Entscheidungsdatum: 28.03.2018
Wird ein Betroffener in einem Betreuungsverfahren von einem Verfahrensbevollmächtigten vertreten, der Akteneinsicht erhalten hat, muss ihm zur Wahrung rechtlichen Gehörs ein eingeholtes Sachverständigengutachten nicht mehr persönlich ausgehändigt werden (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 7. Februar 2018, XII ZB 334/17, juris; vom 22. März 2017, XII ZB 358/16, FamRZ 2017, 996 und vom 6. Juli 2016, XII ZB 131/16, FamRZ 2016, 1668).
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 13. Februar 2017 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 €
I.
Der Betroffene begehrt die Aufhebung seiner Betreuung.
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet er an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose. Für ihn war im Jahr 2013 auf seine Anregung hin und mit seinem Einverständnis eine rechtliche Betreuung eingerichtet worden. Diese umfasste den Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung im Rahmen der Gesundheitssorge, Postangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten sowie Vertretung gegenüber Behörden und sonstigen Institutionen. Für den Bereich der Vermögensangelegenheiten wurde zudem ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Die Überprüfungsfrist wurde auf drei Jahre festgelegt.
Der Betroffene hat im Oktober 2015 um Aufhebung seiner Betreuung gebeten. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht die Betreuung im bereits bestehenden Umfang nebst Einwilligungsvorbehalt verlängert. Auf die dagegen eingelegte Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht nach Anhörung des Betroffenen in Anwesenheit des Sachverständigen die Betreuung für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht im Rahmen der Gesundheitssorge aufgehoben und die Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die vollständige Aufhebung der Betreuung erstrebt.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Nach Auffassung des Landgerichts liegen die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers weiterhin vor. Der Betroffene sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, seine Angelegenheiten im Aufgabenkreis Postangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten sowie Vertretung gegenüber Behörden und sonstigen Institutionen selbst zu regeln, wie sich aus dem Sachverständigengutachten ergebe. Insoweit könne er auch nicht von freiem Willen getragene Entscheidungen treffen. Zwar sei der Betroffene auf den ersten Eindruck in der Lage, sich verständig zu äußern und Fragen sinnhaft zu beantworten. Die Störung des formalen Gedankengangs werde aber schnell erkennbar. Für die Bereiche Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht im Rahmen der Gesundheitssorge fehle es allerdings schon am Betreuungsbedarf. Zudem sei nicht klar erkennbar, ob für diese Bereiche die weiteren Voraussetzungen einer Betreuung gegen den Willen des Betroffenen vorlägen.
2. Dies hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.
a) Zu Unrecht rügt die Rechtsbeschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen, weil ihm das Sachverständigengutachten nicht ausgehändigt worden sei.
aa) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten in seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 275 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. jeweils zur Unterbringung Senatsbeschlüsse vom 16. September 2015 - XII ZB 250/15 - FamRZ 2015, 2156 Rn. 15 mwN und vom 8. März 2017 - XII ZB 516/16 - FamRZ 2017, 911 Rn. 5). Wird das Gutachten dem Betroffenen nicht ausgehändigt, verletzt das Verfahren ihn grundsätzlich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. Mai 2017 - XII ZB 18/17 - FamRZ 2017, 1323 Rn. 10 und vom 11. August 2010 - XII ZB 138/10 - BtPrax 2010, 278 Rn. 7, 10).
Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten (§ 10 Abs. 2 Satz 1 FamFG) vertreten wird, zu dessen Kenntnis das Gutachten gelangt ist. Denn anders als ein nach § 276 FamFG bestellter Verfahrenspfleger (vgl. Senatsbeschluss vom 8. März 2017 - XII ZB 516/16 - FamRZ 2017, 911 Rn. 7 mwN) ist der Verfahrensbevollmächtigte rechtsgeschäftlicher Vertreter des Betroffenen (Senatsbeschluss vom 7. Februar 2018 - XII ZB 334/17 - juris Rn. 12 mwN). Die Bekanntgabe des Gutachtens an ihn wirkt somit für und gegen den Betroffenen selbst.
bb) Danach ist die angefochtene Entscheidung des Landgerichts verfahrensfehlerfrei zustande gekommen. Zwar lässt sich der Akte nicht entnehmen, dass das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten dem Betroffenen persönlich ausgehändigt worden ist, obwohl er eine Übersendung sogar schriftlich verlangt hatte. Die Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG für ein Absehen von der persönlichen Bekanntgabe liegen ausweislich des Gutachtens nicht vor. Jedoch hat sich – nach Erlass des amtsgerichtlichen Beschlusses – eine Rechtsanwältin als Verfahrensbevollmächtigte für den Betroffenen bestellt, der die Akte mit dem darin befindlichen Gutachten noch vor Erlass der Nichtabhilfeentscheidung des Amtsgerichts zur Verfügung gestellt wurde. Die Verfahrensbevollmächtigte hatte somit im Beschwerdeverfahren Kenntnis vom gesamten Akteninhalt, mithin auch von dem Sachverständigengutachten. Diese Kenntnis muss sich der Betroffene zurechnen lassen, so dass eine Verletzung rechtlichen Gehörs insoweit ausscheidet (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Juli 2016 - XII ZB 131/16 - FamRZ 2016, 1668 Rn. 16 und vom 22. März 2017 - XII ZB 358/16 - FamRZ 2017, 996 Rn. 17 f.).
b) Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde ferner, weder das Sachverständigengutachten noch die angefochtene Entscheidung enthielten Feststellungen zu der Frage, ob der Betroffene zu einer freien Willensbestimmung in der Lage sei.
aa) Nach § 1896 Abs. 1a BGB darf gegen den freien Willen eines Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Die Annahme eines freien Willens im Sinne von § 1896 Abs. 1a BGB setzt dabei Einsichts- und Handlungsfähigkeit voraus. Der Betroffene muss mithin in der Lage sein, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen, sowie nach der gewonnenen Erkenntnis zu handeln, also die sich daraus ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen. Das krankheitsbedingte Fehlen eines solchen freien Willens hat das sachverständig beratene Gericht festzustellen (Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14 - FamRZ 2016, 701 Rn. 23).
bb) Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss gerecht.
(1) Das Landgericht begründet seine auf das Fehlen eines freien Willens bezogene Überzeugung damit, dass der Betroffene die Nachteile einer Betreuung klar sehe, aber insoweit nicht in der Lage sei, in die Abwägung auch die Vorteile einzubeziehen, die eine Betreuung biete. Die mangelnde Fähigkeit des Betroffenen zu einer klaren Abwägung hinsichtlich der Frage einer Betreuung zeige sich auch darin, dass die Aussagen des Betroffenen, ob er einen Betreuer zur Seite gestellt haben wolle, nicht konstant seien, sondern sich immer wieder veränderten.
Diese Feststellungen zeigen, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, die für eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und demgemäß auch die für und wider eine Betreuung sprechenden Gründe abzuwägen.
(2) Zwar ist das schriftliche Sachverständigengutachten knapp gehalten und kommt nur zu dem Schluss, dass der Betroffene die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte "nur in Teilaspekten erkennen, gegeneinander abwägen und entsprechend entscheiden" könne. Welche Teilaspekte dies betrifft, ist aus dem Gutachten nicht ersichtlich. Allerdings hat der Sachverständige in der Anhörung vor dem Landgericht erklärt, er gelange nun – basierend auf dem mit dem Betroffenen geführten Gespräch und dem gesamten Akteninhalt – zu der Einschätzung, dass der Betroffene zwar sehr konkret erkenne, was gegen eine Betreuung, insbesondere einen Einwilligungsvorbehalt, spreche. Was jedoch dafür spreche, könne er nicht erkennen und einschätzen und deswegen nicht frei darüber entscheiden.
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Dose |
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