Entscheidungsdatum: 29.03.2017
Eröffnet ein Gericht die Möglichkeit der Weiterleitung von Schriftstücken an das zuständige Gericht, so genügt der Anwalt seinen Sorgfaltspflichten bereits dann, wenn er einen fristgebundenen Schriftsatz so rechtzeitig abgibt, dass er einen fristgemäßen Eingang beim zuständigen Gericht mit Sicherheit erwarten darf (im Anschluss an BGH Beschlüsse vom 23. März 2006, IX ZB 56/05, AnwBl 2006, 491 und vom 12. Juli 1961, I ZB 2/61, VersR 1961, 923).
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 25. Oktober 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Wert: 8.556 €
I.
Die Rechtsbeschwerde betrifft die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.
Die Kläger sind die Vermieter, die Beklagte ist die Mieterin von Gewerberäumen. Die Kläger haben beantragt, die Beklagte zur Zahlung rückständiger Miete und von Reparaturkosten in Höhe von insgesamt 8.555,88 € nebst Zinsen sowie zur Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten zu verurteilen. Mit den Prozessbevollmächtigten der Kläger am 24. Juni 2016 zugestelltem Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen haben die Kläger fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am 25. August 2016, einem Donnerstag, beim Oberlandesgericht eingegangen.
Dieses hat darauf hingewiesen, dass die Begründung verspätet eingelegt sei. Hierauf baten die Kläger, die Berufung deshalb nicht zu verwerfen, und teilten mit, eine Kanzleiangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten habe den Schriftsatz am 22. August 2016 kurz vor 8.00 Uhr in das beim Amtsgericht Mülheim an der Ruhr für das Oberlandesgericht eingerichtete Postaustauschfach gelegt. Nach Kenntnis der Prozessbevollmächtigten werde dieses täglich geleert und der Inhalt zum Oberlandesgericht transportiert. Das Oberlandesgericht hat darin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gesehen, diesen zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Sie ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11 - FamRZ 2013, 1117 Rn. 4 mwN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
a) Dieses hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Die Berufung sei zu verwerfen, weil sie nicht fristgemäß begründet worden sei. Den Klägern sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine telefonische Nachfrage der Berichterstatterin beim Amtsgericht Mülheim an der Ruhr habe ergeben, dass das dortige Gerichtsfach für das Oberlandesgericht zwar täglich vormittags geleert und der Inhalt an das Oberlandesgericht transportiert werde. Den Rechtsanwälten werde aber immer gesagt, dass sie keine Fristsachen einlegen sollten. Ein entsprechender Hinweis befinde sich nach dieser Auskunft auch über den Gerichtspostfächern. Selbst wenn dieser schriftliche Hinweis sich - wie die Kläger geltend machten - lediglich über dem Gerichtspostfach für ein Landgericht und nicht über dem für das Oberlandesgericht befunden haben sollte, schaffe dies nicht den notwendigen Vertrauenstatbestand. Ein Rechtsanwalt dürfe von der Möglichkeit, eine Berufungsschrift bei der Annahmestelle im Gebäude des Landgerichts zur Weiterleitung an das Oberlandesgericht abzugeben, nur so lange Gebrauch machen, als er mit Sicherheit noch einen fristgerechten Zugang erwarten könne. Dies sei etwa anzunehmen, wenn der Beamte der Postannahmestelle ihm die Weiterleitung an das Oberlandesgericht noch am selben Tage versichert habe. Entsprechende Umstände, aufgrund derer die Prozessbevollmächtigten hier auf eine rechtzeitige Weiterleitung hätten vertrauen dürfen, seien weder ersichtlich noch vorgetragen. Dies gelte umso mehr im Hinblick auf den schriftlichen Hinweis, der sich zumindest über dem Fach für das Landgericht befunden habe.
b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Oberlandesgerichts kann den Klägern die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht versagt werden. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Oberlandesgericht die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht überspannt hat.
aa) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, dass ein Rechtsanwalt von der Möglichkeit, einen fristgebundenen Schriftsatz bei der Annahmestelle eines Gerichts zur Weiterleitung an das zuständige Gericht abzugeben, so lange Gebrauch machen kann, als er mit Sicherheit noch einen fristgerechten Eingang erwarten darf. Gibt er den Schriftsatz am letzten Tag der Frist ab, so liegt ein Sorgfaltsverstoß vor, wenn er sich nicht durch ausdrückliches Befragen vergewissert, dass der Eingang beim zuständigen Gericht noch am gleichen Tag erfolgen wird (BGH Beschlüsse vom 23. März 2006 - IX ZB 56/05 - AnwBl 2006, 491, 492 mwN und vom 12. Juli 1961 - I ZB 2/61 - VersR 1961, 923, 924). Ein Anwalt, der eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag ausschöpft, hat nämlich wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos eine erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH Beschluss vom 16. November 2016 - VII ZB 35/14 - ZfBR 2017, 144 Rn. 12). Wird der Schriftsatz allerdings - wie hier - mehrere Tage vor Ablauf der Frist abgegeben, bestehen diese erhöhten Anforderungen nicht. Eröffnet ein Gericht die Möglichkeit der Weiterleitung von Schriftstücken an das zuständige Gericht, so genügt der Anwalt daher seinen Sorgfaltspflichten bereits dann, wenn er einen fristgebundenen Schriftsatz so rechtzeitig abgibt, dass er einen fristgemäßen Eingang beim zuständigen Gericht mit Sicherheit erwarten darf (vgl. BGH Beschlüsse vom 23. März 2006 - IX ZB 56/05 - AnwBl 2006, 491, 492 mwN und vom 12. Juli 1961 - I ZB 2/61 - VersR 1961, 923, 924).
Insoweit kann sich der Anwalt zwar - anders als bei einem Versand mit der Deutschen Post AG oder anderen Briefbeförderungsunternehmen (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 155/07 - VersR 2009, 1096 Rn. 8 f. mwN) - nicht darauf verlassen, dass eine für den Normalfall festgelegte Beförderungszeit eingehalten wird. Denn bei der Weiterleitung durch die Justiz besteht keine auf die Einhaltung der Beförderungszeit für den Normalfall ausgerichtete Organisationsstruktur, auf die der Anwalt vertrauen darf. Vielmehr muss er berücksichtigen, dass die mit der Postübermittlung beauftragten Wachtmeister durch vorrangige dienstliche Tätigkeiten oder andere Umstände vorübergehend verhindert sein können, so dass eine gewisse Verzögerung mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist als bei einem auf die Briefbeförderung spezialisierten Unternehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. September 2012 - XII ZB 221/12 - juris Rn. 11). Andererseits muss der Anwalt aber auch nicht mit einer außergewöhnlich langen Verzögerung der Versendung rechnen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Mai 2012 - XII ZB 375/11 - FamRZ 2012, 1205 Rn. 26 f.).
bb) Gemessen hieran hätte das Oberlandesgericht nicht von einem den Klägern nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten ausgehen dürfen. Mangels abweichender tatrichterlicher Feststellungen ist das klägerische Vorbringen rechtsbeschwerderechtlich als wahr zu unterstellen. Danach lag eine außergewöhnliche Verzögerung des Postaustauschs vor. Dabei ist - anders als die Rechtsbeschwerdeerwiderung meint - auch der bis zum 10. Oktober 2016 mehrfach ergänzte Vortrag der Kläger vollständig zu berücksichtigen. Da die Kläger am 13. September 2016 Kenntnis von der Fristversäumung erhielten, endete die Monatsfrist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO erst am 13. Oktober 2016.
Bei Zugrundelegung dieses Vortrags - Einlegung des Schriftsatzes am Morgen des 22. August 2016 bei Kenntnis davon, dass das Fach täglich am Vormittag geleert und der Inhalt an das Oberlandesgericht transportiert wird - durften die Prozessbevollmächtigten der Kläger darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch vor dem Ende der am 24. August 2016 ablaufenden Begründungsfrist beim Oberlandesgericht eingehen würde. Denn so standen insgesamt drei Arbeitstage zur Verfügung, an denen die Post vom Amtsgericht zum Oberlandesgericht transportiert wird und an denen noch ein fristgemäßer Eingang des Schriftsatzes möglich gewesen wäre. Unter Berücksichtigung des in diesem Fall vorliegenden regelmäßig täglichen Postaustauschs ist der Eingang beim Oberlandesgericht am 25. August 2016 so außergewöhnlich verzögert erfolgt, dass die Prozessbevollmächtigten der Kläger damit nicht rechnen mussten.
Dem steht auch nicht der schriftliche Hinweis entgegen, dass in das Gerichtsfach keine Fristsachen eingelegt werden sollen. Selbst wenn er sich auch auf das für das Oberlandesgericht bestimmte Austauschfach bezogen haben sollte, so wäre er nicht dahingehend zu verstehen, dass die Zustellung dieser Post verzögert erfolgt. Vielmehr wäre das als Hinweis darauf zu verstehen, dass mit der Einlegung in das Fach die Frist noch nicht gewahrt ist, weil es sich um keine gemeinsame Postannahmestelle handelt (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 155/07 - VersR 2009, 1096 Rn. 12).
3. Die angefochtene Entscheidung ist mithin aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 ZPO).
Dem Senat ist eine eigene Entscheidung auch über das Wiedereinsetzungsgesuch verwehrt. Denn das Oberlandesgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - offen gelassen, inwieweit es den Vortrag der Kläger für glaubhaft erachtet. Die hier noch nachzuholende Beweiswürdigung obliegt aber grundsätzlich dem Tatrichter (BGH Beschluss vom 27. September 2016 - XI ZB 12/14 - WM 2016, 2170 Rn. 12). Zwar entscheidet der Bundesgerichtshof in der Rechtsbeschwerde über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus Gründen der Prozessökonomie selbst, soweit ihre Voraussetzungen nach Aktenlage ohne weiteres vorliegen (Senatsurteil vom 4. November 1981 - IVb ZR 625/80 - FamRZ 1982, 255, 256). Das ist hier aber nicht der Fall, weil derzeit zumindest das Vorbringen zur Einlegung der Berufungsbegründung in das Gerichtspostfach nicht durch eidesstattliche Versicherung oder auf andere Weise glaubhaft gemacht ist. Die von den Klägern insoweit angebotene Zeugenaussage ist kein präsentes Beweismittel und daher nach § 294 Abs. 2 ZPO nicht zur Glaubhaftmachung geeignet. Die Nachholung der Glaubhaftmachung kann aber gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO noch während des laufenden Verfahrens über den Wiedereinsetzungsantrag erfolgen (BGH Beschlüsse vom 26. April 2016 - VI ZB 4/16 - MDR 2016, 1223 Rn. 14 und vom 22. Juni 2004 - VI ZB 14/04 - NJW 2004, 3491, 3492).
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO).
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