Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 18.02.2010


BGH 18.02.2010 - Xa ARZ 14/10

Selbstständiges Beweisverfahren: Änderung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts durch eine nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung; Bindungswirkung einer Verweisung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
10a. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
18.02.2010
Aktenzeichen:
Xa ARZ 14/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. Auch im selbständigen Beweisverfahren wird die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts durch eine nachträgliche anderweitige Gerichtsstandsvereinbarung nicht berührt .

2. Auch im selbständigen Beweisverfahrens ist die Verweisung des Verfahrens für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend .

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das Landgericht Nürnberg-Fürth bestimmt.

Gründe

1

I. Die in Nürnberg ansässige Antragstellerin, die sich als "Eigentümergemeinschaft" bezeichnet, schloss 1995 als damals offenbar aus neun Personen bestehende "Bauherrengemeinschaft" mit der Rechtsvorgängerin der in Bottrop ansässigen Antragsgegnerin einen Vertrag über die Errichtung einer Wohnanlage in Frankenheim bei Leipzig. Nummer 14 Satz 2 des Vertrags lautet: "Erfüllungsort und Gerichtsstand ist für beide Teile Nürnberg." Wegen Mängeln der Wohnanlage hat die Antragstellerin beim Landgericht Leipzig die Begutachtung durch einen Sachverständigen im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt. Der Antrag ist der Antragsgegnerin zugestellt worden. Die Parteien haben gemeint, Nummer 14 Satz 2 des Vertrags enthalte eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung, und übereinstimmend eine Verweisung an das Landgericht Nürnberg-Fürth beantragt. Am 28. September 2009 vereinbarten sie noch einmal die örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts. Mit Beschluss vom 26. Oktober 2009 hat sich das Landgericht Leipzig für örtlich unzuständig erklärt und die Sache "… auf übereinstimmenden Antrag der Antragstellerin und der Antragsgegnerin an das nach der Gerichtsstandsvereinbarung der Verfahrensbeteiligten vom 24./28.09.2009 gemäß § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO örtlich zuständige Landgericht Nürnberg …" verwiesen. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat sich seinerseits für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Oberlandesgericht Dresden zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

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Das Oberlandesgericht hat die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es beabsichtigt, das Landgericht Nürnberg-Fürth als zuständiges Gericht zu bestimmen, weil der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Leipzig entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO Bindungswirkung entfalte. Das Oberlandesgericht sieht sich aber an einer entsprechenden Entscheidung durch einen Beschluss des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 28. Mai 1997 (OLGR 1998, 181) gehindert.

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II. Die Vorlage ist gemäß § 36 Abs. 3 ZPO zulässig.

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Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein Oberlandesgericht, das mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will. Diese Voraussetzung liegt vor. Das Oberlandesgericht meint, auch in einem selbständigen Beweisverfahren entfalteten Verweisungsbeschlüsse eine Bindungswirkung in entsprechender Anwendung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Damit will das vorlegende Oberlandesgericht in dieser Rechtsfrage von einer Entscheidung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken abweichen. Dieses nimmt an, für das selbständige Beweisverfahren komme eine analoge Anwendung des § 281 ZPO nicht in Betracht, möglich sei nur eine formlose Abgabe des Verfahrens (OLG Zweibrücken OLGR 1998, 181).

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III. Als zuständiges Gericht für die Entscheidung über den Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ist das Landgericht Nürnberg-Fürth zu bestimmen.

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1. Nach den gesetzlichen Zuständigkeitsregeln ist allerdings das Landgericht Leipzig für diese Entscheidung zuständig. Ist ein Rechtsstreit in der Hauptsache noch nicht anhängig, ist der Antrag bei dem Gericht zu stellen, das nach dem Vortrag des Antragstellers zur Entscheidung in der Hauptsache berufen wäre, § 486 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Dies ist hier das Landgericht Leipzig.

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a) Ein ausschließlicher Gerichtsstand in Nürnberg ist nicht durch Nummer 14 Satz 2 des Vertrags begründet worden. Diese Gerichtsstandsklausel entfaltete gemäß § 38 Abs. 1 ZPO i.V. mit § 38 Abs. 3 ZPO nur dann Wirkung, wenn die Antragstellerin Kaufmann wäre. Für die Qualifikation der Antragstellerin als oHG und damit als Kaufmann bestehen jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Antragstellerin hat weder zu ihrer Rechtsnatur noch dazu vorgetragen, ob ihr Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist.

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b) Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Leipzig folgt aus dem besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsorts. Für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen ist gemäß § 29 Abs. 1 ZPO das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen aus einem Bauwerkvertrag ist regelmäßig der Ort des zu errichtenden Bauwerks (BGHZ 157, 20, 25 f.; BGH, Beschl. v. 5.12.1985 - I ARZ 737/85, NJW 1986, 935), hier Frankenheim bei Leipzig. Anderes ergibt sich auch nicht aus Nummer 14 Satz 2 des Vertrags. Die Vereinbarung von Nürnberg als Erfüllungsort wäre gemäß § 29 Abs. 2 ZPO ebenfalls nur dann wirksam, wenn die Antragstellerin Kaufmann wäre, wofür jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte bestehen.

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c) Das Landgericht Leipzig ist auch nicht durch die Vereinbarung der Parteien vom 24./28. September 2009 örtlich unzuständig geworden. Die Vereinbarung eines Gerichtsstands war nach dem Entstehen der Streitigkeit gemäß § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO möglich, berührt aber in entsprechender Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO die einmal bestehende Zuständigkeit des Landgerichts Leipzig für die Entscheidung im selbständigen Beweisverfahren nicht. Die Vorschrift des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO ist im selbständigen Beweisverfahren zwar nicht unmittelbar anwendbar, weil eine Rechtshängigkeit der Streitsache nicht eintritt. Der Gesetzgeber hat auch nicht bestimmt, ob im selbständigen Beweisverfahren die Zuständigkeit des Gerichts durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände berührt wird. Es ist jedoch sachgerecht, den in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO niedergelegten Grundsatz auch auf das selbständige Beweisverfahren anzuwenden (OLG Celle OLGR 2005, 253, 254; OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1998, 1610; Fischer, MDR 2001, 608, 610). Das selbständige Beweisverfahren soll vor allem die Vermeidung oder die zügige Erledigung von Rechtsstreitigkeiten fördern und damit der Prozesswirtschaftlichkeit dienen. Diesem Zweck entspricht es, das Verfahren möglichst bei dem zunächst angerufenen Gericht abzuschließen (BGH, Beschl. v. 22.7.2004 - VII ZB 3/03, NZBau 2004, 550; OLG Schleswig OLGR 2009, 828, 829). Hiermit wäre nicht vereinbar, könnten die Parteien die Zuständigkeit des zunächst angerufenen Gerichts während der gesamten Dauer des selbständigen Beweisverfahrens durch die nachträgliche Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands beseitigen. Eine nach erfolgter Zustellung oder Übersendung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens an den Antragsgegner getroffene Gerichtsstandsvereinbarung berührt die bestehende Zuständigkeit des angerufenen Gerichts im selbständigen Beweisverfahren daher ebenso wenig wie im Klageverfahren (dazu BGH, Beschl. v. 16.11.1962 - III ARZ 123/62, NJW 1963, 585, 586; Bork in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 38 Rdn. 62; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 261 Rdn. 12; a.A. MünchKomm.ZPO/Becker-Eberhard, 3. Aufl., § 261 Rdn. 93). Hier erfolgte die Gerichtsstandsvereinbarung nach der Zustellung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, so dass die Zuständigkeit des Landgerichts Leipzig hiervon nicht berührt worden ist.

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2. Als zuständiges Gericht ist das Landgericht Nürnberg-Fürth deshalb zu bestimmen, weil es an den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Leipzig gebunden ist.

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a) Verweisungsbeschlüsse wirken in entsprechender Anwendung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO auch im selbständigen Beweisverfahren bindend, wenn dem Antragsgegner der Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens zuvor zugestellt oder übersandt worden ist.

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Ob Verweisungsbeschlüsse im selbständigen Beweisverfahren Bindungswirkung entfalten, wird nicht einheitlich beurteilt (befürwortend OLG Brandenburg OLGR 2006, 677, 678; OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1998, 1610;Fischer, MDR 2001, 608, 611; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 486 Rdn. 34; hierzu neigend auch OLG Schleswig OLGR 2009, 828, 829 f.; ablehnend OLG Zweibrücken OLGR 1998, 181; Musielak/Huber, ZPO, 7. Aufl., § 486 Rdn. 3; Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 486 Rdn. 2; s. auch OLG Celle OLGR 2005, 253, 254).

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Die Vorschrift des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ist im selbständigen Beweisverfahren zwar nicht unmittelbar anwendbar, weil dieses Verfahren kein Rechtsstreit im Sinne dieser Vorschrift ist. Allein das formale Argument, das selbständige Beweisverfahren begründe nicht die in § 281 ZPO vorausgesetzte Rechtshängigkeit der Hauptsache (so insbesondere OLG Zweibrücken OLGR 1998, 181), spricht jedoch nicht gegen eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift, wie sich etwa an der ständigen Rechtsprechung zeigt, die Verweisungen im Prozesskostenhilfeverfahren Bindungswirkung beimisst (statt aller BGH, Beschl. v. 9.3.1994 - XII ARZ 8/94, NJW-RR 1994, 706). Es ist vielmehr sachgerecht, die Vorschrift des § 281 ZPO auch auf das selbständige Beweisverfahren entsprechend anzuwenden. Sinn und Zweck der in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO angeordneten Bindungswirkung, Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkte Verzögerungen zu vermeiden und hierzu auch sachlich unrichtige Verweisungsbeschlüsse hinzunehmen, sind im selbständigen Beweisverfahren mindestens ebenso bedeutsam wie im Klageverfahren. Das selbständige Beweisverfahren dient gerade dazu, schnelle Feststellungen zur Vermeidung oder Vorbereitung eines Rechtsstreits zu ermöglichen. Hiermit wäre die ohne eine Bindungswirkung eröffnete Möglichkeit der Hin-, Rück- oder Weiterverweisung nicht zu vereinbaren.

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b) Die Voraussetzungen, unter denen ein Verweisungsbeschluss ausnahmsweise nicht bindend wirkt, liegen nicht vor.

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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Verweisungsbeschluss unter anderem dann nicht als verbindlich hingenommen werden, wenn er auf Willkür beruht. Hierfür genügt es nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt, insbesondere wenn er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH NJW-RR 2008, 1309). Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Leipzig nicht willkürlich.

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Das Landgericht Leipzig hat seinen Verweisungsbeschluss ausschließlich auf die durch die nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung begründete örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth gestützt. Offenbar ist das Landgericht Leipzig irrig davon ausgegangen, durch diese Vereinbarung örtlich unzuständig geworden zu sein, ohne dies allerdings auszusprechen. Dieser Rechtsfehler allein vermag den Vorwurf der Willkür nicht zu begründen. Es bedarf zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen (BGH, Beschl. v. 9.7.2002 - X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498). Derartige Umstände liegen hier, wie im Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts zutreffend ausgeführt, nicht vor.

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Eine Verweisung ist unter anderem dann nicht mehr nachvollziehbar, wenn sie die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO missbraucht. Dies kann anzunehmen sein, wenn das verweisende Gericht eine etwaige Fehlerhaftigkeit der Verweisung erkennt und trotzdem eine sorgfältige Prüfung seiner Zuständigkeit in der Absicht unterlässt, jedenfalls eine Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses herbeizuführen. Eine solche Verweisung missachtet die gesetzlichen Zuständigkeitsregeln und das Prinzip des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise auch dann, wenn sie dem übereinstimmenden Parteiwillen entspricht. Für die Annahme, das Landgericht Leipzig habe mit der Verweisung ohne Rücksicht auf deren mögliche Fehlerhaftigkeit ausschließlich den Zweck verfolgt, das Landgericht Nürnberg-Fürth zu binden, bestehen allerdings keine hinreichenden Anhaltspunkte. Solche ergeben sich nicht aus dem Umstand, dass die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin nach einem Telefonat mit der Einzelrichterin des Landgerichts Leipzig dieser am 23. September 2009 den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 2008 (BGH NJW-RR 2008, 1309) übersandt haben. Mit diesem Beschluss hat der Bundesgerichtshof entschieden, eine nur mit § 38 Abs. 1 ZPO begründete Verweisung sei nicht willkürlich, wenn beide Parteien die Verweisung unter Bezugnahme auf eine vertragliche Gerichtsstandsvereinbarung begehrt haben. Gegenstand dieser Entscheidung war eine fehlerhafte Verweisung, die auf eine vor Entstehen der Streitigkeit getroffene Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des § 38 Abs. 1 ZPO gestützt worden war. Eine derartige Verweisung hat das Landgericht Leipzig jedoch gerade nicht vorgenommen, vielmehr sind die zunächst auf Nummer 14 Satz 2 des Vertrags gestützten Verweisungsanträge der Parteien erfolglos geblieben. Die Verweisung ist erst auf die danach geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien nach § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO hin erfolgt. Eine solche war aber nicht Gegenstand des übersandten Beschlusses. Deshalb kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden, die Einzelrichterin des Landgerichts Leipzig habe aufgrund des übersandten Beschlusses die mögliche Fehlerhaftigkeit einer auf § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO gestützten Verweisung erkannt, diese aber zu dem Zweck hingenommen, eine Bindungswirkung herbeizuführen. Angesichts des übereinstimmenden Verweisungsbegehrens der Parteien schadet auch nicht, dass der Verweisungsbeschluss nicht näher begründet worden ist. Dies war ersichtlich durch die Übereinstimmung der Parteien verursacht. In solchen Fällen begründet das Fehlen einer näheren Begründung nicht die Willkürlichkeit der Verweisung (BGH, Beschl. v. 23.3.1988 - IVb ARZ 8/88, FamRZ 1988, 943; BGH NJW-RR 2008, 1309, 1310).

Meier-Beck                                       Mühlens                                     Berger

                              Grabinski                                      Hoffmann