Entscheidungsdatum: 12.02.2010
1. NV: Erscheint ein im EU-Ausland ansässiger Zeuge im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht und kann der Beteiligte, der sich auf den Zeugen berufen hat, nicht darlegen, dass er ohne eigenes Verschulden daran gehindert war, den Zeugen in der mündlichen Verhandlung zu stellen, kann das Gericht grundsätzlich ohne Weiteres davon ausgehen, dass der Zeuge unerreichbar ist .
2. NV: Geht das FG aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände davon aus, dass Guthaben auf einem inländischen Bankkonto nicht dem im EU-Ausland ansässigen Kontoinhaber, sondern den Klägern als eigene zuzurechnen sind, weil die Kontoeröffnung durch den ausländischen Staatsbürger ein unbeachtliches Scheingeschäft war, darf es die Höhe der Einkünfte schätzen .
Die Beschwerde ist nicht begründet. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) liegen nicht vor.
1. Ein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegt nicht darin, dass das Finanzgericht (FG) ohne Vernehmung des von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) als Zeuge benannten, in Spanien ansässigen, und im Termin zur Beweisaufnahme nicht erschienenen G. in der Sache entschieden hat.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich aus § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung bei Auslandssachverhalten eine Beweismittelbeschaffungspflicht. Danach muss ein im Ausland ansässiger Zeuge ohne Ladung in der mündlichen Verhandlung gestellt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BFH-Beschluss vom 10. Oktober 2008 VIII B 22/08, BFH/NV 2009, 183, m.w.N.). Das gilt auch für einen im EU-Ausland ansässigen Zeugen. Die Rechtsprechung verstößt nicht gegen Gemeinschaftsrecht (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2005 IX B 131/05, BFH/NV 2006, 904; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Rz 60).
aa) Auf diese Rechtslage hat das FG die Beteiligten bereits frühzeitig ausdrücklich hingewiesen.
bb) Ohne Erfolg rügen die Kläger in diesem Zusammenhang das Fehlen eines Auslandsbezugs. Streitig war nicht, dass der Zeuge auf seinen Namen im Inland ein Bankkonto eröffnet hatte. Streitig waren die von den Klägern behaupteten (treuhänderischen) Geldübergaben und -rückgaben, die sich auf spanischem Boden abgespielt haben sollen. Darüber hinaus hat es das FG, das den Zeugen G. für einen Strohmann hielt, als aufklärungsbedürftig angesehen, ob der Zeuge G. (in Spanien) über die nötigen Geldmittel verfügte, die er nach dem Vortrag der Kläger in Deutschland vom Kläger anlegen lassen wollte (vgl. S. 19 und 20 im Urteil). Diese Umstände begründen einen Auslandsbezug des beweisbedürftigen Sachverhalts.
b) Wird die besondere Mitwirkungspflicht nicht erfüllt und lässt sich der Sachverhalt nicht anders aufklären, kann das Gericht grundsätzlich ohne Weiteres zum Nachteil des mitwirkungspflichtigen Beteiligten von einem Sachverhalt ausgehen, für den unter Berücksichtigung der Beweisnähe des Steuerpflichtigen und seiner Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhaltes eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2007 X B 34/07, BFH/NV 2008, 597).
aa) Es kann dahinstehen, ob der Prozess ausnahmsweise durch die Bestimmung eines neuen Termins zur Beweisaufnahme fortgesetzt werden muss, wenn der zu besonderer Mitwirkung verpflichtete Beteiligte ohne eigenes Verschulden daran gehindert war, seiner Mitwirkungspflicht zu entsprechen, etwa weil der von ihm zu stellende Zeuge verhandlungsunfähig erkrankt war. Tatsächliche Umstände, die es verbieten würden, den Klägern das Fernbleiben des Zeugen G. anzulasten, sind im Streitfall weder vorgetragen noch ersichtlich. Zwar haben die Kläger wenige Tage vor dem Termin mitgeteilt, der Zeuge G. könne nicht anreisen, da er sich "aus familiären Gründen unabkömmlich auf dem Festland" befinde. Diese nicht belegte Behauptung war jedoch nicht geeignet, die Kläger von ihrer besonderen Mitwirkungspflicht zu entbinden.
bb) Das FG hat es auch verfahrensfehlerfrei abgelehnt, den Zeugen G. im Ausland, insbesondere durch einen Bundeskonsul, vernehmen zu lassen. Zutreffend ist das FG von der Anwendbarkeit der §§ 363 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) im finanzgerichtlichen Verfahren ausgegangen. Die Entscheidung, ob und ggf. von welcher der in § 363 Abs. 1 und 2 bzw. § 364 Abs. 2 ZPO geregelten Alternativen der Beweiserhebung das Gericht Gebrauch macht, steht in seinem Ermessen (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Mai 1992 VIII B 76/91, BFH/NV 1993, 32). Im Streitfall hat das FG die Vernehmung des Zeugen G. im Ausland abgelehnt und seine Entscheidung darauf gestützt, dass wegen der Besonderheiten des Falles der persönliche Eindruck des Gerichts von dem Zeugen und seiner Glaubwürdigkeit unverzichtbar sei. Das ist nicht zu beanstanden, zumal das Gericht davon ausgegangen ist, dass die Kläger auf dem Konto des Zeugen G. eigenes und nicht dessen Geld angelegt hatten, der Zeuge mit der Bekundung des Gegenteils also aus der maßgeblichen Sicht des Gerichts eventuell die Unwahrheit gesagt hätte.
c) Da die Kläger den Zeugen G. in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt haben, durfte ihn das FG analog § 244 Abs. 3 der Strafprozessordnung als unerreichbares Beweismittel bewerten (BFH-Beschluss in BFH/NV 1993, 32) und ohne Weiteres zur Sache entscheiden.
2. Das FG hat bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (nicht erklärte Einkünfte aus Kapitalvermögen) weder seine Sachaufklärungspflicht noch das rechtliche Gehör der Kläger verletzt und insbesondere keine Überraschungsentscheidung getroffen.
a) Aufgrund der gesamten Umstände des Falles hat das FG die Kontoeröffnung durch den Zeugen G. als unbeachtliches Scheingeschäft angesehen und den Klägern die Guthaben und Einnahmen als eigene zugerechnet, von denen sie behaupten, dass sie dem Zeugen G. gehören. Vor diesem Hintergrund hat es seine Schätzungsbefugnis bejaht, weil die Kläger sämtliche Einnahmen aus dem streitigen Kapital in ihren Einkommensteuererklärungen nicht angegeben hatten. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, welche weitere Sachaufklärung sich dem FG bei dieser Sachlage hätte aufdrängen müssen. Letztlich wenden sich die Kläger gegen die ihres Erachtens unrichtige Würdigung des Sachverhalts durch das FG. Damit kann die Zulassung der Revision im Regelfall indes nicht erreicht werden.
b) Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch das FG verletzt auch nicht das rechtliche Gehör der Kläger. Die Schätzung war insbesondere nicht überraschend. Im Erörterungstermin am 30. Juli 2009 (eine Woche vor der mündlichen Verhandlung) hat das FG die beabsichtigte Schätzung mit den Beteiligten besprochen und ihnen dazu sogar ein Berechnungspapier ausgehändigt. Von einer überraschenden Entscheidung kann auch deshalb keine Rede sein, weil sich bereits die Klage gegen die Schätzung von Einkünften richtet und die fachkundig vertretenen Kläger damit rechnen mussten, dass das Gericht bei deren Überprüfung von seiner eigenen Schätzungsbefugnis Gebrauch machen würde.
3. Die Revision ist schließlich auch nicht wegen eines besonders schwer wiegenden Fehlers des FG bei der Anwendung des revisiblen Rechts zuzulassen.
a) Einen solchen Fehler hat die Rechtsprechung angenommen, wenn die Entscheidung objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 68, m.w.N.). Objektive Willkür hat der BFH etwa bejaht, wenn ein Schätzungsergebnis schlechthin unvertretbar ist (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25). Auch mehrere grobe Schätzungsfehler bei der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen führen aber regelmäßig noch nicht zu der Annahme, das Finanzamt habe bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt. Der Schätzungsbescheid ist dann zwar rechtswidrig und anfechtbar, aber nicht nichtig. Willkürlich und damit nichtig ist ein Schätzungsbescheid allerdings, wenn das Schätzungsergebnis trotz der vorhandenen Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden, wenn somit ein "objektiv willkürlicher Hoheitsakt" vorliegt (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Oktober 2005 IV B 65/04, BFH/NV 2006, 240). Schätzt das FG die Besteuerungsgrundlagen selbst, gilt insofern nichts anderes.
b) Gemessen an diesen Anforderungen liegt ein besonders schwer wiegender Rechtsfehler, der zur Zulassung der Revision führen kann, im Streitfall ersichtlich nicht vor. Das FG hat die Schätzung der Kapitaleinkünfte durch den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt) verworfen, weil in ihr Veränderungen des angelegten Kapitals oder Zinssatzes nicht hinreichend berücksichtigt waren. Es hat statt dessen eine "stark vereinfachte Geldverkehrsrechnung" aufgemacht, die, von weitgehend gesicherten Anfangs-Kapitalbeständen ausgehend, die jährlichen Kapitalzuflüsse und -abflüsse berücksichtigt, soweit sie realistisch sind und aufgrund ihrer Höhe über regelmäßige andere Einnahmen und deren Konsum hinausgehen. Das FG hat dabei eine verzinsliche Anlage des gesamten Kapitals und eine Zuschreibung der erzielten Zinserträge unterstellt. Außerdem hat es zu Gunsten der Kläger Werbungskosten geschätzt. Von einem willkürlichen Vorgehen kann danach keine Rede sein. Es kann auch dahinstehen, ob dem FG bei der Anwendung dieser Methode im Einzelnen Fehler unterlaufen sind. Dies würde nichts daran ändern, dass die Schätzung zumindest nicht willkürlich und nichtig ist.