Entscheidungsdatum: 15.01.2015
1. NV: Auch der Inhalt des Rubrums einer Einspruchsentscheidung ist nach den allgemein für Verwaltungsakte geltenden Regeln auslegungsfähig.
2. NV: Jedenfalls die Vorschrift des § 119 Abs. 1 AO, wonach Verwaltungsakte inhaltlich hinreichend bestimmt sein müssen, wird durch § 366 AO nicht verdrängt.
3. NV: Soweit in der Rechtsprechung gelegentlich die Aussage zu finden ist, bei der Auslegung behördlicher Erklärungen sei im Zweifel das den Betroffenen weniger belastende Ergebnis vorzuziehen, kann dies nur gelten, wenn überhaupt mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen. Ist hingegen nur ein einziges --wenn auch vom buchstäblichen Ausdruck (§ 133 BGB) abweichendes-- Auslegungsergebnis denkbar, ist dies auch dann zugrunde zu legen, wenn es dem Erklärungsempfänger nachteilig ist.
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) zu 1. und 2. sind Eheleute, die im Streitjahr 2008 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Sie sind Gesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin und Beschwerdeführerin zu 3., einer Steuerberatungs-GmbH (im Folgenden auch als GmbH bezeichnet).
Weil die Kläger zu 1. und 2. ihre Einkommensteuererklärung für 2008 zunächst nicht abgaben, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer 2008 mit Bescheid vom 3. September 2009 auf 29.680 € fest. Im Einspruchsverfahren, in dem die GmbH für die Kläger zu 1. und 2. auftrat, reichten diese ihre Steuererklärung nach. Daraufhin setzte das FA die Einkommensteuer am 5. November 2009 zunächst auf 28.616 € und mit weiterem Teilabhilfebescheid vom 23. Januar 2012 auf 28.376 € herab. Im An- und Abrechnungsteil des zuletzt genannten Bescheids war nach Anrechnung der Steuerabzugsbeträge eine verbleibende Einkommensteuer von 8.145 € ausgewiesen.
Am 21. November 2013 gab das FA eine an die GmbH adressierte Teileinspruchsentscheidung zur Post, die als "Teil-Einspruchsbescheid" bezeichnet war und den Vermerk "Durchschrift" enthielt. Auf der ersten Seite der Teileinspruchsentscheidung ist die Steuernummer der Kläger zu 1. und 2. angegeben; das für die Angabe des Inhaltsadressaten vorgesehene Feld enthält allerdings keine Eintragung. Der Tenor lautet: "Auf den Einspruch hin wird, soweit hierdurch über ihn entschieden wird, die Einkommensteuer 2008 von 8.145 € auf 6.844 € festgesetzt. Im Übrigen wird der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen." Diese Beträge waren auch im Einleitungssatz der Entscheidungsgründe der Einspruchsentscheidung genannt. Demgegenüber war in einer der Einspruchsentscheidung beigefügten Anlage (Steuerberechnung), auf die in den Gründen der Einspruchsentscheidung verwiesen wurde, die festgesetzte Einkommensteuer mit 27.095 € angegeben. Der im Tenor der Einspruchsentscheidung genannte Betrag von 6.844 € entsprach ausweislich der Steuerberechnung der nach Anrechnung der Steuerabzugsbeträge verbleibenden Einkommensteuer. In dieser Anlage zur Einspruchsentscheidung sind die Kläger zu 1. und 2. namentlich genannt ("Anlage zur Einspruchsentscheidung für 2008 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für Herrn und Frau ...
Mit ihrer Klage begehrten die Kläger die Feststellung der Nichtigkeit der Teileinspruchsentscheidung. Der Inhaltsadressat sei weder angegeben noch durch Auslegung zu ermitteln. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Kläger zu 1. und 2. als unbegründet ab. Es vertrat die Auffassung, die Einspruchsentscheidung sei ihnen gegenüber wirksam ergangen. Die gebotene Auslegung anhand der auf der ersten Seite der Einspruchsentscheidung angegebenen Steuernummer der Kläger zu 1. und 2. sowie der Bezeichnung ihrer Namen in der Anlage zur Einspruchsentscheidung führe eindeutig zu dem Ergebnis, dass sie die Inhaltsadressaten seien. Die Klägerin zu 3. unterliege als GmbH nicht der Einkommensteuer und scheide daher als Inhaltsadressatin eines Verwaltungsakts über Einkommensteuer offensichtlich aus. Auch die festgesetzte Steuer lasse sich der Steuerberechnung in der Anlage zur Einspruchsentscheidung eindeutig entnehmen.
Die Klage der Klägerin zu 3. verwarf das FG als unzulässig. Es fehle der GmbH an der erforderlichen Beschwer, weil sie nicht Inhaltsadressatin der Einspruchsentscheidung sei.
Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und Divergenz.
Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.
II. 1. Die Beschwerde der Kläger zu 1. und 2. ist unbegründet.
Keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe ist tatsächlich gegeben.
a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) im Hinblick auf die von den Klägern formulierten Rechtsfragen zuzulassen.
aa) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 X B 43/10, BFH/NV 2011, 636, unter II.1.).
bb) Die Rechtsfrage, ob das Rubrum einer Einspruchsentscheidung auslegungsfähig sei, ist nicht klärungsbedürftig. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es insbesondere, wenn die Rechtsfrage bereits durch den BFH geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 26. Oktober 2011 X B 4/11, BFH/NV 2012, 214, unter II.1.a, m.w.N.).
Nach dem Senatsurteil vom 29. Juli 1998 X R 3/96 (BFHE 186, 324, BStBl II 1998, 742, unter II.2.b) unterliegen auch Einspruchsentscheidungen den für Verwaltungsakte allgemein geltenden Auslegungsregeln. Diese Rechtsprechung wird durch die von den Klägern angeführten Literaturfundstellen nicht in Frage gestellt. Soweit es in einigen Kommentaren heißt, das Rubrum müsse die Beteiligten des Einspruchsverfahrens aufführen (vgl. Bartone in Beermann/Gosch, AO § 366 Rz 15; Pahlke in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 366 Rz 9), soll damit ersichtlich nicht die Auslegungsfähigkeit des Rubrums ausgeschlossen werden. Vielmehr weisen dieselben Autoren --unter Anführung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung-- im jeweiligen Zusammenhang auch darauf hin, dass der Inhalt des Rubrums unter Würdigung des gesamten Inhalts der Einspruchsentscheidung und der Gesamtumstände auszulegen ist (vgl. Bartone in Beermann/Gosch, AO § 366 Rz 14; Pahlke in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 366 Rz 3).
cc) Die weitere von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage, in welchem Umfang die Vorschriften des § 119 der Abgabenordnung (AO) auf eine Einspruchsentscheidung anwendbar sind, wäre teils in einem Revisionsverfahren im Streitfall nicht klärungsfähig, teils ist sie nicht klärungsbedürftig.
Nach § 119 Abs. 1 AO muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift kann ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. § 119 Abs. 3 AO enthält besondere Formvorschriften für schriftlich oder elektronisch erlassene Verwaltungsakte. Demgegenüber bestimmt § 366 AO, dass die Einspruchsentscheidung schriftlich zu erteilen, zu begründen, mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen und den Beteiligten bekannt zu geben ist.
Die Kläger verweisen für die Klärungsbedürftigkeit des Verhältnisses zwischen § 119 AO und § 366 AO auf eine einzelne Literaturfundstelle (Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 365 AO Rz 118), in der es heißt, § 119 AO sei auf Einspruchsentscheidungen nicht sinngemäß anwendbar, weil § 366 AO hierfür besondere Regeln bereithalte.
Indes enthält § 366 AO nur Formvorschriften (Schriftform, Begründungszwang, Rechtsbehelfsbelehrung, Bekanntgabe). Insoweit ist diese Vorschrift jedenfalls als Spezialregelung zu § 119 Abs. 2 AO (Grundsatz der Formfreiheit von steuerlichen Verwaltungsakten) anzusehen. Da derartige Formfragen durch den Streitfall aber nicht aufgeworfen werden, wäre das Verhältnis zwischen § 119 (Abs. 2) AO und § 366 AO insoweit im vorliegenden Verfahren nicht klärungsfähig.
Dass § 366 AO für Einspruchsentscheidungen eine Ausnahme von dem durch § 119 Abs. 1 AO allgemein angeordneten Erfordernis inhaltlich hinreichender Bestimmtheit enthalten könnte, wird --soweit ersichtlich-- von niemandem ausdrücklich vertreten. Vielmehr müssen auch Einspruchsentscheidungen --wie alle anderen Verwaltungsakte-- einen bestimmten und der Befolgung fähigen Inhalt aufweisen, was schon aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt. Davon unberührt bleibt, dass der Inhalt einer Einspruchsentscheidung nach einhelliger Auffassung (vgl. die unter bb angeführten Nachweise) auslegungsfähig ist.
b) Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) wegen Divergenz zum BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VII R 96/95 (BFHE 182, 282, BStBl II 1997, 339) zuzulassen.
In formaler Hinsicht fehlt es --wie das FA zutreffend anführt-- bereits an der Herausarbeitung eines abstrakten Rechtssatzes aus der angegriffenen vorinstanzlichen Entscheidung (vgl. zu diesem Erfordernis Senatsbeschluss vom 18. Januar 2011 X B 34/10, BFH/NV 2011, 813, unter 1.c, m.w.N.).
Eine Divergenz liegt aber auch tatsächlich nicht vor. In der angeführten BFH-Entscheidung heißt es, bei der Auslegung behördlicher Erklärungen sei im Zweifel das den Betroffenen weniger belastende Ergebnis vorzuziehen, da der Erklärungsempfänger durch etwaige Unklarheiten aus der Sphäre der Verwaltung nicht benachteiligt werden dürfe (BFH-Urteil in BFHE 182, 282, BStBl II 1997, 339, unter 2.a). Dies kann aber nur dann gelten, wenn überhaupt mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen ("im Zweifel"). Demgegenüber war vorliegend angesichts der Angabe der Steuernummer der Kläger zu 1. und 2. auf dem ersten Blatt der Einspruchsentscheidung und der ausdrücklichen Nennung ihrer Namen im Kopf der Anlage zur Einspruchsentscheidung jedes andere Auslegungsergebnis als das vom FG zutreffend gefundene ausgeschlossen.
2. Die Beschwerde der Klägerin zu 3. ist unzulässig.
Es fehlt insoweit an der gemäß § 116 Abs. 3 FGO erforderlichen Beschwerdebegründung. Das FG hat die Klage, soweit sie von der Klägerin zu 3. erhoben worden war, als unzulässig verworfen, weil diese durch die Teileinspruchsentscheidung nicht beschwert sei. Mit dieser Begründung des finanzgerichtlichen Urteils befassen sich die Kläger in ihrer Beschwerdebegründung nicht. Insbesondere machen sie nicht geltend, die Steuerberatungs-GmbH könne selbst Inhaltsadressatin der zur Einkommensteuer ergangenen Einspruchsentscheidung sein.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.