Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 19.01.2011


BGH 19.01.2011 - XII ZB 322/10

Vormundschaft über Minderjährige: Prozesskostenhilfebewilligung für den anwaltlichen Berufsvormund im Umgangsrechtsverfahren bei Bedürftigkeit des Mündels


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
12. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
19.01.2011
Aktenzeichen:
XII ZB 322/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OLG Karlsruhe, 4. Dezember 2009, Az: 18 UF 209/09, Beschlussvorgehend AG Freiburg (Breisgau), 20. Oktober 2009, Az: 42 F 182/09
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Einem anwaltlichen Berufsvormund darf Prozesskostenhilfe nicht mit der Begründung verweigert werden, sein Anspruch auf anwaltliche Vergütung und auf Erstattung möglicher Verfahrenskosten sei durch § 1836 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 VBVG und § 1835 Abs. 1 und Abs. 3 BGB sowie die Haftung der Staatskasse für diese Ansprüche bei Mittellosigkeit des Mündels (§ 1835 Abs. 4 BGB, § 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG) ausreichend abgedeckt.

2. Bei der Prüfung der Bedürftigkeit im Prozesskostenhilfeverfahren ist auch dann allein auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mündels abzustellen, wenn der Vormund die Interessen des Mündels nicht als dessen gesetzlicher Vertreter wahrnimmt, sondern - wie im Umgangsrechtsverfahren - als Inhaber der Personensorge selbst Verfahrensbeteiligter ist .

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 18. Familiensenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe in Freiburg vom 4. Dezember 2009 abgeändert. Dem Antragsgegner wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter seiner eigenen Beiordnung bewilligt.

2. Gerichtskosten werden für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.

Beschwerdewert: bis 3000 €

Gründe

A.

1

Der Beteiligte zu 1. (im Folgenden: Antragsgegner), der als Rechtsanwalt tätig ist, wurde zum berufsmäßigen Vormund für das am 11. Mai 2001 geborene Kind I. bestellt. Die Beteiligten zu 2. und 3. (im Folgenden: Antragsteller) sind die Großeltern des Kindes.

2

Nachdem der Mutter im August 2007 das Sorgerecht entzogen worden war, wuchs das Kind zunächst bei den Antragstellern auf, die im November 2007 förmlich als Pflegeeltern anerkannt wurden. Auf Veranlassung des Antragsgegners wurde das Kind im Mai 2009 bei einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht, bei der es sich bis heute befindet.

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Im vorliegenden Verfahren möchten die Antragsteller einen wöchentlichen Umgang mit dem Kind erreichen.

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Das Amtsgericht - Familiengericht - hat den Antrag zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung haben die Antragsteller Beschwerde eingelegt. Den Antrag des Antragsgegners auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren hat das Oberlandesgericht abgelehnt. Hiergegen richtet sich die vom Oberlandesgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.

B.

5

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

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Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100).

7

I. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 574 Abs. 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen. Daran ist der Senat gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Dass Gegenstand des Verfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist, stand der Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht entgegen. Denn die Rechtsbeschwerde wirft Fragen auf, die das Verfahren der Prozesskostenhilfe betreffen (Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2007 - XII ZA 11/07 - FamRZ 2007, 1720 Rn. 6 und vom 18. November 2010 - XII ZB 152/09 - FamRZ 2010, 197 Rn. 5 mwN) und höchstrichterlich noch nicht entschieden sind.

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II. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

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1. Das Beschwerdegericht vertritt die Auffassung, dass dem Rechtsbeschwerdeführer keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden könne, weil es an der gemäß § 14 FGG i.V.m. § 115 ZPO erforderlichen Bedürftigkeit des Vormunds fehle. Die durch das Verfahren entstehenden Kosten seien nämlich anderweitig gedeckt. Da einem Berufsvormund wie dem Antragsteller nach § 1836 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Vergütung von Vormündern und Betreuern (VBVG) eine Vergütung zu bewilligen sei und der Vormund zudem einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen habe (§ 1835 Abs. 1 und Abs. 3 BGB), sei sein Anspruch auf anwaltliche Vergütung ebenso abgedeckt wie die Erstattung möglicher von ihm verauslagter Gerichtskosten. Sollte das Mündel mittellos sein, könne er die Erstattung von der Staatskasse verlangen.

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2. Diese Begründung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

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a) Der Senat hat für den Fall der Vertretung eines mittellosen Betreuten in einem gerichtlichen Verfahren durch einen Anwaltsbetreuer entschieden, dass dann, wenn dem Betreuten ein Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zustehe, ihm diese auch für die Verfahrensführung durch seinen Anwaltsbetreuer unter dessen Beiordnung als Prozessbevollmächtigten zu gewähren sei (Senatsbeschluss vom 20. Dezember 2006 - XII ZB 118/03 FamRZ 2007, 381 ff.).

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Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, dass der Anwaltsbetreuer schon aus dem Gesichtspunkt einer kostensparenden Amtsführung verpflichtet sei, für die gerichtliche Vertretung des Betroffenen Prozesskostenhilfe zu beantragen. Eine abweichende Beurteilung der anwaltlichen Pflichten bei der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen eines mittellosen Betreuten sei nicht deshalb gerechtfertigt, weil über §§ 1835 Abs. 4, 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB auch außerhalb der Prozesskostenhilfe ein Zugriff auf die Staatskasse wegen der Gebührenansprüche des für den Betreuten tätigen Rechtsanwalts eröffnet werden könne. Zudem diene die bevorzugte Inanspruchnahme von (ratenzahlungsfreier) Prozesskostenhilfe wegen der unterschiedlichen Fristen für die Geltendmachung von Regressansprüchen den Interessen des Betreuten für den Fall eines nachträglichen Vermögenserwerbs. Durch eine vorrangige Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe könne auch verhindert werden, dass ein mittelloser Betreuter für eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, mit der er voraussichtlich nicht durchdringen könne, die ihm aber aus anderen Gründen - etwa zur Verzögerung von Vollstreckungsmaßnahmen des Prozessgegners - nützlich sei, eine Prozessfinanzierung aus öffentlichen Mitteln erlangen könne, die eine mittellose Partei, für die keine Betreuung errichtet worden sei, nicht erhielte. Die in §§ 1835 Abs. 4, 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB geregelte Mithaftung der Staatskasse für die Aufwendungen eines Betreuers verfolge nicht das Ziel, einem mittellosen Betreuten eine Prozessführung zu ermöglichen, die über den durch das Institut der Prozesskostenhilfe gebotenen Rahmen hinausgehe. Das aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG herzuleitende Prinzip der Rechtsgleichheit verlange keine vollständige Gleichstellung von bemittelten und unbemittelten Personen, so dass es verfassungsrechtlich nicht geboten sei, unbemittelten Personen den Zugang zu den Gerichten auch dann zu ermöglichen, wenn die von ihnen beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspreche oder mutwillig im Sinne des § 114 ZPO erscheine.

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Dieser Rechtsprechung des Senats haben sich die obergerichtliche Rechtsprechung und das Schrifttum angeschlossen (vgl. OLG Frankfurt a.M. FamRZ 2010, 64 Rn. 17 f. und Beschluss vom 18. Dezember 2009 - 20 W 85/09 - juris; OLG Köln BtPrax 2009, 839 f.; MünchKommBGB/Wagenitz 5. Aufl. § 1835 Rn. 47; Palandt/Diederichsen BGB 70. Aufl. § 1835 Rn. 13; Pammler-Klein/Pammler in: jurisPK-BGB, 5. Aufl. 2010 § 1835 BGB Rn. 86; Jürgens Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1835 BGB Rn. 16).

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b) Da sich der Anspruch auf Vergütung und Ersatz von Aufwendungen für Betreuer und Vormund gleichermaßen nach §§ 1835 ff. BGB und den Vorschriften des Gesetzes über die Vergütung von Vormündern und Betreuern (Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz - VBVG) vom 21. April 2005 (BGBl I S. 1076) bestimmt, gelten diese Erwägungen grundsätzlich auch, wenn ein zum Berufsvormund bestellter Rechtsanwalt im Rahmen der ihm übertragenen Aufgaben an einem gerichtlichen Verfahren beteiligt ist. Diesem darf daher Prozesskostenhilfe nicht mit der Begründung verweigert werden, der Anspruch auf anwaltliche Vergütung und auf Erstattung möglicher Verfahrenskosten sei durch § 1836 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 VBVG und § 1835 Abs. 1 und Abs. 3 BGB sowie die Haftung der Staatskasse für diese Ansprüche, falls das Mündel mittellos ist (§ 1835 Abs. 4 BGB, § 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG), ausreichend abgedeckt.

15

c) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der Antragsgegner im Umgangsrechtsverfahren selbst Verfahrensbeteiligter ist und nicht nur als gesetzlicher Vertreter des Mündels tätig wird.

16

(1) Nach dem Wortlaut der §§ 114, 115 ZPO ist bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei abzustellen (Senatsbeschluss vom 11. Mai 2005 - XII ZB 242/03 - FamRZ 2005, 1164, 1166). Partei in diesem Sinne ist jeder, dem gegenüber die gerichtliche Entscheidung unmittelbar materiellrechtliche Wirkung hat (Münch-KommZPO/Motzer 3. Aufl. § 114 Rn. 42). Bei der Prozessführung durch einen Vertreter sind daher allein die Vermögensverhältnisse des Vertretenen für die Beurteilung der Bedürftigkeit maßgeblich (OLG Jena FamRZ 1998, 1302; Münch-KommZPO/Motzer 3. Aufl. § 114 Rn. 46; Musielak/Fischer ZPO 7. Aufl. § 114 Rn. 4; Reichold in Thomas/Putzo ZPO 31. Aufl. § 114 Rn. 12; Prütting/Gehrlein/Völker/Zempel ZPO § 116 Rn. 2; Zöller/Geimer ZPO 28. Aufl. § 114 Rn. 8). Ist ein Vormund als gesetzlicher Vertreter des Mündels an einem gerichtlichen Verfahren beteiligt, folgt daraus, dass bei der Prüfung der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Kindes abzustellen ist (anders für Aktivprozesse des Vormunds Bork in Stein/Jonas ZPO 22. Aufl. § 114 Rn. 4).

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(2) In einem Umgangsrechtsverfahren wie hier wird der Vormund allerdings nicht als Vertreter des Kindes tätig. Denn als Inhaber des Rechts, den Umgang des Kindes mit Dritten zu bestimmen (§§ 1800, 1632 Abs. 2 BGB) ist er selbst Verfahrensbeteiligter. Seine Rechtsstellung im Umgangsrechtsverfahren weist jedoch eine entscheidende Besonderheit auf. Denn obwohl der Vormund formal Beteiligter ist und das Verfahren im eigenen Namen betreibt, werden von ihm ausschließlich die Interessen des ihm anvertrauten Mündels verfolgt. Seine Verfahrensbeteiligung beruht allein auf den ihm durch die Bestellung zum Vormund (§ 1789 Satz 1 BGB) übertragenen Rechten und Pflichten (§ 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB), die auch das Umgangsrecht als Teil der übertragenen elterlichen Sorge erfassen (§§ 1800, 1631 Abs. 1, 1632 Abs. 2 BGB).

18

Insofern ähnelt seine Rechtsstellung im Umgangsrechtsverfahren der einer Partei kraft Amtes, die zwar als Prozesspartei auftritt, dabei aber kraft des ihr übertragenen Amtes nur die Belange anderer vertritt (Senatsbeschluss vom 11. Mai 2005 - XII ZB 242/03 - FamRZ 2005, 1164, 1166). Da die Partei kraft Amtes im Regelfall ausschließlich im Interesse der von ihr vertretenen Vermögensmasse tätig wird, hat sie nicht mit ihrem eigenen Vermögen für die Kosten aufzukommen (vgl. § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

19

Zwar entspricht es ganz herrschender Meinung, dass der Vormund nicht als Partei kraft Amtes angesehen werden kann (statt aller Münch-KommZPO/Motzer 3. Aufl. § 116 Rn. 6). Die Vergleichbarkeit der Rechtsstellung des Vormunds im Umgangsrechtsverfahren mit der einer Partei kraft Amtes gebietet es jedoch, im Prozesskostenhilfeverfahren auch dann allein auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mündels abzustellen, wenn der Vormund die Interessen des Mündels nicht als dessen gesetzlicher Vertreter wahrnimmt, sondern als Inhaber der Personensorge unmittelbar Verfahrensbeteiligter ist (vgl. auch OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 373).

20

d) Da das Mündel offenkundig bedürftig ist, durfte das Oberlandesgericht dem Antragsgegner die begehrte Prozesskostenhilfe nicht versagen. Der Senat kann diese Entscheidung nachholen, weil mit weiteren Feststellungen nicht zu rechnen ist, insbesondere die Erfolgssaussichten der beabsichtigten Rechtsverteidigung des Antragsgegners nicht zu prüfen sind (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Beiordnung ergibt sich aus § 121 Abs. 2 ZPO (vgl. MünchKommZPO/Motzer 3. Aufl. § 116 Rn. 19; Zöller/Geimer ZPO 29. Aufl. § 121 Rn. 1).

Dose                                        Weber-Monecke                                   Klinkhammer

                 Schilling                                                       Günter