Entscheidungsdatum: 22.06.2016
Bei der Bewertung eines Anrechts in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 262 Abs. 1 SGB VI sind nach dem Beginn des Bezugs einer Vollrente wegen Alters auch solche Werterhöhungen für Beitragszeiten zu berücksichtigen, die sich infolge einer nachträglich vorgenommenen Mindestbewertung von Pflichtbeiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung ergeben (Fortführung von Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016, XII ZB 313/15, FamRZ 2016, 791).
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 14. Juli 2015 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 1.000 €
I.
Auf den am 23. Januar 1990 zugestellten Antrag wurde die am 29. November 1968 geschlossene Ehe des Antragstellers (im Folgenden: Ehemann) und der Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) geschieden. Aus der Ehe gingen zwei 1970 und 1980 geborene Kinder hervor.
Nach den Auskünften im Ausgangsverfahren erwarb der Ehemann während der Ehezeit (1. November 1968 bis 31. Dezember 1989; § 3 Abs. 1 VersAusglG) Versorgungsanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 1.095,80 DM sowie unverfallbare Anrechte aus einer betrieblichen Altersversorgung mit einem dynamisierten Wert von monatlich 74,57 DM. Die Ehefrau erwarb Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 241,60 DM. Den Versorgungsausgleich regelte das Familiengericht, indem es im Wege des Splittings vom Versicherungskonto des Ehemanns in der gesetzlichen Rentenversicherung Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 427,10 DM auf das Versicherungskonto der Ehefrau übertrug. Weitere Anwartschaften in Höhe von monatlich 37,29 DM wurden - im Hinblick auf das vom Ehemann erworbene betriebliche Anrecht - im Wege des erweiterten Splittings (§ 3 b Abs. 1 VAHRG) auf das Versicherungskonto der Antragstellerin übertragen, bezogen jeweils auf den 31. Dezember 1989.
Beide Ehegatten beziehen inzwischen eine Altersrente.
Auf einen ersten Abänderungsantrag der Ehefrau vom 28. November 2012 holte das Familiengericht neue Versorgungsauskünfte ein, nach denen der Ehemann während der Ehezeit 28,3684 Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 14,1842 Entgeltpunkten und einem korrespondieren Kapitalwert von 54.332,39 € in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie ein betriebliches Anrecht von monatlich 490,12 € mit einem Ausgleichwert von 245,06 € und einem korrespondieren Kapitalwert von 47.285,80 € erworben hatte, die Ehefrau 7,4954 Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 3,7477 Entgeltpunkten und einem korrespondieren Kapitalwert von 14.355,52 € in der gesetzlichen Rentenversicherung. Durch Beschluss vom 27. Juni 2013 änderte das Familiengericht die Erstentscheidung über den Versorgungsausgleich ab und ordnete die interne Teilung der genannten Anrechte zu den jeweils angegebenen Ausgleichswerten an.
Am 30. Mai 2014 hat der Ehemann eine erneute Abänderung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich hinsichtlich des Anrechts der Ehefrau beantragt, um an der verbesserten rentenrechtlichen Anerkennung von Erziehungszeiten nach dem Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung - RV-Leistungsverbesserungsgesetz (sog. "Mütterrente") teilzuhaben. Nach der vom Familiengericht neu eingeholten Versorgungsauskunft beträgt der Ehezeitanteil der Ehefrau nunmehr 11,5205 Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 5,7603 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 22.064,76 €. Danach beruhe die Steigerung von ursprünglich 7,4954 Entgeltpunkten auf nunmehr 11,5205 Entgeltpunkte im Umfang von zwei Entgeltpunkten auf der Berücksichtigung der "Mütterrente" und im Übrigen auf einer geänderten Rechtsauffassung der DRV Bund, wonach nunmehr auch Mindestentgeltpunkte gemäß § 262 SGB VI berücksichtigt würden und die Gesamtleistungsbewertung für beitragsgeminderte und beitragsfreie Zeiten nunmehr nach der tatsächlich bewilligten Rente vorgenommen sei. Das Familiengericht hat die erste Abänderungsentscheidung in Bezug auf dieses Anrecht erneut abgeändert, indem es im Wege der internen Teilung vom Versicherungskonto der Ehefrau bei der DRV Bund 5,7603 Entgeltpunkte auf das Konto des Ehemanns, bezogen auf den 31. Dezember 1989, übertragen hat.
Auf die Beschwerde der DRV Bund hat das Oberlandesgericht die Beschlussformel dahin ergänzt, dass die Änderung mit Wirkung vom 1. Juli 2014 erfolge. Die Beschwerde der Ehefrau hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen; hiergegen richtet sich deren zugelassene Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Das Oberlandesgericht hat seine in juris veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet: Nachdem der Ehemann in der Beschwerdeinstanz klargestellt habe, dass er eine Abänderung erst ab dem 1. Juli 2014 - dem Datum des Inkrafttreten des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes - beantrage, sei die Wirkung der Änderung auf diesen Zeitpunkt festzulegen.
Die Neubewertung des Anrechts der Ehefrau habe anhand der nunmehr korrekt ermittelten Ehezeitanteile zu erfolgen. Hierbei sei das Gericht nicht an den Antrag des Ehemanns gebunden, der nur eine Teilhabe an den zusätzlichen Entgeltpunkten der Mütterrente angestrebt habe.
Die vorliegende Erhöhung der Entgeltpunkte beruhe auf drei Komponenten: Zum einen sei der Ehezeitanteil durch zwei zusätzliche Entgeltpunkte gemäß § 307d SGB VI angewachsen (sog. Mütterrente). Zum anderen sei nunmehr auch die Mindestbewertung von Pflichtbeiträgen (§ 262 SGB VI) berücksichtigt, nach der für langjährig Versicherte mit mindestens 35 Jahren rentenrechtlichen Zeiten die Summe der Entgeltpunkte für Beitragszeiten erhöht werde, wenn sich aus den Kalendermonaten mit vollwertigen Pflichtbeiträgen ein Durchschnittswert von weniger als 0,0625 Entgeltpunkten ergebe. Aufgrund dieser Regelung erhalte die Ehefrau insgesamt 2,9411 zusätzliche Entgeltpunkte, von denen rd. 1,7 Entgeltpunkte auf die Ehezeit entfielen. Schließlich führe unter anderem diese Anhebung auch zu einer höheren Gesamtleistungsbewertung für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten, was sich in Höhe von weiteren rd. 0,3 Entgeltpunkten auf den Ehezeitanteil auswirke. Bei tatsächlich bezahlten Renten müssten diese gesamten Veränderungen in die Bewertung des Ehezeitanteils einfließen, weil andernfalls der Halbteilungsgrundsatz verletzt werde.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.
Gemäß § 225 Abs. 1, 2 FamFG ist eine Abänderung des Wertausgleichs bei der Scheidung für Anrechte im Sinne des § 32 VersAusglG zulässig bei rechtlichen oder tatsächlichen Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit, die auf den Ausgleichswert eines Anrechts zurückwirken und zu einer wesentlichen Wertänderung führen.
a) Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Abänderung der Entscheidung über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich liegen vor.
aa) Der Antrag auf Abänderung ist durch den nach § 226 Abs. 1 FamFG antragsberechtigten Ehemann zulässig gestellt; die Abänderung wirkt sich auch zu seinen Gunsten aus (vgl. § 225 Abs. 5 VersAusglG). Die Voraussetzung des § 226 Abs. 2 FamFG, wonach der Antrag frühestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt zulässig ist, ab dem ein Ehegatte voraussichtlich eine laufende Versorgung aus dem abzuändernden Anrecht bezieht oder dies auf Grund der Abänderung zu erwarten ist, ist in der Person beider Ehegatten erfüllt, da beide bereits eine laufende Altersrente beziehen.
bb) Die eingetretene Wertänderung übersteigt auch die in § 225 Abs. 3 FamFG vorausgesetzten Wesentlichkeitsgrenzen. Nach dieser Bestimmung ist die Wertänderung wesentlich, wenn sie mindestens fünf Prozent des bisherigen Ausgleichswerts des Anrechts beträgt (relative Wesentlichkeitsgrenze) und bei einem Rentenbetrag als maßgeblicher Bezugsgröße ein Prozent, in allen anderen Fällen als Kapitalwert 120 Prozent der am Ende der Ehezeit maßgeblichen monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV übersteigt (absolute Wesentlichkeitsgrenze).
(1) Der vorangegangenen Abänderungsentscheidung war ein ehezeitlicher Ausgleichswert des von der Ehefrau in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anrechts in Höhe von 3,7477 Entgeltpunkten zugrunde gelegt worden. Nach den getroffenen Feststellungen und unter Zugrundelegung der vom Oberlandesgericht vertretenen Rechtsauffassung beträgt der Ausgleichswert aufgrund nachehelicher Veränderungen nunmehr 5,7603 Entgeltpunkte. Er hat sich somit um 2,0126 Entgeltpunkte erhöht, das entspricht einer Wertänderung von über fünf Prozent gegenüber dem früheren Ausgleichswert und übersteigt somit die relative Wesentlichkeitsgrenze.
(2) Maßstab für die absolute Wesentlichkeitsgrenze ist im vorliegenden Fall, da in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht der Rentenbetrag die maßgebliche Bezugsgröße darstellt, der (korrespondierende) Kapitalwert. Die monatliche Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV betrug zum Ende der Ehezeit im Jahr 1990 (vgl. FamRZ 2016, 192) 3.290 DM (= 1.682,15 €); 120 Prozent davon betragen 3.948 DM (= 2.018,58 €). Der Änderungsbetrag des korrespondierenden Kapitalwerts beträgt (22.064,76 € - 14.355,52 €) = 7.709,24 € und übersteigt somit auch die absolute Wesentlichkeitsgrenze.
b) Liegt eine wesentliche Wertänderung vor und ist eine Abänderung somit eröffnet, ist eine erneute Entscheidung über die Teilung des Anrechts zu erlassen, die hinsichtlich dieses Anrechts - als begrenzte Rechtskraftdurchbrechung - dann auch eine Fehlerkorrektur einschließt (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2014 - XII ZB 323/13 - FamRZ 2015, 125 Rn. 16). Deshalb hindert der vorangegangene Abänderungsbeschluss vom 27. Juni 2013, in welchem die höhere Gesamtleistungsbewertung sowie die Mindestbewertung von Pflichtbeiträgen für langjährig Versicherte unberücksichtigt geblieben sind, nicht die erneute Prüfung dieser Rechtsfrage.
c) Zutreffend hat das Oberlandesgericht in der angefochtenen Entscheidung nicht nur die Verbesserungen durch die sog. Mütterrente, sondern auch die auf Grundlage des tatsächlichen Rentenbezuges höhere Gesamtleistungsbewertung für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten sowie die Mindestbewertung von Pflichtbeiträgen für langjährig Versicherte (§ 262 SGB VI) berücksichtigt.
aa) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses bereits in Bezug auf die Gesamtleistungsbewertung entschieden hat, ist nach dem Beginn des Bezugs einer Vollrente wegen Alters der Ausgleichswert in der gesetzlichen Rentenversicherung allein aus den auf die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkten der tatsächlich bezogenen Altersrente zu ermitteln (Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 313/15 - FamRZ 2016, 791 Rn. 26).
bb) Ebenso zu berücksichtigen sind diejenigen Werterhöhungen für Beitragszeiten, die sich gemäß § 262 SGB VI infolge einer nachträglich vorgenommenen Mindestbewertung von Pflichtbeiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung ergeben. Diese Mindestbewertung beruht auf der Erfüllung einer besonderen Wartezeit von 35 vorhandenen Jahren mit rentenrechtlichen Zeiten, sofern sich aus den Kalendermonaten mit vollwertigen Pflichtbeiträgen ein Durchschnittswert von weniger als 0,0625 Entgeltpunkten ergibt (§ 262 Abs. 1 SGB VI).
Gemäß § 43 Abs. 3 VersAusglG sind besondere Wartezeiten dann im Versorgungsausgleich werterhöhend zu berücksichtigen, wenn die hierfür erforderlichen Zeiten bereits erfüllt sind. Ob eine besondere Wartezeit erfüllt ist, richtet sich - wie die Gesetzesbegründung ausdrücklich hervorgehoben hat - nach dem gemäß § 5 Abs. 2 VersAusglG maßgeblichen Zeitpunkt (BT-Drucks. 16/10144 S. 81). Damit ist auch § 5 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG in Bezug genommen, wonach rechtliche oder tatsächliche Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit, die auf den Ehezeitanteil zurückwirken, zu berücksichtigen sind.
Bezieht der ausgleichspflichtige Ehegatte bereits die gesetzliche Rente, ist gesetzlich festgelegter Endzeitpunkt für die Ermittlung der Rente und des belegungsfähigen Gesamtzeitraums nicht das Ende der Ehezeit, sondern der Kalendermonat vor Beginn der Rente. Die endgültige gesetzliche Fixierung des Berechnungszeitpunkts auf diesen Monat stellt, wenn der Rentenbeginn nach dem Ende der Ehezeit liegt, eine rechtliche und tatsächliche Änderung dar, die gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG zu berücksichtigen ist. Bereits zum früheren Recht hatte der Senat deshalb entschieden, dass nach dem eingetretenen Bezug einer Vollrente wegen Alters anstelle des fiktiven Versorgungsanrechts die tatsächlich gezahlte Rente mit ihren Wertverhältnissen zu berücksichtigen ist (Senatsbeschlüsse vom 14. Oktober 1981 - IVb ZB 504/80 - FamRZ 1982, 33, 34 und vom 11. April 1984 - IVb ZB 876/80 - FamRZ 1984, 673 f.).
Dem Versorgungsausgleich liegt nämlich die Konzeption zugrunde, dass der auf die Ehejahre entfallende Rentenbetrag zusammen mit dem Rentenbetrag, der auf den außerhalb der Ehe liegenden Zeiten beruht, so hoch sein muss wie die aus allen Zeiten berechnete Rente. Das vorgesehene Berechnungsverfahren soll gewährleisten, dass der dem Wertausgleich zugrunde gelegte Anwartschaftsbetrag für die Ehejahre mit dem tatsächlich in der Rente enthaltenen Anteil übereinstimmt (BT-Drucks. 7/650 S. 226). Diesen Grundsätzen liefe es zuwider, wenn in Fällen, in denen bereits die Altersrente erlangt ist, an der Notwendigkeit einer fiktiven Neuberechnung des Altersruhegeldes festgehalten und der sich dabei ergebende Rentenbetrag selbst dann der anschließenden Aufteilung zugrunde gelegt würde, wenn der Betrag - wie hier - von der tatsächlichen Rente abweicht. Denn auch die Wartezeit nach § 262 SGB VI wird anteilig während der Ehezeit erfüllt. Eine Handhabung, die den Ausgleichsberechtigten nicht an der darauf beruhenden Höherbewertung ehezeitlicher Pflichtbeitragszeiten teilhaben ließe, stünde mit dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs, der gleichmäßigen Beteiligung beider Ehegatten an den in der Ehe begründeten Versorgungsanrechten, nicht in Einklang (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 313/15 - FamRZ 2016, 791 Rn. 26 ff. mwN).
Nach dem Beginn des Bezugs einer Vollrente wegen Alters ist der Ausgleichswert in der gesetzlichen Rentenversicherung daher aus den auf die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkten der tatsächlich bezogenen Altersrente unter Berücksichtigung von Werterhöhungen nach § 262 SGB VI zu ermitteln (ebenso OLG Dresden Beschluss vom 18. Juni 2015 - 22 UF 165/15 - juris; Johannsen/Henrich/Holzwarth Familienrecht 6. Aufl. § 43 VersAusglG Rn. 36; Borth Versorgungsausgleich 7. Aufl. Rn. 366; FAKomm-FamR/Wick 5. Aufl. § 43 VersAusglG Rn. 46; Erman/Norpoth BGB 14. Aufl. § 43 VersAusglG Rn. 23, 31; vgl. auch Glockner/Hoenes/Weil Der Versorgungsausgleich 2. Aufl. § 5 Rn. 57; aA Rehbein in Götsche/Rehbein/Breuers Versorgungsausgleichsrecht § 43 Rn. 48).
Dose Schilling Nedden-Boeger
Botur Krüger