Entscheidungsdatum: 09.01.2019
Die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB setzt eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten voraus. Die Gefahr für Leib oder Leben erfordert kein zielgerichtetes Verhalten, aber objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 24. Mai 2017, XII ZB 577/16, FamRZ 2017, 1342).
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hechingen vom 30. April 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
I.
Die Beteiligte zu 1 (nachfolgend: Betreuungsbehörde) wendet sich gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen.
Für die Betroffene, die unter einer paranoiden Schizophrenie leidet, ist eine rechtliche Betreuung u.a. mit dem Aufgabenkreis der Wohnungsangelegenheiten eingerichtet. Am 3. Dezember 2017 wurde ihr Mietverhältnis fristlos gekündigt, weil sie andere Mieter des Wohnhauses durch nächtliches Klingeln und Klopfen an der Wohnungstür belästigt hatte, in deren Wohnungen eingedrungen war und Mitbewohner mehrfach beleidigt hatte.
Am 7. Dezember 2017 hat der Betreuer der Betroffenen beantragt, die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung betreuungsgerichtlich zu genehmigen. Das Amtsgericht hat nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens und Anhörung der Betroffenen deren Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung einer Pflegeeinrichtung für die Dauer von sechs Monaten, gerechnet vom Tag der Aufnahme in der Einrichtung an, genehmigt. Das Landgericht hat die - unzutreffend als "sofortige Beschwerde" bezeichnete - Beschwerde der Betreuungsbehörde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich deren Rechtsbeschwerde, mit der sie die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses begehrt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung auf Eigengefährdung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB gestützt und sie wie folgt begründet:
Die Betroffene leide unter einer psychischen Krankheit in Form einer paranoiden Schizophrenie und sei aufgrund dieser Erkrankung nicht in der Lage, einen freien Willen zu bilden und danach zu handeln. Es bestehe auch eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben der Betroffenen. Diese setze kein zielgerichtetes Verhalten der Betroffenen voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen könne, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden sei.
Dafür seien hier objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte gegeben, weil der Betroffenen Obdachlosigkeit drohe und diese eine konkrete Gefahr der Unterversorgung und Verwahrlosung der Betroffenen bedeute. Aufgrund der paranoiden Wahnvorstellungen mit Beeinträchtigungs- und Beziehungswahnerleben werde die Betroffene einer geordneten Tagesstruktur nicht nachkommen und deswegen in eine völlige Verwahrlosung hineingleiten. Der Grad der Gefahr sei groß und in Relation zum möglichen Schaden ohne freiheitsentziehende Maßnahme so hoch, dass die Unterbringung für den genehmigten Zeitraum verhältnismäßig sei.
Die Gefahr der Obdachlosigkeit sei auch bereits zum jetzigen Zeitpunkt gegeben. Die Berechtigung der fristlosen Kündigung stehe außer Frage. Die Betroffene habe daher die Wohnung zu räumen und an den Vermieter herauszugeben. Ein Abwarten der zwangsweisen Räumung nach Erlass eines Räumungsurteils und die darauffolgende Einweisung in ein Obdachlosenheim sei kein geeignetes Mittel, um die drohende Gefahr von der Betroffenen abzuwenden. Außerdem sei dies mit der Würde der Betroffenen nicht vereinbar, insbesondere weil die Gründe für die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses in der psychischen Erkrankung der Betroffenen ihren Ursprung hätten.
Geeignete mildere Mittel als die Unterbringung für einen Zeitraum von sechs Monaten seien nicht ersichtlich, weil eine Vermittlung der Betroffenen auf dem freien Wohnungsmarkt nicht möglich sei und sie eine offene Heimunterbringung oder Unterstützungsmaßnahmen Dritter - wie in der Vergangenheit - nicht akzeptiere.
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die materiellen Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB sind nicht ausreichend festgestellt.
a) Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zwar keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten voraus. Notwendig ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten. Dies setzt kein zielgerichtetes Verhalten des Betreuten voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 14). Erforderlich sind aber objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens. Der Grad der Gefahr ist dabei in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen (Senatsbeschluss vom 24. Mai 2017 - XII ZB 577/16 - FamRZ 2017, 1342 Rn. 10 mwN).
Die Prognose einer nicht anders abwendbaren Suizidgefahr oder einer Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden ist Sache des Tatrichters. Sie baut im Wesentlichen auf der Anhörung des Betroffenen und der weiteren Beteiligten sowie auf dem nach § 321 FamFG einzuholenden Sachverständigengutachten auf (Senatsbeschluss vom 24. Mai 2017 - XII ZB 577/16 - FamRZ 2017, 1342 Rn. 11 mwN).
bb) Die Genehmigung der Unterbringung muss zudem erforderlich sein. Wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann, kommt eine Unterbringung als unverhältnismäßig nicht in Betracht (Senatsbeschluss vom 24. Mai 2017 - XII ZB 577/16 - FamRZ 2017, 1342 Rn. 12 mwN).
b) Nach den bislang getroffenen Feststellungen des Landgerichts ist eine geschlossene Unterbringung der Betroffenen nach diesen Maßstäben nicht zu rechtfertigen.
aa) Zwar leidet die Betroffene, wie das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten festgestellt hat, an einer behandlungsbedürftigen paranoiden Schizophrenie und damit an einer psychischen Krankheit iSv § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
bb) Das Landgericht hat aber keine konkreten Umstände für die Annahme aufgezeigt, die Betroffene werde sich erheblichen gesundheitlichen Schaden iSv § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zufügen, wenn die Unterbringung unterbleibt. Es führt hierzu lediglich aus, dass die bevorstehende Obdachlosigkeit für die Betroffene eine konkrete und ernstliche Gefahr der Unterversorgung und der Verwahrlosung bedeute und die Betroffene krankheitsbedingt einer geordneten Tagesstruktur nicht nachkommen und deshalb in eine völlige Verwahrlosung hineingleiten würde.
Dass die Betroffene nach dem Verlust ihrer Wohnung tatsächlich obdachlos würde, hat das Landgericht aber nicht festgestellt. Auch wenn die Betroffene sich bislang nicht selbst um eine neue Wohnung bemüht hat, ist es jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sie mit Hilfe ihres Betreuers, dem auch der Aufgabenkreis der Wohnungsangelegenheiten übertragen ist, neuen Wohnraum finden kann. Soweit in der angegriffenen Entscheidung in diesem Zusammenhang ausgeführt wird, eine Vermittlung der Betroffenen auf dem freien Wohnungsmarkt sei nicht möglich, beruht dies nicht auf entsprechenden Feststellungen. Insbesondere kann der angegriffenen Entscheidung nicht entnommen werden, ob der Betreuer bereits erfolglos versucht hat, der Betroffenen eine neue Wohnung zu verschaffen. Zudem hat sich das Landgericht auch nicht ausreichend mit der Frage befasst, ob einer Obdachlosigkeit der Betroffenen durch andere, gegebenenfalls durch den Betreuer zu organisierende Hilfen begegnet werden könnte. Die Annahme des Landgerichts, die Betroffene werde eine offene Heimunterbringung oder Unterstützungsmaßnahmen Dritter nicht akzeptieren, wird ebenfalls nicht von entsprechenden Feststellungen getragen. Zwar mag die Betroffene in der Vergangenheit derartige Hilfsangebote abgelehnt haben. Dies allein rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, dass die inzwischen 70-jährige Betroffene auch in ihrer jetzigen Situation diese ablehnende Haltung aufrechterhalten werde. Denn aufgrund der Kündigung ihres Mietverhältnisses und dem damit verbundenen Verlust ihrer Wohnung hat sich die aktuelle Lebenssituation der Betroffenen grundlegend verändert. Daher kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Betroffene nunmehr bereit ist, Hilfen anzunehmen. Erfolglose Bemühungen des Betreuers, der Betroffenen andere Hilfen anzubieten, hat das Landgericht jedenfalls nicht festgestellt.
Ebenso wenig hat das Landgericht ausreichende Feststellungen für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens getroffen, falls eine Unterbringung der Betroffenen unterbleibt. Die angeführte Gefahr einer Verwahrlosung ist als solche nicht ausreichend, eine Selbstgefährdung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu begründen, weil damit nicht aufgezeigt ist, inwieweit mit ihr die konkrete Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schadens für die Betroffene verbunden sein soll (vgl. Senatsbeschluss vom 14. März 2018 - XII ZB 629/17 - FamRZ 2018, 950 Rn. 30). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffenen ohne die Unterbringung ein erheblicher gesundheitlicher Schaden droht, ergeben sich auch nicht aus dem vom Landgericht in Bezug genommenen Sachverständigengutachten. Auch darin wird insoweit lediglich ausgeführt, dass sich die Betroffene bislang nicht um eine Wohnung bemüht habe, sie krankheitsbedingt hierzu auch nicht in der Lage sei und ihr deshalb eine dauerhafte Obdachlosigkeit drohe, die mit der Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schadens verbunden sei. Welche konkreten gesundheitlichen Gefahren für die Betroffene ohne die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung bestehen sollen und wie wahrscheinlich diese sind, wird in dem Sachverständigengutachten nicht dargelegt. Auch die angegriffene Entscheidung verhält sich hierzu nicht. Dazu hätte aber bereits deshalb Anlass bestanden, weil die Betroffene bis zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung trotz ihrer psychischen Erkrankung offensichtlich in der Lage war, sich selbst angemessen zu versorgen und ihren eigenen Hausstand zu führen. In der angegriffenen Entscheidung werden damit letztlich nur abstrakte Gefahren beschrieben, die sich aus dem Verlust der Wohnung für die Betroffene ergeben können.
3. Die angegriffene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil die Sache mangels hinreichender Tatsachenfeststellung noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
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