Entscheidungsdatum: 29.06.2011
1. Ein Verfahrenspfleger ist im Betreuungsverfahren dann zu bestellen, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen kundzutun bzw. einen freien Willen überhaupt noch zu bilden .
2. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist im Verfahren auf Aufhebung der Betreuung grundsätzlich nur geboten, wenn tatsächliche Ermittlungen anzustellen sind. Das setzt wiederum greifbare Anhaltspunkte für eine Veränderung der tatsächlichen Umstände voraus, die der Betreuerbestellung zugrunde lagen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 2. Februar 2011, XII ZB 467/10, FamRZ 2011, 556 Rn. 10). Bei unveränderter Sachlage hätte die Bestellung eines Verfahrenspflegers einen rein formalen Charakter .
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Ansbach vom 11. Januar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.000 €
I.
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Amtsgericht den Antrag der Betroffenen u.a. auf Aufhebung der Betreuung zurückgewiesen. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit der sie vor allem rügt, dass ihr kein Verfahrenspfleger bestellt worden sei.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen in zulässiger Weise eingelegt.
2. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
a) Nach Auffassung des Beschwerdegerichts liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Betreuung nicht vor. Die Betroffene sei nach wie vor betreuungsbedürftig, was sich aus dem Sachverständigengutachten vom 2. Oktober 2010 ergebe. Es liege eine paranoide Schizophrenie vor, die seit 2003 zu zahlreichen Exazerbationen geführt habe. Die fehlende soziale Kompetenz und die Unfähigkeit zu sachbezogener Kommunikation seien dauerhaft deutlich. Die Betroffene sei zu einer freien Willensbestimmung in wesentlichen Lebensbereichen weiterhin außerstande und geschäftsunfähig. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers sei nicht geboten gewesen. Wie das bisherige Verfahren und das Verhalten der Beschwerdeführerin bei ihrer Anhörung vor dem Erstgericht zeigten, sei diese hinreichend in der Lage, sich zu artikulieren und ihre Interessen wahrzunehmen.
b) Die Entscheidung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Zu Recht weist diese darauf hin, dass der Betroffenen ein Verfahrenspfleger hätte bestellt werden müssen.
aa) Gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist.
Die vorrangige Aufgabe des Verfahrenspflegers besteht darin, gegenüber dem Gericht den Willen des Betroffenen kundzutun und dessen aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör zu verwirklichen (BT-Drucks. 15/2494 S. 41). Aus dieser Aufgabenstellung folgt, dass ein Verfahrenspfleger vor allem dann zu bestellen ist, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen kundzutun bzw. einen freien Willen überhaupt noch zu bilden (vgl. BayObLG FamRZ 2003, 786, 787; 1997, 1358; KG FamRZ 2009, 641; Keidel/Budde FamFG 16. Aufl. § 276 Rn. 3; vgl. auch Prütting/Helms/Fröschle FamFG § 276 Rn. 9). Eine Verfahrenspflegschaft ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers allerdings dann nicht anzuordnen, wenn die Verfahrenspflegerbestellung "einen rein formalen Charakter hätte" (Senatsbeschluss vom 4. August 2010 - XII ZB 167/10 - FamRZ 2010, 1648 Rn. 15 unter Hinweis auf BT-Drucks. 13/7158 S. 36).
Zwar findet § 276 FamFG, der die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen regelt, auch im Verfahren auf Aufhebung der Betreuung nach § 294 FamFG iVm § 1908 d BGB Anwendung (Keidel/Budde FamFG 16. Aufl. § 276 Rn. 1 mwN). Die Pflegerbestellung ist grundsätzlich aber nur geboten, wenn im Aufhebungsverfahren tatsächliche Ermittlungen anzustellen sind. Das setzt wiederum greifbare Anhaltspunkte für eine Veränderung der tatsächlichen Umstände voraus, die der Betreuerbestellung zugrunde lagen (Senatsbeschluss vom 2. Februar 2011 - XII ZB 467/10 - FamRZ 2011, 556 Rn. 10 f.). Denn bei unveränderter Sachlage hätte die Bestellung eines Verfahrenspflegers einen rein formalen Charakter.
bb) Diesen Anforderungen wird das instanzgerichtliche Verfahren nicht gerecht.
Zu Recht hat die Rechtsbeschwerde darauf hingewiesen, dass der Tatrichter unter Berücksichtigung der getroffenen Feststellungen der Betroffenen einen Verfahrenspfleger hätte bestellen müssen.
Nach den Feststellungen ist die Betroffene aufgrund ihrer psychischen Erkrankung sowohl zu sachbezogener Kommunikation als auch zu einer freien Willensbestimmung in wesentlichen Lebensbereichen außerstande. Die im selben Beschluss zur Erforderlichkeit eines Verfahrenspflegers getroffenen Feststellungen, wonach die Betroffene hinreichend in der Lage sei, sich zu artikulieren und ihre Interessen wahrzunehmen, stehen hierzu - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend dartut - in einem unauflösbaren Widerspruch.
Da sich das Betreuungsgericht zur Durchführung weiterer Ermittlungen namentlich durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens und Anhörung der Betroffenen veranlasst sah, war die Bestellung eines Verfahrenspflegers nach dem oben Gesagten auch nicht aus anderen Gründen entbehrlich.
cc) Die Entscheidung beruht auch auf dem Verfahrensfehler, da nicht ausgeschlossen ist, dass das Beschwerdegericht bei Hinzuziehung eines Verfahrenspflegers zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
c) Weil der Senat mangels Entscheidungsreife nicht selbst abschließend entscheiden kann, war die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG.
Hahne |
Weber-Monecke |
RiBGH Dr. Klinkhammer |
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