Entscheidungsdatum: 16.01.2013
Bei der Beurteilung, ob die Übertragung eines Grundstücks durch einen Ehegatten sein Vermögen im Ganzen betrifft, ist ein von ihm vorbehaltenes dingliches Wohnungsrecht als ihm verbliebenes Vermögen zu berücksichtigen.
Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 28. Oktober 2010 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Der Kläger begehrt nach einer Grundstücksübertragung durch seine Ehefrau die Berichtigung des Grundbuchs. Der Kläger ist mit der Mutter der Beklagten (im Folgenden: Ehefrau) seit dem 1. Oktober 1999 verheiratet. Für die Ehefrau ist es die dritte Ehe. Die Ehegatten leben im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Die Beklagte entstammt wie ihr Bruder der ersten Ehe der Ehefrau.
Die Ehefrau war Alleineigentümerin eines Hausgrundstücks. Im Frühjahr 1999 veräußerte sie das hälftige Miteigentum an ihren Sohn, den Bruder der Beklagten. Den ihr noch verbliebenen Miteigentumsanteil sowie weitere Grundstücke (landwirtschaftliche Flächen) übertrug sie mit notariellem Vertrag vom 23. April 2002 auf die Beklagte und deren Bruder zu gleichen Teilen. Die Beklagte und ihr Bruder übernahmen die eingetragenen Belastungen. Im Vertrag versicherte die Ehefrau, dass die Übertragung keine Verfügung im Sinne von § 1365 BGB darstelle, so dass eine Ehegattenzustimmung nicht veranlasst sei. Die Beklagte und ihr Bruder räumten der Ehefrau an dem Hausgrundstück bezogen auf die Räume einer Untergeschosswohnung ein dingliches Wohnungsrecht ein.
Der Kläger, der der Veräußerung gegenüber dem Notariat bereits im Mai 2002 widersprochen hatte, berief sich auf die Unwirksamkeit der Übertragungen wegen Verfügung über das Vermögen im Ganzen nach § 1365 BGB. Im Jahr 2006 forderte die Ehefrau die Beklagte und deren Bruder auf, der Grundbuchberichtigung wegen Unwirksamkeit der Eigentumsübertragung zuzustimmen. Der Bruder willigte in die Grundbuchberichtigung ein. Die Beklagte lehnte dies ab.
Das Amtsgericht hat die auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen eingelegte Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die - zugelassene - Revision des Klägers.
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts verfügte die Ehefrau nicht über ihr Vermögen im Ganzen im Sinne von § 1365 Abs. 1 BGB. Nach der herrschenden Einzeltheorie liege zwar auch dann ein Gesamtvermögensgeschäft vor, wenn sich der Vertrag auf die Veräußerung eines einzelnen Vermögensgegenstandes beziehe, sofern das Objekt der Veräußerung im Wesentlichen das ganze Vermögen des Ehegatten ausmache und der Vertragspartner dies wisse oder zumindest die Verhältnisse kenne, aus denen sich dieses ergebe. Eine Verfügung über das gesamte Vermögen liege auch dann vor, wenn dem Ehegatten noch Vermögensgegenstände von untergeordneter Bedeutung oder verhältnismäßig geringem Wert verblieben. Von einer Vermögensübertragung im Ganzen sei auszugehen, wenn der verfügende Ehegatte 85 % seines Vermögens oder mehr aus der Hand gebe. Das sei hier nicht der Fall, weil der Ehefrau ohne Rücksicht auf weitere und dem Wert nach streitige Vermögensgegenstände wegen des ihr eingeräumten lebenslangen Wohnungsrechts ein Restvermögen von mehr als 15 % verblieben sei.
Das Wohnungsrecht sei bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ebenso wie ein bereits bei Abschluss des Vertrages auf dem Grundstück lastendes dingliches Recht im Rahmen des Gesamtvermögensvergleichs zu berücksichtigen. Die Grundstücksübertragung und die hier im Gegenzug vorgenommene Belastung mit einem Wohnungsrecht stellten einen einheitlichen Vorgang dar. Der Vermögenswert ergebe sich aus dem Nutzungswert und bemesse sich nach der Lebenserwartung des Berechtigten. Das dazu eingeholte Sachverständigengutachten habe einen Wert von 44.000 € ergeben. Auch wenn dem Wohnungsrecht wegen seiner Unveräußerlichkeit eine andere Wertigkeit zukomme als einem veräußerlichen Gegenstand, ändere dies nichts an der Werthaltigkeit als solcher. Dass das Wohnungsrecht personenbezogen sei, könne nicht dazu führen, es im Rahmen des § 1365 Abs. 1 BGB als Vermögensfaktor außer Acht zu lassen. Aus der Vorschrift ergebe sich, dass der nicht verfügende Ehegatte nicht allgemein vor Verfügungen des anderen Ehegatten geschützt sei. Dieser könne vielmehr bis zur Grenze von 85 % über sein Vermögen frei und ohne Zustimmung des anderen Ehegatten verfügen. Da die Ehefrau bei einem Verhältnis des ihr verbliebenen Vermögenswertes zu dem veräußerten Wert von 44.000 € zu 244.100 € hier über weniger als 85 % ihres Vermögens verfügt habe, sei die Verfügung nicht zustimmungspflichtig gewesen.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Der Kläger kann sich nicht auf eine Unwirksamkeit der Eigentumsübertragung nach §§ 1365 Abs. 1 Satz 2, 1366 Abs. 4, 1368 BGB berufen.
1. Die Vorschrift des § 1365 BGB greift nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings nicht nur dann ein, wenn das Geschäft auf die Übertragung des gesamten Vermögens als solches gerichtet ist, sondern auch, wenn ein einzelner Vermögensgegenstand veräußert wird, der im Wesentlichen das ganze Vermögen des Veräußerers darstellt, und wenn der Vertragspartner dies weiß oder zumindest die Verhältnisse kennt, aus denen sich dies ergibt (Senatsurteil BGHZ 77, 293, 295 = FamRZ 1980, 765; BGHZ 35, 135, 143 = FamRZ 1961, 302 und BGHZ 43, 174, 177 = FamRZ 1965, 258).
Eine Verfügung über das Vermögen im Ganzen kann dann vorliegen, wenn der Ehegatte - bei kleineren Vermögen - mit einem oder mehreren Einzelgegenständen mehr als 85 % seines Vermögens überträgt (Senatsurteil BGHZ 77, 293, 299 = FamRZ 1980, 765, 767; zu größeren Vermögen vgl. Senatsurteil vom 13. März 1991 - XII ZR 79/90 - FamRZ 1991, 669). Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass die übertragenen Werte - vor Berücksichtigung des Wohnungsrechts - mehr als 85 % des ursprünglichen Vermögens der Ehefrau ausmachten.
2. Ob bei der Veräußerung eines Grundstücks ein dem Veräußerer im Zuge der Eigentumsübertragung eingeräumtes Wohnungsrecht als diesem verbliebener Vermögenswert zu berücksichtigen ist und eine Verfügung über das gesamte Vermögen ausschließen kann, ist umstritten.
a) Von Teilen der Rechtsprechung und Literatur wird die Frage verneint. Zur Begründung wird vor allem auf den Zweck der Vorschrift verwiesen, einen (möglichen) Anspruch des anderen Ehegatten auf Zugewinnausgleich zu sichern, der es auch erfordere, dass der Ehegatte einen Vollstreckungszugriff auf das verbliebene Vermögen habe, was beim Wohnungsrecht nicht der Fall sei (OLG Celle FamRZ 1987, 942; OLG Hamm FamRZ 1997, 675 - Nießbrauch; OLG München Beschluss vom 16. April 2012 - 34 Wx 485/11 - juris Rn. 20; OLG Köln NotBZ 2012, 461; MünchKommBGB/Koch 5. Aufl. § 1365 Rn. 16; Erman/Budzikiewicz BGB 13. Aufl. § 1365 Rn. 6; Rauscher Familienrecht 2. Aufl. Rn. 385).
Von anderen wird die Frage hingegen übereinstimmend mit dem Berufungsgericht bejaht und hierfür auf die Vermögensqualität des Wohnungsrechts hingewiesen (OLG Koblenz FamRZ 2008, 1078; Staudinger/Thiele BGB [2007] § 1365 Rn. 28 mwN; Palandt/Brudermüller BGB 72. Aufl. § 1365 Rn. 4; Roth in jurisPK-BGB 6. Aufl. § 1365 Rn. 34; MünchKommBGB/Gernhuber 3. Aufl. § 1365 Rn. 15).
b) Der letztgenannten Ansicht ist zuzustimmen.
Für die Beurteilung, ob eine Verfügung im Wesentlichen das ganze Vermögen des Ehegatten erfasst, ist die Vermögenslage vor und nach der Verfügung zu betrachten. Während sich vor der Übertragung eines Grundstücks regelmäßig der - um valutierende Belastungen verringerte (Senatsurteil BGHZ 77, 293, 296 f. = FamRZ 1980, 765, 766) - Wert des Grundstücks im Vermögen des Ehegatten befand, besteht sein Vermögen nach der Übertragung (allein) in dem dinglichen Wohnungsrecht nach § 1093 BGB.
Der Senat hat bereits entschieden, dass die Bestellung eines Wohnungsrechts den Vermögenswert des Grundstücks für den Eigentümer mindert, was einer Bewertung zugänglich ist (Senatsurteil vom 12. Juli 1989 - IVb ZR 79/88 - FamRZ 1989, 1051, 1052; ebenso BGHZ 123, 93 = FamRZ 1993, 1302; vgl. BGH Urteil vom 23. September 1965 - II ZR 60/63 - WM 1965, 1245). Dementsprechend stellt das Wohnungsrecht aufgrund der von ihm gewährleisteten Nutzung auf Seiten des Berechtigten bewertungsfähiges Vermögen dar. Das Wohnungsrecht unterscheidet sich dabei von einer bloß mietvertraglichen Nutzungsberechtigung durch seine Rechtsnatur als dingliches Recht (Senatsurteil vom 12. Juli 1989 - IVb ZR 79/88 - FamRZ 1989, 1051, 1052).
Der Berücksichtigung des Wohnungsrechts steht nicht entgegen, dass dessen Bestellung eine von der Eigentumsübertragung getrennte Verfügung ist. Jedenfalls wenn die zur Eigentumsübertragung und zur Bestellung des Wohnungsrechts erforderlichen Willenserklärungen - wie im vorliegenden Fall - in einem einheitlichen Vertrag abgegeben werden und miteinander stehen und fallen, hat der Veräußerer den mit dem (Haus-)Grundstück verbundenen Wert bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise (vgl. Senatsurteile BGHZ 77, 293, 296 f. = FamRZ 1980, 765, 766 und vom 12. Juli 1989 - IVb ZR 79/88 - FamRZ 1989, 1051, 1052; Staudinger/Thiele BGB [2007] § 1365 Rn. 37 f.) nicht vollständig aus der Hand gegeben. Dem veräußernden Ehegatten bleibt vielmehr ein Teil des Wertes des zuvor in seinem Eigentum stehenden Grundstücks durch das Wohnungsrecht weiterhin erhalten. Das Wohnungsrecht stellt (entgegen MünchKommBGB/Koch 5. Aufl. § 1365 Rn. 16) - ungeachtet seiner Bezeichnung im Vertrag - jedenfalls wirtschaftlich betrachtet keine Gegenleistung für die Eigentumsübertragung dar, die bei der Anwendung von § 1365 BGB unberücksichtigt bliebe (vgl. BGHZ 35, 135 = FamRZ 1961, 302, 305). Es verkörpert vielmehr einen dem Verfügenden in anderer rechtlicher Form verbleibenden Teil des mit dem Hausgrundstück verbundenen Vermögenswertes. Daher kann es auch nicht darauf ankommen, ob das Grundstück vor der Übertragung (vgl. insoweit schon BGHZ 77, 293 = FamRZ 1980, 765, 766) oder erst im Übertragungsvertrag mit einem dinglichen Recht belastet wird (aA OLG Celle FamRZ 1987, 942, 943). Schließlich kann in dem Fall, dass der übertragende Ehegatte sich ein Wohnungsrecht vorbehält, nichts grundsätzlich anderes gelten, als wenn ihm ein Wohnungsrecht an einem anderen als dem übertragenen Grundstück zusteht, was zweifelsfrei als Bestandteil des verbleibenden Vermögens zu berücksichtigen wäre.
Dass der andere Ehegatte zur Befriedigung eines Anspruchs auf Zugewinnausgleich nicht im Wege der Vollstreckung auf das Wohnungsrecht zugreifen kann, steht dessen Einbeziehung in den Vermögensvergleich ebenfalls nicht entgegen. Die gesetzliche Regelung in § 1365 BGB unterscheidet nicht danach, ob ein Vermögensgegenstand der Zwangsvollstreckung unterliegt oder nicht. Sie trifft vielmehr eine formalisierte Regelung, die sämtliches Vermögen ohne Rücksicht auf dessen Verwertbarkeit in der Zwangsvollstreckung erfasst und deswegen auch dann eingreift, wenn der Vermögensgegenstand, auf den sich das Geschäft bezieht, nicht Objekt der Zwangsvollstreckung sein kann. Dementsprechend ist die Vorschrift auch dann anwendbar, wenn einem Ehegatten nur das Wohnungsrecht als einziger Vermögensgegenstand zusteht und er über dieses - etwa durch Verzicht - im Ganzen verfügt.
Eine einschränkende Anwendung der Vorschrift nur auf solche Vermögensgegenstände, die der Zwangsvollstreckung unterliegen, lässt sich auch aus dem Gesetzeszweck nicht begründen. Zwar dient die Regelung auch dem Ziel, den Zugewinnausgleichsanspruch zu sichern (Senatsurteile BGHZ 77, 293, 297 = FamRZ 1980, 765, 766 und BGHZ 101, 225, 228 = FamRZ 1987, 909, 910; BGH Urteil vom 7. Oktober 2011 - V ZR 78/11 - FamRZ 2012, 116 Rn. 10). Darin kann sich ihr Zweck allerdings nicht erschöpfen, weil § 1365 BGB auch in solchen Fällen Anwendung findet, in denen ein Anspruch des anderen Ehegatten auf Zugewinnausgleich offensichtlich nicht gegeben ist. Die Vorschrift soll vielmehr auch das Interesse eines Ehegatten am Erhalt des Familienvermögens schützen (Senatsurteil BGHZ 101, 225, 228 = FamRZ 1987, 909, 910). Im Hinblick auf diesen weiteren Zweck wird nach der Umwandlung von frei verwertbarem Vermögen in ein persönlich gebundenes Nutzungsrecht die dem Gesetz zugrunde liegenden Zielsetzung gewahrt, zumal die - wenn auch nur teilweise - weitere Nutzung durch die Familie gewährleistet bleibt (§ 1093 Abs. 2 BGB; vgl. MünchKommBGB/Gernhuber 3. Aufl. § 1365 Rn. 15). In welchem Umfang dies der Fall ist und ob durch das Wohnungsrecht ein Gesamtvermögensgeschäft ausgeschlossen wird, ist schließlich eine Frage der Bewertung des Wohnungsrechts im Einzelfall. Diese wird im vorliegenden Fall von der Revision nicht angegriffen und lässt auch sonst revisionsrechtlich erhebliche Fehler nicht erkennen.
Für eine einschränkende Auslegung der Vorschrift in dem Sinne, dass von ihr nur solches Vermögen erfasst werden solle, das der Zwangsvollstreckung zugänglich ist, besteht demnach ebenso wenig Veranlassung wie für eine unterschiedliche Beurteilung danach, ob das Wohnungsrecht selbst Gegenstand der Verfügung ist oder ob dieses als ein im Zuge des Geschäfts begründetes (vorbehaltenes) Recht dem verfügenden Ehegatten verbleibt.
Dose Vézina Klinkhammer
Günter Botur