Entscheidungsdatum: 08.12.2010
Wenn die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift oder eine Berufungsbegründung erfüllt sind, kommt die Deutung, dass der Schriftsatz nicht als zugleich eingelegte Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt war, nur dann in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2007, XII ZB 31/07, FamRZ 2007, 1726 und vom 20. Juli 2005, XII ZB 31/05, FamRZ 2005, 1537) .
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Rostock vom 4. März 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur weiteren Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Landgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 900 €
I.
Die Parteien streiten um Mietzinsforderungen. Das Urteil des Amtsgerichts wurde der Klägerin am 11. Dezember 2009 zugestellt. Am 11. Januar 2010 ging beim Berufungsgericht ein Schriftsatz des Klägervertreters ein, der als "Berufung" überschrieben ist. Nach dem vollständigen Rubrum sowie der Angabe der Beschwer folgt folgende Formulierung:
"… lege ich namens und in Vollmacht der Klägerin und Berufungsklägerin gegen das am 09.12.2009 verkündete Urteil …
vorbehaltlich PKH-Bewilligung für die II. Instanz
Berufung
ein mit dem Antrag, …"
Es folgen dann der Berufungsantrag der Klägerin sowie eine mehrseitige Begründung, die mit folgendem Satz endet: "Dem PKH-Antrag wie auch der Berufung wird stattzugeben sein." Der Schriftsatz war vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin unterzeichnet.
Das Landgericht hat die Berufung dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis zugestellt "mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zum PKH-Antrag binnen zwei Wochen". Nach einem rechtlichen Hinweis vom 15. Februar 2010 hat es die Berufung mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen, weil sie unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingelegt sei. Über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe hat das Berufungsgericht nicht entschieden. Dem am letzten Tag der Berufungsfrist eingegangenen Schriftsatz war keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin beigefügt. Gegen die Verwerfung ihrer Berufung richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Berufungsgericht hat die zugleich begründete Berufung der Klägerin zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil sie nicht rechtzeitig beim Berufungsgericht eingelegt worden sei.
1. Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus, wonach ein Schriftsatz, der alle formellen Anforderungen an ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung erfüllt, regelmäßig als wirksam eingelegte Prozesserklärung zu behandeln ist. Eine Deutung dahin, dass er gleichwohl nicht unbedingt als Rechtsmittel oder Rechtsmittelbegründung bestimmt ist, kommt nur in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726 Rn. 10; vom 20. Juli 2005 - XII ZB 31/05 - FamRZ 2005, 1537 und vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04 - FamRZ 2004, 1553, 1554). Dabei ist im Zweifel zugunsten eines Rechtsmittelführers anzunehmen, dass er eher das Kostenrisiko einer ganz oder teilweise erfolglosen Berufung auf sich nimmt als von vornherein zu riskieren, dass seine Berufung als unzulässig verworfen wird (Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2007 - XII ZB 31/07 - FamRZ 2007, 1726 Rn. 10 und vom 5. März 2008 - XII ZB 182/04 - FamRZ 2008, 1063 Rn. 12).
2. Den Schriftsatz des Klägervertreters vom 11. Januar 2010 hat das Berufungsgericht allerdings zu Unrecht als lediglich bedingt eingelegte Berufung behandelt.
a) Der Schriftsatz der Klägerin erfüllt sämtliche formellen Anforderungen an einen Berufungsschriftsatz und eine Berufungsbegründung. Entsprechend § 519 Abs. 2 ZPO wurde das angefochtene Urteil unter Angabe des vollständigen Rubrums konkret bezeichnet und es wurde gegen dieses Urteil "Berufung" eingelegt. Der Schriftsatz enthält außerdem einen Berufungsantrag und dessen Begründung (§ 520 Abs. 3 Ziff. 1 bis 4 ZPO). Schließlich ist er von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin eigenhändig unterschrieben.
b) Dem Berufungsgericht ist einzuräumen, dass der Formulierung im Berufungsschriftsatz, die Berufung werde "vorbehaltlich PKH-Bewilligung für die II. Instanz" eingelegt, Zweifel entnehmen lassen, ob das Rechtsmittel schon mit Eingang beim Berufungsgericht erhoben und begründet werden sollte. Wie das Berufungsgericht weiter zutreffend ausführt, kommt dem Umstand, dass diese Formulierung vom übrigen Text durch einen Absatz abgetrennt und fett gedruckt ist, besondere Bedeutung zu.
Unter Berücksichtigung der weiteren Einzelheiten lässt sich der Formulierung allerdings keine jeden vernünftigen Zweifel ausschließende Deutlichkeit für eine lediglich bedingt eingelegte und somit unwirksame Berufung entnehmen. Denn der Schriftsatz ist als "Berufung" überschrieben und auch dies ist im Schriftbild hervorgehoben und fett gedruckt. Die Klägerin wird in dem Schriftsatz zugleich als Berufungsklägerin bezeichnet und hat nach dem weiteren Wortlaut des Schriftsatzes Berufung eingelegt mit dem Antrag: "Die Beklagte … unter Aufhebung des abweisenden Teils des erstinstanzlichen Urteils" zu verurteilen, an sie weitere 900 € zu zahlen. Dieser Antrag ist im Folgenden bereits begründet, was für den ernstlichen Willen zur Durchführung der Berufung spricht. Schließlich deutet auch der Schlusssatz der Rechtsmittelbegründung, dem Prozesskostenantrag "wie auch der Berufung" werde stattzugeben sein, auf ein bereits unbedingt eingelegtes Rechtsmittel hin. Zwar ist nicht auszuschließen, dass die weiteren Formulierungen im Schriftsatz vom 11. Januar 2010 sämtlich von der vorbehaltlichen PKH-Bewilligung als Obersatz erfasst und somit nur für den Fall der Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufgestellt worden sind. Insoweit verbleiben aber Zweifel, zumal der Schriftsatz als "Berufung" überschrieben ist.
Hinzu kommt, dass das Landgericht den Schriftsatz zunächst selbst als Berufung behandelt und an den Beklagtenvertreter zugestellt hat. Schließlich hat das Berufungsgericht nicht über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe entschieden, weil es der Formulierung im Schriftsatz vom 11. Januar 2010 offensichtlich keinen solchen ausdrücklichen Antrag entnommen hat. Enthält der am letzten Tag der Berufungsfrist eingegangene Schriftsatz allerdings keinen wirksamen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, spricht dies zusätzlich dafür, dass stattdessen das vollständig vorliegende Rechtsmittel nebst Begründung wirksam und somit unbedingt eingelegt werden sollte.
c) Weil der Schriftsatz vom 11. Januar 2010 sämtliche formellen Voraussetzungen an eine Berufung und Berufungsbegründung enthält und jedenfalls Zweifel verbleiben, ob das Rechtsmittel lediglich bedingt eingelegt und begründet werden sollte, liegt ein unbedingt eingelegtes und begründetes Rechtsmittel vor. Die Rechtsmittelfrist ist damit gewahrt. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist die angefochtene Entscheidung deswegen aufzuheben und das Verfahren zur Entscheidung über die Berufung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Hahne Weber-Monecke Wagenitz
Dose Günter