Entscheidungsdatum: 05.06.2014
Verhandeln die Parteien nach Kündigung eines Bauvertrages über dessen Fortsetzung, ist regelmäßig die Verjährung eines Anspruchs aus § 649 Satz 2 BGB gehemmt.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 26. September 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der D. GmbH (Schuldnerin). Er macht gegen den Beklagten einen nach § 649 Satz 2 BGB berechneten Vergütungsanspruch aus einem Bauwerkvertrag geltend.
Die Schuldnerin und der Beklagte schlossen im Juli 2006 einen Vertrag, in dem sich die Schuldnerin zur Erstellung eines Einfamilienhauses verpflichtete. Diesen Vertrag kündigte der Beklagte mit Schreiben vom 8. August 2006 unter Benennung verschiedener Gründe, deren Berechtigung zwischen den Parteien streitig war und ist. Zwischen August 2006 und März 2007 korrespondierten und sprachen die Vertragsparteien über die Weiterführung des Vertragsverhältnisses. Zu diesen Verhandlungen heißt es im Schreiben der Schuldnerin vom 7. November 2006:
"Laut aktuellem Stand aufgrund des Gesprächs vom 22.9.2006 ist der Abschluss weiterer Vertragsergänzungen avisiert mit dem besprochenen Inhalt. Den Leistungsumfang und die entsprechenden Kosten/Gutschriften entnehmen Sie bitte der mit Schreiben vom 6.10.2006 übersandten Zusammenfassung des Vertragsstandes. Sollte der Abschluss weiterer Vertragsergänzungen nicht gewünscht sein, bitten wir um verbindliche Mitteilung, ob der derzeit unterschriftlich vereinbarte Vertragsumfang zur Ausführung gelangen soll. Sollte Ihr Mandant am geschlossenen Bauvertrag nicht festhalten wollen, was wir sehr bedauern würden, wäre dessen Kündigungsschreiben vom 8.8.2006 als Kündigung nach § 649 BGB auszulegen. Vorsorglich weisen wir auf die entsprechenden Kostenfolgen hin. Ihr Mandant hätte die vereinbarte Vergütung abzüglich unserer Ersparnisse zu zahlen, ohne hierfür eine Gegenleistung zu erhalten. In diesem Fall würden wir Schlussrechnung legen."
Zu einer Fortsetzung des Vertrages kam es nicht.
Der Kläger erstellte unter dem 14. Oktober 2009 eine Schlussrechnung unter Ansatz der Bauvertragssumme abzüglich ersparter Aufwendungen über 21.769,50 €. Wegen dieses Betrages hat der Kläger mit beim Amtsgericht am 28. Dezember 2009 eingegangenem Antrag das Mahnverfahren eingeleitet. Nach Einlegung des Widerspruchs durch den Beklagten hat das Amtsgericht am 7. Januar 2010 die Nachricht über den Widerspruch und die Kostenanforderung zur Durchführung des streitigen Verfahrens an den Kläger versandt, wo sie am 11. Januar 2010 eingegangen ist. Der Kläger hat die Anspruchsbegründung am 7. Oktober 2010 eingereicht und am 22. Oktober 2010 den angeforderten Kostenvorschuss eingezahlt.
Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Die auf § 649 Satz 2 BGB gestützte Vergütungsforderung verjähre regelmäßig binnen drei Jahren. Die Verjährung habe mit dem Ablauf des 31. Dezember 2006 begonnen, da der Entstehungstatbestand für den geltend gemachten Anspruch aus § 649 Satz 2 BGB mit dem Zugang der Kündigung des Beklagten im August 2006 gegeben gewesen sei. Die regelmäßige Verjährung habe sich deshalb mit Ablauf des 31. Dezember 2009 vollendet.
Diese Verjährung sei nicht durch Aufnahme von Verhandlungen über den streitgegenständlichen Vergütungsanspruch zwischen der Schuldnerin und dem Beklagten gemäß § 203 BGB gehemmt worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sei der Begriff "Verhandlungen" im Sinne von § 203 Satz 1 BGB weit auszulegen. Würden Verhandlungen über den Anspruch aufgenommen, wirke die Hemmung auf den Zeitpunkt seiner Geltendmachung zurück. Unter "Anspruch" sei keine bestimmte materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage zu verstehen. Der Gläubiger müsse aber klarstellen, dass er einen Anspruch geltend mache und worauf er ihn im Kern stützen wolle. Der Gegenstand der Verhandlung sei durch Auslegung zu ermitteln. Auszugehen sei von dem Lebenssachverhalt, aus dem der Gläubiger seinen Anspruch herleite. Im Zweifel sei anzunehmen, dass sich die Verhandlung auf alle Ansprüche erstrecke, die sich aus diesem Sachverhalt für den Gläubiger ergeben könnten. Anderes gelte, wenn die Parteien nur über bestimmte Ansprüche verhandelt hätten, die aus dem Sachverhalt erwachsen könnten. Ausnahmsweise wirke daher die Hemmung für einen abgrenzbaren Teil der Ansprüche nicht, wenn die Parteien nur über bestimmte andere Ansprüche verhandelt hätten.
Auf dieser Grundlage sei festzustellen, dass die Schuldnerin und der Beklagte nach der Erklärung der Kündigung des Bauwerkvertrages noch nicht über den nunmehr streitgegenständlichen Vergütungsanspruch aus § 649 Satz 2 BGB verhandelt hätten. Das Schreiben der Schuldnerin vom 22. August 2006, welches die darauffolgende Korrespondenz eingeleitet habe, habe ausdrücklich zum Ziel gehabt, das gestörte Vertrauensverhältnis wiederherzustellen. In der Folge hätten deshalb die Vertragsparteien über die Aufnahme von Zusätzen und Änderungen zum Bauwerkvertrag und über den aus solchen Abreden resultierenden geänderten Vertragspreis verhandelt. Inhaltlich sei es darum gegangen, ob das von dem Beklagten gekündigte Vertragsverhältnis mit Änderungen und Ergänzungen doch noch hätte durchgeführt werden können. Dies beinhalte gerade einen anderen, von der Geltendmachung des Anspruches aus § 649 Satz 2 BGB zu unterscheidenden und abtrennbaren Teil des Lebenssachverhaltes. Den Anspruch aus § 649 Satz 2 BGB habe die Schuldnerin im Rahmen dieser Verhandlungen bewusst nicht geltend gemacht. Dies ergebe sich in aller Deutlichkeit aus dem Schreiben der Schuldnerin vom 7. November 2006.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Verjährung des streitgegenständlichen Vergütungsanspruchs sei nicht durch die bis März 2007 zwischen den Vertragsparteien geführte Korrespondenz und die bis dahin andauernden Gespräche gehemmt worden, ist von Rechtsfehlern beeinflusst.
1. Gegenstand der Verhandlungen gemäß § 203 Satz 1 BGB sind der "Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände". Damit ist im Sinne eines Lebenssachverhalts die Gesamtheit der tatsächlichen Umstände gemeint, die nach dem Verständnis der Verhandlungsparteien einen Anspruch erzeugen, wobei das Begehren nicht besonders beziffert oder konkretisiert sein muss (BTDrucks. 14/6040 S. 112; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, Neubearbeitung 2009, § 203 Rn. 14). Dieser Lebenssachverhalt wird grundsätzlich in seiner Gesamtheit verhandelt. Damit werden sämtliche Ansprüche, die der Gläubiger aus diesem Sachverhalt herleiten kann, von der Hemmung der Verjährung erfasst (Staudinger/Peters/Jacoby, aaO, § 203 Rn. 14, 15). Ausnahmsweise wirkt die Hemmung nicht für einen abtrennbaren Teil eines Anspruchs, wenn die Parteien nur über den anderen Teil verhandelt haben. Eine solche Beschränkung der Hemmungswirkung muss sich aus dem Willen der Verhandlungsparteien eindeutig ergeben (BGH, Urteil vom 19. November 1997 - IV ZR 357/96, NJW 1998, 1142).
2. Den Verhandlungen der Vertragsparteien lag die Vorstellung zugrunde, der Schuldnerin könne ein Anspruch aus § 649 Satz 2 BGB zustehen. Dieser Anspruch bestand nur, wenn dem Beklagten ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung nicht zustand. Die dafür maßgeblichen Umstände waren streitig. Eine Umsetzung der Kündigung war daher für beide Vertragsparteien risikobelastet und praktisch schwierig. Deshalb haben die Vertragsparteien über die Möglichkeiten, das Bauvorhaben fortzuführen, korrespondiert und gesprochen.
Verhandelt wurde damit über den einheitlichen Lebenssachverhalt, der sich aus dem Werkvertrag, den Schwierigkeiten der Vertragsverwirklichung, der Kündigung und den Abhilfemöglichkeiten zusammensetzt. Aus diesem Lebenssachverhalt folgt auch der Anspruch aus § 649 Satz 2 BGB. Diesen Teil des Lebenssachverhalts haben die Vertragsparteien von ihren Verhandlungen gerade nicht ausgeschlossen. Er bildete vielmehr den Hintergrund der Verhandlungsbemühungen, wie sich aus dem Schreiben der Schuldnerin vom 7. November 2006 ergibt.
III.
Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Nach den getroffenen Feststellungen ist der Anspruch des Klägers nicht verjährt:
1. Nach § 203 Satz 1 BGB endet die Hemmung auch durch das Einschlafen der Verhandlungen. Das ist der Zeitpunkt, in dem spätestens eine Erklärung der anderen Seite zu erwarten gewesen wäre. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Anwalt des Beklagten darauf hingewiesen, nach seinem am 15. März 2007 endenden Urlaub auf die Angelegenheit zurückzukommen. Danach sind entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht nur eine Woche, sondern mindestens zwei Wochen als angemessene Reaktionsfrist anzusetzen. Damit endeten die Verhandlungen nicht vor Ablauf des 29. März 2007. Deshalb war die Verjährung mindestens 88 Tage gehemmt.
2. Die weitere Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, § 167 ZPO begann am 28. Dezember 2009 und endete wegen Nichtbetreibens des Verfahrens am 11. Juli 2010 (§ 204 Abs. 2 Satz 2 BGB). Unter Berücksichtigung der Hemmungsfrist nach § 203 Satz 1 BGB wäre die Verjährungsfrist am 10. Oktober 2010 abgelaufen.
3. Mit Eingang des Schriftsatzes vom 7. Oktober 2010 an diesem Tag bei Gericht begann die Hemmung nach § 204 Abs. 2 Satz 3 BGB erneut.
IV.
Die Klageabweisung des Berufungsgerichts wegen Verjährung kann daher keinen Bestand haben. Da das Berufungsgericht keine Feststellungen zu den Voraussetzungen des vom Kläger geltend gemachten Vergütungsanspruchs getroffen hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben, und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Kniffka Eick Halfmeier
Kartzke Jurgeleit