Entscheidungsdatum: 30.05.2011
1. NV: Bei fehlender Angabe der ladungsfähigen Anschrift eines Zeugen darf von einer Beweisaufnahme erst dann abgesehen werden, wenn das FG zur Behebung des Hindernisses fruchtlos eine Frist gesetzt hat .
2. NV: Ein im Ausland ansässiger Zeuge ist vom FG nicht zu laden, sondern von dem Beteiligten, der die Vernehmung dieses Zeugen beantragt hat, zu stellen .
3. NV: Das FG muss dem Kläger zur Wahrung rechtlichen Gehörs die Möglichkeit geben, einen im Ausland ansässigen Zeugen in einem neu anzuberaumenden Beweistermin zu stellen, wenn der Kläger erst im Laufe der mündlichen Verhandlung die Notwendigkeit erkennt, einen (weiteren) Beweis antreten zu müssen .
Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist zulässig und begründet. Sie führt nach § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
1. Die Klägerin hat ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Einvernahme von X als Zeugen beantragt u.a. zur "tatsächlichen Abgabe der Willenserklärungen, die zum Abschluss der Kaufverträge über die streitgegenständlichen Fahrzeuge geführt haben". Das FG hat diesem Beweisantrag nicht entsprochen unter Hinweis darauf, dass keine ladungsfähige Anschrift mitgeteilt worden sei. Sofern der Zeuge im Ausland ansässig sei, sei er von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu stellen, was nicht geschehen sei.
2. Die Klägerin sieht darin zu Recht eine Verletzung der dem FG von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO und des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes.
a) Die Einvernahme des Zeugen durfte nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die Klägerin habe die ladungsfähige Anschrift des Zeugen im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht angegeben. Denn die individualisierende Benennung eines Zeugen ist auch ohne seine ladungsfähige Anschrift ein den Anforderungen des § 373 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO genügender Beweisantritt. Da es sich um ein behebbares Hindernis handelt, hätte von einer Beweiserhebung erst dann abgesehen werden dürfen, wenn das Gericht zur Behebung des Hindernisses fruchtlos eine Frist gesetzt hätte (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. März 2009 XI B 40/08, nicht veröffentlicht, juris, unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 31. März 1993 VIII ZR 91/92, Neue Juristische Wochenschrift 1993, 1926).
b) Das FG durfte die Beweisaufnahme auch nicht --alternativ-- mit der Begründung ablehnen, dass ein im Ausland ansässiger Zeuge, um den es sich im Streitfall nach Aktenlage handelt, zur Sitzung des FG hätte gestellt werden müssen.
aa) Zwar entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass ein im Ausland ansässiger Zeuge vom FG nicht zu laden, sondern vom Beteiligten, der die Vernehmung dieses Zeugen beantragt, gemäß § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung zu stellen ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 11. November 2004 V B 82/04, BFH/NV 2005, 568, und vom 21. August 2006 X B 154/05, BFH/NV 2006, 2285, m.w.N.). Insoweit darf das FG für den Fall, dass der Zeuge von dem rechtskundig vertretenen Beteiligten nicht gestellt wurde, grundsätzlich ohne Berücksichtigung dieses Beweismittels den ihm vorliegenden Sachverhalt nach freier Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) würdigen (BFH-Beschlüsse vom 23. September 2010 XI B 97/09, BFH/NV 2011, 269; vom 12. Februar 2010 VIII B 192/09, BFH/NV 2010, 833, und in BFH/NV 2005, 568).
Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn ein Kläger erst im Laufe der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung die Notwendigkeit erkennt, einen (weiteren) Beweis für einen bestimmten Sachverhalt antreten zu müssen. In diesem Fall bestand für den Kläger vor der mündlichen Verhandlung kein Anlass, den im Ausland ansässigen Zeugen anreisen zu lassen, um ihn im Termin zu stellen.
Hält das Gericht bei dieser Sachlage die in das Wissen des Zeugen gestellten Umstände für entscheidungserheblich, muss es dem Kläger zur Wahrung rechtlichen Gehörs die Möglichkeit geben, den Zeugen in einem neu anzuberaumenden Beweistermin zu stellen, es sei denn, der Kläger erklärt in der mündlichen Verhandlung auf Befragen, dazu nicht willens oder in der Lage zu sein (vgl. zum Anspruch auf rechtliches Gehör bei der erstmaligen Benennung eines im Ausland ansässigen Zeugen in der mündlichen Verhandlung auch den BFH-Beschluss vom 25. November 2002 I B 32/02, BFH/NV 2003, 627).
bb) Danach hat das FG im Streitfall dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, dass es die in der mündlichen Verhandlung beantragte Vernehmung des Zeugen unterlassen hat, ohne der Klägerin die Möglichkeit zu geben, den Zeugen zu stellen.
Denn das FG hat den Beweisantrag als entscheidungserheblich angesehen. Es hat ihn weder als verspätet noch als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen und die Beweiserhebung auch nicht --anders als bei anderen von der Klägerin benannten Zeugen-- mit der Begründung abgelehnt, die in das Wissen des Zeugen gestellten Umstände seien für die Entscheidung nicht erheblich. Vielmehr hat es die Ablehnung der Vernehmung dieses Zeugen ausschließlich alternativ entweder mit der fehlenden Anschrift oder der fehlenden Präsenz des Zeugen begründet.
cc) Das angefochtene Urteil kann auch auf diesem Verfahrensfehler beruhen. Denn die Klägerin hat in der Beschwerdeschrift dargelegt, dass die Beweisaufnahme ergeben hätte, dass zwischen ihr und der Y Ltd. Kaufverträge über die streitgegenständlichen Fahrzeuge abgeschlossen worden seien.
3. Es erscheint sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 FGO die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, um die Stellung des benannten Zeugen zu ermöglichen.
Das FG wird im zweiten Rechtsgang außerdem zu beachten haben, dass § 3c Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nur dann anwendbar ist, wenn die Lieferschwelle des § 3c Abs. 3 UStG überschritten ist (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Juli 2009 XI B 24/09, BFHE 226, 449, unter II.3. a) und nicht dann, wenn sie unterschritten ist, wovon das FG in den Entscheidungsgründen seines Urteils (Seite 20 Buchst. i) ausgegangen ist.
Ferner wird im zweiten Rechtsgang zu berücksichtigen sein, dass die Klägerin mit Schriftsatz vom … Juni 2010 Kontoauszüge als Beweis für die Bezahlung der vertraglich vereinbarten Kaufpreise vorgelegt hat. Diese Unterlagen waren bislang nicht Gegenstand der Beweiswürdigung, obwohl die Überweisung eines Kaufpreises auf ein Konto ein Indiz für das Vorhandensein eines zugrunde liegenden Vertrages sein kann.