Entscheidungsdatum: 15.10.2013
Der dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten erteilte Auftrag, die Erfolgsaussichten einer gegnerischen Nichtzulassungsbeschwerde vor deren Begründung lediglich anhand des bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens angefallenen Prozessstoffs zu prüfen, kann sinnvoll nicht erfüllt werden, weil Grundlage der Entscheidung über die Zulassung der Revision sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht das Beschwerdevorbringen ist. Die durch einen solchen Auftrag verursachten Kosten für die in der "Prüfung" liegende Einzeltätigkeit sind wegen Verstoßes gegen das Kostenschonungsgebot nicht zu erstatten.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 22. Januar 2013 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 745,42 €.
I.
Die Parteien streiten im Verfahren der Kostenfestsetzung darum, ob dem Kläger eine 0,8 Verfahrensgebühr für sonstige Einzeltätigkeiten zu erstatten ist.
Der Kläger nahm die Beklagte in erster und zweiter Instanz im Wesentlichen erfolgreich auf Schadenersatz in Zusammenhang mit seiner Beteiligung an einem Filmfonds in Anspruch. Nach Zustellung des Berufungsurteils legte der drittinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 2. Dezember 2011 Nichtzulassungsbeschwerde ein und beantragte Fristverlängerung zu deren Begründung. Mit Schreiben vom gleichen Tag wies er den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers auf diese Umstände hin, bat darum, noch keinen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen, und äußerte, er werde den Prozessbevollmächtigten des Klägers vorab unterrichten, sofern das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren durchgeführt werde. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers gab die Erklärungen mit Schreiben vom 5. Dezember 2011 an seinen Mandanten weiter und fuhr fort:
"Wir sind doch etwas verwundert, dass in Ihrem Fall eine Nichtzulassungsbeschwerde durchgeführt wird. Es existieren sowohl diverse Rücknahmen [...] [der Beklagten] als auch ein Beschluss des Bundesgerichtshof[s], in dem dieser eine zugelassene Revision zurückgewiesen hat. Damit dürften die Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde der [...] [Beklagten] gegen Null gehen.
Wir bedauern insoweit, dass sich [...] [die Beklagte] so uneinsichtig zeigt.
Fraglich ist nunmehr, ob wir in Ihrer Sache schon einen BGH-Anwalt einschalten sollten. Grundsätzlich ist dies aus meiner Sicht derzeit nicht nötig. Inhaltlich wird ein solcher Anwalt erst benötigt, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde angenommen würde. Bis dahin können wir das Verfahren ohne Weiteres betreuen. Aber auch nach Übernahme des Verfahrens durch einen BGH-Anwalt würden wir, sollte es von Ihnen gewünscht sein, das Verfahren weiter mit betreuen und dem BGH-Anwalt entsprechend zuarbeiten. Wir gehen aber davon aus, dass der Bundesgerichtshof die Nichtzulassungsbeschwerde genauso wie in anderen Fällen einfach zurückweist oder [...] [die Beklagte] diese doch noch zurücknimmt. In beiden Fällen ist die Einschaltung eines BGH-Anwalts unnötig und würde nur Kosten produzieren.
Sollten wir eine Einschaltung eines BGH-Anwalts zukünftig doch als nötig erachten, würden wir uns kurzfristig melden.
Bitte teilen Sie uns mit, ob Sie mit diesem Vorgehen einverstanden sind."
Am 5. März 2012 nahm der Prozessbevollmächtigte der Beklagten für diese die Nichtzulassungsbeschwerde zurück, ohne sie begründet zu haben.
Dem Antrag des Klägers, eine 0,8 Verfahrensgebühr nach §§ 13, 17 Nr. 9 RVG i.V.m. VV RVG Nr. 3403 nebst einer Pauschale gemäß VV RVG Nr. 7002 und der Umsatzsteuer auf die Vergütung gemäß VV RVG Nr. 7008 gegen die Beklagte festzusetzen, hat das Landgericht unter Verweis auf das Schreiben vom 5. Dezember 2011 entsprochen.
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das Beschwerdegericht den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts dahin geändert, dass der Kostenfestsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen werde. Es hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt, sämtliche vom Prozessbevollmächtigten des Klägers entfalteten Tätigkeiten gehörten noch zum Berufungsrechtszug. Das gelte auch, soweit der Kläger behaupte, auf einen entsprechenden Auftrag hin im Dezember 2011 die Erfolgsaussichten der gegnerischen Nichtzulassungsbeschwerde und die Beauftragung eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts mit seinem Prozessbevollmächtigten erörtert zu haben, da auch insoweit mangels Kenntnis der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung lediglich eine geringfügige Annextätigkeit in Rede stehe.
2. Diese Ausführungen halten im Ergebnis einer rechtlichen Überprüfung stand. Eine 0,8 Verfahrensgebühr nach VV RVG Nr. 3403 ist dem Kläger nicht zu erstatten, weil die von seinem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten entfalteten Tätigkeiten entweder noch zum Berufungsrechtszug gehörten oder ihre Beauftragung jedenfalls gegen die Obliegenheit verstieß, die Kosten der Rechtsverteidigung möglichst niedrig zu halten.
a) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte für die bloße Entgegennahme der Nichtzulassungsbeschwerde und ihre Mitteilung an den Auftraggeber, die Übermittlung der Bitte, mit der Bestellung eines drittinstanzlichen Prozessbevollmächtigten noch zu warten, die Prüfung des fristgerechten Eingangs eines gegnerischen Rechtsmittels, die Besprechung des Berufungsurteils mit dem Auftraggeber und die Belehrung über das zulässige Rechtsmittel keine Vergütung nach VV RVG Nr. 3403 erhält. Diese Tätigkeiten gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 9 RVG zum Berufungsverfahren und werden durch die dort anfallende Verfahrensgebühr gemäß VV RVG Nr. 3200 abgegolten. Sie sind sämtlich von eher geringem Umfang und werden in der Regel sowohl vom Rechtsanwalt als auch von seinem Auftraggeber als Annex der Tätigkeit in der bisherigen Instanz verstanden, nicht als eine (vergütungspflichtige) Tätigkeit für die nächste Instanz (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2012 - VI ZB 7/12, NJW 2012, 2734 Rn. 5). Das gilt auch, soweit der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte in Unkenntnis der noch nicht vorgelegten Nichtzulassungsbeschwerdebegründung den Rat erteilt, einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt einstweilen nicht zu bestellen (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1991 - IX ZR 186/90, WM 1991, 1567, 1568 f.; OLG Köln, NJW-RR 2013, 317, 318; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 20. Aufl., § 19 Rn. 87, 91, 94; Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 5. Aufl., § 19 Rn. 72; anderer Sachverhalt OLG München, AGS 2010, 217 f.). Damit scheidet der Ansatz einer Gebühr für die im Schreiben vom 5. Dezember 2011 dokumentierten Tätigkeiten und für die behauptete Beratung zu § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO aus.
b) Dagegen gehört die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr zum Berufungsrechtszug (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2012 - VI ZB 7/12, NJW 2012, 2734 Rn. 6). Die Erstattung einer Gebühr kommt hier indessen ohne Rücksicht darauf, ob ein Auftrag hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - IX ZB 62/10, NJW 2013, 312 Rn. 8), aus Rechtsgründen nicht in Betracht, weil das Kostenschonungsgebot verletzt ist.
aa) Grundsätzlich darf der Rechtsmittelgegner bereits vor Begründung des Rechtsmittels einen Rechtsanwalt mit seiner Prozessvertretung beauftragen und im Fall seines Obsiegens nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO die entstandenen Kosten geltend machen (BGH, Beschluss vom 2. Juli 2009 - V ZB 54/09, NJW 2009, 3102 Rn. 10). Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts gelten von Rechts wegen als zweckentsprechende Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Februar 2003 - XI ZB 21/02, NJW 2003, 1532; BGH, Beschluss vom 26. April 2005 - X ZB 17/04, NJW 2005, 2317; Beschluss vom 2. November 2011 - XII ZB 458/10, NJW 2012, 459 Rn. 35).
Mit seiner Vertretung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof kann der Rechtsmittelgegner einen anderen als einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht betrauen; ein nicht postulationsfähiger Rechtsanwalt kann auch eine Verfahrensgebühr für die Nichtzulassungsbeschwerde aus VV RVG Nr. 3506 nicht verdienen. Der beim Bundesgerichtshof nicht postulationsfähige Rechtsanwalt hat aber die Möglichkeit, einen auf eine bestimmte Tätigkeit gerichteten Einzelauftrag auszuführen und nach VV RVG Nr. 3403 bzw. bei vorzeitiger Erledigung nach VV RVG Nr. 3405 abzurechnen, die insoweit eine Auffangregelung enthalten (zu VV RVG Nr. 3403 vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - V ZB 110/06, NJW 2007, 1461 Rn. 8 ff., 16). So begründete Kosten sind vom Gegner regelmäßig zu erstatten. Die Postulationsfähigkeit des beauftragten Rechtsanwalts ist nicht Voraussetzung der Anwendung des § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2006 - III ZB 120/05, NJW 2006, 2266 Rn. 13).
bb) Allerdings sind auch innerhalb des Anwendungsbereichs des § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO Fälle denkbar, in denen eine Kostenerstattung nicht in Betracht kommt. Von der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts ist die Frage zu unterscheiden, welche Maßnahmen der Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung für erforderlich halten darf. Denn die Erstattung der durch das Tätigwerden ihres Rechtsanwalts verursachten Kosten kann eine Partei nur insoweit erwarten, als der aus dem Prozessrechtsverhältnis nach Treu und Glauben erwachsenden Obliegenheit genügt ist, die Kosten möglichst niedrig zu halten (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Mai 2007 - XII ZB 156/06, NJW 2007, 2257 Rn. 12 f.; Beschluss vom 10. Mai 2010 - II ZB 3/09, WM 2010, 1323 Rn. 13; Beschluss vom 10. Juli 2012 - VI ZB 7/12, NJW 2012, 2734 Rn. 10 mwN).
cc) Diese Obliegenheit ist hier verletzt, da der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Prüfung der Erfolgsaussichten nicht für angezeigt halten durfte.
Ein Rechtsmittelgegner kann sich erst nach Vorliegen der Rechtsmittelbegründungsschrift mit Inhalt und Umfang des Angriffs des Rechtsmittelführers sachlich auseinandersetzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern, was auf die Erstattungsfähigkeit von Gebühren für solche Tätigkeiten durchschlägt, die sinnvoll nur aufgrund einer sachlichen Prüfung des Streitstoffs in der Rechtsmittelinstanz vorgenommen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - X ZB 27/02, NJW 2003, 1324 f.; Beschluss vom 3. Juni 2003 - VIII ZB 19/03, NJW 2003, 2992, 2993; Beschluss vom 3. Juli 2007 - VI ZB 21/06, NJW 2007, 3723 Rn. 6 f.; Beschluss vom 1. April 2009 - XII ZB 12/07, NJW 2009, 2220 Rn. 9; Beschluss vom 2. Juli 2009 - V ZB 54/09, NJW 2009, 3102 Rn. 10; Beschluss vom 28. Februar 2013 - V ZB 132/12, AGS 2013, 251, 252).
Der Grundsatz, dass über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels tauglich nur anhand der Rechtsmittelbegründung entschieden werden kann, gilt im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde in besonderer Weise, zumal es sich bei ihr nicht um ein Rechtsmittel in Bezug auf die Hauptsache handelt. Grundlage der Entscheidung über die Zulassung der Revision ist sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht das Beschwerdevorbringen (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2003 - V ZR 441/02, NJW 2003, 3208; Beschluss vom 12. Februar 2004 - V ZR 125/03, WM 2004, 2223, 2224). Demgemäß ist der "verfrühte" Auftrag zur "Prüfung" der Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde lediglich anhand des bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens angefallenen Prozessstoffs offensichtlich nutzlos. Eine Erstattung so verursachter Kosten für die in der "Prüfung" liegende Einzeltätigkeit kommt nicht in Betracht.
dd) Ein anderes Ergebnis ist auch nicht gerechtfertigt, weil der Kläger trotz der Bitte der Beklagten, zu warten, sogleich einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt hätte beauftragen können, der eine 1,8 Verfahrensgebühr nach VV RVG Nr. 3509 ohne Rücksicht darauf hätte abrechnen können, dass auch für ihn kein Anlass zur Prüfung der Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde bestanden hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - X ZB 9/02, NJW 2003, 756, 757; Beschluss vom 4. Mai 2006 - III ZB 120/05, NJW 2006, 2266 Rn. 14; Beschluss vom 28. Februar 2013 - V ZB 132/12, AGS 2013, 251, 252). Denn ein solcher Auftrag hätte einen anderen und im Gegensatz zur isolierten Prüfung der zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschätzbaren Erfolgsaussichten der gegnerischen Nichtzulassungsbeschwerde sinnhaften Inhalt gehabt. Somit greift der Einwand nicht, die gleiche Tätigkeit eines postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten wäre nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO erstattungsfähig gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2012 - VI ZB 7/12, NJW 2012, 2734 Rn. 11).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Wiechers Joeres Ellenberger
Maihold Menges