Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 07.10.2011


BGH 07.10.2011 - V ZR 78/11

Zugewinngemeinschaft: Verfügung eines Ehegatten über sein gesamtes Vermögen bei Bestellung einer Grundschuld


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
07.10.2011
Aktenzeichen:
V ZR 78/11
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Hamm, 14. März 2011, Az: I-5 U 101/10, Urteilvorgehend LG Münster, 13. Juli 2010, Az: 14 O 416/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Bei der Feststellung, ob ein Ehegatte mit einer Grundschuldbestellung über sein (nahezu) gesamtes Vermögen verfügt, sind neben dem Nominalbetrag der Grundschuld auch die bei einer künftigen Vollstreckung in die Rangklasse 4 des § 10 Abs. 1 ZVG fallenden Grundschuldzinsen einzubeziehen und regelmäßig mit dem zweieinhalbfachen Jahresbetrag zu berücksichtigen .

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. März 2011 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 13. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Mit notarieller Erklärung vom 16. Februar 2009 bestellte der Kläger der beklagten Bank an seinem Grundstück eine erstrangige Grundschuld in Höhe von 350.000 € nebst 16 % Jahreszinsen und einer einmaligen Nebenleistung von 5 % des Grundschuldbetrags und unterwarf sich wegen aller Ansprüche aus der Grundschuld der sofortigen Vollstreckung in das belastete Eigentum. Die Grundschuld sichert Forderungen der Beklagten aus einem Kreditrahmenvertrag über 500.000 €; Kreditnehmer sind zwei Gesellschaften, deren Geschäftsführer der Sohn des Klägers war.

2

Das Grundstück des im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebenden Klägers hat einen Verkehrswert von 426.000 €. Daneben verfügten der Kläger und seine Ehefrau im Zeitpunkt der Grundschuldbestellung zumindest noch über ein Bankguthaben in Höhe von 10.179 €. Im April 2009 kündigte die Beklagte gegenüber dem Kläger das Kapital der Grundschuld zum 30. November 2009 und stellte es zur Zahlung fällig.

3

Der Kläger, der die Grundschuldbestellung mangels Zustimmung seiner Ehefrau gemäß § 1365 Abs. 1 BGB für unwirksam hält, wendet sich mit seiner Klage gegen die Vollstreckung aus der notariellen Urkunde. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter.

Entscheidungsgründe

I.

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Das Berufungsgericht meint, die Bestellung der Grundschuld habe nach § 1365 Abs. 1 BGB nicht der Zustimmung der Ehefrau des Klägers bedurft, weil dieser nicht über sein Vermögen als Ganzes verfügt habe. Hiervon wäre nur auszugehen gewesen, wenn das Grundstück mindestens 90 % des gesamten Vermögens des Klägers ausgemacht und die Grundschuld den Grundstückswert zu 90 % oder mehr ausgeschöpft hätte. Letzteres sei nicht der Fall. Im Zeitpunkt der Grundschuldbestellung habe die Belastung insgesamt 367.500 € (350.000 € Grundschuldbetrag zzgl. einer einmaligen Nebenleistung von 17.500 €) und damit nur 86 % des Grundstückswerts betragen. Die dinglichen Zinsen von jährlich 16 % seien nicht zu berücksichtigen, da sie im Zeitpunkt der Verfügung noch nicht entstanden gewesen seien.

II.

5

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

6

1. a) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Belastung eines Grundstücks, das das alleinige oder wesentliche Vermögen des verfügenden Ehegatten ausmacht, nach § 1365 Abs. 1 BGB zustimmungsbedürftig ist, wenn sie den Wert des Grundstücks ausschöpft (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 1989 – IVb ZR 79/88, NJW 1990, 112, 113) und nicht lediglich als Erwerbsmodalität anzusehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1996 – III ZR 106/95, BGHZ 132, 218, 227 f.). Maßgeblich ist, ob die Belastung – unter Berücksichtigung etwaiger bereits eingetragener Rechte – den Verkehrswert des Grundstücks so weit mindert, dass dem verfügenden Ehegatten nur ein unwesentlicher Teil seines ursprünglichen Gesamtvermögens verbleibt (BGH, Urteil vom 12. Juli 1989 – IVb ZR 79/88, NJW 1990, 112, 113; vgl. auch BayObLGZ 1959, 442, 446; FamRZ 1967, 337, 338; MünchKomm-BGB/Koch, 5. Aufl., § 1365 Rn. 61 ff.).

7

b) Bei der Prüfung der mit einer Belastung einhergehenden Wertminderung eines Grundstücks ist – wie auch sonst im Rahmen von § 1365 BGB - eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten (vgl. Staudinger/Thiele, BGB [2007], § 1365 Rn. 47 f.). Im Zeitpunkt der Verfügung bereits bestehende Grundschulden werden daher, obwohl sie von der ihr zugrunde liegenden persönlichen Forderung unabhängig sind, nur insoweit berücksichtigt, wie sie valutieren (vgl. Senat, Urteil vom 25. Juni 1993 – V ZR 7/92, BGHZ 123, 93, 95; BGH, Urteil vom 12. Juli 1989 – IVb ZR 79/88, aaO). Ist die gesicherte Forderung bereits getilgt und hat der Grundstückseigentümer deshalb einen Anspruch auf (teilweise) Rückübertragung des Grundpfandrechts, ist dieser Anspruch in die Vermögensberechnung einzustellen (vgl. MünchKomm-BGB/Koch, aaO, § 1365 Rn. 17).

8

Umgekehrt ergibt sich hieraus, dass es bei der (Neu-)Bestellung einer Grundschuld grundsätzlich nicht auf deren Valutierung ankommt. Zwar kann die zu sichernde persönliche Forderung im Zeitpunkt der Bestellung (noch) hinter dem Sicherungswert der Grundschuld zurückbleiben. Einem Rückübertragungsanspruch des Eigentümers wird aber in aller Regel die Möglichkeit entgegenstehen, dass die Grundschuld, weil sie auch künftige Forderungen sichert, zu einem späteren Zeitpunkt voll valutieren wird. Maßgeblich für die Wertminderung des Grundstücks durch neu bestellte Grundpfandrechte ist daher der Betrag, für den das Grundstück hieraus dinglich haftet. Dies ist grundsätzlich der Nominalbetrag einschließlich etwaiger Nebenleistungen und dinglicher Zinsen (§ 1191 Abs. 2 BGB).

9

c) Dass dingliche Zinsen im Zeitpunkt der Grundschuldbestellung noch nicht entstanden sein können, führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht dazu, dass sie bei der Ermittlung der durch die Belastung eingetretenen Wertminderung nicht zu berücksichtigen wären. Richtig ist zwar, dass es bei der Anwendung des § 1365 BGB allein auf die objektiven Wertverhältnisse im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts ankommt (BGH, Urteil vom 21. März 1996 – III ZR 106/95, BGHZ 132, 218, 227). Das bedeutet aber nicht, dass sich die Wertminderung nach dem Betrag bemisst, der sich bei einer (fiktiven) Verwertung der Grundschuld am Tag ihrer Bestellung bzw. Entstehung erlösen ließe.

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Maßgeblich ist vielmehr, inwieweit die Belastung den Wert des Grundstücks als Zugriffsobjekt für potentielle Gläubiger, und damit auch für den Ehegatten des Verfügenden als möglichen Gläubiger eines Anspruchs auf Zugewinn, absinken lässt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 1980 – IVb ZR 516/80, BGHZ 77, 293, 297; Urteil vom 12. Juli 1989 – IVb ZR 79/88, NJW 1990, 112, 113 li. Sp. unten; zum Schutzzweck des § 1365 BGB siehe BGH, Urteil vom 1. Juli 1987 – IVb ZR 97/85, BGHZ 101, 225, 228). Ein potentieller Gläubiger wird aber schon im Zeitpunkt der Grundschuldbestellung von einer Wertminderung des Grundstücks im Umfang des vollen, die dinglichen Zinsen einbeziehenden Sicherungswerts der Grundschuld (vgl. BGH, Urteil vom 13. Mai 1982– III ZR 164/80, NJW 1982, 2768, 2769 zu II. 2.) ausgehen. Denn er muss im Regelfall damit rechnen, dass die Verwertung der Grundschuld erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem auch dingliche Zinsen in nennenswertem Umfang vollstreckt werden können. In diesem Fall haben die in die Rangklasse 4 des § 10 Abs. 1 ZVG fallenden Ansprüche wegen der laufenden Zinsen und der aus den letzten zwei Jahren rückständigen Zinsen Vorrang vor anderen Grundpfandrechten. Dem entspricht es, wenn bei der Berechnung des Wertverlusts, den ein Grundstück infolge der Belastung mit einer Grundschuld erleidet, sofern nicht besondere Umstände im Einzelfall eine abweichende Bewertung erfordern, dingliche Zinsen für zweieinhalb Jahre einbezogen werden.

11

2. Hiernach steht außer Zweifel, dass die von dem Kläger bestellte Grundschuld den Wert seines Grundstücks vollständig erschöpfte. Schon bei Hinzurechnung der Grundschuldzinsen von 16 % jährlich für zwei Jahre (112.000 €) ergeben diese zusammen mit dem Nominalbetrag (350.000 €) und der einmaligen Nebenleistung (17.500 €) ein den Verkehrswert des Grundstücks von 426.000 € übersteigenden Betrag. Das dem Kläger verbleibende Vermögen ist so gering, dass es der Annahme, er habe mit der Bestellung der Grundschuld über sein Vermögen als Ganzes verfügt, nicht entgegensteht. Denn auch wenn zugunsten der Beklagten davon ausgegangen wird, dass das Bankguthaben von 10.179 € allein dem Vermögen des Klägers zuzurechnen ist, und wenn darüber hinaus das im erstinstanzlichen Urteil erwähnte (ursprüngliche) Guthaben von 8.000 € bei der LBS Berücksichtigung findet, entspricht das dem Kläger verbleibende Vermögen weniger als 5 % des ursprünglichen Vermögens und liegt damit deutlich unterhalb der bei größeren Vermögen maßgeblichen Grenze von 10 % (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 1991, XII ZR 79/90, NJW 1991, 1739).

III.

12

Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung im Sinne des erstinstanzlichen Urteils reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

13

Die notwendige Kenntnis der Beklagten, dass es sich bei dem Grundstück um nahezu das ganze Vermögen des Klägers handelt und dass die zu ihren Gunsten bestellte Grundschuld den Wert des Grundstücks ausschöpfte (vgl. Senat, Urteil vom 25. Juni 1993 – V ZR 7/92, BGHZ 123, 93, 95), ist in dem erstinstanzlichen Urteil festgestellt worden. In den dortigen Entscheidungsgründen, auf die das Berufungsurteil Bezug nimmt, heißt es, der Beklagten seien die Vermögens- und Familienverhältnisse des Klägers bekannt gewesen. Um welche Vermögensverhältnisse es sich dabei handelt, ergibt sich aus dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils; der Grundstückwert von 426.000 € wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich erwähnt.

IV.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger                                               Lemke                                       Schmidt-Räntsch

                       Stresemann                                             Czub