Entscheidungsdatum: 05.01.2011
I.
1. Der Beschwerdeführer war bis zum Erreichen der in § 47 Nr. 1, § 48a der Bundesnotarordnung (BNotO) geregelten Altersgrenze von 70 Jahren zum Notar bestellt.
Der gegen das altersbedingte Ausscheiden aus dem Notaramt gestellte Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung wurde vom Oberlandesgericht durch Beschluss vom 3. August 2009 als unbegründet zurückgewiesen. Die hiergegen vom Beschwerdeführer erhobene sofortige Beschwerde wies der Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 22. März 2010 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Bundesgerichtshof insbesondere aus, die gesetzliche Altersgrenze in § 47 Nr. 1, § 48a BNotO sei verfassungskonform und auch mit dem europäischen Recht vereinbar; sie unterfalle schon nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (im Folgenden: Richtlinie 2000/78/EG oder Richtlinie), sei aber jedenfalls als zulässige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zu bewerten und verstoße daher weder gegen die Richtlinie 2000/78/EG noch gegen das primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung. Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bedürfe es nicht, weil es zur Überzeugung des Senats offenkundig sei und keinem vernünftigen Zweifel unterliege, dass die in § 47 Nr. 1, § 48a BNotO bestimmte Altersgrenze nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie unterfalle, jedenfalls aber eine gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zulässige Ungleichbehandlung darstelle. Die für diese Beurteilung maßgeblichen Kriterien seien teilweise bereits durch den Gerichtshof geklärt und lägen im Übrigen auf der Hand. Hinsichtlich der Beurteilung, ob mit einer nationalen Maßnahme ein legitimes Ziel verfolgt werde und die Maßnahme erforderlich und angemessen sei, komme dem einzelnen Mitgliedstaat nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Die gesetzliche Altersgrenze von 70 Jahren sei ersichtlich verhältnismäßig; sie verfolge - unter anderem - das legitime beschäftigungspolitische Ziel der Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen, gewährleiste zudem eine funktionsfähige Rechtspflege und bringe die Bedürfnisse und Interessen der älteren Notare einerseits und des juristischen Nachwuchses andererseits in einen angemessenen Ausgleich.
2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und führt zur Begründung aus, der Bundesgerichtshof habe sich nicht hinreichend mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der einschlägigen Literatur und der Rechtslage in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union auseinandergesetzt, sondern habe eine eigene Lösung entwickelt, die den Anforderungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht gerecht werde. Der Bundesgerichtshof sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Rechtslage offenkundig sei, und habe hierdurch willkürlich gegen seine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Rechte angezeigt. Für eine Verletzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten ist nichts ersichtlich.
1. a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist verletzt, wenn einfachrechtliche Verfahrensvorschriften willkürlich unrichtig angewendet werden (vgl. BVerfGE 29, 45 <48>; stRspr) und dem Rechtsuchenden hierdurch eine Entscheidung durch den gesetzlich vorgesehenen Richter versagt wird. Dies kann auch bei Verletzung einer Vorlagepflicht der Fall sein.
b) Der Europäische Gerichtshof ist gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV sind die nationalen Gerichte von Amts wegen gehalten, den Europäischen Gerichtshof anzurufen (vgl. BVerfGE 82, 159 <192 f.>; stRspr). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Gemeinschaftsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende gemeinschaftsrechtliche Frage bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. 283/81 "C.I.L.F.I.T." -, Slg. 1982, S. 03415, Rn. 21).
Das Bundesverfassungsgericht überprüft allerdings nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 82, 159 <194 f.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 -, juris, Rn. 88 ff.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. November 2010 - 1 BvR 2065/10 -, juris, Rn. 23). Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV wird insbesondere in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - seiner Auffassung nach bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht), oder in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, so wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung; vgl. BVerfGE 82, 159 <195 f.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 -, juris, Rn. 90; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. November 2010 - 1 BvR 2065/10 -, juris, Rn. 23). Dabei kommt es für die Prüfung einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in erster Linie auf die Vertretbarkeit der fachgerichtlichen Auslegung des für den Streitfall maßgeblichen materiellen Unionsrechts an, sondern auf die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2010 - 1 BvR 230/09 -, NJW 2010, S. 1268 <1269>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. August 2010 - 1 BvR 1631/08 -, juris, Rn. 48; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. November 2010 - 1 BvR 2065/10 -, juris, Rn. 23). Eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann insbesondere dann vorliegen, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (vgl. BVerfGE 82, 159 <194 ff.>); zu verneinen ist in diesen Fällen allerdings ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bereits dann, wenn das nationale Gericht die entscheidungserhebliche Frage in zumindest vertretbarer Weise beantwortet hat (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 -, juris, Rn. 90).
Nach der ständigen Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat das Fachgericht Gründe anzugeben, die zeigen, ob es sich hinsichtlich des europäischen Rechts ausreichend kundig gemacht hat, und die so dem Bundesverfassungsgericht eine Kontrolle am Maßstab des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ermöglichen (vgl. BVerfGK 8, 401 <405>; 10, 19 <31>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Januar 2001 - 1 BvR 1036/99 -, NJW 2001, S. 1267 <1268>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Mai 2007 - 1 BvR 2036/05 -, NVwZ 2007, S. 942 <945>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 2008 - 1 BvR 2722/06 -, NVwZ 2008, S. 780 <781>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2010 - 1 BvR 230/09 -, NJW 2010, S. 1268 <1269>).
2. Nach diesen Maßstäben sind die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen nicht zu beanstanden. Die von den Fachgerichten in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene Auslegung und Anwendung der Regelung in Art. 267 Abs. 3 AEUV erscheint bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken weder nicht mehr verständlich noch ist sie offensichtlich unhaltbar. Insbesondere hat sich der Bundesgerichtshof mit der Möglichkeit einer Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof und den hierfür maßgeblichen rechtlichen Voraussetzungen eingehend auseinandergesetzt und nachvollziehbar begründet, warum im vorliegenden Fall keine Vorlagepflicht bestand. Dabei ist der Bundesgerichtshof auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eingegangen und hat auf dieser Grundlage seine zumindest vertretbare Entscheidung entwickelt; von einem bewussten Abweichen von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann hiernach keine Rede sein.
Der Bundesgerichtshof hat ferner den Beurteilungsrahmen, der ihm angesichts der noch nicht erschöpfenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den sich vorliegend stellenden Fragen zukommt, nicht in unvertretbarer Weise überschritten.
Dahingestellt bleiben kann dabei, ob die Annahme des Bundesgerichtshofs vertretbar ist, die in § 47 Nr. 1, § 48a BNotO geregelte Altersgrenze unterfalle nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG. Denn der Bundesgerichtshof hat seine Entscheidung nicht nur auf die Unanwendbarkeit der Richtlinie auf das Berufsrecht der Notare gestützt, sondern zusätzlich damit begründet, dass jedenfalls eine gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zulässige Ungleichbehandlung vorliege. Insoweit hat der Bundesgerichtshof unter Würdigung der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vertretbar ausgeführt, dass die für diese Beurteilung maßgeblichen Kriterien teilweise durch den Gerichtshof geklärt seien und im Übrigen auf der Hand lägen. Der Bundesgerichtshof ist mit nachvollziehbarer und tragfähiger Begründung davon ausgegangen, dass es sich bei der in § 47 Nr. 1, § 48a BNotO geregelten gesetzlichen Altersgrenze unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs offenkundig um eine zulässige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG handelt und daher eine Vorlage verzichtbar ist.
Insbesondere hat der Bundesgerichtshof nachvollziehbar ausgeführt, dass und warum die Regelung in § 47 Nr. 1, § 48a BNotO ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels erforderlich und angemessen ist. Bei der Prüfung dieser Merkmale durfte der Bundesgerichtshof auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteil vom 22. November 2005 - C-144/04 -, Slg. 2005 I-9981,10037, Rn. 63; Urteil vom 16. Oktober 2007 - C-411/05 -, NJW 2007, S. 3339 <3341>, Rn. 68; Urteil vom 12. Januar 2010 - C-341/08 -, juris) von einem weiten Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten ausgehen.
Die mit der gesetzlichen Altersgrenze verfolgten Ziele hat der Bundesgerichtshof zutreffend ermittelt. Nach den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 11/8307, S. 18) zielt die streitige Regelung auf die Wahrung einer geordneten Altersstruktur im Notariat. Dies hat der Bundesgerichtshof in zulässiger Weise dahin konkretisiert, dass auch eine gerechte Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen und die Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit notariellen Dienstleistungen bezweckt werde. Der Gesetzeszweck, die Berufschancen gerecht zwischen den Generationen zu verteilen, stellt ein sozialpolitisches und damit ohne Zweifel ein auch im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs legitimes Ziel dar. Der Bundesgerichtshof hat in der angegriffenen Entscheidung auch nachvollziehbar begründet, dass und warum die Regelung in § 47 Nr. 1, § 48 BNotO geeignet, erforderlich und angemessen ist, um das mit ihr verfolgte - legitime - beschäftigungspolitische Ziel der gerechten Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen zu erreichen. Das insoweit vom Bundesgerichtshof angeführte Argument, dass ohne die gesetzliche Altersgrenze keine hinreichende Vorhersehbarkeit und Planbarkeit für den juristischen Nachwuchs bestünde und daher der Zugang zum Amt des Notars für nachfolgende Juristengenerationen faktisch erheblich eingeschränkt würde, ist ohne Weiteres nachvollziehbar und tragfähig. Vertretbar und in keiner Weise zu beanstanden ist auch, dass der Bundesgerichtshof die Interessen der älteren Notare durch die gesetzliche Altersgrenze von 70 Jahren als nicht unangemessen beeinträchtigt erachtet hat.
Auch soweit der Bundesgerichtshof eine Pflicht zur Vorlage der Sache an den Europäischen Gerichtshof mit Blick auf das primärrechtliche Diskriminierungsverbot verneint hat, ist seine Entscheidung jedenfalls vertretbar. Auch insoweit greift das Argument des Bundesgerichtshofs, dass eine Verletzung des primärrechtlichen Diskriminierungsverbots schon deshalb ausgeschlossen ist, weil es sich bei der gesetzlichen Altersgrenze in § 47 Nr. 1, § 48a BNotO um eine zulässige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG handelt.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.