Entscheidungsdatum: 06.12.2018
1. Der Beschluss des Amtsgerichts München vom 12. Februar 2018 - 172 C 21740/17 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht München zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer dessen notwendige Auslagen zur Hälfte zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft zivilgerichtliche Entscheidungen, die in einem Verfahren ergingen, in welchem der Beschwerdeführer zur Entgeltzahlung für (behauptete) Mobilfunkdienstleistungen nebst Zinsen und Kosten verurteilt wurde (Ausgangsverfahren).
1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens - ein Unternehmen, das Mobilfunkdienstleistungen anbietet - und der Beschwerdeführer - Beklagter des Ausgangsverfahrens - waren durch einen Mobilfunkvertrag miteinander verbunden. Am 7. November 2017 machte die Klägerin beim Amtsgericht eine Zahlungsklage anhängig. Das Verfahren wurde vom Amtsgericht unter dem Aktenzeichen 172 C 21740/17 gemäß § 495a ZPO geführt; mündlich verhandelt wurde nicht. Mit Verfügung vom 6. Dezember 2017 gab das Amtsgericht dem Beschwerdeführer auf, binnen einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung eine schriftliche Klageerwiderung einzureichen. Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer nicht nach. Mit angegriffenem Endurteil vom 2. Januar 2018, dem Beschwerdeführer zugestellt am 5. Januar 2018, wurde dieser vom Amtsgericht dem Klageantrag entsprechend verurteilt.
2. Unter dem 16. Januar 2018 reichte der Beschwerdeführer einen "Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie Klageerwiderung zu Aktenzeichen 172 C 21740/17" beim Amtsgericht ein und trug zur Begründung vor, aufgrund einer Reise die Klageschrift erst am selben Tag, also dem 16. Januar, erhalten zu haben; zur Glaubhaftmachung werde der Flugbuchungsbeleg beigefügt. Er stellte den Antrag: "Die Klage beantrage ich abzuweisen". Außerdem machte er Ausführungen zur Sache.
3. Mit angegriffenem Beschluss vom 12. Februar 2018, dem Beschwerdeführer zugegangen am 19. Februar 2018, verwarf das Amtsgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers vom 16. Januar 2018 als unzulässig. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass es sich bei der dem Beschwerdeführer gesetzten Klageerwiderungsfrist weder um eine Notfrist im Sinne des § 233 ZPO noch um eine der dort bezeichneten Rechtsmittelbegründungsfristen handele, so dass "Wiedereinsetzung" nicht statthaft sei. Allein statthaft wäre eine Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO gewesen. Eine solche sei indes nicht erhoben worden. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei auch nicht in eine Anhörungsrüge umzudeuten gewesen, weil dessen Antrag eindeutig in Richtung der Klageerwiderungsfrist gegangen sei. Das Urteil vom 2. Januar 2018 sei im Schriftsatz vom 16. Januar 2018 überhaupt nicht erwähnt worden.
4. Unter dem 19. Februar 2018 erhob der Beschwerdeführer sodann Gehörsrüge. Diese legte das Amtsgericht zum einen als gegen das Endurteil vom 2. Januar 2018 gerichtet aus und verwarf sie mit angegriffenem Beschluss vom 12. März 2018 wegen Verfristung als unzulässig, zum anderen legte das Amtsgericht die Gehörsrüge als gegen den Beschluss vom 12. Februar 2018 gerichtet aus und wies sie mit demselben Beschluss als unbegründet zurück. Zur Begründung dieser Entscheidung(en) führte es unter anderem aus:
a) Es habe den Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 19. Februar 2018 zu dessen Gunsten als Gehörsrüge gegen das Urteil vom 2. Januar 2018 ausgelegt, da dem Schriftsatz vom 3. März 2018 auf Seite 2, der auf den gerichtlichen Hinweis vom 22. Februar 2018 eingereicht worden sei, zu entnehmen sei, dass der Beschwerdeführer letztlich auch die Aufhebung des Urteils vom 2. Januar 2018 begehre. Das Urteil vom 2. Januar 2018 habe der Beschwerdeführer spätestens am 16. Januar 2018 bei Rückkehr von seiner Reise erhalten, da es ausweislich der Postzustellungsurkunde am 5. Januar 2018 zugestellt worden sei. Die Rüge sei gemäß § 321a Abs. 2 ZPO spätestens innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben. Diese Frist sei mit dem Einreichen des Schriftsatzes vom 19. Februar 2018 nicht gewahrt worden.
In dem Schreiben vom 16. Januar 2018 sei das Urteil vom 2. Januar 2018 mit keinem Wort erwähnt worden, wie in den Gründen des Beschlusses vom 12. Februar 2018 bereits ausgeführt, so dass - auch im Wege der laiengerechten Auslegung - diesem Schreiben mangels entsprechender Anhaltspunkte ein "Sich-Wehren" gegen das Urteil, also eine Gehörsrüge hiergegen, nicht ansatzweise habe entnommen werden können. Es sei lediglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Klageerwiderungsfrist beantragt worden, die mit Beschluss vom 12. Februar 2018 verbeschieden worden sei.
b) Soweit der Beschwerdeführer ausweislich seines Schriftsatzes vom 3. März 2018 mit dem Schriftsatz vom 19. Februar 2018 gegen den Beschluss vom 12. Februar 2018 vorgehen wolle, sei gemäß § 238 Abs. 2 ZPO lediglich das Rechtsmittel zulässig, welches gegen die Entscheidung über die versäumte Prozesshandlung gegeben sei. Dies sei gemäß § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO die Gehörsrüge. Eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung, auf der der Beschluss vom 12. Februar 2018 beruhe, lasse sich jedoch nicht feststellen. Die Gehörsrüge sei diesbezüglich unbegründet.
Im Schriftsatz vom 16. Januar 2018 würden weder das Urteil vom 2. Januar 2018 noch der Zeitpunkt dessen Kenntnisnahme erwähnt, auch wenn der Beschwerdeführer in den Schriftsätzen vom 19. Februar 2018 und 3. März 2018 Gegenteiliges behaupte. Es sei zwar das Aktenzeichen des Verfahrens angegeben. Sämtliche Ausführungen hätten sich aber darauf bezogen, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer Reise die Klageschrift erst "heute" erhalten habe und daher Wiedereinsetzung in die Klageerwiderungsfrist beantragt werde, weshalb Ausführungen zur Klageerwiderung getätigt worden seien. Mangels Andeutung zu dem bereits ergangenen Urteil habe auch im Wege der Auslegung ein "Sich-Wehren" gegen dieses Urteil nicht angenommen werden können.
5. Mit Schriftsatz vom 3. März 2018 wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass im Schriftsatz vom 16. Januar 2018 durch die Angabe des Aktenzeichens klar erkennbar sei, worauf er sich beziehe, und dass er mit der Forderung der Klägerin und somit auch mit dem "Versäumnisurteil" nicht einverstanden sei. Sollten dennoch Unklarheiten geblieben sein, hätte das Gericht vor Erlass eines Beschlusses Ergänzungen beziehungsweise eine Klarstellung einholen müssen.
1. Der Beschwerdeführer sieht sich durch die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts in wesentlichen Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzt.
Klageschrift und "Versäumnisurteil" habe er am 16. Januar 2018 nach einer Reise erhalten. Noch am selben Tag habe er sich an das Gericht gewandt, um in der Sache gehört zu werden. Das Gehör sei mit Beschluss vom 12. Februar 2018 mit der Begründung verweigert worden, dass keine Notfrist vorläge und die Formulierung vermeintlich unzureichend wäre. Der erneute Antrag auf rechtliches Gehör vom "19.3.2018" (gemeint: 19. Februar 2018) sei mit Beschluss vom 12. März 2018 und der Begründung "verweigert" worden, dass die Notfrist abgelaufen wäre.
Der Verfahrensablauf verletze wesentliche Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör. Die gestellten formalen Anforderungen zu Anträgen seien von juristischen Laien nicht zu erfüllen. Bei Unklarheit hätte die Pflicht seitens des Gerichts bestanden, nachzufragen und gegebenenfalls bei der Formulierung zu unterstützen, um so einen angemessenen Ausgleich zwischen anwaltlich vertretener Klägerin und ihm als juristischem Laien herbeizuführen. Die Begründungen für die Gehörsablehnung seien unschlüssig.
2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen. Dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz und der Klägerin des Ausgangsverfahrens ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Das Staatsministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hat sich nicht geäußert.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 12. Februar 2018 richtet, zur Entscheidung an und gibt ihr insoweit statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen diesbezüglich vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
1. Der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts vom 12. Februar 2018 verstößt gegen den - von ihm der Sache nach geltend gemachten - Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG.
Der Anspruch des Einzelnen auf wirkungsvollen Rechtsschutz wird in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG gewährleistet (vgl. BVerfGE 88, 118 <123>; BVerfGK 4, 87 <90 f.>). Dieser Anspruch ist auch vom Richter zu wahren (vgl. BVerfGE 88, 118 <125>; BVerfGK 4, 87 <91>). Er verlangt, prozessuale Erklärungen der Parteien wohlwollend im Sinne des erkennbaren Rechtsschutzanliegens auszulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Januar 2014 - 1 BvR 1126/11 -, juris, Rn. 25; BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 - II ZR 305/14 -, juris, Rn. 12) und notfalls in die richtige Erklärung umzudeuten (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Februar 2016 - VI ZB 33/15 -, juris, Rn. 7; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, Einleitung, Rn. 101). Für die Umdeutung genügt es, wenn diese von dem mutmaßlichen Parteiwillen gedeckt wird (BGH, a.a.O.). Beantragt beispielsweise eine anwaltlich nicht vertretene Partei, die durch ein Versäumnisurteil zur Zahlung verurteilt wurde, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Einspruchsfrist, so wird daraus zugleich zweifelsfrei ersichtlich, dass sie das Verfahren weiterbetreiben und sich (auch) gegen das Versäumnisurteil zur Wehr setzen will; der Wiedereinsetzungsantrag ist daher zugleich als - rechtzeitig nachgeholter - Einspruch aufzufassen (vgl. BVerfGE 88, 118 <127 f.>).
Vor diesem Hintergrund war das Amtsgericht, um dem verfassungsrechtlich begründeten Anspruch des Beschwerdeführers auf wirkungsvollen Rechtsschutz zu genügen, gehalten, dessen unter dem 16. Januar 2018 eingereichten "Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie Klageerwiderung zu Aktenzeichen 172 C 21740/17" nicht - am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks haftend - als (unzulässigen) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klageerwiderungsfrist aufzufassen, sondern ihn als (zulässige) Gehörsrüge gegen das Urteil vom 2. Januar 2018 auszulegen. Denn das klar erkennbare Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers ging dahin, im Verfahren "172 C 21740/17" entsprechend seinem Antrag ("Die Klage beantrage ich abzuweisen") das Verfahren weiterzubetreiben und Klageabweisung zu erreichen. Die gegenteiligen Ausführungen des Amtsgerichts im angegriffenen Beschluss vom 12. Februar 2018 verletzten daher den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG.
Bei Auslegung des Rechtsbehelfs vom 16. Januar 2018 als Gehörsrüge ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre, der angegriffene Beschluss vom 12. Februar 2018 mithin auf dem Verfassungsverstoß beruht (vgl. BVerfGK 4, 87 <92 f.>). Der Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen, damit dieses über die Gehörsrüge des Beschwerdeführers vom 16. Januar 2018 (erneut) entscheidet.
2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. In Sonderheit kommt eine Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts vom 2. Januar 2018 im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren schon deswegen nicht in Betracht, weil vom Beschwerdeführer nicht ansatzweise dazu vorgetragen worden ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG), ob er wegen seiner Reise schuldlos gehindert war, sich im Ausgangsverfahren (rechtzeitig) vor Erlass dieses Urteils Gehör zu verschaffen; träfe ihn ein Verschulden, wäre er in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 7. August 2007 - 1 BvR 685/07 -, juris, Rn. 17 ff.). Insoweit wird das Amtsgericht den Parteien des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zum Vortrag geben und danach gegebenenfalls entsprechende Feststellungen treffen.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
1. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 12. Februar 2018 ist gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Mit der Aufhebung dieses Beschlusses wird der Beschluss des Amtsgerichts vom 12. März 2018 gegenstandslos (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 15. Mai 2012 - 1 BvR 1999/09 -, www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 6, 8 und 17).
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.