Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 20.11.2012


BGH 20.11.2012 - XI ZR 415/11

Bankenhaftung bei Kapitalanlageberatung: Beweislastumkehr bei unterlassener Aufklärung über vereinnahmte Rückvergütungen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
20.11.2012
Aktenzeichen:
XI ZR 415/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend KG Berlin, 17. August 2011, Az: 24 U 32/11vorgehend LG Berlin, 11. Februar 2011, Az: 4 O 689/08
Zitierte Gesetze

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg vom 17. August 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis 65.000 €

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die beklagte Bank auf Rückabwicklung einer Beteiligung an der V. 3 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 3) sowie an der V. 4 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 4) in Anspruch.

2

Der Kläger zeichnete nach vorheriger Beratung durch den Mitarbeiter K.   der Beklagten am 15. September 2003 eine Beteiligung an V 3 im Nennwert von 25.000 € zuzüglich Agio in Höhe von 1.250 € sowie am 11. Mai 2004 eine Beteiligung an V 4 nebst Agio in gleicher Höhe, wobei ein Anteil in Höhe von 45,5% der Beteiligungssumme an V 4 durch ein endfälliges Darlehen der H. finanziert wurde.

3

Nach dem Inhalt der Verkaufsprospekte sollten 8,9% der jeweiligen Zeichnungssumme sowie das jeweilige Agio in Höhe von 5% zur Eigenkapitalvermittlung (V 3) bzw. Eigenkapitalvermittlung, Platzierungsgarantie und Finanzierungsvermittlung (V 4) durch die V. AG (im Folgenden: V. AG) verwendet werden. Die V. AG durfte ausweislich der Prospekte ihre Rechte und Pflichten aus der Vertriebsvereinbarung auf Dritte übertragen. Die Beklagte erhielt für den Vertrieb der Anteile Provisionen in Höhe von 8,25% (V 3) bzw. 8,45 bis 8,72% (V 4) der jeweiligen Zeichnungssumme, ohne dass dies dem Kläger im Beratungsgespräch offengelegt wurde.

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Der Kläger verlangt mit seiner Klage unter Berufung auf mehrere Aufklärungs- und Beratungsfehler die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals in Höhe von insgesamt 41.125 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligungen. Ferner begehrt er die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihn von allen wirtschaftlichen und steuerlichen Nachteilen im Zusammenhang mit dem Erwerb der Beteiligungen sowie von allen Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit dem zur Finanzierung der Beteiligung V 4 aufgenommenen Darlehen freizustellen. Weiter begehrt er die Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten mit der Rücknahme der Beteiligungen.

5

Die Klage hatte in beiden Vorinstanzen ganz überwiegend Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen und seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass zwischen den Parteien konkludent Beratungsverträge zustande gekommen seien, aufgrund derer die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Kläger darauf hinzuweisen, dass sie von der V. AG aufklärungspflichtige Rückvergütungen in Höhe von 8,25% bzw. 8,45 bis 8,72% des jeweiligen Zeichnungskapitals erhalten habe. Die Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten sei auch kausal für die Anlageentscheidungen des Klägers gewesen, für den die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens streite. Dass der Kläger mit den Rückvergütungen auch ohne Aufklärung einverstanden gewesen sei, lasse sich nicht dem Einverständnis mit Provisionszahlungen bei Wertpapiergeschäften entnehmen, das der Kläger mit der Unterzeichnung des Vermögensanlage-Bogens der Beklagten erklärt habe. Die Beklagte habe die Kausalitätsvermutung auch nicht durch ihren Vortrag zu Vertriebsprovisionen bei anderen Steuersparmodellen bzw. bei vom Kläger gezeichneten weiteren Fondsbeteiligungen widerlegt. Insbesondere habe sie nicht vorgetragen, dass dem Kläger bei früheren Fondsbeitritten bekannt gewesen sei, dass und in welcher Höhe gerade die Beklagte die in den Prospekten ausgewiesenen Provisionen erhalten habe. Dies gelte insbesondere für die Prospekte der C.-Fonds Nr.   und   , in denen nur eine "Enkelgesellschaft" der Beklagten bzw. überhaupt kein konkreter Empfänger der Vermittlungsgebühren genannt werde. Die Beklagte habe die Pflichtverletzung auch zu vertreten und insbesondere nicht schlüssig dargelegt, dass sie sich in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum befunden habe.

II.

6

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, WM 2004, 1407, 1408 f. und vom 18. Januar 2005 - XI ZR 340/03, BGH-Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zwischen den Parteien stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, den Kläger über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen aufzuklären, und dass eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers über diese Rückvergütungen weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 15 ff. mwN). Auch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei insoweit ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 24 f. mwN).

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2. Gleichfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Kläger hätte die Beteiligungen auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütungen erworben.

9

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese "Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens" gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 27 ff. mwN; BVerfG, ZIP 2012, 164 Rn. 20).

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3. Entgegen der Rechtsansicht der Nichtzulassungsbeschwerde bedurfte es auch keiner Erörterung durch das Berufungsgericht, ob von dieser Beweislastumkehr zugunsten des Klägers nur dann auszugehen ist, wenn dieser bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt, er sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Wie der erkennende Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und eingehend begründet hat, ist das Abstellen auf das Fehlen eines solchen Entscheidungskonfliktes mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr dafür, wie sich der Anleger bei gehöriger Aufklärung verhalten hätte, nicht zu vereinbaren, weshalb die Beweislastumkehr bereits bei - wie hier - feststehender Aufklärungspflichtverletzung eingreift (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 30 ff. mwN).

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4. Ebenfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem Eingreifen der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens zugunsten des Klägers nicht entgegensteht, dass dieser im Zusammenhang mit seinem Beitritt zu V 3 den Vermögensanlage-Bogen der Beklagten unterzeichnet hat. Wie der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden hat, kann allein aus dem in diesem Dokument vom Kläger erklärten Einverständnis mit Provisionszahlungen bei Wertpapiergeschäften nicht auf dessen Einverständnis mit der Zahlung von Rückvergütungen im Falle eines Fondsbeitritts geschlossen werden (Senatsbeschuss vom 19. Juli 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 9 und Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 48).

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5. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich auch die Auffassung des Berufungsgerichts, die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens des Klägers werde nicht durch die frühere Zeichnung zweier Fondsbeteiligungen widerlegt, in deren Prospekten Hinweise auf die Gewährung von Rückvergütungen enthalten gewesen seien. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass in keinem dieser Prospekte die Beklagte als Empfängerin der Rückvergütungen genannt wird, sondern in einem Fall die Rückvergütung an eine ihrer Enkelgesellschaften gezahlt wurde, während im zweiten Fondsprospekt überhaupt kein konkreter Empfänger erwähnt wird. Auch in diesen Prospekten wurde damit - worauf das Berufungsgericht zu Recht entscheidend abgestellt hat - die Zahlung von Rückvergütungen gerade an die Beklagte verheimlicht.

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6. Das angegriffene Urteil verletzt jedoch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.

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a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247, 249; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; BVerfG, NJW-RR 2001, 1006, 1007). Die Vorschrift gebietet außerdem die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (BVerfG, WM 2012, 492, 493 mwN). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.; BVerfG, NJW 2000, 131; Senatsbeschluss vom 20. Januar 2009 - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 8).

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b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.

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aa) Die Beklagte hat mit ihren Schriftsätzen vom 24. Februar 2010 und vom 18. April 2011 vorgetragen, dass für den Kläger bei seinem Anlageentschluss allein die Steuerersparnis und allenfalls noch Renditechancen sowie das Sicherungskonzept der Schuldübernahme relevant, andere Aspekte jedoch bedeutungslos gewesen seien. Diese für seine Anlageentscheidung maßgeblichen Umstände habe er dem Mitarbeiter der Beklagten im Vertriebsgespräch mitgeteilt. Für diesen sei aufgrund der Offenlegung der Anlagemotive ersichtlich gewesen, dass der Anteil, den die Beklagte von den im Prospekt ausgewiesenen Vertriebsprovisionen erhalte, für die Anlageentscheidung des Klägers ohne Bedeutung gewesen sei. Zum Nachweis dieser Behauptungen hat sich die Beklagte auf das Zeugnis ihres Mitarbeiters K. sowie auf die Parteivernehmung des Klägers berufen.

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bb) Dieser unter Beweis gestellte Vortrag der Beklagten zum Motiv des Klägers, sich an V 3 bzw. V 4 zu beteiligen, ist erheblich (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 52 ff.). Das Berufungsgericht hat sich damit nicht befasst, sondern lediglich die Frage erörtert, ob die Unterzeichnung des Vermögensanlage-Bogens und der frühere Beitritt des Klägers zu zwei anderen Fonds der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens entgegen stehen. Der Umstand, dass der Kläger mit der Zahlung von Provisionen bei Wertpapiergeschäften bzw. mit Provisionszahlungen an Dritte beim Erwerb zweier anderer Fondsbeteiligungen einverstanden war, sagt jedoch nichts darüber aus, wie er sich im Falle einer ungefragten Offenlegung der vereinnahmten Rückvergütungen durch die Beklagte verhalten hätte. Dass das Berufungsgericht den weiteren Vortrag der Beklagten zum Nichteingreifen der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens übergangen hat, lässt sich nach den Umständen des Falles nur damit erklären, dass es dieses Vorbringen der Beklagten bei seiner Entscheidung überhaupt nicht erwogen hat.

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7. Die unterlassene Vernehmung des Zeugen sowie die gleichfalls vom Berufungsgericht nicht in Erwägung gezogene Parteivernehmung des Klägers verletzen den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392 f.). Die Gehörsverletzung führt nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 296 f.), und rechtfertigt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache.

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8. Das Berufungsgericht wird die oben genannten Beweise zu erheben und zusammen mit den vorgetragenen Indizien (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 42 ff.) zu würdigen haben. Gegebenenfalls wird es sich auch mit den vom Kläger behaupteten weiteren Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen durch unrichtige Angaben des Anlageberaters der Beklagten über durch Kapitalgarantien verschiedener Banken sichergestellte 100%ige Geldrückflüsse auseinanderzusetzen haben (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 13 ff.; Henning, WM 2012, 153 ff.).

Wiechers                                Ellenberger                                Maihold

                       Matthias                                     Pamp