Entscheidungsdatum: 26.10.2011
NV: Der für das Realsplitting (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG) im Jahr 2008 geltende Höchstbetrag von 13.805 € ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden .
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) leistete im Streitjahr 2008 aufgrund einer Mediationsvereinbarung "zur Abgeltung ehelichen und nachehelichen Unterhalts sowie als Zugewinnausgleich" monatliche Zahlungen von 2.600 € (insgesamt 31.200 €) an seine geschiedene Ehefrau (E). Aus diesen Zahlungen hatte E auch den Beitrag zu ihrer privaten Krankenversicherung zu finanzieren.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Zahlungen im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2008 mit dem in § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) genannten Höchstbetrag von 13.805 € als Sonderausgaben. Der Kläger hält die gesetzliche Begrenzung für verfassungswidrig; zumindest aber seien die für die Krankenversicherungsbeiträge bestimmten Teile der Unterhaltsleistungen zusätzlich zum gesetzlichen Höchstbetrag abzuziehen.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt die Begrenzung der Abziehbarkeit von Unterhaltsleistungen an den geschiedenen Ehegatten auf einen Höchstbetrag --unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)-- für verfassungsgemäß. Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur zusätzlichen Berücksichtigung solcher Unterhaltsleistungen, die für Krankenversicherungsbeiträge verwendet würden, bestehe ausweislich der im BVerfG- Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06 (BVerfGE 120, 125) enthaltenen Weitergeltungsanordnung für Veranlagungszeiträume vor 2010 noch nicht.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.
Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob es mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes und dem Sozialstaatsprinzip vereinbar ist, dass § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG den Sonderausgabenabzug auf 13.805 € beschränkt, auch wenn zivilrechtlich ein wesentlich höherer Unterhalt zu leisten ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung.
a) Grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 X B 43/10, BFH/NV 2011, 636, unter II.1.). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es insbesondere dann, wenn die Rechtsfrage bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 2004 VIII B 245/03, BFH/NV 2004, 1524, und vom 11. November 2004 II B 172/03, BFH/NV 2005, 509, unter II.1.a).
b) Der Kläger legt hierzu dar, den frühen Entscheidungen des BVerfG zu der aufgeworfenen Rechtsfrage sei nicht zu entnehmen, dass die verfassungsrechtliche Pflicht zur einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen der Höhe nach auf das sozialhilfe- und steuerrechtliche Existenzminimum beschränkt sei. Erst in späteren Kammerentscheidungen seien die ursprünglichen, vorsichtigen Formulierungen des BVerfG dann dergestalt verdichtet worden, dass das heutige, auch vom FG aufgegriffene Verständnis der Verfassungsrechtsprechung hervorgerufen worden sei. Obwohl die Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG wiederholt bestätigt worden sei, fehle es bislang an einer exakten Analyse der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, erst recht aber an einer schlüssigen und widerspruchsfreien Einordnung in die tragenden Grundsätze der Steuergerechtigkeit und des Gleichheitssatzes.
Zwar habe das BVerfG entschieden, dass Unterhaltszahlungen an Kinder einkommensteuerrechtlich nicht zwingend in voller Höhe der zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche abziehbar sein müssten und ein Abzug in Höhe des Existenzminimums den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge. Dies sei aber auf den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nicht übertragbar. Denn bei Kindern verzichte der Staat auf die Besteuerung der Unterhaltsleistungen bei deren Empfängern; in Fällen des Realsplittings aber nicht.
c) Die vom Kläger vorgenommene Analyse der Rechtsprechung zwingt trotz ihrer Sorgfalt nicht dazu, eine erneute höchstrichterliche Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG vorzunehmen.
Der BFH hat wiederholt entschieden, dass der in dieser Vorschrift genannte Höchstbetrag den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (für die Veranlagungszeiträume 1984 und 1985 BFH-Urteil vom 24. Juli 1996 X R 152/90, BFH/NV 1996, 889; für die Veranlagungszeiträume 1998 und 1999 BFH-Beschluss vom 25. Februar 2005 III B 77/04, BFH/NV 2005, 1276).
Er konnte sich hierbei auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG stützen (für den Veranlagungszeitraum 1979 BVerfG-Beschluss vom 4. Juli 1988 1 BvR 729/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1989, 442; für den Veranlagungszeitraum 1981 BVerfG-Beschluss vom 19. August 1986 1 BvR 694/85, Deutsche Steuer-Zeitung 1988, 489; für den Veranlagungszeitraum 1983 BVerfG-Beschlüsse vom 18. September 1985 1 BvR 893/85, Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst 1985, 326, und vom 15. Juli 1987 1 BvR 54/87, HFR 1988, 242; für die Veranlagungszeiträume 1984 und 1985 BVerfG-Beschluss vom 11. Oktober 1996 2 BvR 1929/96, Steuer-Eildienst 1996, 746). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der gesetzliche Höchstbetrag in den Veranlagungszeiträumen bis einschließlich 1989 --auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Geldentwertung-- deutlich niedriger war als im Streitjahr 2008.
Zur Begründung haben sich die angeführten Entscheidungen in erster Linie auf den --vom Kläger angegriffenen-- Gesichtspunkt gestützt, dass auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht die Regelsätze der Sozialhilfe als wesentlicher Anhaltspunkt für die Zwangsläufigkeit von Unterhaltsaufwendungen anzusehen seien.
Auch wenn dieser Gedanke --so der Kläger-- der frühen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht eindeutig zu entnehmen gewesen sein sollte, entspricht er doch dem heutigen Stand der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und Dogmatik. Eine erneute Klärungsbedürftigkeit folgt aus einer derartigen allmählichen Fortentwicklung und Konkretisierung der Rechtsprechung nicht.
Im Übrigen ist die einkommensteuerrechtliche Behandlung der Unterhaltsleistungen beim Empfänger, aus der der Kläger die von ihm gewünschte Differenzierung zwischen Kindes- und Ehegattenunterhalt ableiten will, nur einer von mehreren Gesichtspunkten gewesen, die das BVerfG in seiner Entscheidung zum Kindesunterhalt für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Begrenzung des Abzugs auf das Existenzminimum angeführt hat. Darüber hinaus hat es auch auf Gesichtspunkte der Verwaltungsvereinfachung abgestellt sowie den Gedanken hervorgehoben, dass die steuerliche Entlastung nicht zwingend nach dem sozialen Status der einzelnen Familie ausgerichtet werden müsse (BVerfG-Beschluss vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84 u.a., BVerfGE 82, 60, unter C.III.3.d).
Der weitere Hinweis des Klägers auf den strafrechtlichen Schutz nachehelicher Unterhaltsansprüche (§ 170 des Strafgesetzbuchs) geht schon deshalb fehl, weil der zivilrechtlich zu leistende Kindesunterhalt nach der genannten Vorschrift in demselben Maße geschützt ist, hieraus also keine Differenzierungen zwischen Kindes- und Ehegattenunterhalt abgeleitet werden können.
d) Ohnehin käme in einem künftigen Revisionsverfahren im Streitfall die vom Kläger begehrte Vorlage an das BVerfG auch deshalb nicht in Betracht, weil vorrangig zu klären wäre, in welcher Höhe die vom Kläger im Streitjahr geleisteten Zahlungen als Unterhaltsleistungen einerseits und als --einkommensteuerrechtlich nicht berücksichtigungsfähige-- Zugewinnausgleichszahlungen andererseits anzusehen wären. Denn nach der in der Mediationsvereinbarung enthaltenen Zweckbestimmung sollten die Zahlungen --ohne dass aus dem Schriftstück selbst ein Aufteilungsmaßstab hervorginge-- sowohl dem Unterhalt als auch dem Zugewinnausgleich dienen.
2. Soweit der Kläger die Zulassung der Revision wegen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der zusätzlichen Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen in Höhe der Krankenversicherungsbeiträge der E begehrt, sind die gesetzlichen Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht erfüllt.
Der Kläger bringt insoweit lediglich vor, anders als beim Sonderausgabenabzug der Krankenversicherungsbeiträge als solche seien hier keine Gründe für eine befristete Fortgeltung der verfassungswidrigen Rechtslage erkennbar. Denn die Belastung der öffentlichen Haushalte sei angesichts der "relativ kleinen Zahl der Fälle", in denen Unterhaltszahlungen an den geschiedenen Ehegatten, die auch Krankenversicherungsbeiträge abdeckten, den gesetzlichen Höchstbetrag überschreiten würden, nur gering.
Wenn der Kläger aber selbst einräumt, dass die Zahl der Fälle, die insoweit von der Weitergeltungsanordnung betroffen seien, nur gering sei, spricht dies dafür, dass das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der Klärung dieser Rechtsfrage nicht in dem Maße berührt ist, das für die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erforderlich wäre. Der Kläger hätte dann zumindest ergänzend darlegen müssen, aus welchen anderen Gesichtspunkten sich eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit an dieser Frage ergeben könnte. Daran fehlt es.