Entscheidungsdatum: 17.05.2017
1. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 16. März 2016, XII ZB 203/14, NJW 2016, 1828).
2. Begründet der Tatrichter nicht, warum er trotz Vorliegens eines Regelfalls für die Bestellung eines Verfahrenspflegers von dieser absieht, kann das Rechtsbeschwerdegericht weder prüfen, ob er von seinem Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht hat, noch ob die Entscheidung ermessensfehlerfrei ergangen ist.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Amberg vom 19. Oktober 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Wert: 5.000 €
I.
Die Betroffene wendet sich gegen die Einrichtung ihrer Betreuung.
Sie leidet ausweislich des vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens an einer paranoiden Schizophrenie mit Residuum und einem Messiesyndrom. Das Amtsgericht hat ihr für folgenden Aufgabenkreis einen Betreuer bestellt:
- Vermögenssorge,
- Gesundheitssorge,
- Aufenthaltsbestimmung,
- Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post und Entscheidung über Fernmeldeverkehr,
- Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern,
- Wohnungsangelegenheiten und
- Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages.
Das Landgericht hat die von einer Bekannten der Betroffenen in Vertretung für diese eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie rügt mit Erfolg, dass für die Betroffene ein Verfahrenspfleger hätte bestellt werden müssen.
1. Gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung in der Regel erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist. Gemäß § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen. Dabei unterfällt es der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist (Senatsbeschluss vom 16. März 2016 - XII ZB 203/14 - NJW 2016, 1828 Rn. 8 mwN).
Nach diesen Maßgaben ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinne umfassenden Verfahrensgegenstand spricht es, wenn die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt wird, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfasst. Selbst wenn dem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers, wenn die verbliebenen Befugnisse dem Betroffenen in seiner konkreten Lebensgestaltung keinen nennenswerten eigenen Handlungsspielraum belassen (Senatsbeschluss vom 16. März 2016 - XII ZB 203/14 - NJW 2016, 1828 Rn. 9 mwN).
2. Gemessen hieran kann die Entscheidung des Landgerichts keinen Bestand haben. Das Amtsgericht hat die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung der Betroffenen umfasst, so dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers gemäß § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG grundsätzlich erforderlich war. Weil das Landgericht entgegen § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG nicht begründet hat, warum es keinen Verfahrenspfleger bestellt hat, kann der Senat weder prüfen, ob es von seinem Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht hat, noch ob die Entscheidung ermessensfehlerfrei ergangen ist.
3. Zutreffend ist schließlich die Auffassung der Rechtsbeschwerde, dass kein Fall des § 276 Abs. 4 FamFG vorliegt.
a) Danach soll die Bestellung eines Verfahrenspflegers unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden.
Die vorrangige Aufgabe des Verfahrenspflegers besteht darin, gegenüber dem Gericht den Willen des Betroffenen kundzutun und dessen aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör zu verwirklichen (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 - XII ZB 19/11 - FamRZ 2011, 1577 Rn. 8; vgl. auch Senatsbeschluss vom 28. Mai 2014 - XII ZB 705/13 - FamRZ 2014, 1446 Rn. 5 mwN). Hieraus und aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Formulierung "Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten" gewählt hat, folgt, dass der Verfahrensbevollmächtigte zwar nicht zwingend Jurist sein, aber über Fähigkeiten verfügen muss, die ihn ebenso wie einen Rechtsanwalt als geeignet erscheinen lassen, die Interessen des Betroffenen im Verfahren zu vertreten.
b) Allein der Umstand, dass eine Bekannte der Betroffenen für sie Beschwerde eingelegt und diese begründet hat, lässt sie noch nicht als andere geeignete Verfahrensbevollmächtigte erscheinen, zumal sie nach ihren eigenen Worten "was gerichtliche Belange angeht, nicht so bewandert" ist. Feststellungen zu der Frage, ob die Bekannte danach die Interessen der Betroffenen vergleichbar einem Rechtsanwalt wahrnehmen würde, hat das Landgericht nicht getroffen.
4. Gemäß § 74 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 2 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
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