufenthV 2010/2011 weiterhin unentgeltlich ausgestellt wurde. Zwar liegt die finanzielle Belastung betragsmäßig hier etwas niedriger, andererseits war die dem Gebührenbescheid zugrunde liegende Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auch nur befristet für ein Jahr ausgesprochen worden. Im Ergebnis ist daher auch diese Gebühr - ungeachtet ihrer überschaubaren absoluten Höhe - im Vergleich zur Nichterhebung von Gebühren bei Unionsbürgern unverhältnismäßig.

50

c) Da die dem Bescheid vom 20. Januar 2012 zugrunde liegende Gebühr nach den vorstehenden Ausführungen zu Art. 13 ARB 1/80 mit Blick auf die von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen für entsprechende Dokumente verlangten Gebühren unverhältnismäßig ist, liegt insoweit zugleich eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 10 ARB 1/80 vor.

51

2.3. Die festgestellten Verstöße gegen das Assoziationsrecht EWG/Türkei haben zur Folge, dass alle drei Gebührenbescheide jedenfalls in der Höhe, in der sie vom Kläger angefochten wurden, rechtswidrig sind. Einer Vorlage an den EuGH bedarf es nicht, da die maßgeblichen unionsrechtlichen Fragen, soweit sie hier entscheidungserheblich sind, geklärt sind. Ob die dem Bescheid vom 20. Januar 2012 zugrunde liegende Gebühr für die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG - unabhängig von der türkischen Staatsangehörigkeit des Klägers und der damit verbundenen assoziationsrechtlichen Privilegierung - mit der Richtlinie 2003/109/EG zu vereinbaren ist (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 26. April 2012 - Rs. C-508/10, Kommission/Niederlande u.a. - ABl EU Nr. C 174 S. 7 = InfAuslR 2012, 253), kann offenbleiben.

52

3. Soweit die Gebührenbescheide nach § 113 Abs. 1 VwGO aufzuheben sind, hat der Kläger einen Erstattungsanspruch. Diesbezüglich war die Beklagte nach § 113 Abs. 4 VwGO zur Rückzahlung aber zu verurteilen und nicht zu verpflichten.