Entscheidungsdatum: 27.04.2016
Der wegen einer Maßnahme nach § 1666 BGB nicht mehr sorgeberechtigte Elternteil ist gegen die Übertragung des Sorgerechts vom Amtsvormund auf den anderen Elternteil beschwerdeberechtigt.
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des 3. Zivilsenats - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 15. Juni 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.000 €
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die elterliche Sorge für das Kind J., das am 28. August 2003 nichtehelich geboren wurde.
J. wuchs zunächst bei der allein sorgeberechtigten Mutter (Beteiligte zu 1) auf. Nach einem Teilentzug der elterlichen Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung wurde der Mutter auf Anregung des Jugendamts mit Beschluss des Amtsgerichts vom 14. April 2011 die elterliche Sorge vollständig entzogen und das Jugendamt zum Amtsvormund bestellt. Eine Überprüfung wurde zum 15. April 2014 angeordnet. Eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater, der die Vaterschaft für J. anerkannt hat, unterblieb zu diesem Zeitpunkt, weil dieser es ablehnte, J. in seine Obhut zu nehmen. In dem vom Amtsgericht eingeholten psychologischen Gutachten wurde die Erziehungsfähigkeit der Mutter verneint, die des Vaters hingegen bejaht. Das Kind ist in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Die Maßnahme ist auf Dauer angelegt.
Auf Anregung des Jugendamts hat das Amtsgericht im vorliegenden Verfahren die elterliche Sorge für J. auf den Kindesvater übertragen, nachdem dieser sich damit - bei gleichzeitigem Verbleib des Kindes in der Einrichtung - einverstanden erklärt hatte.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Mutter hat das Oberlandesgericht als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich diese mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner in FamRZ 2013, 235 veröffentlichten Entscheidung ausgeführt: Die Mutter sei nicht beschwerdeberechtigt, weil sie durch den angefochtenen Beschluss nicht unmittelbar in materiellen Rechten beeinträchtigt sei. Eine solche Beeinträchtigung, die weder allein durch berechtigte Interessen an der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung noch durch das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG vermittelt werde, sei aber nach § 59 Abs. 1 FamFG erforderlich. Es gehe der Mutter ausschließlich um das quasi "ideelle" Interesse, auch den Vater vom Sorgerecht auszuschließen. Da ihr in der Vergangenheit die elterliche Sorge rechtskräftig entzogen worden sei, könne sie nicht in diesem - ihr nicht mehr zustehenden - Recht beeinträchtigt sein. Ein Beschwerderecht eines früher sorgeberechtigten Elternteils sei in Erwägung zu ziehen, soweit Maßnahmen nach § 1666 BGB gegen den aktuell sorgeberechtigten Elternteil in Rede stünden. Darum gehe es hier aber nicht, da die Mutter nicht geltend mache, dass die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater das Kindeswohl gefährde. Die Argumentation der Mutter beschränke sich vielmehr auf die Aussage, sie könne die elterliche Sorge bei Verbleib des Kindes in der Einrichtung genauso gut wahrnehmen wie der Vater. Ihre mangelnde Eignung zur Ausübung der elterlichen Sorge sei aber bereits rechtskräftig festgestellt. Der vorliegende Fall sei vergleichbar mit der Entscheidung des Familiengerichts über die Auswahl eines Ergänzungspflegers. Auch dagegen werde ein Beschwerderecht des nicht mehr sorgeberechtigten Elternteils verneint. Auch für eine sonstige Rechtsbeeinträchtigung sei nichts ersichtlich. Eine Rückführung des Kindes zur Mutter bleibe zwar möglich. Da dessen Unterbringung jedoch auf Dauer angelegt sei, werde sich daran auf absehbare Zeit nichts ändern. Die Mutter könne im Übrigen jederzeit eine Änderung der Entscheidung über die Entziehung der elterlichen Sorge in einem neuen Verfahren beantragen, so dass sie durch die angefochtene Entscheidung auch insoweit nicht rechtlos gestellt werde.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Im Ausgangspunkt zu Recht hat das Beschwerdegericht allerdings angenommen, dass die Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 1 FamFG eine unmittelbare Beeinträchtigung des Beschwerdeführers in einem ihm zustehenden subjektiven Recht voraussetzt (vgl. nur Senatsbeschluss vom 18. April 2012 - XII ZB 623/11 - NJW 2012, 2039 Rn. 8; MünchKommFamFG/Fischer 2. Aufl. § 59 Rn. 2). Ein bloßes berechtigtes Interesse an der Änderung oder Beseitigung der Entscheidung genügt insoweit nicht. Ebenso wenig kann die Mutter ihre Beschwerdeberechtigung allein aus dem Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 GG herleiten. Insoweit unterscheidet sich in Kindschaftssachen die Rechtslage nach § 59 Abs. 1 FamFG nicht von der früheren nach § 20 Abs. 1 FGG (zu Letzterem Senatsbeschluss vom 26. November 2008 - XII ZB 103/08 - FamRZ 2009, 220 Rn. 13).
Aus diesen Vorgaben folgt, wie das Oberlandesgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat, dass die bloße formelle Beteiligung im amtsgerichtlichen Verfahren ebenso wenig wie ein bloßes Interesse, den anderen Elternteil von der elterlichen Sorge auszuschließen, eine Beschwerdeberechtigung der Mutter zu begründen vermag.
b) Der wegen einer Maßnahme nach § 1666 BGB nicht mehr sorgeberechtigte Elternteil ist aber gegen die Übertragung des Sorgerechts vom Amtsvormund auf den anderen Elternteil beschwerdeberechtigt, weil er durch diese Entscheidung unmittelbar in seinen Rechten im Sinne von § 59 Abs. 1 FamFG betroffen ist.
Maßnahmen nach § 1666 BGB sind mit erheblichen Eingriffen in das durch Art. 6 Abs. 2 und 3 GG geschützte Elternrecht verbunden. Daher müssen sie zur Abwehr der Gefahr für das Kindeswohl geeignet, erforderliche und verhältnismäßig im engeren Sinne sein (BVerfG FamRZ 2009, 1472 Rn. 19 mwN; vgl. auch Britz FamRZ 2015, 793, 794 ff.). Solche Maßnahmen sind daher grundsätzlich nur als vorübergehend anzusehen und erwachsen nur in formelle, nicht jedoch in materielle Rechtskraft (BVerfG FamRZ 2005, 783, 784 f.). Letzteres zeigt § 1696 Abs. 2 BGB. Nach dieser Vorschrift müssen die Maßnahmen von Amts wegen aufgehoben werden, wenn eine Gefahr für das Wohl des Kindes nicht mehr besteht oder die Erforderlichkeit der Maßnahme entfallen ist (vgl. Johannsen/Henrich/Büte Familienrecht 6. Aufl. § 1696 BGB Rn. 33). Die Vorschrift bringt damit den im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur als Eingriffs-, sondern auch in zeitlicher Hinsicht als Bestandsvoraussetzung einer Maßnahme nach § 1666 BGB zum Ausdruck (BT-Drucks. 16/6308 S. 346) und schützt insofern - neben dem Kindeswohl - unter den genannten Voraussetzungen auch das Recht von Eltern auf Rückübertragung des Sorgerechts, wenn diese von Maßnahmen nach § 1666 BGB betroffen waren.
Im Rahmen einer Sorgerechtsentscheidung nach vorausgegangenem Entzug der elterlichen Sorge ist deshalb immer auch zu prüfen, ob der von der Maßnahme nach § 1666 BGB betroffene Elternteil die elterliche Sorge wieder erhalten kann. Indem das Gericht eine solche Rückübertragung der elterlichen Sorge nicht durchführt, greift es unmittelbar in die Rechtsstellung dieses Elternteils ein (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Juni 2010 - XII ZB 35/10 - FamRZ 2010, 1242 Rn. 9 ff.).
c) Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie ist aufzuheben und die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5 und 6 Satz 2 FamFG). Eine abschließende Entscheidung in der Sache gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG ist dem Senat nicht möglich, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist. Das Beschwerdegericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - bislang nur über die Zulässigkeit und damit noch nicht in der Sache entschieden.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Nedden-Boeger Guhling