Entscheidungsdatum: 01.12.2010
Wird ein Betreuungsverfahren wegen einer Änderung des gewöhnlichen Aufenthalts des Betreuten nach §§ 4 Satz 1, 273 Satz 1 FamFG an ein anderes Amtsgericht abgegeben, ist die Abgabeentscheidung nicht selbstständig anfechtbar .
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 12. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 19. April 2010 wird als unzulässig verworfen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 Satz 2 KostO).
Beschwerdewert: 3.000 €
I.
Nachdem der unter Betreuung stehende Betroffene zunächst im Bezirk des Amtsgerichts M. wohnhaft war, zog er am 1. Dezember 2009 in die im Amtsgerichtsbezirk A. liegende Gemeinde U. um.
Das Amtsgericht M. hat, nachdem es dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, mit Beschluss vom 2. März 2010 die Abgabe des Betreuungsverfahrens an das Amtsgericht A. angeordnet.
Das Landgericht hat die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde des Betroffenen als unzulässig verworfen und wegen der Frage, ob ein Abgabebeschluss nach §§ 4 Satz 1, 273 Satz 1 FamFG als Zwischenentscheidung selbständig angefochten werden kann, die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II.
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten ist unzulässig.
1. Nach § 70 Abs. 1 FamFG ist die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten, außer in den in § 70 Abs. 3 Satz 1 FamFG genannten Fällen, nur statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zugelassen hat (§ 70 Abs. 1 FamFG). Diese Voraussetzung liegt nicht vor.
Zwar hat das Landgericht in der angegriffenen Entscheidung die Rechtsbeschwerde ausdrücklich zugelassen. Der Senat ist im vorliegenden Fall jedoch an die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht nicht gebunden. Durch die Zulassung wird dem Beschwerdeführer die Rechtsbeschwerde zugänglich gemacht, wenn sie nach dem Gesetz grundsätzlich statthaft ist. Sie wird aber nicht in den Fällen eröffnet, in denen die Anfechtbarkeit gesetzlich ausgeschlossen ist (Senatsbeschluss vom 21. April 2004 - XII ZB 279/03 - FamRZ 2004, 1191, 1192; BGH Beschlüsse vom 12. September 2002 - III ZB 43/02 - NJW 2002, 3554 zur Prozesskostenhilfe; vom 8. Oktober 2002 - VI ZB 27/02 - NJW 2003, 211 zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und vom 10. Dezember 2003 - IV ZB 35/03 - FamRZ 2004, 437 zur Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO; Keidel/Meyer-Holz FamFG 16. Aufl. § 70 Rn. 42). Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung des Beschwerdegerichts kann nicht durch dessen Ausspruch der Anfechtung unterworfen werden. Das gilt erst recht, wenn schon das Rechtsmittel zum Beschwerdegericht nicht zulässig war (Senatsbeschluss vom 21. April 2004 - XII ZB 279/03 - FamRZ 2004, 1191, 1192; Keidel/Meyer-Holz FamFG aaO).
2. Wie das Beschwerdegericht zutreffend erkannt hat, ist gegen einen Abgabebeschluss nach §§ 4 Satz 1, 273 Satz 1 FamFG kein selbständiges Rechtsmittel gegeben.
a) Inwieweit ein Abgabebeschluss nach § 4 Satz 1 FamFG angefochten werden kann, ist im Schrifttum umstritten.
aa) Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass der Abgabebeschluss nach § 4 Satz 1 FamFG trotz seines Charakters als Zwischenentscheidung selbständig mit der Beschwerde angefochten werden könne (Bassenge/Roth/Gottwald FamFG/RpflG 12. Aufl. § 4 Rn. 6; Friederici/Kemper Familienverfahrensrecht § 4 Rn. 12; Prütting in Prütting/Helms FamFG § 4 Rn. 30; Jansen/Müller-Lukoschek FGG 3. Aufl. § 46 Rn. 64). Dies ergebe sich aus der Gesetzesbegründung zu § 4 FamFG, die ausdrücklich von der Möglichkeit einer Überprüfung der Abgabeentscheidung im Beschwerdeweg ausgehe (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 176).
bb) Nach anderer Auffassung soll der Abgabebeschluss nach § 4 Satz 1 FamFG nicht selbständig mit der Beschwerde angefochten, sondern nur nach § 58 Abs. 2 FamFG innerhalb eines gegen die Endentscheidung gerichteten Rechtsmittels überprüft werden können (MünchKommZPO/Papst 3. Aufl. § 4 Rn. 34; Schulte-Bunert/Weinreich/Schöpflin FamFG § 4 Rn. 27; Jurgeleit/Buĉić Betreuungsrecht 2. Aufl. § 273 FamFG Rn. 15; Fröschle in Fröschle (Hrsg.) Betreuungs- und Unterbringungsverfahren 2. Aufl. § 4 Rn. 18; Bumiller/Harders FamFG 9. Aufl. § 4 Rn. 14; Jacoby in Bork/Jacoby/Schwab FamFG § 4 Rn. 9; Heiderhoff in Bork/Jacoby/Schwab FamFG § 273 Rn. 5; Bahrenfuss in Bahrenfuss (Hrsg.) FamFG § 4 Rn. 8).
b) Der Senat schließt sich für den Fall der Abgabeentscheidung im Betreuungsverfahren nach §§ 4 Satz 1, 273 Satz 1 FamFG der letztgenannten Auffassung an.
aa) Nach der Neugestaltung des Rechtsmittelsystems durch das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2568) findet die Beschwerde in Angelegenheiten nach diesem Gesetz nur noch gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist (§ 58 Abs. 1 FamFG). Nach der in § 38 Abs. 1 Satz 1 FamFG enthaltenen Definition liegt eine Endentscheidung vor, wenn durch die Entscheidung der Verfahrensgegenstand ganz oder teilweise erledigt wird. Mit der Beschwerde anfechtbar sind daher nur Beschlüsse, die ein auf Antrag (§ 23 FamFG) oder von Amts wegen (§ 24 FamFG) eingeleitetes Verfahren insgesamt erledigen oder seine Anhängigkeit hinsichtlich eines der selbständigen Erledigung zugänglichen Teils des Verfahrensgegenstandes (§ 301 ZPO analog) beenden (Keidel/Meyer-Holz FamFG 16. Aufl. § 58 Rn. 16).
bb) Diese Voraussetzung erfüllt die Abgabeentscheidung nach §§ 4 Satz 1, 273 Satz 1 FamFG nicht. Die Abgabe kann, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen, jederzeit bis zum Abschluss eines laufenden Verfahrens erfolgen (Keidel/Sternal FamFG 16. Aufl. § 4 Rn. 9). Mit der Abgabeentscheidung wird das laufende Verfahren weder ganz noch teilweise beendet. Es werden nur die die Angelegenheit betreffenden Geschäfte auf das übernehmende Gericht übertragen, von dem das Verfahren dann fortgeführt wird (Keidel/Sternal FamFG 16. Aufl. § 4 Rn. 37). Bei der Abgabeentscheidung handelt es sich daher um eine Zwischenentscheidung, die nach dem Rechtsmittelsystem des FamFG grundsätzlich nur dann selbständig angefochten werden kann, wenn dies ausdrücklich gesetzlich bestimmt ist (§ 58 Abs. 1 Halbsatz 2 FamFG). Fehlt eine solche Regelung, kann die Zwischenentscheidung gemäß § 58 Abs. 2 FamFG nur im Rahmen eines gegen die Endentscheidung gerichteten Rechtsmittels inzident überprüft werden (Keidel/Meyer-Holz FamFG 16. Aufl. § 58 Rn. 24).
cc) Etwas anderes lässt sich auch nicht den Gesetzesmaterialien zu § 4 FamFG entnehmen. Dort wird zwar ausgeführt, dass Vormund, Betreuer und Betroffener die Möglichkeit haben, die Abgabeentscheidung im Beschwerdeweg überprüfen zu lassen (BT-Drucks. 16/6308 S. 176 li. Sp.). Ob damit eine selbständige Anfechtbarkeit der Abgabeentscheidung gemeint ist, erscheint jedoch zweifelhaft (vgl. Zimmermann Das neue FamFG [2009] Rn. 16). Denn es ist kein Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber gerade bei der Anfechtbarkeit der Abgabeentscheidung nach § 4 Satz 1 FamFG von der Systematik des neu konzipierten Rechtsmittelrechts abweichen wollte. In der weiteren Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) vom 7. September 2007 (BT-Drucks. 16/6308) wird an mehreren Stellen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach dem zukünftigen Rechtsmittelrecht Zwischenentscheidungen entweder überhaupt nicht oder aber nur zusammen mit der Hauptsacheentscheidung anfechtbar seien (BT-Drucks. 16/6308 S. 166 re. Sp., 203 re. Sp.). Nicht instanzbeendende Beschlüsse sollten nur dann einer selbständigen Anfechtung unterliegen, wenn dies gesetzlich vorgesehen sei (BT-Drucks. 16/6308 S. 166 re. Sp.). Als statthaftes Rechtsmittel für die isolierte Anfechtung einer Zwischenentscheidung sah die Entwurfsbegründung zudem nicht die Beschwerde nach § 58 FamFG, sondern die sofortige Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572 ZPO vor (BT-Drucks. 16/6308 S. 203 re. Sp.). Dieser gesetzgeberische Wille ist in den Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) dadurch umgesetzt worden, dass die Anfechtbarkeit von Zwischenentscheidungen in den allgemeinen Vorschriften der §§ 1 bis 22 a FamFG differenziert geregelt wurde. Für bestimmte Zwischenentscheidungen wird angeordnet, dass die Entscheidung mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572 der Zivilprozessordnung anfechtbar ist (vgl. §§ 6 Abs. 2, 7 Abs. 5 Satz 2, 21 Abs. 2 FamFG). Andere Zwischenentscheidungen werden ausdrücklich für unanfechtbar erklärt (vgl. §§ 3 Abs. 3 Satz 1, 5 Abs. 3, 19 Abs. 2 FamFG). Daraus folgt, dass der Gesetzgeber dort, wo er die Notwendigkeit für eine selbständige Anfechtung einer Zwischenentscheidung gesehen hat, auf die Vorschriften über die sofortige Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572 ZPO verwiesen hat und er es bei Zwischenentscheidungen, bei denen diese Verweisung fehlt, die aber auch nicht für unanfechtbar erklärt wurden, bei der Anfechtbarkeit nach den allgemeinen Regeln (§ 58 Abs. 2 FamFG) belassen wollte.
dd) Da im Falle der Abgabe nach § 4 Satz 1 FamFG eine sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der ZPO als selbständiges Rechtsmittel nicht vorgesehen ist, die Entscheidung aber auch nicht für unanfechtbar erklärt wurde, kann die Abgabeentscheidung nach dem Willen des Gesetzgebers allenfalls gemäß § 58 Abs. 2 FamFG im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die Endentscheidung überprüft werden (Schulte-Bunert/Weinreich/Schöpflin FamFG § 4 Rn. 27; Bumiller/Harders FamFG 9. Aufl. § 4 Rn. 14; Bahrenfuss in Bahrenfuss (Hrsg.) FamFG § 4 Rn. 8).
c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine selbstständige Anfechtbarkeit der Abgabeentscheidung nach § 4 FamFG auch verfassungsrechtlich nicht geboten.
aa) Zwar wird durch die Abgabeentscheidung nach § 4 Satz 1 FamFG der Schutzbereich des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG berührt, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf (vgl. Zimmermann Das neue FamFG [2009] Rn. 16 unter Verweis auf Vorwerk, Stellungnahme in der 86. Sitzung des Rechtsausschusses vom 11. Februar 2008; vgl. auch BVerfGE 118, 212, 240). Die Möglichkeit, die Abgabeentscheidung nach § 58 Abs. 2 FamFG gerichtlich überprüfen zu lassen, genügt jedoch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen fachgerichtlichen Rechtsschutz bei einer möglichen Verletzung von Verfahrensgrundrechten.
bb) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Plenarbeschluss vom 30. April 2003 (BVerfGE 107, 395, 407) aus dem verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruch abgeleitet, dass bei einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ein fachgerichtlicher Rechtsschutz durch förmliche, in der Verfahrensordnung geregelte Rechtsbehelfe gewährleistet sein muss. Unabhängig von der Frage, ob dieser zu Art. 103 Abs. 1 GG entwickelte Grundsatz auch auf die Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte übertragen werden kann, wären die verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen fachgerichtlichen Rechtsschutz durch die Regelungen des FamFG gewahrt. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Plenarbeschluss vom 30. April 2003 ausgeführt, dass dem Gesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum zukomme, wie er den verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutz sicherstelle. Ausreichend sei, wenn die Überprüfung der behaupteten Gehörsverletzung im Rahmen eines anderen ordentlichen Rechtsbehelfs möglich sei. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze gebietet das Verfassungsrecht somit keine selbständige Anfechtbarkeit des Abgabebeschlusses nach § 4 Satz 1 FamFG. Die Möglichkeit, die Abgabeentscheidung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens gerichtlich überprüfen zu lassen, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz bei einer möglichen Verletzung von Verfahrensgrundrechten.
cc) Dass eine Abgabeentscheidung abweichend vom Willen des Gesetzgebers isoliert anfechtbar ist, folgt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch nicht daraus, dass bei fehlender Anfechtbarkeit das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt wäre. Denn durch die Abgabeentscheidung eines Richters wäre der Betroffene nur dann in seinem Verfahrensgrundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, wenn sie willkürlich erfolgt ist (vgl. dazu BVerfGE 42, 237, 241 mwN). Eine im Rahmen der Anfechtung der Hauptsache etwa gebotene verfassungskonforme - einschränkende - Auslegung des § 65 Abs. 4 FamFG, wonach die Beschwerde nicht darauf gestützt werden kann, dass das erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat, bleibt demnach jedenfalls auf Fälle der Willkür beschränkt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. März 2007 - XII ZB 201/06 - FamRZ 2007, 1002, 1003 f. zu §§ 19, 20 FGG; MünchKommZPO/Rimmelspacher 3. Aufl. § 513 Rn. 19 für die Berufung; MünchKommZPO/Lipp 3. Aufl. § 571 Rn. 9 für die Beschwerde).
Aus den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen ergeben sich aber keine Anhaltspunkte für eine willkürliche Entscheidung des Amtsgerichts. Auch die Rechtsbeschwerde führt hierzu nichts aus. Eine verfassungswidrige Rechtsschutzlücke entsteht für den Beschwerdeführer demnach nicht.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Schilling Günter