Entscheidungsdatum: 10.10.2012
1. Der Anfechtung nach § 21 Abs. 2 FamFG unterliegen sowohl Beschlüsse, die eine Aussetzung des Verfahrens anordnen als auch solche Beschlüsse, mit denen die von einem Verfahrensbeteiligten angeregte oder beantragte Aussetzung abgelehnt wird.
2. Solange sich das Gericht keine abschließende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes gebildet hat, ist die Aussetzung eines Verfahrens nach § 21 Abs. 1 FamFG ohne gleichzeitige Vorlage an das Bundesverfassungsgericht möglich, wenn die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes bereits Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde oder Richtervorlage ist.
3. Das Vorliegen eines Aussetzungsgrundes nach § 21 FamFG unterliegt der vollen Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Das Beschwerdegericht hat dabei grundsätzlich die durch das vorinstanzliche Gericht vertretene Rechtsauffassung hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit und der Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsvorschrift zugrunde zu legen.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20. Juli 2011 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Beschwerdewert: bis 600 €.
I.
Der minderjährige Betroffene wurde im Februar 2005 nichtehelich geboren. Die Mutter des Kindes ist serbische Staatsangehörige aus dem Kosovo, die sich zu diesem Zeitpunkt nach Ablehnung von Asyl- und Asylfolgeanträgen mit vier weiteren minderjährigen Kindern aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung im Bundesgebiet aufhielt. Im April 2006 erkannte der Beteiligte zu 1, ein deutscher Staatsangehöriger, mit Zustimmung der Kindesmutter vor dem Jugendamt der Stadt S. die Vaterschaft für das betroffene Kind an. Aufgrund der durch die Vaterschaftsanerkennung durch den Beteiligten zu 1 vermittelten deutschen Staatsangehörigkeit des Betroffenen wurde der Kindesmutter und ihren weiteren Kindern im September 2006 eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Beteiligten zu 1 und dem betroffenen Kind besteht nicht.
Im Juli 2010 hat der Antragsteller auf der Grundlage der ihm durch Landesrecht übertragenen Zuständigkeit unter Hinweis auf das behördliche Anfechtungsrecht nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB die Vaterschaft angefochten. Das betroffene Kind ist der Vaterschaftsanfechtung entgegengetreten und hat beantragt, das Verfahren im Hinblick auf die beim Bundesverfassungsgericht aufgrund von Richtervorlagen des Oberlandesgerichts Bremen (FamRZ 2011, 1073) und des Amtsgerichts Hamburg-Altona (StAZ 2010, 306) anhängigen Normenkontrollverfahren zu § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB auszusetzen. Das Amtsgericht hat diesen Antrag durch Beschluss vom 19. Mai 2011 zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Oberlandesgericht die amtsgerichtliche Entscheidung abgeändert und das Verfahren in erster Instanz bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die beiden vorbenannten Richtervorlagen ausgesetzt.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 21 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 - XII ZB 451/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 5 mwN; BGHZ 184, 323 = FGPrax 2010, 154 Rn. 5). Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig; in der Sache hat es keinen Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass es zwar nicht völlig von der Verfassungswidrigkeit des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB überzeugt sei. Die Richtervorlagen des Oberlandesgerichts Bremen und des Amtsgerichts Hamburg-Altona an das Bundesverfassungsgericht hätten auch nicht zwingend zur Folge, dass dieses Verfahren auszusetzen sei.
Allerdings stellten die anderweitigen Richtervorlagen einen wichtigen Grund im Sinne von § 21 FamFG dar. Daher müsse im vorliegenden Verfahren nach richterlichem Ermessen über eine mögliche Aussetzung befunden werden. Eine entsprechende Abwägung habe das Amtsgericht bei der Zurückweisung des von dem betroffenen Kind gestellten Aussetzungsantrages nicht ausgeübt, weil es in seiner Entscheidung ausschließlich darauf abgestellt habe, dass § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB nach seiner Ansicht verfassungsgemäß sei. In die Abwägung seien insbesondere die möglichen Nachteile der Fortsetzung des Verfahrens einzubeziehen, die den Beteiligten entstehen, wenn später das Bundesverfassungsgericht die Vorschrift des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB für verfassungswidrig erklären sollte. Diese seien abzuwägen gegen die Nachteile, die bei Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entstehen könnten. Die Abwägung aller Umstände spreche hier für eine Aussetzung des Verfahrens und gegen eine Fortsetzung, bei der als nächstes die Vaterschaft des Beteiligten zu 1 zu klären wäre.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
a) Mit Recht hat das Oberlandesgericht die Erstbeschwerde gegen die angefochtene Zwischenentscheidung nach § 21 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als statthaft angesehen, obwohl das Amtsgericht das Verfahren nicht ausgesetzt, sondern die beantragte Aussetzung des Verfahrens abgelehnt hat.
Ob auch der Beschluss, mit dem ein Antrag zur Aussetzung abgelehnt wird, nach § 21 Abs. 2 FamFG der Anfechtung unterliegt, kann dem Wortlaut der Vorschrift nicht zweifelsfrei entnommen werden. § 21 Abs. 1 FamFG verhält sich ausschließlich zur positiven Aussetzungsentscheidung, woraus abgeleitet werden könnte, dass auch die im folgenden Absatz der Vorschrift eröffnete Anfechtungsmöglichkeit nur gegenüber einer positiven Aussetzungsentscheidung gelten soll. Gleichwohl hält die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur auch die Anfechtung negativer Aussetzungsentscheidungen nach § 21 Abs. 2 FamFG für möglich (OLG Nürnberg FamRZ 2010, 1462 f.; Keidel/Sternal FamFG 17. Aufl. § 21 Rn. 32; Musielak/Borth FamFG 3. Aufl. § 21 Rn. 5; Prütting/Ahn-Roth FamFG 2. Aufl. § 21 Rn. 12; Bumiller/Harders FamFG 10. Aufl. § 21 Rn. 5; a.A. Burschel in BeckOK FamFG [Stand: 1. Mai 2012] § 21 Rn. 17).
Der Senat tritt der herrschenden Auffassung bei. Eine Beschränkung der Anfechtbarkeit von Beschlüssen auf positive Aussetzungsentscheidungen hätte zur (systemwidrigen) Folge, dass in Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit einerseits und in Ehesachen und Familienstreitsachen andererseits unterschiedliche Anfechtungsmöglichkeiten gegenüber Aussetzungsentscheidungen der Gerichte bestünden, weil der in Ehesachen und Familienstreitsachen über die Verweisung in § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG anwendbare § 252 ZPO ausdrücklich auch die Anfechtung von negativen Aussetzungsentscheidungen ermöglicht. Zudem entspricht die Erstreckung des Anwendungsbereichs von § 21 Abs. 2 FamFG auf solche Entscheidungen, mit denen die von einem Beteiligten beantragte Verfahrensaussetzung abgelehnt worden ist, den erkennbaren Vorstellungen des Gesetzgebers, der mit der Vorschrift des § 21 Abs. 2 FamFG die zum alten Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit allgemein vertretene Auffassung zur Anfechtbarkeit der Aussetzungsentscheidung aufgreifen wollte (vgl. BT-Drucks. 16/6308, S. 184). Unter der Geltung des alten Verfahrensrechts entsprach es indessen allgemeiner Ansicht, dass sowohl positive als auch negative Aussetzungsentscheidungen mit der Beschwerde angegriffen werden konnten (vgl. die in der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich zitierte Literaturmeinung bei Keidel/Kuntze/Winkler-Kahl FGG 15. Aufl. § 19 Rn. 13).
b) Mit Recht ist das Beschwerdegericht ferner davon ausgegangen, dass ein Aussetzungsgrund im Sinne von § 21 Abs. 1 FamFG vorliegt.
Nach dieser Vorschrift kann das Gericht das Verfahren aus wichtigem Grund aussetzen, insbesondere wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Verfahrens bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Das Vorliegen eines Aussetzungsgrundes als Voraussetzung für die Ermessensentscheidung unterliegt im Beschwerdeverfahren der uneingeschränkten Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht (vgl. BGH Beschluss vom 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04 - NJW-RR 2006, 1289 Rn. 6).
aa) Soweit im vorliegenden Fall allerdings die Frage zu beurteilen ist, ob Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB bestehen, ist in dem durch § 21 Abs. 2 FamFG eröffneten Rechtsmittelzug allein die Rechtsansicht des Amtsgerichts zugrunde zu legen, das § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB für verfassungsgemäß gehalten hat.
Hält das mit der Hauptsache befasste Gericht eine entscheidungserhebliche Norm für verfassungsgemäß und lehnt es deshalb eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht ab, kann diese Überzeugung des vorinstanzlichen Gerichts nach allgemeiner Meinung nicht zum Gegenstand der Überprüfung in einem Rechtsmittelverfahren gegen Zwischenentscheidungen gemacht werden (vgl. OLG Bremen NJW 1956, 387; OLG Karlsruhe FamRZ 1979, 845; OLG Düsseldorf NJW 1993, 411). Ein Fachgericht kann nur aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) dazu verpflichtet werden, ein entscheidungserhebliches Gesetz nicht anzuwenden. Solange es an einer bindenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fehlt, bleibt die Frage, welche gesetzlichen Vorschriften bei der Entscheidungsfindung angewendet werden dürfen, ein Element der Sachentscheidung, die nach der sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz ergebenden Aufgabenverteilung dem Gericht der Hauptsache zugewiesen ist (vgl. Keidel/Sternal FamFG 17. Aufl. § 21 Rn. 54). Das mit einem Rechtsmittel gegen eine Aussetzungsentscheidung befasste Fachgericht kann seine eigene Überzeugung von der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nicht an die Stelle der Überzeugung des vorinstanzlichen Gerichts setzen.
bb) Ebenfalls der Überprüfung im Rechtsmittelzug weitgehend entzogen ist die rechtliche Beurteilung des mit der Hauptsache befassten Gerichts zur Frage der Entscheidungserheblichkeit des Gesetzes, über dessen Verfassungsmäßigkeit die Beteiligten streiten; auch an diese Rechtsansicht der Vorinstanz ist das Beschwerdegericht gebunden, sofern sie nicht offensichtlich falsch ist (vgl. BAG NZA 2009, 1436 Rn. 9). Im vorliegenden Fall unterliegt es keinem Zweifel, dass die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB entscheidungserhebliche Bedeutung hat. Denn würde § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB, der die Grundlage der behördlichen Vaterschaftsanfechtung darstellt, gegen Grundrechte des betroffenen Kindes verstoßen, könnte der Rechtsstreit nicht entschieden werden.
cc) Ob auf der Grundlage dieser materiell-rechtlichen Beurteilungen durch das Gericht der Hauptsache ein wichtiger Grund zur Aussetzung des Verfahrens vorliegt, ist in dem durch § 21 Abs. 2 FamFG eröffneten Beschwerdeverfahren vollständig zu prüfen.
Die Aussetzung des Verfahrens nach § 21 Abs. 1 FamFG (oder den vergleichbaren Bestimmungen anderer Verfahrensordnungen) ohne gleichzeitige Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich möglich, wenn die Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes bereits Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG) oder Richtervorlage (Art. 100 Abs. 1 GG) geworden ist. Voraussetzung für eine solche Aussetzung ist allerdings, dass sich das mit der Hauptsache befasste Fachgericht - wie hier das Amtsgericht - noch keine abschließende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der anzuwendenden Rechtsnorm gebildet hat (Senatsbeschluss vom 27. Juni 2012 - XII ZB 89/10 - FamRZ 2012, 1489 Rn. 6; BGH Beschlüsse vom 25. März 1998 - VIII ZR 337/97 - NJW 1998, 1957 und vom 18. Juli 2000 - VIII ZR 323/99 - RdE 2001, 20). Im anderen Falle kann und muss das von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugte Gericht sein Verfahren durch Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht fördern.
c) Ob das Gericht bei Vorliegen eines Aussetzungsgrundes von der Möglichkeit der Verfahrensaussetzung nach § 21 Abs. 1 FamFG Gebrauch macht, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen (Senatsbeschluss vom 5. November 2008 - XII ZB 53/06 - FamRZ 2009, 303 Rn. 23).
aa) Bei dieser Ermessensentscheidung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob den Beteiligten die aussetzungsbedingte Verfahrensverzögerung zugemutet werden kann (KG OLGZ 1966, 357, 359; BayObLGZ 1967, 19, 23; OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 832; OLG München FGPrax 2008, 254, 259). Trägt das mit der Hauptsache befasste Gericht - wie hier das Amtsgericht - keinerlei Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der entscheidungserheblichen Vorschrift, spricht dies in der Regel gewichtig dafür, den Interessen derjenigen Verfahrensbeteiligten, die nicht auf eine Aussetzung angetragen haben, an einer zügigen Erledigung des Verfahrens den Vorrang einzuräumen (vgl. BGH Beschluss vom 14. März 2007 - X ZB 9/06 - GRUR 2007, 859, 861).
bb) Mit Recht hat das Beschwerdegericht allerdings erkannt, dass die Entscheidung des Amtsgerichts auf einer zumindest unvollständigen Würdigung aller maßgeblichen Umstände beruhte, weil bei der Ausübung des Ermessens auch solche möglichen Nachteile in den Blick zu nehmen sind, die im Falle einer Verfahrensfortführung auf der Grundlage einer möglicherweise verfassungswidrigen Vorschrift entstehen könnten (vgl. auch BVerfG FamRZ 2011, 787 Rn. 21).
(1) Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde indessen darauf hin, dass jedenfalls für den Beteiligten zu 2 bei einem Fortgang des Verfahrens in der Hauptsache keine Nachteile zu besorgen gewesen wären, auch wenn das Amtsgericht die von ihm bereits angekündigte Beweisaufnahme durch Einholung eines Abstammungsgutachtens durchgeführt hätte.
Das Bundesverfassungsgericht hat zur Begründung für den Erlass einstweiliger Anordnungen (§ 32 Abs. 1 BVerfGG), die es im Rahmen von anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen Zwischenentscheidungen betreffend die Einholung eines Abstammungsgutachtens in behördlichen Vaterschaftsanfechtungsverfahren erlassen hat, mehrfach darauf abgestellt, dass bei einer ungeklärten sozial-familiären Bindung das eine Vaterschaft ausschließende Ergebnis eines Abstammungsgutachtens dazu geeignet wäre, eine möglicherweise bestehende sozial-familiäre Beziehung zwischen Vater und Kind zu stören oder zu zerstören (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 787 Rn. 22 und Beschluss vom 7. Oktober 2010 - 1 BvR 2509/10 - juris Rn. 17). Unter diesen Voraussetzungen würde auch in der hier vorliegenden Konstellation ein schwerwiegender Eingriff in das Elternrecht des Vaters (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) vorliegen, wenn das Bundesverfassungsgericht später § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB für verfassungswidrig erklären und damit dem behördlichen Vaterschaftsanfechtungsverfahren die Rechtsgrundlage entziehen würde.
Allerdings ist unter den hier obwaltenden Umständen nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen bereits unstreitig, dass zwischen dem betroffenen Kind und dem Beteiligten zu 2 keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Darüber hinaus hat sich der Beteiligte zu 2 in diesem Verfahren mit der "Aberkennung der Vaterschaft" einverstanden erklärt und seine Mitwirkung an einer molekulargenetischen Abstammungsuntersuchung ausdrücklich angeboten. Ein Verfahrensfortgang könnte daher unabhängig von der möglichen Verfassungswidrigkeit des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ersichtlich nicht zu einer Verletzung verfassungsrechtlich geschützter Belange des Beteiligten zu 2 führen.
(2) Dies gilt indessen nicht für die Grundrechte des betroffenen Kindes und der beteiligten Kindesmutter, die sich der Mitwirkung an einer molekulargenetischen Abstammungsuntersuchung voraussichtlich widersetzen werden.
Jede Untersuchung und Verwendung von DNA-Identifizierungsmustern greift in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG verbürgte Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ein. Denn zu den grundrechtlich geschützten Daten gehören auch solche, die Informationen über genetische Merkmale einer Person enthalten, aus denen sich in Abgleich mit den Daten einer anderen Person Rückschlüsse auf die Abstammung ziehen lassen (BVerfG FamRZ 2007, 441, 443). Die Weigerung, an einer molekulargenetischen Abstammungsuntersuchung mitzuwirken, ist Ausfluss dieses (negativen) informationellen Selbstbestimmungsrechts (Senatsbeschluss BGHZ 162, 1, 4 = FamRZ 2005, 340). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird zwar nicht schrankenlos gewährleistet. Es darf aber nur im überwiegenden Interesse anderer Personen oder der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden (Senatsbeschluss BGHZ 162, 1, 5 = FamRZ 2005, 340; vgl. auch BVerfG FamRZ 2007, 441, 443).
Müssten das betroffene Kind und die Kindesmutter daher aufgrund einer Beweisanordnung des Amtsgerichts eine Untersuchung ihres genetischen Materials dulden und erweist sich später, dass keine verfassungsgemäße Grundlage für das behördliche Anfechtungsrecht besteht, wäre wegen fehlender Rechtfertigung durch ein überwiegendes öffentliches Interesse in ihre Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen worden. Vor ungerechtfertigten Zugriffen auf das Datenmaterial des Kindes ist die sorgeberechtigte Kindesmutter im Übrigen auch im Hinblick auf ihr Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) zu schützen, denn ihr Sorgerecht umfasst auch das Recht, darüber bestimmen zu können, ob genetische Daten des Kindes erhoben und verwertet werden dürfen (BVerfG FamRZ 2007, 441, 443). Der Umstand, dass die mögliche Weigerung des Kindes und seiner Mutter, an einer Abstammungsuntersuchung mitzuwirken, naheliegende aufenthaltsrechtliche Motive haben dürfte, ändert an der Grundrechtsrelevanz des mit der Abstammungsuntersuchung verbundenen Eingriffes nichts.
(3) Soweit die Rechtsbeschwerde weiter geltend macht, dass durch die Verfahrensaussetzung auch das Grundinteresse des betroffenen Kindes an der Kenntnis von seiner tatsächlichen Abstammung beeinträchtigt wird, ist darauf hinzuweisen, dass ein Anfechtungsverfahren nicht vorrangig der Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung, sondern vielmehr der Herstellung einer Übereinstimmung von biologischer und rechtlicher Vaterschaft dient (vgl. BVerfG NJW 2009, 425, 426).
(4) Wenn das Beschwerdegericht vor diesem Hintergrund offensichtlich davon ausgeht, dass im Hinblick auf die Grundrechtsrelevanz der Abstammungsuntersuchung die Nachteile der Verfahrensfortführung im Falle der Verfassungswidrigkeit von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB die Interessen des Antragstellers an einer zügigen Erledigung des Verfahrens überwiegen, hält diese Ermessensausübung der eingeschränkten (vgl. dazu BGH Urteil vom 24. November 1995 - V ZR 174/94 - NJW 1996, 1054, 1055 mwN) Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht stand.
d) Im Übrigen erweist sich die Entscheidung des Beschwerdegerichts zum jetzigen Zeitpunkt schon deshalb als richtig, weil sich der Senat - nach Erlass der angefochtenen Entscheidung - der Auffassung angeschlossen hat, dass die behördliche Vaterschaftsanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB in ihrer derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung wegen der Verletzung des Gebots der Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder (Art. 6 Abs. 5 GG) verfassungswidrig ist. Der Senat hat zwei bei dem Bundesgerichtshof als Rechtsbeschwerdegericht anhängige Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgesetzt und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage eingeholt (Senatsbeschlüsse vom 27. Juni 2012 - XII ZR 89/10 - FamRZ 2012, 1489 Rn. 34 ff. und - XII ZR 90/10 - juris Rn. 32 ff.).
Zwar ist bereits dargelegt worden, dass für die Frage nach dem Vorliegen eines Aussetzungsgrundes im Rahmen des nach § 21 Abs. 2 FamFG eröffneten Beschwerderechtszuges grundsätzlich die Rechtsauffassung des mit der Hauptsache befassten Gerichts zugrunde zu legen ist. Die von einem übergeordneten Fachgericht gewonnene Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit einer entscheidungserheblichen Rechtsnorm kann allerdings im Rahmen der Ermessensausübung Bedeutung gewinnen, wenn dieses als zuständiges Gericht mit einem Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache befasst werden kann und bereits feststeht, dass es die der Verfassungsbeschwerde oder der anderweitigen Richtervorlage zugrundeliegende Rechtsauffassung teilt (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2003, 538, 539). In diesen Fällen verbleibt dem Gericht kaum Spielraum bei der Ausübung seines Aussetzungsermessens, weil es den auf Verfahrensaussetzung antragenden Beteiligten regelmäßig nicht zuzumuten ist, das Verfahren erst in eine höhere Instanz tragen zu müssen, um dort die von ihnen erstrebte Aussetzung zu erreichen.
Dose Weber-Monecke Vézina
Günter Botur