Entscheidungsdatum: 10.03.2011
Sowohl die Zwangsvollstreckung wegen des Anspruchs auf Zahlung von Verzugszinsen als auch wegen der Ansprüche auf Erstattung von Prozesskosten und Kosten der Zwangsvollstreckung unterfällt dem Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO, wenn diese Ansprüche Folgen der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind .
Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss der 55. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 11. Juli 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
I.
Der Gläubiger hat am 19. Mai 2008 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt, durch den unter anderem die angeblichen Ansprüche des Schuldners auf Zahlung der nach dem Sozialgesetzbuch fällig werdenden laufenden Geldleistungen gegen den Drittschuldner zu 1 gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen worden sind.
Der Gläubiger betreibt die Zwangsvollstreckung aus dem vollstreckbaren Versäumnisurteil des Amtsgerichts N. vom 4. Januar 2008 unter anderem wegen 102,09 € Hauptforderung, außergerichtlicher Schadenskosten in Höhe von 17 €, außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 39 € und Zinsen hieraus, aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts N. vom 27. Februar 2008 wegen festgesetzter Kosten des Hauptsacheverfahrens in Höhe von 112,75 € nebst Zinsen und wegen Kosten der Zwangsvollstreckung.
Unter Ziffer 2 des Versäumnisurteils wird festgestellt, dass der Beklagte die Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung schuldet.
Den Antrag des Gläubigers, den unpfändbaren Betrag gemäß § 850f Abs. 2 ZPO auf die jeweilige gesetzliche Größe gemäß §§ 20, 22 SGB II je Monat festzusetzen, hat das Vollstreckungsgericht zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Antrag weiter.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht führt aus, die Erhöhung des pfändbaren Betrages nach § 850f Abs. 2 ZPO komme nicht in Betracht, weil es sich bei dem vollstreckbaren Titel um ein Versäumnisurteil handele, das weder Tatbestand noch Entscheidungsgründe enthalte. Dem Vollstreckungsgericht sei es daher nicht möglich, die Voraussetzungen des Vollstreckungsprivilegs (Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung) zu überprüfen. Es hat auf die Ausführungen des Amtsgerichts Bezug genommen. Dieses meint, bei Versäumnisurteilen sei das Vollstreckungsgericht nicht an die Entscheidung des Prozessgerichts gebunden, weil keine materiell-rechtliche Befassung des Prozessgerichts stattfinde; die rechtliche Einordnung beruhe allein auf einseitigen, vor der Titulierung nicht oder nur auf Schlüssigkeit geprüften Angaben des Gläubigers. Die Berechtigung zum erweiterten Vollstreckungszugriff sei ausschließlich durch das Prozessgericht zu beurteilen; diese Prüfung könne nicht durch die bloße Behauptung, der Anspruch ergebe sich aus unerlaubter Handlung, ersetzt werden. Wolle der Gläubiger dies verhindern, müsse er Titel dieser Art vermeiden oder titelergänzende Feststellungsklage erheben.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die Vorschrift des § 850f Abs. 2 ZPO erweitert den Zugriff des Gläubigers auf das Arbeitseinkommen des Schuldners, wenn er wegen eines Anspruchs aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vollstreckt. Der Schuldner soll in diesen Fällen bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit auch mit den Teilen seines Arbeitseinkommens einstehen, die ihm sonst nach der Vorschrift des § 850c ZPO zu belassen wären. Über die Herabsetzung des unpfändbaren Betrages entscheidet das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers. Allerdings ist es nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichts, auch über das Vorliegen eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zu entscheiden. Insoweit ist es an die Auffassung des Prozessgerichts gebunden. Um den Nachweis für die Vollstreckungsprivilegierung zu erbringen, hat der Gläubiger dem Vollstreckungsgericht daher einen Titel vorzulegen, aus dem sich - gegebenenfalls im Wege der Auslegung - der deliktische Schuldgrund und der von § 850f Abs. 2 ZPO vorausgesetzte Grad des Verschuldens ergeben; eine davon abweichende Beurteilung ist dem Vollstreckungsgericht versagt (BGH, Beschluss vom 5. April 2005 - VII ZB 17/05, NJW 2005, 1663 = Rpfleger 2005, 370).
b) Nach diesen Grundsätzen hat der Senat bereits entschieden, dass durch die Vorlage eines Vollstreckungsbescheides der Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO durch den Gläubiger nicht geführt werden kann (BGH, Beschluss vom 5. April 2005 - VII ZB 17/05, aaO). Ob dies in gleicher Weise auch für ein Versäumnisurteil gilt, das weder Tatbestand noch Entscheidungsgründe enthält (bejahend: LG Frankenthal, Rpfleger 2006, 29; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 850f Rn. 9; verneinend: OLG Stuttgart, OLGReport 2000, 255; Musielak/Becker, ZPO, 6. Aufl., § 850f Rn. 10; vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Juni 2006 - VII ZB 161/05, NZI 2006, 593 = Rpfleger 2006, 617), muss der Senat im vorliegenden Fall nicht entscheiden. Denn das Versäumnisurteil des Amtsgerichts N. vom 4. Januar 2008 enthält im Tenor unter Ziffer 2 die Feststellung, dass der Beklagte die Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung schuldet. Diese Feststellung des Prozessgerichts bindet das Vollstreckungsgericht (BGH, Beschluss vom 5. April 2005 - VII ZB 17/05, aaO) Sie genügt entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts für den Nachweis der Voraussetzungen des § 850f Abs. 2 ZPO. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist es unschädlich, dass das Versäumnisurteil lediglich auf eine Behauptung des Gläubigers gestützt wird. Anders als beim Vollstreckungsbescheid (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 5. April 2005 - VII ZB 17/05, aaO Rn. 10) findet eine Schlüssigkeitsprüfung aufgrund der vorgetragenen anspruchsbegründenden Tatsachen statt, § 331 Abs. 2 ZPO. Ein auf dieser Grundlage ergangenes Urteil ist eine ausreichende Legitimation für eine Bindung des Vollstreckungsgerichts.
Die Feststellung bezieht sich erkennbar auf alle Schadenspositionen, die im Tenor unter Ziffer 1 genannt sind. Dem steht die Formulierung "die Forderung" im Singular nicht entgegen, denn die unter Ziffer 1 mit aufgeführten außergerichtlichen Schadenskosten in Höhe von 17 € sind wie die Hauptforderung in Höhe von 102,09 € ausschließlich aus der Anspruchsgrundlage der unerlaubten Handlung geschuldet und von der Formulierung ebenfalls erfasst.
c) Ob auch die Zwangsvollstreckung wegen der durch den Kostenfestsetzungsbeschluss titulierten Prozesskosten nebst Zinsen und wegen der Kosten der Zwangsvollstreckung (§ 788 ZPO) der Privilegierung des § 850f Abs. 2 ZPO unterfällt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
aa) So wird die Auffassung vertreten, das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO finde wegen der engen materiell-rechtlichen Verbindung auch auf die Vollstreckung wegen des Zinsanspruchs (LG Stuttgart, Rpfleger 2005, 38 und InVo 2005, 281; KG, Rpfleger 1972, 66 zu § 67 Abs. 2 Nr. 5 BVersG), der Prozesskosten (LG Saarbrücken, JurBüro 2006, 380; LG Ellwangen, JurBüro 2003, 660; LG Dortmund, Rpfleger 1989, 75; MünchKommZPO/Smid, 3. Aufl., § 850f Rn. 14) oder der Vollstreckungskosten (Zöller/Stöber, aaO Rn. 8; Musielak/Becker, aaO Rn. 9; MünchKommZPO/Smid, aaO Rn. 14) Anwendung. Es handele sich um adäquate Folgen der unerlaubten Handlung.
bb) Die Gegenmeinung (betreffend die Zinsen: LG Ellwangen, JurBüro 2003, 660; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 21. Aufl., § 850f Rn. 8; MünchKommZPO/Smid, aaO Rn. 14; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn. 1191; Musielak/Becker, aaO Rn. 9; betreffend die Prozess- und Zwangsvollstreckungskosten: LG Hannover, Rpfleger 1982, 232; Zöller/Stöber, aaO Rn. 8) geht demgegenüber auf der Grundlage einer am Wortlaut orientierten engen Auslegung davon aus, dass Verzugszinsen und Prozesskosten aus einem anderen Rechtsgrund als aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung geschuldet werden und deshalb nicht § 850f Abs. 2 ZPO unterfielen.
cc) Der Senat schließt sich der erstgenannten Meinung an. Sowohl die Zwangsvollstreckung wegen des Anspruchs auf Zahlung von Verzugszinsen als auch wegen der Ansprüche auf Erstattung von Prozesskosten und Kosten der Zwangsvollstreckung unterfällt dem Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO, wenn diese Ansprüche Folgen der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind.
Der Gesetzgeber wollte dem Gläubiger eines Anspruchs aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung eine Vorzugsstellung bei der Zwangsvollstreckung in das Arbeitseinkommen des Schuldners einräumen. Damit sollte einem Grundgedanken unseres Rechts entsprochen werden, der unter anderem nach § 393 BGB für das Recht der Aufrechnung gilt (BT-Drucks. 3/415 unter IV 5). Zu § 393 BGB ist allgemeine Meinung, dass der Zweck des Gesetzes es rechtfertigt, das dort geregelte Aufrechnungsverbot auf Ansprüche auf Erstattung von Folgeschäden eines vorsätzlichen Delikts wie etwa Kostenerstattungsansprüche oder Ansprüche auf Verzugszinsen auszudehnen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2010 - IX ZR 67/10, WM 2011, 131 m.w.N.). Eine gleichermaßen funktional wie systematisch indizierte Parallele bietet § 302 Nr. 1 InsO (PG/Ahrens, § 850f Rn. 35). Zu dieser Ausnahmeregelung der Restschuldbefreiung bei Ansprüchen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass auch die durch die unerlaubte Handlung verursachten Nebenforderungen wie Zinsen und Kosten nicht an der Restschuldbefreiung teilnehmen (BGH, Urteil vom 18. November 2010 - IX ZR 67/10, WM 2011, 131). Er hat dazu ausgeführt, dass der Schutz des geschädigten Gläubigers unvollständig bliebe, wenn man nur die Hauptforderung, nicht aber auch die durch die Handlung verursachten Nebenforderungen von der Restschuldbefreiung ausnehme.
Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Restschuldbefreiung den durch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung geschädigten Gläubiger härter trifft als die Versagung einer Erhöhung des pfändbaren Betrags, besteht kein Anlass, dies insoweit anders zu sehen. Maßgeblich ist die gesetzgeberische Wertung, die den Gläubiger umfassend schützen will. § 850f Abs. 2 ZPO will dem Gläubiger die Kompensation erleichtern und es besteht kein Anlass, abweichend von vergleichbaren Regelungen mit ähnlicher Intention die durch die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung entstandenen Folgekosten nicht in den Regelungsbereich der Norm einzubeziehen. Die Pflicht des Schuldners, entstandenen Schaden wieder gut zu machen, besteht nicht nur hinsichtlich des Schadensersatzanspruches selbst, sondern auch bezüglich der Folgeschäden wie Kostenerstattungsansprüche für die Durchsetzung und Verzugszinsen für verspätete Zahlung, die eng mit der schädigenden Handlung zusammenhängen. Sie stammen ebenfalls "aus" einer unerlaubten Handlung, sind also Bestandteil des Hauptanspruchs aus unerlaubter Handlung, auch wenn die Anspruchsgrundlage aus Verzug oder prozessualer bzw. materieller Kostenerstattung folgt.
dd) Aus § 788 Abs. 1 ZPO lässt sich für den Anspruch auf Erstattung der Zwangsvollstreckungskosten nichts Gegenteiliges herleiten. Die Vorschrift besagt lediglich, dass die Kosten der Vollstreckung, ohne gesondert tituliert zu sein, zugleich mit dem Hauptanspruch beigetrieben werden können. Welche Vermögensgegenstände des Schuldners dieser Zwangsvollstreckung unterliegen, regelt die Norm nicht (KG, Rpfleger 1972, 66).
ee) Nichts anderes folgt daraus, dass die Vollstreckungsprivilegierung nach § 850d Abs. 1 Satz 1 ZPO nur gesetzliche Unterhaltsansprüche des Gläubigers, nicht aber den prozessualen Kostenerstattungsanspruch umfasst (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - VII ZB 65/08, FamRZ 2009, 1483 f.).
Hinter der durch § 850d Abs. 1 ZPO für gesetzliche Unterhaltsansprüche angeordneten Herabsetzung der Pfändungsfreigrenzen steht das gesetzgeberische Anliegen, den Gläubiger, der seinen Unterhalt nicht selbst bestreiten kann, nicht auf die staatliche Sozialfürsorge zu verweisen. Stattdessen soll er privilegiert Zugriff auf das Arbeitseinkommen des ihm gegenüber unterhaltspflichtigen Schuldners nehmen dürfen (BGH, Beschluss vom 5. Juli 2005 - VII ZB 11/05, FamRZ 2005, 1564, 1565). An diesem Privileg nimmt die Zwangsvollstreckung wegen des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs nicht teil, weil insoweit kein Bedürfnis besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - VII ZB 65/08 aaO Rn. 11).
Schutzzweck des § 850f Abs. 2 ZPO ist dagegen das vom besonderen Unrechtsgehalt der Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung getragene Ausgleichsinteresse. Hinter der durch § 850f Abs. 2 ZPO nach dem Ermessen des Vollstreckungsgerichts ermöglichten Herabsetzung der Pfändungsfreigrenzen steht das gesetzgeberische Anliegen, dass der Schuldner für vorsätzlich begangene unerlaubte Handlungen bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit einzustehen hat. Der Schuldner soll somit den gesamten entstandenen Schaden mit der erforderlichen Anstrengung ersetzen. Es ist kein Grund ersichtlich, dem Schuldner durch einschränkende Auslegung des § 850f Abs. 2 ZPO einen Schutz angedeihen zu lassen, den er nicht verdient.
3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Eine abschließende Entscheidung des Senats ist nicht möglich, § 577 Abs. 5 ZPO. Das Beschwerdegericht hat, von seinem Standpunkt aus konsequent, sein Ermessen nach § 850f Abs. 2 ZPO nicht ausgeübt und keine Feststellungen dazu getroffen, wie viel dem Schuldner für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten zu belassen ist. Die Aufhebung und Zurückverweisung gibt ihm Gelegenheit, dies nachzuholen. Dabei wird das Beschwerdegericht auch zu überprüfen haben, aus welchem Rechtsgrund die Position "unverzinsliche Kosten 44 €" geschuldet wird und ob diese ebenfalls unter das Privileg des § 850f Abs. 2 ZPO fällt.
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