Entscheidungsdatum: 24.03.2010
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 28. September 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird auf 244.231,16 € festgesetzt.
I.
Die Parteien streiten um die Kaufpreiszahlung aus der Lieferung von Fischen (Klage) und um Schadensersatz wegen eines behaupteten Koi-Herpesvirusbefalls in der Anlage des Beklagten durch die gelieferten Fische (Widerklage).
Der Kläger betreibt eine Fischzucht. Er züchtet unter anderem Koi-Karpfen und verkauft diese an andere Händler, so auch an die Beklagte. Im Rahmen dieses Geschäftsbetriebs veräußerte und lieferte der Kläger an die Beklagte am 5. April 2005, am 13. April 2005 und am 21. April 2005 Koi-Karpfen. Die Lieferungen vom 5. April und 13. April 2005 wurden von der Beklagten bezahlt. Die Rechnung für die Lieferung vom 21. April 2005 über 11.766,46 € brutto, die Gegenstand der Klageforderung ist, bezahlte die Beklagte nicht. Sie beruft sich darauf, dass die vom Kläger am 5. April gelieferten Koi-Karpfen mit dem Koi-Herpesvirus befallen gewesen seien und ihre Fische infiziert hätten. Hierdurch sei ihr ein Schaden von bislang 227.646,70 € entstanden. Mit dieser Schadensersatzforderung rechnet die Beklagte teilweise gegen die Klageforderung auf und macht den überschießenden Betrag im Wege der Widerklage geltend. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Lieferung des Klägers die Infektion der Koi-Karpfen der Beklagten verursacht hat.
Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie mündlicher Anhörung der Sachverständigen der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts aufgehoben und in einem Grundurteil einen Anspruch der Beklagten gegen den Kläger auf Ersatz des durch die Lieferung von mit dem Herpesvirus befallenen Koi-Karpfen im April 2005 entstandenen Schadens bejaht. Zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Anspruchs unter Berücksichtigung eines eventuellen Mitverschuldens der Beklagten wegen mangelnder Quarantänehaltung hat es die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie ist auch begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hat die Sachverständige entgegen § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1, § 402 ZPO nicht erneut angehört, obwohl es deren Ausführungen anders gewürdigt hat als das Landgericht, und dadurch den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291, Tz. 4 im Anschluss an BVerfG, NJW 2005, 1487; BGH, Beschluss vom 5. April 2006 - IV ZR 253/05, FamRZ 2006, 946, Tz. 1; jeweils zur unterbliebenen Neuvernehmung eines Zeugen in der Berufungsinstanz). Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist daher zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO).
1. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen können sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht - wie vorliegend - das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz (BGHZ 162, 313, 317; Senatsurteil vom 25. April 2007 - VIII ZR 234/06, NJW 2007, 2919, Tz. 34). Wenn sich das Berufungsgericht von der Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht zu überzeugen vermag, so ist es an die erstinstanzliche Beweiswürdigung, die es aufgrund konkreter Anhaltspunkte nicht für richtig hält, nicht gebunden, sondern zu einer erneuten Tatsachenfeststellung nicht nur berechtigt, sondern, was das Berufungsgericht verkannt hat, sogar verpflichtet (BGHZ 162, 313, 317).
a) Hierzu bedarf es beim Zeugenbeweis nicht in jedem Fall einer erneuten Vernehmung des bereits erstinstanzlich vernommenen Zeugen. Anerkannt ist jedoch, dass das Berufungsgericht einen Zeugen nochmals vernehmen muss, wenn es dessen Glaubwürdigkeit anders beurteilen oder den Beurkundungen des Zeugen eine andere Tragweite oder ein anderes Gewicht geben, sie also anders verstehen oder würdigen will als die Vorinstanz (vgl. BGH, Urteile vom 20. November 1984 - VI ZR 74/83, NJW 1985, 3078, unter II 2; vom 12. November 1991 - VI ZR 369/90, NJW 1992, 741, unter II 2 b bb; Urteil vom 19. Februar 1998 - I ZR 20/96, NJW-RR 1998, 1601, unter II 2 a; Urteil vom 15. September 2005 - I ZR 58/03, NJW-RR 2006, 267, Tz. 23; Senatsurteil vom 8. Dezember 1999 - VIII ZR 340/98, NJW 2000, 1199, unter II 2 a). Die erneute Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (Senatsbeschluss vom 14. Juli 2009, aaO, Tz. 5; BGH, Urteil vom 10. März 1998 - VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, unter II 1 b; Senatsurteil vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285, unter II 2 b aa). Dieser Grundsatz ist Ausprägung der pflichtgebundenen Ausübung des dem Berufungsgericht nach § 398 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens (BGH, Urteil vom 15. September 2005, aaO; Senatsurteil vom 8. Dezember 1999, aaO).
b) Beim Sachverständigenbeweis gilt im Grundsatz nichts anderes (§ 402 ZPO). Auch dort bedarf es einer erneuten Anhörung des Sachverständigen durch das Berufungsgericht dann, wenn es dessen Ausführungen abweichend von der Vorinstanz würdigen will, insbesondere ein anderes Verständnis der Ausführungen des Sachverständigen zugrunde legen und damit andere Schlüsse aus diesen ziehen will als der Erstrichter (BGH, Urteile vom 3. Dezember 1985 - VI ZR 106/04, NJW 1986, 1540, unter II 2; vom 8. Juni 1993 - VI ZR 192/92, NJW 1993, 2380, unter II 2 a; vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 235/92, NJW 1994, 803 unter II).
c) Eine abweichende Würdigung im vorgenannten Sinne ist jedenfalls dann gegeben, wenn - wie hier - das Berufungsgericht die von der Sachverständigen vorgenommene zusammenfassende Würdigung ihrer komplexen Ausführungen, die das erstinstanzliche Gericht aus dem unmittelbaren Eindruck einer persönlichen Anhörung heraus als Einschränkung der vorherigen Angaben angesehen hat, anders verstehen will als das Erstgericht.
Die Sachverständige hat sich in zwei schriftlichen Gutachten unter Verwendung eines abgestuften Systems von Wahrscheinlichkeitsgraden zu Einzelaspekten der Kausalität der klägerischen Lieferung für die Erkrankung der Fische bei der Beklagten geäußert. Im Rahmen der mündlichen Anhörung vor dem Landgericht hat die Sachverständige eine zusammenfassende Beurteilung der Ursächlichkeit vorgenommen und hierzu ausgeführt, dass eine Wahrscheinlichkeit für die Ursächlichkeit der klägerischen Lieferung für den Ausbruch des Virus in der Fischteichanlage der Beklagten spreche. Die Beurteilung des Ansteckungswegs sei jedoch schwierig, da es sich um ein erst vor kurzer Zeit identifiziertes Virus handele.
Das Landgericht hat diese zusammenfassende Bewertung durch die Sachverständige als Relativierung ihrer vorherigen Angaben gewürdigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Kausalität der klägerischen Lieferung für die Erkrankung der Fische bei der Beklagten nicht mit der für die richterliche Überzeugungsbildung erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne.
Das Berufungsgericht hat demgegenüber der zusammenfassenden Bewertung der Sachverständigen keine relativierende Bedeutung beigemessen. Insofern hat das Berufungsgericht einen zentralen Punkt der Ausführungen der Sachverständigen anders gewichtet als das Landgericht. Diese abweichende Würdigung durfte das Berufungsgericht nicht ohne Anhörung der Sachverständigen vornehmen.
2. Bei dem aufgezeigten Fehler des Berufungsgerichts handelt es sich nicht nur um einen einfachen Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften, der für sich genommen noch nicht zum Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde führen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2005 - V ZR 271/04, NJW 2005, 2624, unter II 2 b). Mit der vorstehend genannten, von der Vorinstanz abweichenden Würdigung des Sachverständigengutachtens hat das Berufungsgericht vielmehr das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Juli 2009, aaO, Tz. 4).
3. Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es die Sachverständige erneut angehört hätte.
Ball Dr. Frellesen Dr. Milger
Dr. Fetzer Dr. Bünger