Entscheidungsdatum: 10.10.2018
1. NV: Ein Urteil, das in Unkenntnis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergeht, ist ohne rechtliche Wirkung und aus Gründen der Rechtsklarheit aufzuheben .
2. NV: Wird ein Revisionsverfahren vor dem BFH wegen Insolvenz des Steuerpflichtigen unterbrochen, ist § 249 Abs. 3 ZPO auch bei vorherigem Verzicht auf mündliche Verhandlung nicht entsprechend anwendbar .
Das Urteil des Senats vom 15. Mai 2018 X R 18/16 wird aufgehoben.
Der Beschluss ergeht gerichtsgebührenfrei.
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) legte gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (FG) vom 7. April 2016 9 K 9257/13 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2016, 1245) Revision ein. Ihr Prozessbevollmächtigter (P) verzichtete am 9. November 2016 auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung. Mit Urteil vom 15. Mai 2018 X R 18/16 hat der angerufene Senat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Das Urteil wurde sowohl P als auch dem Beklagten und Revisionsbeklagten am 21. August 2018 zugestellt.
Am 24. August 2018 teilte P dem Senat mit, durch den Beschluss des Amtsgerichts A vom 22. Juni 2018 sei über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Mit Schreiben vom 18. September 2018 an die Senatsgeschäftsstelle erklärte der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Klägerin, die Aufnahme des Revisionsverfahrens sei nicht beabsichtigt.
II.
1. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin wurde das Revisionsverfahren unterbrochen (§ 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 240 Satz 1 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Dies hat zur Folge, dass eine gerichtliche Entscheidung, die in Unkenntnis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergeht, nach § 249 Abs. 2 ZPO, der auch für die Entscheidungen des Gerichts gilt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. September 1990 I R 143/87, BFHE 162, 208, BStBl II 1991, 101, unter II.B.1.a), ohne rechtliche Wirkung ist. Das gleichwohl ergangene Urteil ist aus Gründen der Rechtsklarheit aufzuheben (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. Entscheidungen vom 2. Oktober 1986 V R 99/78, BFHE 148, 184, BStBl II 1987, 147, unter II., und vom 19. Oktober 2010 I B 18/10, BFH/NV 2011, 282, Rz 2).
a) Der Senat hat das Revisionsurteil zwar am 15. Mai 2018, demnach vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, gefällt. Vor Verkündung oder Bekanntgabe stellt die Entscheidung jedoch nur eine innere Angelegenheit des Gerichts dar (BFH-Entscheidungen vom 21. Februar 1964 IV 295/59 S, BFHE 79, 294, BStBl III 1964, 338, unter II.1.; in BFH/NV 2011, 282, Rz 2; im Ergebnis ebenso BFH-Beschluss vom 10. September 2014 XI B 28/14, nicht veröffentlicht, unter II.1.).
b) Eine analoge Anwendung des § 249 Abs. 3 ZPO kommt bei dem Erlass eines Revisionsurteils im Falle der Insolvenz des Steuerpflichtigen auch dann nicht in Betracht, wenn die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben.
aa) Nach dieser Vorschrift wird die Verkündung der aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu erlassenden Entscheidung nicht durch die nach dem Schluss dieser Verhandlung eintretende Unterbrechung gehindert. Zwar wurde die Norm vereinzelt auch bei Unterbrechungen eines Revisionsverfahrens entsprechend angewandt, in denen das Gericht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hatte und die Entscheidung zuzustellen war. Der BFH hat diese Rechtsauffassung jedoch nur bei Unterbrechungen des Verfahrens wegen des Todes des Bevollmächtigten (Entscheidungen vom 25. Februar 1992 IX R 171/87, BFH/NV 1993, 603, unter I., und vom 28. Februar 1991 V R 117/85, BFHE 163, 410, BStBl II 1991, 466) entscheidungserheblich vertreten. Soweit der XI. Senat in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 XI R 35/10 (BFHE 233, 379, BStBl II 2011, 836, Rz 19) § 249 Abs. 3 ZPO analog auch bei einer Verfahrensunterbrechung wegen Insolvenz angewandt hat, lag dem ein anders gelagerter Sachverhalt zugrunde. Zum einen wurde in dem dortigen Streitfall das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerpflichtigen nach der mündlichen Verhandlung vor dem FG und vor Zustellung des Urteils an die Beteiligten eröffnet. Zum anderen nahm der Insolvenzverwalter auf Anfrage des FG --im Gegensatz zum vorliegenden Streitfall-- den Rechtsstreit zwecks Bekanntgabe des Urteils auf, so dass ihm daraufhin das Urteil zugestellt wurde.
bb) Wird ein Verfahren wegen Insolvenz des Steuerpflichtigen unterbrochen, ist nach Ansicht des erkennenden Senats § 249 Abs. 3 ZPO auch bei vorherigem Verzicht auf mündliche Verhandlung nicht entsprechend anwendbar. Denn damit würde zum einen dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit genommen, entsprechend seiner Funktion im Interesse der Masse über die Aufnahme des Verfahrens zu entscheiden (so im Ergebnis wohl auch BFH-Urteile vom 9. Juni 2010 IX R 53/09, BFH/NV 2011, 263, Rz 6, und vom 11. April 2013 V R 32/12, BFH/NV 2013, 1426, Rz 7).
Soweit demgegenüber § 249 Abs. 3 ZPO auch im schriftlichen Verfahren entsprechend angewandt wird (s. z.B. Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 76. Aufl., § 249 Rz 13; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 249 Rz 8; s.a. BFH-Beschluss in BFHE 163, 410, BStBl II 1991, 466), geht es --wie bei der Unterbrechung nach mündlicher Verhandlung-- allein darum, dass Vorbringen der Beteiligten nach diesem Zeitpunkt grundsätzlich nicht mehr bzw. nur noch unter besonderen Voraussetzungen berücksichtigt werden kann. Eine Unterbrechung des Verfahrens erst zu diesem Zeitpunkt kann die grundsätzlich nicht mehr anzuhörenden Parteien nicht belasten (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Februar 1991 4 RA 90/90, SozR 3-1750 § 249 Nr. 1, Rz 30).
Hinzu kommt, dass bei einer entsprechenden Anwendung des § 249 Abs. 3 ZPO der Zeitpunkt nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO zugrunde gelegt wird; das ist der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze entsprechend der gerichtlichen Terminbestimmung eingereicht werden können. Einen solchen Zeitpunkt gibt es im Revisionsverfahren vor dem BFH aber nicht, vielmehr führt der Verzicht auf mündliche Verhandlung nicht dazu, dass spätere Schriftsätze keine Beachtung finden. Den Beteiligten wird auch nach Verzicht auf mündliche Verhandlung noch rechtliches Gehör gewährt. Damit ist § 249 Abs. 3 ZPO in diesem Fall nicht anwendbar (so auch Zöller/Greger, a.a.O., § 249 Rz 8).
2. Der Beschluss ergeht gerichtskostenfrei.