Entscheidungsdatum: 10.08.2010
Der VIII. Zivilsenat schließt sich zur Frage der Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG VV auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens gemäß Vorbemerkung 3 Absatz 4 RVG VV der eine Anwendung des § 15a RVG befürwortenden Rechtsprechung anderer Zivilsenate (Beschlüsse vom 2. September 2009, II ZB 35/07, NJW 2009, 3101; 9. Dezember 2009, XII ZB 175/07, NJW 2010, 1375; 3. Februar 2010, XII ZB 177/09, AGS 2010, 106; 11. März 2010, IX ZB 82/08, juris; 29. April 2010, V ZB 38/10, AGS 2010, 263) zur Vermeidung eines der Sache nicht angemessenen Vorgehens nach § 132 GVG an .
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 29. Januar 2010 aufgehoben.
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hannover vom 2. November 2009 dahin abgeändert, dass über die dort festgesetzten Kosten hinaus die von dem Kläger an die Beklagte aufgrund des Urteils des Landgerichts Hannover vom 10. Juli 2009 zu erstattenden Kosten auf weitere 318,68 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Juli 2009 festgesetzt werden.
Der Kläger hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Streitwert: 318,68 €.
I.
Die Parteien haben um die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Gebrauchtfahrzeug gestritten. Das Landgericht hat die Klage durch rechtskräftiges Urteil vom 10. Juli 2009 abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von 8.000 € auferlegt. Hierauf gestützt hat die Beklagte unter dem 15. Juli 2009 die Festsetzung von Kosten in Höhe von 1.359,58 € gegen den Kläger beantragt. In ihrem Ansatz, dem sie einen Streitwert von 8.028,02 € zu Grunde gelegt hatte, war eine 1,3-fache Verfahrensgebühr gemäß § 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG in Höhe von 583,70 € netto enthalten.
Das Landgericht hat die nach einem Streitwert von 8.000 € bemessenen Kosten der Beklagten auf insgesamt 930,82 € festgesetzt und dabei die Verfahrensgebühr mit Rücksicht auf das vorprozessuale Tätigwerden ihrer Prozessbevollmächtigten nur mit dem 0,65-fachen Satz (267,80 € netto = 318,68 € brutto) in Ansatz gebracht. Ihre mit dem Ziel eingelegte sofortige Beschwerde, die Anrechnung der außergerichtlichen Gebühr zu beseitigen, hatte keinen Erfolg. Mit ihrer vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Festsetzung einer ungekürzten 1,3-fachen Verfahrensgebühr weiter.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 575 ZPO) hat Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht ist mit dem Landgericht der Auffassung, dass es nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zu einer Kürzung der von der Beklagten angesetzten Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG auf den 0,65-fachen Satz kommen müsse. Daran ändere auch § 15a RVG nichts, weil diese Bestimmung im Hinblick auf die Überleitungsvorschrift des § 60 RVG hier keine Anwendung finde. Denn die in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorgeschriebene Anrechnung, die allein das Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant betreffe, sei durch § 15a RVG nicht außer Kraft gesetzt worden. Vielmehr habe der Gesetzgeber mit § 15a Abs. 2 RVG erstmals eine Regelung zu der Frage getroffen, wann sich ein Dritter auf eine Anrechnungsvorschrift wie diejenige in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG berufen könne. Entgegen der Auffassung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 2. September 2009 - II ZB 35/07, NJW 2009, 3101) habe der Gesetzgeber mit § 15a RVG auch keine Vorschrift geschaffen, die die bisher schon geltende Rechtslage lediglich klarstelle. Der Gesetzgeber habe vielmehr erstmals die von ihm zuvor nicht bedachte Frage geregelt, ob und inwieweit die im Verhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt intern vorzunehmende Anrechnung auch für das auf eine Kostenerstattung gerichtete Außenverhältnis zwischen den Parteien eines Rechtsstreits Geltung beanspruchen könne. Darin habe eine lediglich in die Zukunft wirkende Gesetzesänderung gelegen, deren Inkrafttreten sich wegen einer sonst eintretenden (unechten) Rückwirkung, die der Gesetzgeber angesichts der daraus resultierenden weitreichenden Folgen mit seiner Gesetzesänderung nicht beabsichtigt haben könne, allein nach § 60 Abs. 1 RVG bestimme.
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Rechtsbeschwerde macht zutreffend geltend, dass die in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorgeschriebene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens der Parteien in der Weise hätte erfolgen müssen, wie sie nunmehr in § 15a RVG beschrieben ist, der durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2449) in das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz eingefügt worden und gemäß Art. 10 Satz 2 dieses Gesetzes am 5. August 2009 in Kraft getreten ist.
a) Die Frage, ob sich durch die anteilige Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG die in einem anschließenden gerichtlichen Verfahren anfallende Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vermindert, war bislang umstritten und ist auch nach Einfügung des § 15a RVG umstritten geblieben, soweit es den zeitlichen Geltungsbereich dieser Anrechnungsvorschrift betrifft. Dessen Absatz 1 bestimmt zur Anrechnung einer Gebühr, dass in Fällen, in denen das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorsieht, der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern kann, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Absatz 2 sieht vor, dass ein Dritter sich auf die Anrechnung nur berufen kann, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.
b) Der Senat hat bis zum Erlass des § 15a RVG in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass sich durch die anteilige Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nicht die bereits entstandene Geschäftsgebühr, sondern die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren nach Nr. 3100 VV RVG anfallende Verfahrensgebühr vermindert und dass es für die Anrechnung ohne Bedeutung ist, ob die Geschäftsgebühr auf materiell-rechtlicher Grundlage vom Prozessgegner zu erstatten und ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist oder nicht (Senatsbeschlüsse vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323, Tz. 6 ff.; vom 10. März 2009 - VIII ZB 111/07, juris, Tz. 6; jeweils m.w.N.). Dem sind mehrere Zivilsenate des Bundesgerichtshofs (Beschlüsse vom 14. August 2008 - I ZB 103/07, AGS 2008, 574, unter [II] 1 b; vom 30. April 2008 - III ZB 8/08, NJW-RR 2008, 1095, Tz. 4; vom 16. Juli 2008 - IV ZB 24/07, AGS 2008, 377, unter [II] 2 b, c; vom 3. Juni 2008 - VI ZB 55/07, NJW-RR 2008, 1528, Tz. 5 f.; vom 25. September 2009 - VII ZB 93/07, juris, Tz. 5; vom 25. September 2008 - IX ZR 133/07, NJW 2008, 3641, Tz. 12) sowie das Bundesverwaltungsgericht (JurBüro 2009, 594) gefolgt.
c) Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 2. September 2009 – II ZB 35/07, aaO, Tz. 6 ff.) hat sich dem nicht anzuschließen vermocht, seine Bedenken jedoch nicht näher ausgeführt, weil er den zwischenzeitlich in Kraft getretenen § 15a RVG auch auf noch nicht abgeschlossene Kostenfestsetzungsverfahren angewandt wissen will. Dies hat er damit begründet, dass der Gesetzgeber mit dem neu eingefügten § 15a RVG das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nicht geändert, sondern lediglich die seiner Ansicht nach bereits vor dessen Einfügung bestehende Rechtslage klargestellt habe, derzufolge sich die Anrechnung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG grundsätzlich im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht auswirke, sondern nur das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant betreffe. Dieser vor allem in der Instanzrechtsprechung seither umstrittenen Sichtweise haben sich mittlerweile mehrere Zivilsenate des Bundesgerichtshofs angeschlossen (Beschlüsse vom 9. Dezember 2009 - XII ZB 175/07, NJW 2010, 1375, Tz. 11 ff. m.w.N. zum Streitstand; vom 3. Februar 2010 - XII ZB 177/09, AGS 2010, 106, unter [III] 3; vom 11. März 2010 - IX ZB 82/08, juris, Tz. 6; vom 29. April 2010 - V ZB 38/10, AGS 2010, 263, unter [III] 1), während der X. Zivilsenat (Beschluss vom 29. September 2009 - X ZB 1/09, NJW 2010, 76, Tz. 23 f.) dagegen - allerdings in einer nicht entscheidungstragenden Erwägung - Bedenken erhoben hat.
Der Senat schließt sich zur Vermeidung eines der Sache nicht angemessenen Vorgehens nach § 132 GVG der vorgenannten, eine Anwendung des § 15a RVG befürwortenden Rechtsprechung ebenfalls an. Danach ist auch für die Zeit vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes davon auszugehen, dass die in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG angeordnete Anrechnung für die Höhe der gesetzlichen Gebühren, deren Erstattung § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO im Verhältnis der Prozessparteien untereinander vorsieht, ohne Bedeutung ist und eine obsiegende Prozesspartei mithin die Erstattung einer ungekürzten Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG beanspruchen kann.
3. Die Rechtsbeschwerde rügt hiernach zu Recht, dass das Beschwerdegericht die angemeldete Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG nur gekürzt und nicht mit dem 1,3-fachen Satz in Ansatz gebracht hat. Da in der Sache keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, sondern der Sachverhalt zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat gemäß § 577 Abs. 5 ZPO nach Maßgabe vorstehender Beschlussformel in der Sache selbst zu entscheiden.
Ball Dr. Milger Dr. Hessel
Dr. Achilles Dr. Bünger