Entscheidungsdatum: 18.02.2014
Ein Rechtsanwalt wird von der Verpflichtung, die Berufungsbegründungsfrist bei Vorlage der Akten zwecks Erstellung der Berufungsbegründungsschrift zu prüfen, nicht dadurch befreit, dass er zuvor die von seiner Büroangestellten (falsch) berechnete Frist ungeprüft in die Handakte übertragen hat.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 12. August 2013 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert beträgt 34.342,19 €.
I.
Der Kläger nimmt die beklagte Sparkasse wegen fehlerhafter Anlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch. Das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 25. April 2013 zugestellt worden. Dieser hat am 21. Mai 2013 Berufung eingelegt und sie am 27. Juni 2013 begründet. Nach einem gerichtlichen Hinweis auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 9. Juli 2013 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Berufungsbegründungsfrist sei von einer seit September 2009 in seiner Kanzlei tätigen, stets zuverlässigen und vielfach überprüften Rechtsanwaltsfachangestellten fehlerhaft berechnet und in den Fristenkalender eingetragen worden. Der sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte habe die Frist in eine Fristenliste in der Handakte eingetragen. Dieser habe die Akte dann im Rahmen der Vorfristnotierung zwei Wochen vor dem fehlerhaft errechneten Fristablauf, also 12 Tage vor dem tatsächlichen Fristablauf, zur Bearbeitung wieder vorliegen gehabt. Er habe die Berufungsbegründungsschrift am 21. Juni 2013 diktiert und am 25. Juni 2013 korrigiert. Am 27. Juni 2013 sei die Berufungsbegründungsschrift wegen Abwesenheit des sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten von einer anderen Rechtsanwältin der Kanzlei unterzeichnet und abgesandt worden.
Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sei auf ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückzuführen, das gemäß § 85 Abs. 2 ZPO einem Verschulden des Klägers gleichstehe. Es liege ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten vor, weil bei sachgerechter Organisation der Fristenkontrolle die fehlerhafte Berechnung der Berufungsbegründungsfrist in dem Fristenkalender aus der Handakte ersichtlich gewesen und bei der im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung offenbar geworden wäre. Auch obliege einem Rechtsanwalt die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das von seiner Kanzleikraft notierte Fristende richtig ermittelt und eingetragen worden sei, wenn ihm die Akten, wie hier auf Vorfrist, zur Bearbeitung vorgelegt würden. Hierauf könne auch dann nicht verzichtet werden, wenn der Prozessbevollmächtigte die von der Bürokraft errechneten Fristen ungeprüft in die Handakte übernehme.
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2004 - XI ZB 6/04, BGHZ 161, 86, 87 mwN), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch zur Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht vielmehr im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und verletzt nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG, NJW 2003, 281). Da die durch den Fall aufgeworfenen Rechtsfragen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits geklärt sind, bedarf es, anders als die Rechtsbeschwerde meint, auch keiner richtungsweisenden Orientierungshilfe.
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht dem Kläger die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Der Kläger hat die Begründungsfrist nicht unverschuldet versäumt (§ 233 ZPO). Seinen Prozessbevollmächtigten trifft an der Fristversäumnis ein Verschulden, das der Kläger sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
a) Zunächst hat zwar eine Büroangestellte des Prozessbevollmächtigten des Klägers die Berufungsbegründungsfrist fehlerhaft berechnet und im Fristenkalender eingetragen. Ob der Prozessbevollmächtigte bereits in diesem Zusammenhang oder bei der Übertragung der Frist in die Handakte eine Sorgfaltspflicht verletzt hat, bedarf keiner Entscheidung.
b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Beschlüsse vom 2. November 2011 - XII ZB 317/11, NJWRR 2012, 293 Rn. 11, vom 31. Mai 2012 - V ZB 27/12, NJWRR 2012, 1204 Rn. 7 und vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11, NJWRR 2013, 1010 Rn. 11, jeweils mwN) hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen jedenfalls immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akte im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird. In diesem Fall obliegt es dem Prozessbevollmächtigten, sich dieser Akte mit besonderer Sorgfalt anzunehmen und sich erforderlichenfalls durch Einsicht in die Akte selbst Gewissheit über den Ablauf der Frist zu verschaffen (BVerfG, NJW 2002, 3014, 3015).
Diese Pflicht hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers verletzt. Nach seinen Ausführungen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages ist ihm die Akte 12 Tage vor Fristablauf zur Bearbeitung vorgelegt und von ihm als Fristsache wahrgenommen worden. Hätte er die Berufungsbegründungsfrist jetzt pflichtgemäß geprüft und den Fehler seiner Büroangestellten bemerkt, hätte die Berufungsbegründungsfrist ohne weiteres gewahrt werden können.
c) Eine andere Beurteilung ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht deshalb gerechtfertigt, weil nicht die Büroangestellte, sondern der Prozessbevollmächtigte des Klägers selbst die Frist ungeprüft in die Handakte übertragen hat. Die Pflicht eines Prozessbevollmächtigten, den Fristablauf bei der Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung selbständig zu prüfen, beruht darauf, dass die sorgfältige Vorbereitung der Prozesshandlung stets auch die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit einschließt. Selbst wenn ein Prozessbevollmächtigter die von seiner Büroangestellten in den Fristenkalender eingetragene Frist überprüft, obwohl dies von der Aufgabenstellung her nicht erforderlich wäre, befreit ihn dies nicht davon, im Rahmen seiner Vorbereitung einer Prozesshandlung die Einhaltung der für diese vorgeschriebenen Frist nochmals zu überprüfen (BGH, Beschluss vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03, NJWRR 2004, 1150). Die Pflicht des Prozessbevollmächtigten zur eigenverantwortlichen Überprüfung der Frist besteht erst recht, wenn der Prozessbevollmächtigte, wie hier, die Frist nicht überprüft, sondern ungeprüft in die Handakte übertragen hat.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Wiechers Joeres Ellenberger
Matthias Menges