Entscheidungsdatum: 02.02.2011
1. Für die Durchführung tatsächlicher Ermittlungen im Verfahren auf Aufhebung einer Betreuung bedarf es greifbarer Anhaltspunkte für eine Veränderung der der Betreuerbestellung zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände, die - wenn sie dem Gericht nicht bereits auf anderem Wege bekannt gemacht worden sind - namentlich vom Betroffenen vorzubringen sind .
2. Im Aufhebungsverfahren ist weder die persönliche Anhörung des Betroffenen noch die Einholung eines Sachverständigengutachtens obligatorisch. Ob solche Verfahrenshandlungen im Einzelfall geboten sind, richtet sich vielmehr nach den Grundsätzen der Amtsermittlung (§ 26 FamFG) .
3. Mit dem Amtsermittlungsgrundsatz ist es nicht zu vereinbaren, wenn das Betreuungsgericht dem Betroffenen auferlegt, ärztliche Atteste vorzulegen .
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 12. August 2010 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 Satz 2 KostO).
Verfahrenswert: 3.000 €
I.
Die Betroffene begehrt die Aufhebung der für sie eingerichteten Betreuung.
Sie leidet seit rund 40 Jahren an einer psychischen Erkrankung. Seit dem Tod des Ehemanns im Jahr 2000 entwickelte sich bei ihr ein sekundärer Alkoholmissbrauch mit Verwahrlosungstendenzen. Ausweislich des in dem Betreuungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens vom 11. Dezember 2008 besteht bei der Betroffenen eine Psychose des schizophrenen Formenkreises, ausgeprägt als sog. schizoaffektive Psychose (gleichzeitiges Auftreten von psychotischen Phänomenen wie Wahnvorstellungen und ausgeprägten Antriebs- und Affektveränderungen). Der gegenwärtige Zustand der Betroffenen entspreche einem akuten Stadium und sei geprägt durch Denkzerfahrenheit, paranoides Denken und eine pathologische Auslenkung des Affektes im Sinne einer gereizten Manie. Die Betroffene sei durch die psychopathologischen Symptome in ihrer Fähigkeit zur Informationsaufnahme und -verarbeitung, insbesondere der Realitätskontrolle, schwergradig beeinträchtigt. Sie könne nicht mehr in logischen Zusammenhängen und zielgerichtet denken, daher nicht rational entscheiden und auf dieser Basis ihren Willen bestimmen. Sie werde vorwiegend durch krankhafte Impulse gesteuert und könne ihr Verhalten nicht an der Situation und ihren objektiven Interessen ausrichten. Bei ihr bestehe kein Krankheitsgefühl. Sie könne daher die Notwendigkeit einer nervenärztlichen Behandlung mit Verabreichung von antipsychotisch wirksamen Medikamenten nicht einsehen und ihr Verhalten nicht entsprechend steuern. Durch den sekundär betriebenen Alkoholmissbrauch werde die Kritikschwäche noch akzentuiert. Sie könne keine ihrer Angelegenheiten selbst interessengerecht besorgen. Die Betroffene könne nicht frei und auf der Basis vernünftiger Erwägungen ihren Willen bestimmen und sei in diesem Sinne als geschäftsunfähig anzusehen.
Mit Beschluss vom 12. Januar 2009 bestellte das Amtsgericht den Beteiligten zu 2 zum Betreuer mit dem Aufgabenkreis Bestimmung des Aufenthaltes im Rahmen der Gesundheitsfürsorge, Entgegennahme und Öffnen der Post, Gesundheitsfürsorge, Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden und Institutionen sowie Wohnungsangelegenheiten. Als Zeitpunkt, bis zu dem über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung zu entscheiden ist (§ 286 FamFG), hat das Amtsgericht den 11. Januar 2016 benannt.
Mit Beschluss vom 18. März 2009 genehmigte das Amtsgericht die geschlossene Unterbringung der Betroffenen vorläufig, längstens bis zum 29. April 2009.
Den im März 2010 durch einen Rechtsanwalt gestellten Antrag der Betroffenen auf Aufhebung ihrer Betreuung hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 10. Mai 2010 zurückgewiesen. Amtsfähiger Bedarf zur Einholung eines neuen Gutachtens bestehe nicht, da keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Betreuung entfallen seien. Die Betroffene sei der gerichtlichen Aufforderung, ein entsprechendes ärztliches Attest einzureichen, das die Einholung eines neuen Gutachtens rechtfertigen könnte, nicht nachgekommen.
Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Die Betroffene macht mit ihrer Verfahrensrüge geltend, dass die Instanzgerichte sowohl ein neues Sachverständigengutachten hätten einholen als auch sie selbst hätten anhören müssen. Diesen Rügen bleibt der Erfolg versagt.
1. a) Gemäß § 294 Abs. 1 FamFG gelten für die Aufhebung der Betreuung die §§ 279, 288 Abs. 2 Satz 1 FamFG entsprechend. Nicht erfasst werden von der Verweisung § 278 Abs. 1 FamFG und § 280 FamFG, die die persönliche Anhörung des Betroffenen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens vorschreiben. Es verbleibt insoweit bei den allgemeinen Verfahrensregeln (Keidel/Budde FamFG 16. Aufl. § 294 Rn. 1).
Die Durchführung eines Verfahrens auf Aufhebung einer Betreuung wird daher maßgebend von den Grundsätzen der Amtsermittlung (§ 26 FamFG) bestimmt. Nur nach den Maßstäben dieser Vorschrift bestimmt sich, ob im Einzelfall eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen durchzuführen oder ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen ist.
Für die Durchführung weiterer tatsächlicher Ermittlungen bedarf es greifbarer Anhaltspunkte für eine Veränderung der der Betreuerbestellung zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände, die - wenn sie dem Gericht nicht bereits auf anderem Wege bekannt gemacht worden sind - namentlich vom Betroffenen vorzubringen sind (vgl. etwa Keidel/Budde aaO § 294 Rn. 3).
b) Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt zudem lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht. In welchem Umfang Tatsachen zu ermitteln sind, bestimmt sich aufgrund des § 26 FamFG, der die Ermittlung von Amts wegen regelt. Das Gericht hat danach von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben (Senatsbeschluss vom 28. April 2010 - XII ZB 81/09 - FamRZ 2010, 1060 Rn. 29 f.). Dabei muss dem erkennenden Gericht die Entscheidung darüber vorbehalten sein, welchen Weg es innerhalb der ihm vorgegebenen Verfahrensordnung für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen (Senatsbeschluss aaO Rn. 40).
2. Unter Beachtung der vorstehenden Anforderungen ist die angegriffene Entscheidung rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
a) Sachverständigengutachten
aa) Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass für die Anwendung des § 1908 d Abs. 1 BGB entscheidungserheblich ist, ob die Voraussetzungen der Betreuung ganz oder teilweise weggefallen und dass die hierfür erforderlichen Feststellungen von Amts wegen zu treffen sind. Der Rechtsbeschwerde ist ebenfalls zuzugeben, dass es grundsätzlich mit dem Amtsermittlungsprinzip nicht zu vereinbaren ist, wenn das Betreuungsgericht - wie hier - der Betroffenen auferlegt, ärztliche Atteste vorzulegen. Andererseits kann das Gericht - wie oben bereits dargelegt - die Durchführung weiterer tatsächlicher Ermittlungen regelmäßig davon abhängig machen, dass sich aus dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten greifbare Anhaltspunkte für eine Veränderung der der Betreuerbestellung zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände ergeben. Will der Betroffene mithin erreichen, dass die Betreuung aufgehoben wird, muss er dem Gericht entsprechende Umstände benennen. Dem von der Betroffenen in Bezug genommenen Schriftsatz vom 6. Mai 2010 lassen sich solche greifbaren Anhaltspunkte für eine Veränderung der Situation der Betroffenen jedoch nicht entnehmen. Dass sich ihre psychischen Beeinträchtigungen gebessert haben sollten, wird darin nicht dargetan. Kernaussage der Beschwerde ist vielmehr, es sei nicht zu erkennen, dass durch die angeordnete Betreuung die Verhältnisse der Betroffenen in "geordneteren Bahnen" verliefen, als dies ohne die Betreuung der Fall wäre.
Soweit die Beschwerde damit der Sache nach Unzulänglichkeiten insbesondere bei der Vermögenssorge und bei der Gesundheitsfürsorge seitens des Betreuers rügt, vermag dies eine Aufhebung der Betreuung nicht zu rechtfertigen. Zu erwägen wäre insoweit allenfalls ein Betreuerwechsel. Die Betroffene strebt indes allein die Aufhebung der Betreuung an.
bb) Da die Betroffene sonach keine Gründe dargetan hat, die eine Aufhebung der Betreuung rechtfertigen könnten, war das Gericht auch nicht verpflichtet, ein neues Sachverständigengutachten einzuholen.
Zwar hat die Rechtsbeschwerde zutreffend darauf hingewiesen, dass das Bayerische Oberste Landesgericht im Jahre 2002 entschieden hat, dass in einem Aufhebungsverfahren nach § 12 FGG ein neues Gutachten einzuholen sei, wenn ein zeitnahes Gutachten nicht vorliege (BayObLG Beschluss vom 9. April 2002 - 3Z BR 65/02 - juris Rn. 9 f.). Jedoch hängt die Frage, ob bzw. inwieweit Ermittlungen aufzunehmen sind, von den Umständen des Einzelfalls ab. Je mehr nach dem Vortrag des Betroffenen und den sonstigen Umständen für eine Veränderung (zugunsten des Betroffenen) spricht, desto eher ist auch ein erneutes Gutachten einzuholen. Anderes gilt hingegen, wenn - wie im vorliegenden Fall - mehr für eine Verfestigung des vom Gutachter bei Einrichtung der Betreuung vorgefundenen Zustandes spricht. Hier kann die Zeitspanne, innerhalb derer ein neues Sachverständigengutachten einzuholen ist, durchaus über den vom Bayerischen Obersten Landesgericht vorgegebenen Rahmen hinausgehen.
cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist es in diesem Kontext auch nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht aus der Tatsache, dass die Betroffene nach Anordnung der Betreuung weiterhin eine Vielzahl von Eingaben (u.a.) an das Gericht adressiert hat, den Schluss gezogen hat, dass deren Handeln, Fühlen und Denken von dem krankheitsbedingten Wahnerleben bestimmt werde.
b) Ebenso wenig bedenklich ist es, dass die Instanzgerichte von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen abgesehen haben. Zutreffend verweist die Rechtsbeschwerde darauf, dass das FamFG für das Aufhebungsverfahren eine persönliche Anhörung des Betroffenen nicht zwingend vorschreibt, wie sich aus § 294 FamFG ergibt. Hierzu kann im Wesentlichen auf das oben Gesagte zur Einholung eines Sachverständigengutachtens verwiesen werden. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind die Gründe, die die Aufhebung der Betreuung bzw. die Anordnung einer erneuten Begutachtung rechtfertigen, nicht plausibel und nachvollziehbar vorgebracht und dargestellt worden (s. dazu die obigen Ausführungen unter a).
Hahne Weber-Monecke Klinkhammer
Schilling Günter