Entscheidungsdatum: 02.03.2016
1. § 319 Abs. 4 FamFG schließt die Möglichkeit, die vor der Genehmigung einer Unterbringungsmaßnahme zwingend gebotene Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe vorzunehmen, nicht völlig aus. Diese Möglichkeit ist jedoch auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt.
2. Macht das Gericht von dieser Möglichkeit Gebrauch, muss es in seiner Entscheidung die Gründe hierfür in nachprüfbarer Weise darlegen.
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 18. Februar 2014 und der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 8. Mai 2015 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 25 Abs. 2 GNotKG).
Die außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt (§ 337 Abs. 1 FamFG in entsprechender Anwendung).
I.
Die Betroffene wendet sich gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung ihrer Unterbringung.
Sie steht unter Betreuung. Auf Antrag der Betreuerin hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen im Wege der Rechtshilfe am 18. Februar 2014 deren Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 18. Februar 2016 genehmigt.
Gegen diesen Beschluss hat die Betroffene Beschwerde eingelegt. Nachdem das Beschwerdegericht ein weiteres psychiatrisches Gutachten eingeholt und die Betroffene erneut im Wege der Rechtshilfe angehört hatte, hat es die Beschwerde zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der sie die Feststellung begehrt, dass sie durch diese beiden Entscheidungen in ihren Rechten verletzt worden ist.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der - hier vorliegenden - Erledigung der Unterbringungsmaßnahme aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 7 mwN). Nachdem es sich bei der angefochtenen Entscheidung nicht um eine einstweilige Anordnung handelt, steht § 70 Abs. 4 FamFG der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht entgegen.
2. Die Entscheidungen von Amts- und Landgericht haben die Betroffene in ihren Rechten verletzt, was nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 8 mwN) festzustellen ist. Das gesamte amts- und landgerichtliche Verfahren leidet unter dem Verfahrensfehler, dass die Betroffene in beiden Tatsacheninstanzen entgegen § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht persönlich, sondern nur im Wege der Rechtshilfe angehört wurde.
a) Nach § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Diese Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren (Senatsbeschluss vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 11 mwN).
b) Nach § 319 Abs. 4 FamFG sollen die in § 319 Abs. 1 FamFG bezeichneten Verfahrenshandlungen nicht im Wege der Rechtshilfe erfolgen. Mit dieser Regelung, die inhaltlich der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschrift des § 70 c Satz 4 FGG entspricht (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 274), wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Anhörung des Betroffenen in Unterbringungsverfahren grundsätzlich durch das Gericht erfolgt, das über die Genehmigung der Unterbringungsmaßnahme entscheidet, und nicht durch einen ersuchten Richter (vgl. BT-Drucks. 11/6949 S. 84).
Im Schrifttum wird daher einerseits die Auffassung vertreten, dass die Verfahrenshandlungen nach § 319 Abs. 1 FamFG nur in seltenen Ausnahmefällen im Wege der Rechtshilfe vorgenommen werden dürfen (vgl. Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 319 Rn. 7; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 5. Aufl. § 319 FamFG Rn. 9; BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1. Januar 2016] § 319 Rn. 16; Prütting/Helms/Roth FamFG 3. Aufl. § 319 Rn. 15; Schulte-Bunert/Weinreich/Dodegge FamFG 4. Aufl. § 319 Rn. 18; Grotkopp in Bahrenfuss FamFG 2. Aufl. § 319 Rn. 17; HUK-BUR/Bauer [Stand: November 2014] § 319 FamFG Rn. 43). Andere Stimmen in der Literatur halten in Unterbringungssachen eine Anhörung des Betroffenen durch einen ersuchten Richter grundsätzlich für ausgeschlossen (vgl. MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 2. Aufl. § 319 Rn. 11; Jurgeleit/Diekmann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 319 FamFG Rn. 10; Horndasch/Viefhues/Beermann FamFG 3. Aufl. § 319 Rn. 9; Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann/Bienwald Betreuungsrecht 5. Aufl. § 319 FamFG Rn. 13; Bumiller/Harders/Schwamb FamFG 11. Aufl. § 319 Rn. 2).
c) Die erstgenannte Auffassung trifft zu.
aa) Der Wortlaut des § 319 Abs. 4 FamFG schließt es nicht völlig aus, die vor der Genehmigung einer Unterbringungsmaßnahme zwingend gebotene Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe vorzunehmen. Die Ausgestaltung der Norm als Sollvorschrift bringt allerdings zum Ausdruck, dass der Richter, der über eine Unterbringungsmaßnahme zu entscheiden hat, in der Regel den Betroffenen persönlich anzuhören und sich selbst einen persönlichen Eindruck von dessen Lebensumständen zu verschaffen hat. Im Unterbringungsverfahren kommt der persönlichen Anhörung des Betroffenen zentrale Bedeutung zu. Die sie anordnende Vorschrift des § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG sichert nicht nur den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG. Durch sie soll auch sichergestellt werden, dass sich das Gericht vor der Entscheidung über den mit einer Unterbringung verbundenen erheblichen Grundrechtseingriff einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschafft, durch den es in die Lage versetzt wird, eingeholte Sachverständigengutachten (§ 321 FamFG), ärztliche Stellungnahmen oder sonstige Zeugenaussagen zu würdigen (Senatsbeschluss vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 11 mwN). Außerdem gehört die persönliche Anhörung zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert, zum Verfassungsgebot erhebt und so mit grundrechtlichem Schutz versieht. Sie ist Kernstück der Amtsermittlung (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 25 mwN).
Dieser besonderen Bedeutung der in § 319 Abs. 1 FamFG enthaltenen Verfahrenshandlungen kann grundsätzlich nur dadurch angemessen Rechnung getragen werden, dass das zur Entscheidung berufene Gericht den Betroffenen persönlich anhört und sich einen persönlichen Eindruck von ihm verschafft. Eine Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe ist daher nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich, etwa wenn der Betroffene kommunikationsunfähig ist (vgl. Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 319 Rn. 7; HUK-BUR/Bauer [Stand: November 2014] § 319 FamFG Rn. 43; vgl. auch Senatsbeschluss vom 16. März 2011 - XII ZB 601/10 - FamRZ 2011, 880 Rn. 19 mwN zu § 278 Abs. 3 FamFG).
Macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, die nach § 319 Abs. 1 FamFG notwendigen Verfahrenshandlungen im Wege der Rechtshilfe vornehmen zu lassen, muss es in seiner Entscheidung die Gründe hierfür in nachprüfbarer Weise darlegen.
bb) Danach kann die Durchführung der in § 319 Abs. 1 FamFG genannten Verfahrenshandlungen im Wege der Rechtshilfe nicht allein dadurch gerechtfertigt werden, dass eine persönliche Anhörung des Betroffenen durch das nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 FamFG zuständige Gericht mit einem erheblichen Zeit- und Reiseaufwand verbunden wäre.
Die Problematik, dass mit der Verpflichtung zur persönlichen Anhörung eines Betroffenen in Unterbringungssachen für das zuständige Gericht ein erheblicher Zeit- und Reiseaufwand verbunden sein kann, wurde vom Gesetzgeber bereits bei der bis zum 31. August 2008 geltenden Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 FGG berücksichtigt. Diese Vorschrift sah eine isolierte Abgabemöglichkeit des Unterbringungsverfahrens an das Gericht vor, in dessen Bezirk die Unterbringungsmaßnahme vollzogen wurde, um den Aufwand für das gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FGG zuständige Gericht, bei dem das Betreuungsverfahren geführt wurde, zu verringern (vgl. BT-Drucks. 15/2494 S. 43). Diese Regelung wurde bei der Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit in § 314 FamFG übernommen. Danach kann das Gericht, bei dem ein Verfahren zur Bestellung eines Betreuers eingeleitet oder das Betreuungsverfahren anhängig ist und das nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 FamFG für Unterbringungssachen im Sinne von § 312 Nr. 1 und 2 FamFG ausschließlich zuständig wäre, das Unterbringungsverfahren abgeben, wenn der Betroffene sich im Bezirk des anderen Gerichts aufhält und die Unterbringungsmaßnahme dort vollzogen werden soll, sofern sich dieses zur Übernahme des Verfahrens bereit erklärt hat.
§ 314 FamFG ist eine Sondervorschrift zu der allgemeinen Regelung des § 4 FamFG (BT-Drucks. 16/6308 S. 273; Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 314 Rn. 3) und schafft in Unterbringungssachen eine erleichterte Abgabemöglichkeit gerade für die Fälle, in denen die Unterbringungsmaßnahme in einer Einrichtung vollzogen wird, die weit vom Wohnort des Betroffenen entfernt ist. Damit soll der oft erhebliche Aufwand reduziert werden, der entstünde, wenn der für das Betreuungsverfahren zuständige Richter die im Rahmen der Unterbringung erforderlichen Verfahrenshandlungen, insbesondere Anhörungen des Betroffenen (§ 319 FamFG), am Ort der Einrichtung vornehmen müsste (vgl. Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 314 Rn. 4; BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1. Januar 2016] § 314 Rn. 2; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 5. Aufl. § 314 FamFG Rn. 3). Gleichzeitig trägt die Vorschrift damit auch der Vorgabe des § 319 Abs. 4 FamFG Rechnung, wonach die Verfahrenshandlungen nach § 319 Abs. 1 FamFG nicht im Wege der Rechtshilfe erfolgen sollen (vgl. zur Abgabe OLG Karlsruhe Beschluss vom 5. November 2013 - 11 AR 7/13 - juris Rn. 23). Die durch § 314 FamFG geschaffene Möglichkeit der isolierten Abgabe eines Unterbringungsverfahrens zeigt, dass nach der Intention des Gesetzgebers allein der Zeitaufwand für die Reise des nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 FamFG zuständigen Betreuungsgerichts zum Ort der Einrichtung, in der sich der Betroffene aufhält, nicht ausreicht, um die nach § 319 Abs. 1 FamFG erforderlichen Verfahrenshandlungen durch einen ersuchten Richter vornehmen zu lassen.
Eine Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe ist jedenfalls dann nicht möglich, wenn sich die Unterbringungseinrichtung im Bezirk des nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 FamFG zuständigen Betreuungsgerichts befindet. Ist die Entscheidung über die beantragte Unterbringungsmaßnahme dringlich und daher eine Abgabe des Verfahrens vor der Entscheidung aus zeitlichen Gründen nicht durchführbar, ist vom Betreuungsgericht auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, zunächst nur eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme gemäß § 331 Satz 1 FamFG zu genehmigen. Denn im Verfahren der einstweiligen Anordnung ist nach § 331 Satz 2 FamFG abweichend von § 319 Abs. 4 FamFG die Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe zulässig.
Für eine persönliche Anhörung des Betroffenen durch den erkennenden Richter spricht schließlich, dass wegen der Vielgestaltigkeit der möglichen Beeinträchtigungen und wegen des bedeutenden Eingriffs in die Rechtssphäre des Betroffenen der Anhörung entscheidende Bedeutung zukommt. Zudem verlangt sie regelmäßig die Kenntnis der vollständigen Akten, die der Rechtshilferichter nicht immer haben wird (vgl. Senatsbeschluss vom 16. März 2011 - XII ZB 601/10 - FamRZ 2011, 880 Rn. 19 zu § 278 Abs. 3 FamFG).
3. Gemessen hieran durften weder das Amtsgericht noch das Beschwerdegericht die Anhörung der Betroffenen im Wege der Rechtshilfe vornehmen. Umstände, die eine Anhörung durch den ersuchten Richter ausnahmsweise rechtfertigen könnten, werden in beiden instanzgerichtlichen Entscheidungen nicht genannt. Allein die geringere Fahrzeit der ersuchten Betreuungsrichterin zu der Unterbringungseinrichtung genügt nicht. Andere Umstände, die ausnahmsweise die Durchführung der Anhörung im Wege der Rechtshilfe gerechtfertigt hätten, sind nicht ersichtlich. Mit dem Absehen von der persönlichen Anhörung haben das Amtsgericht und das Beschwerdegericht somit eine elementare Verfahrensgarantie der Betroffenen verletzt.
4. Die Betroffene ist durch diese Verfahrensmängel in ihrem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 22 ff.). Von einer weiteren Begründung wird insoweit gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Dose Weber-Monecke Schilling
Günter Guhling