Entscheidungsdatum: 27.07.2011
1. Ist der Amtsrichter trotz eines gegenläufigen Sachverständigengutachtens aufgrund des persönlichen Eindrucks des Betroffenen zu der Überzeugung gelangt, dass dieser einen freien Willen i.S. des § 1896 Abs. 1a BGB bilden könne, und hat er deshalb die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt, darf das Beschwerdegericht die Betreuung grundsätzlich nicht ohne Anhörung des Betroffenen anordnen .
2. Ein Einwilligungsvorbehalt darf nur dann angeordnet werden, wenn hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr im Sinne des § 1903 Abs. 1 Satz 1 BGB bestehen. Ob dies der Fall ist, hat das Betreuungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht festzustellen .
3. Bei der Auswahl des Betreuers sind gemäß § 1897 Abs. 4 BGB auch die Wünsche eines Geschäftsunfähigen zu berücksichtigen, sofern dieser seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Dabei kommt es maßgeblich auf die Wünsche des Betroffenen im Zeitpunkt der Betreuerbestellung an; das gilt auch für Vorschläge, bestimmte Personen nicht zu bestellen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 16. März 2011, XII ZB 601/10, FamRZ 2011, 880 Rn. 21) .
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 18. Februar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.000 €.
I.
Der 1920 geborene Betroffene wendet sich gegen die vom Beschwerdegericht angeordnete Betreuung nebst Einwilligungsvorbehalt.
Mit notarieller Urkunde vom 23. Juli 2010 erteilte der Betroffene seinem Sohn, dem Beteiligten zu 1, Vorsorgevollmacht. Außerdem sollte dieser für den Fall der Anordnung einer Betreuung zu seinem Betreuer bestellt werden.
Der Beteiligte zu 3 hat durch seinen sozialpsychiatrischen Dienst im September 2010 die Einrichtung einer Betreuung angeregt. Der Beteiligte zu 1 hat seinerseits die Einrichtung einer Betreuung und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts "beantragt".
Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens nebst ergänzender Stellungnahmen der Sachverständigen sowie Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 5. Januar 2011 von einer Betreuung abgesehen. Auf die hiergegen vom Beteiligten zu 1 eingelegte Beschwerde hat das Landgericht den amtsgerichtlichen Beschluss dahin abgeändert, dass es den Beteiligten zu 1 zum Betreuer mit dem Aufgabenkreis "Vermögenssorge" bestimmt und gleichzeitig für diesen Aufgabenbereich einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet hat. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG ohne Zulassung statthaft und auch im Übrigen in zulässiger Weise eingelegt.
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
a) Das Beschwerdegericht geht in der angefochtenen Entscheidung von der Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen aus; diese folge aus dem psychiatrischen Gutachten der Sachverständigen vom 16. Oktober 2010. Der Betreuerbestellung stehe nicht entgegen, dass der Betroffene nicht damit einverstanden sei. Der Betroffene sei nicht in der Lage, einen freien Willen im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB zu bilden. Die Urteils- und Kritikfähigkeit des Betroffenen sei nach den Feststellungen der Sachverständigen erheblich vermindert; er neige zur Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Der Betroffene vermöge daher nach Überzeugung der Kammer nicht anzuerkennen, dass er nicht mehr in der Lage sei, seine finanziellen Interessen ausreichend selbst wahrzunehmen und insbesondere seinen umfänglichen Grundbesitz zu organisieren.
Die zugunsten des Beteiligten zu 1 erteilte Vorsorgevollmacht stehe der Einrichtung der Betreuung ebenfalls nicht entgegen. Es sei bereits fraglich, ob der Betroffene zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung noch geschäftsfähig gewesen sei. Eine Betreuung sei jedoch selbst bei Vorliegen einer wirksamen Vollmacht notwendig, weil die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts erforderlich sei. Die Angelegenheiten des Betroffenen könnten daher - mangels der Möglichkeit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes - durch einen Bevollmächtigten nicht ebenso gut wahrgenommen werden wie durch einen Betreuer. Bei der Betreuerauswahl sei die Kammer dem in der notariellen Urkunde geäußerten Willen des Betroffenen gefolgt. Ob der Betroffene zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung geschäftsfähig gewesen sei, könne wiederum dahingestellt bleiben, denn auch Wünsche eines Geschäftsunfähigen seien zu berücksichtigen und grundsätzlich bindend. Dafür, dass der Betroffene bei der Willensbildung von Dritten beeinflusst worden sei, lägen keine Anhaltspunkte vor. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Bestellung des Beschwerdeführers zum Betreuer dem Wohl des Betroffenen zuwiderlaufe. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene ungeeignet sei, hätten sich - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten zu 2 (der Tochter des Betroffenen und Schwester des Beteiligten zu 1) - nicht ergeben.
b) Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Zu Recht verweist die Rechtsbeschwerde darauf, dass die Entscheidung auf mehreren Verfahrensfehlern beruht.
aa) Das Beschwerdegericht ist allerdings im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass auch beim Vorliegen einer Vorsorgevollmacht eine Betreuung einzurichten ist, wenn die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts erforderlich ist (MünchKommBGB/Schwab 5. Aufl. § 1896 Rn. 56; jurisPK-BGB/Bieg 5. Aufl. § 1896 Rn. 59).
bb) Bereits die Einrichtung der Betreuung als solche ist jedoch verfahrensfehlerhaft erfolgt, weil das Beschwerdegericht nicht hinreichend ermittelt hat, ob der Betroffene einen freien Willen bilden kann. Das Beschwerdegericht hätte den Betroffenen anhören müssen.
(1) Nach § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Allerdings kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (Senatsbeschluss vom 16. März 2011 - XII ZB 601/10 - FamRZ 2011, 880 Rn. 13; s. auch Senatsbeschluss vom 11. August 2010 - XII ZB 171/10 - FamRZ 2010, 1650 Rn. 5 ff.).
(2) Gemessen hieran hätte das Beschwerdegericht den Betroffenen anhören müssen. Es durfte nicht davon ausgehen, dass von einer erneuten Anhörung keine neuen - von der Einschätzung der Sachverständigen abweichenden - Erkenntnisse zu erwarten waren.
Denn das Amtsgericht hat trotz des Sachverständigengutachtens vom 16. Oktober 2010 und der beiden Ergänzungen vom 24. Oktober 2010 und vom 18. November 2010 dem Betroffenen die Fähigkeit attestiert, zur Bildung eines zu beachtenden Willens in der Lage zu sein. Dabei hat der Amtsrichter, der den Betroffenen zuvor in seinem häuslichen Umfeld angehört hatte, ausdrücklich auf den Eindruck abgestellt, den er von dem Betroffenen gewonnen hatte. Bei dieser Sachlage durfte sich das Beschwerdegericht nicht damit begnügen, allein auf die Aktenlage, namentlich das eingeholte Sachverständigengutachten zu rekurrieren, ohne den Betroffenen persönlich anzuhören. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass auch das Beschwerdegericht nach einem persönlichen Eindruck von dem Betroffenen - wie das Amtsgericht - zu einer anderen Einschätzung gelangt wäre.
cc) Die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts ist ebenfalls verfahrensfehlerhaft erfolgt.
Gemäß § 1903 Abs. 1 Satz 1 BGB ordnet das Betreuungsgericht an, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf (Einwilligungsvorbehalt), soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist.
Dass diese Voraussetzungen vorliegen, hat das Beschwerdegericht nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt.
Anlass für das Beschwerdegericht, den Einwilligungsvorbehalt anzuordnen, war der "Antrag" des Beteiligten zu 1 vom 13. Dezember 2010. Darin behauptet dieser, dass der Betroffene Geschäfte tätige, die für ihn und seine Ehefrau finanzielle Nachteile in nicht unerheblichem Maße verursachten. Das Schreiben enthält allerdings nur allgemein gehaltene Angaben. Weder nennt der Beteiligte zu 1 Namen noch Daten; ebenso wenig liegen dem Schreiben Nachweise bei.
Zu Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass die Angaben des Beteiligten zu 1 für sich gesehen zu unsubstantiiert sind, als dass sie einen so erheblichen Eingriff wie den Einwilligungsvorbehalt rechtfertigen könnten. Anstatt den Einwilligungsvorbehalt allein aufgrund der Angaben des Beteiligten zu 1 anzuordnen, hätte das Beschwerdegericht seiner Amtsermittlungspflicht nach § 26 FamFG nachkommen und entsprechende Ermittlungen durchführen müssen. Das gilt umso mehr, als die Schwester des Beteiligten zu 1, die Beteiligte zu 2, mit ihren Schreiben vom 19. November 2010 und vom 18. Januar 2011 die Redlichkeit des Beteiligten zu 1 in Frage gestellt hat.
dd) Schließlich ist auch die Bestellung des Beteiligten zu 1 zum Betreuer nicht frei von Verfahrensfehlern.
(1) Zwar hat das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt, dass gemäß § 1897 Abs. 4 BGB das Betreuungsgericht grundsätzlich an den Vorschlag des Betroffenen gebunden ist. Ferner hat es zutreffend ausgeführt, dass auch Wünsche eines Geschäftsunfähigen zu berücksichtigen sind. Denn ein solcher Vorschlag erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden (Senatsbeschluss vom 16. März 2011 - XII ZB 601/10 - FamRZ 2011, 880 Rn. 21).
(2) Bei der Feststellung des Wunsches des Betroffenen hat das Beschwerdegericht allerdings ausschließlich auf den - in der notariell beurkundeten Vorsorgevollmacht vom 29. Juli 2010 enthaltenen - Betreuungswunsch abgestellt. Weder ist das Beschwerdegericht darauf eingegangen, dass der Betroffene während des laufenden Betreuungsverfahrens mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, nicht von dem Beteiligten zu 1 betreut werden zu wollen, noch hat es sich damit auseinandergesetzt, dass der Betroffene in seiner Anhörung vor dem Amtsgericht ausgeführt hat, dass er zu dem Notartermin "mehr oder weniger geschleppt worden" sei. Letzteres stimmt wiederum mit den Angaben der Beteiligten zu 2 überein, wonach die notarielle Vollmacht unter Druck eingeholt worden sei.
Die Frage, ob die Benennung des Beteiligten zu 1 als Betreuer im Zeitpunkt der Beurkundung tatsächlich den Wünschen des Betroffenen entsprochen hat, kann indes dahinstehen. Denn maßgeblich kommt es - worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist - auf die Wünsche des Betroffenen im Zeitpunkt der Betreuerbestellung an. Dies ergibt sich bereits aus § 1897 Abs. 4 Satz 3 BGB. Danach sind Vorschläge, die der Volljährige vor dem Betreuungsverfahren gemacht hat, unbeachtlich, wenn er daran erkennbar nicht festhalten will. Aus § 1897 Abs. 4 Satz 2 BGB folgt zudem, dass auf Vorschläge des Betroffenen, bestimmte Personen nicht zu bestellen, Rücksicht genommen werden soll.
Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene an seinem früheren Betreuerwunsch nicht hat festhalten wollen, ergeben sich an mehreren Stellen aus der Akte. So hat der Betroffene gegenüber der Sachverständigen die notarielle Vollmacht wiederholt "widerrufen". Ferner hat der Betroffene ausweislich eines an das Amtsgericht Bremen gerichteten Schreibens vom 31. Oktober 2010 seinem Sohn die Vollmacht entzogen, ihn bei Gericht zu vertreten. Der Betroffene ist sogar so weit gegangen, seinen Sohn bei der Staatsanwaltschaft Bremen zu "verklagen".
(3) Die vom Beschwerdegericht getroffene Betreuerauswahl beruht auf der unzureichenden Amtsermittlung. Es ist nicht auszuschließen, dass es bei Durchführung der gebotenen Ermittlungen, insbesondere auch der Anhörung des Betroffenen, zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
3. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil noch weitere Ermittlungen anzustellen sind. Deshalb war der Beschluss aufzuheben und die Sache zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG.
Hahne Weber-Monecke Dose
Schilling Günter