Entscheidungsdatum: 07.12.2016
Allein die Tatsache, dass eine im Ausland abgelegte juristische Prüfung als erste Staatsprüfung nach § 112 Abs. 2 DRiG anerkannt wird, besagt nichts darüber, ob der Prüfling durch die hiermit abgeschlossene Ausbildung besondere Kenntnisse erworben hat, die für die Führung der Betreuung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG nutzbar sind.
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 16. Juli 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 621 €
I.
Die weitere Beteiligte zu 2 (im Folgenden: Staatskasse) begehrt eine Herabsetzung des der Beteiligten zu 1 (im Folgenden: Betreuerin) vom Landgericht zugebilligten Stundensatzes von 44 € auf 27 €.
Die Betreuerin war in der Zeit von September 2014 bis März 2015 zur vorläufigen Berufsbetreuerin bestellt. Sie erwarb 1984 an einer staatlichen Universität in Kiew einen Hochschulabschluss, der vom Justizprüfungsamt des Freistaats Thüringen als der ersten juristischen Staatsprüfung i.S.v. § 112 Abs. 2 DRiG gleichwertig anerkannt wurde.
Mit ihrem Vergütungsantrag hat die Betreuerin einen Stundensatz von 44 € geltend gemacht. Das Amtsgericht hat ihr auf der Grundlage eines Stundensatzes von 27 € eine Vergütung von 985,50 € zugesprochen. Auf ihre Beschwerde hat das Landgericht der Betreuerin einen Stundensatz von 44 € und damit eine Vergütung von 1.606 € zugesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatskasse mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Betreuerin über eine Hochschulausbildung verfüge, die der Ersten Juristischen Staatsprüfung gemäß § 112 Abs. 2 DRiG gleichwertig sei.
Angesichts des Wesens der Betreuung als rechtlicher Betreuung komme rechtlichen Kenntnissen eine grundlegende Bedeutung zu, so dass insbesondere bei einem Studiengang der Rechtswissenschaften für die rechtliche Betreuung nutzbare Kenntnisse vermittelt würden. Danach sei es nicht zweifelhaft, dass ein in Deutschland erlangtes erstes juristisches Staatsexamen ohne weitere Voraussetzung, beispielsweise entsprechende Studienschwerpunkte, die Gewährung des höchsten Stundensatzes gemäß § 4 VBVG rechtfertige.
Weil vorliegend der ausländische Hochschulabschluss von dem Justizprüfungsamt des Freistaats Thüringen mit der Folge anerkannt worden sei, dass dieser der ersten juristischen Staatsprüfung im Sinne des Deutschen Richtergesetzes gleichgestellt sei, sei eine unterschiedliche Bewertung nicht gerechtfertigt. Durch die Anerkennung des in der Sowjetunion erworbenen Abschlusses habe die Betreuerin die Befähigung erlangt, in den juristischen Vorbereitungsdienst einzutreten und die Befähigung zum Richteramt zu erwerben. Auf die konkret vermittelten Studieninhalte komme es insoweit nicht an. Vielmehr stehe fest, dass die Beschwerdeführerin ebenso über die für die erste juristische Staatsprüfung und einen späteren Vorbereitungsdienst geforderten Rechtskenntnisse verfüge wie jeder andere Betreuer, der in Deutschland die erste juristische Staatsprüfung abgelegt habe.
2. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG erhöht sich der Stundensatz von 27 € auf 44 €, wenn der Betreuer über besondere Kenntnisse verfügt, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind, und diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind.
aa) Besondere für die Betreuung nutzbare Kenntnisse sind über das jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehende Kenntnisse, die den Betreuer in die Lage versetzen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen. Solche Kenntnisse sind im Hinblick darauf, dass es sich bei der Betreuung um eine rechtliche Betreuung handelt (§ 1901 Abs. 1 BGB), regelmäßig Rechtskenntnisse (Senatsbeschluss vom 10. April 2013 - XII ZB 349/12 - FamRZ 2013, 1029 Rn. 13 f. mwN).
bb) Nach Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG ist ein erhöhter Stundensatz nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Ausbildung gleichsam am Rande auch die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse zum Inhalt hat. Erforderlich ist vielmehr, dass sie in ihrem Kernbereich hierauf ausgerichtet ist. Davon ist auszugehen, wenn ein erheblicher Teil der Ausbildung auf die Vermittlung solchen Wissens gerichtet ist und dadurch das erworbene betreuungsrelevante Wissen über ein Grundwissen deutlich hinausgeht. Bei der Würdigung darf nicht auf die Bezeichnung des Berufs oder der Ausbildung abgestellt werden, sondern es ist jeweils im Einzelfall die konkrete Ausbildung des Betreuers zu bewerten (Senatsbeschluss vom 16. März 2016 - XII ZB 685/13 - juris Rn. 5 mwN).
cc) Die Frage, unter welchen Umständen ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG die Bewilligung einer erhöhten Vergütung rechtfertigen, obliegt einer wertenden Betrachtung des Tatrichters. Dessen Würdigung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob er die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt, Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt und die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (Senatsbeschluss vom 16. März 2016 - XII ZB 685/13 - juris Rn. 3 mwN).
b) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, weil es an den erforderlichen Feststellungen zu den besonderen Kenntnissen i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG fehlt.
aa) Dass das mit der Fachrichtung Völkerrecht abgeschlossene Hochschulstudium der Betreuerin, das gemäß § 112 Abs. 2 DRiG als erste juristische Staatsprüfung anerkannt worden ist, eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG darstellt, steht außer Streit.
bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung war das Landgericht jedoch nicht davon entbunden, konkrete Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob die Betreuerin aufgrund ihres Hochschulabschlusses über besondere Kenntnisse verfügt, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind.
(1) Dem Landgericht ist allerdings insoweit zuzustimmen, dass eine in Deutschland absolvierte erste juristische Staatsprüfung ohne weiteres auf den Erwerb besonderer, für die Betreuung nutzbarer Kenntnisse schließen lässt. Dafür spricht schon, dass die dadurch nachgewiesenen Rechtskenntnisse für die Betreuung regelmäßig hilfreich sind (vgl. Senatsbeschluss vom 10. April 2013 - XII ZB 349/12 - FamRZ 2013, 1029 Rn. 14 mwN).
(2) Hiervon ist allerdings der von § 112 Abs. 2 DRiG erfasste Tatbestand zu unterscheiden, der die Anerkennung einer im Ausland abgelegten juristischen Prüfung regelt.
Gemäß § 112 Abs. 2 DRiG sind juristische Prüfungen, die Deutsche aus dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet vor dem 3. Oktober 1990 im Ausland abgelegt haben, als erste Staatsprüfung nach § 5 Abs. 1 DRiG anzuerkennen, wenn sie in der Deutschen Demokratischen Republik durch völkerrechtliche Vereinbarung mit der Sowjetunion oder mit Staaten in Mittel- oder Osteuropa, die mit der Sowjetunion verbündet waren, oder durch Rechtsvorschrift dem Abschluss als Diplom-Jurist gleichgestellt wurden und der ersten juristischen Staatsprüfung gleichwertig sind.
Wie sich den Gesetzesmaterialien entnehmen lässt, ließ die DDR einen kleinen Teil ihrer Jurastudenten an Universitäten oder Hochschulen in der damaligen UdSSR und anderen RGW-Staaten ausbilden. Die erfolgreichen Absolventen wurden nach ihrer Rückkehr vor allem als Justitiare in Betrieben eingesetzt, wo sie ihre im Ausland erworbenen Sprach- und Rechtskenntnisse nutzbringend einsetzen konnten. Die im Ausland erworbenen Abschlüsse wurden aufgrund der mit den anderen Staaten geschlossenen Äquivalenzabkommen den in der vormaligen DDR erworbenen juristischen Diplomabschlüssen gleichgestellt. Die Übergangsregelungen des Einigungsvertrags, welche die Anerkennung juristischer Abschlüsse von Juristen aus dem Beitrittsgebiet regelten, galten indes nicht für juristische Auslandsabschlüsse (BT-Drucks. 12/6243, S. 8). Der Gesetzgeber wollte für Absolventen aus dem Beitrittsgebiet ebenso wie für Aussiedler nach dem Bundesvertriebenengesetz den Auslandsabschluss nach einer Einzelfallprüfung nur dann der ersten juristischen Staatsprüfung gleichstellen, wenn er inhaltlich der ersten juristischen Staatsprüfung gleichwertig ist. Nur bei einer dem deutschen Jurastudium gleichwertigen rechtswissenschaftlichen Ausbildung bestehe eine hinreichende Chance, dass der Absolvent nach Einarbeitung in das bundesdeutsche Recht den juristischen Vorbereitungsdienst erfolgreich abschließen könne (BT-Drucks. 12/6243, S. 9).
Gleichwertigkeit i.S.d. § 112 Abs. 2 DRiG bedeutet demnach nicht, dass die im Ausland absolvierte Ausbildung die gleichen Kenntnisse vom deutschen Recht vermittelt wie ein in Deutschland abgeschlossenes Jurastudium. Vielmehr bezieht sich die geforderte Gleichwertigkeit allein auf das Ausbildungsniveau. Die Rechtswissenschaft ist eine national geprägte Wissenschaft, weshalb eine im Ausland abgelegte juristische Prüfung der Natur der Sache nach keine Kenntnisse des deutschen Rechts in dem Umfang bescheinigen kann, wie sie für das Bestehen der ersten juristischen Staatsprüfung notwendig sind (vgl. zu § 112 Abs. 1 DRiG bzw. zum Bundesvertriebenengesetz: BVerwG NJW 1993, 276; OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 26. September 2012 - OVG 10 M 33.11 - juris Rn. 8). Weil ausländische Prüfungen regelmäßig keine Kenntnisse des deutschen Rechts zu bescheinigen vermögen, genügt es für die Auslegung des Begriffs "gleichwertig" in diesem besonderen Regelungszusammenhang daher ausnahmsweise, wenn die ausländische Prüfung die Fähigkeit vermittelt, sich in die Hauptgebiete des deutschen Rechts einzuarbeiten (vgl. BVerwG NJW 1993, 276; OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 26. September 2012 - OVG 10 M 33.11 - juris Rn. 15; BT-Drucks. 12/6243, S. 9). Dabei liegt es beim Betroffenen, wie er die ihm bescheinigte Befähigung, sich in deutsches Recht einzuarbeiten, in die Tat umsetzt.
(3) Der Anerkennung nach § 112 Abs. 2 DRiG lässt sich danach zwar die Fähigkeit der Betreuerin entnehmen, sich in das deutsche Recht einzuarbeiten. Sie lässt indes nicht darauf schließen, dass die Betreuerin aufgrund ihres Hochschulabschlusses über besondere – in Deutschland relevante – Kenntnisse verfügt, die für die Führung der Betreuung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG nutzbar sind.
3. Die Entscheidung des Landgerichts ist daher aufzuheben. Da die erforderlichen Feststellungen noch zu treffen sind, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung in der Sache verwehrt. Sie ist daher zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).
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