Entscheidungsdatum: 31.05.2017
Jedenfalls soweit ein zulässiges Rechtsbeschwerdeverfahren wegen einer Forderungspfändung beim Bundesgerichtshof anhängig ist, ist dieser kraft Devolutiveffekts zuständiges Vollstreckungsorgan im Sinne der §§ 764, 828 ZPO. Er kann daher die Zwangsvollstreckung einstellen und Pfändungsbeschlüsse aufheben.
Die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. September 2016 (2-03 O 315/16) wird eingestellt.
Der Pfändungsbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 12. Oktober 2016 (82 M 15838/16) wird aufgehoben.
I.
Mit Urteil des Berufungsgerichts in Brüssel vom 16. November 2011 wurde die Schuldnerin verurteilt, an die Gläubigerin den Gegenwert von 6.906.600 USD in Euro zuzüglich Zinsen und Verfahrenskosten zu zahlen. Das Landgericht Frankfurt am Main erklärte dieses Urteil mit Beschluss vom 23. September 2016 für vollstreckbar und setzte die von der Schuldnerin bis zur Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung zu erbringende Sicherheitsleistung auf 13.200.000 € fest. Die Vollstreckbarerklärung wurde der Schuldnerin erst am 9. Mai 2017 zugestellt.
Auf Grundlage der mit der Vollstreckungsklausel versehenen Vollstreckbarerklärung hat das Amtsgericht F. auf Antrag der Gläubigerin durch Beschluss vom 12. Oktober 2016 Forderungen der Schuldnerin gegen mehrere Drittschuldner gepfändet. Auf die Erinnerung der Schuldnerin hat es mit Beschluss vom 7. November 2016 den Pfändungsbeschluss aufgehoben und die Wirksamkeit des Aufhebungsbeschlusses von seiner Rechtskraft abhängig gemacht. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 16. Januar 2017 zurückgewiesen. Wie das Amtsgericht hat auch das Beschwerdegericht angenommen, ein Pfändungsbeschluss habe vor Zustellung der Vollstreckbarerklärung nicht erlassen werden dürfen. Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts hat die Gläubigerin die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt.
Die Schuldnerin hat Hinterlegungsbescheinigungen vorgelegt, nach denen sie am 21. November 2016 und am 23. März 2017 bei der Gerichtskasse F. Beträge von 12.882.931,46 € und 317.068,54 € - insgesamt somit 13.200.000 € - hinterlegt hat. Sie begehrt die Einstellung der Zwangsvollstreckung und die Aufhebung des Pfändungsbeschlusses.
II.
Entsprechend § 20 Abs. 2 AVAG ist die Zwangsvollstreckung einzustellen und der erlassene Pfändungsbeschluss aufzuheben.
1. Die Vorschriften des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes vom 19. Februar 2001 in der Fassung vom 30. November 2015 (BGBl. I S. 2146) - AVAG - sind hier entsprechend anwendbar. Da sich die Vollstreckbarerklärung auf ein belgisches Urteil aus dem Jahr 2011 und somit auf eine Entscheidung bezieht, die in einem vor dem 10. Januar 2015 eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergangen ist, richtet sich das Verfahren der Vollstreckbarerklärung gemäß Art. 66 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. Nr. L 351 vom 20. Dezember 2012, S. 1) - Brüssel-Ia-VO - nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. Nr. L 12 vom 16. Januar 2001, S. 1) - Brüssel-I-VO. Auf solche Altverfahren sind die Vorschriften des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes entsprechend anzuwenden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2017 - VII ZB 64/15 m.w.N.).
2. Die Regelung des § 20 Abs. 2 AVAG entspricht § 775 Nr. 3, § 776 Satz 1 ZPO (vgl. BT-Drucks. 11/351, S. 26 zu § 22 Abs. 2 AVAG in der Fassung von 1988). Liegt ein in § 775 ZPO (oder entsprechend in § 20 Abs. 2 AVAG) benanntes Vollstreckungshindernis vor, stellt das Vollstreckungsorgan von Amts wegen die Vollstreckung ein (vgl. MünchKommZPO/Schmidt/Brinkmann, 5. Aufl., § 775 Rn. 24; Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 14. Aufl., § 775 Rn. 12; Wieczorek/Schütze/Spohnheimer, ZPO, 4. Aufl., § 775 Rn. 50; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 775 Rn. 9; Hk-ZPO/Kindl, 7. Aufl., § 775 Rn. 14; vgl. auch BGH, Urteil vom 27. Juni 1957 - III ZR 51/56, BGHZ 25, 60, 65 f.).
Für die Pfändung von Forderungen ist grundsätzlich das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht zuständiges Vollstreckungsorgan, §§ 764, 828 ZPO. Jedenfalls soweit diesbezüglich ein zulässiges Rechtsmittelverfahren anhängig ist, geht die Zuständigkeit kraft Devolutiveffekts auf das jeweilige Rechtsmittelgericht über (vgl. Wieczorek/Schütze/Bittmann, ZPO, 4. Aufl., § 764 Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 4. Aufl., § 828 Rn. 3a; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 764 Rn. 1 und § 828 Rn. 1). Aufgrund der zulässigen Rechtsbeschwerde der Gläubigerin ist daher der Bundesgerichtshof in Bezug auf den angefochtenen Pfändungsbeschluss zuständiges Vollstreckungsorgan.
3. Die Voraussetzungen für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung und eine Aufhebung des Pfändungsbeschlusses nach § 20 Abs. 2 AVAG sind gegeben, weil die Schuldnerin durch Vorlage von öffentlichen Urkunden nachgewiesen hat, dass sie Sicherheit in Höhe von 13.200.000 € geleistet hat.
a) Die Beurteilung dieses von Amts wegen zu berücksichtigenden Vollstreckungshindernisses unterliegt nicht den im Rechtsbeschwerdeverfahren geltenden Beschränkungen gemäß § 577 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Hindernis - wie hier durch Hinterlegung am 23. März 2017 - erst während des Rechtsbeschwerdeverfahrens entstanden ist. Denn es geht nicht um eine Überprüfung der Entscheidung des Beschwerdegerichts, sondern um die vom Bundesgerichtshof als nun zuständigem Vollstreckungsorgan zu beachtenden Grenzen der Vollstreckung.
b) Bei den Hinterlegungsbescheinigungen und den ebenfalls vorgelegten Annahmeanordnungen der Hinterlegungsstelle handelt es sich um öffentliche Urkunden, § 415 Abs. 1 ZPO (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 775 Rn. 6). Aus ihnen und dem von ihnen in Bezug genommenen Hinterlegungsantrag der Schuldnerin, der ebenfalls berücksichtigt werden kann (vgl. Zöller/Stöber, aaO, § 751 Rn. 4), ergibt sich, dass es sich bei den eingezahlten Beträgen um eine Sicherheit handelt, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus der Vollstreckbarerklärung vom 23. September 2016 hinterlegt wurde.
Zwar hat die Schuldnerin in ihrem Antrag auf Annahme der Geldhinterlegung vom 28. Oktober 2016 in dem hierbei ausgefüllten Formblatt in der Zeile "3. Hinterlegungsgrund" bei der vorgesehenen Möglichkeit "a) Sicherheitsleistung" lediglich "---" eingetragen. Sie hat dann jedoch unter "b) sonstige (Angabe zur Rechtfertigung der Hinterlegung)" angegeben: "Die Hinterlegung erfolgt auf Grund von § 20 Abs. 1 Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG)". Außerdem hat sie in dem begleitenden Schriftsatz, der ebenfalls als Antrag auf Annahme von Geldhinterlegung bezeichnet ist, als Begründung ausgeführt, dass die Gläubigerin offenbar am 23. September 2016 einen Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main (Az. 2-03 O 315/16) zur Vollstreckbarerklärung eines zwischen den Parteien ergangenen Urteils in Belgien erwirkt habe. Die Schuldnerin sei nach § 20 Abs. 1 AVAG befugt, die Zwangsvollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe des Betrages abzuwenden, wegen dessen der Berechtigte vollstrecken darf. Die Schuldnerin beantrage insofern die Annahme der Geldhinterlegung.
Diese Erklärungen können nicht anders verstanden werden, als dass der Geldbetrag zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus der Vollstreckbarkeitserklärung vom 26. September 2016 hinterlegt wurde. § 20 Abs. 1 AVAG hat (nur) die Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einer Vollstreckbarkeitserklärung zum Inhalt. Gericht, Datum und Aktenzeichen dieses Titels (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 des Hinterlegungsgesetzes des Landes Hessen vom 8. Oktober 2010 [GVBl. I S. 306] - HessHintG) sind ausdrücklich erwähnt und ergeben sich außerdem auch aus dem beigefügten Pfändungsbeschluss vom 12. Oktober 2016. Nichts anderes gilt für die zweite Einzahlung, die zur selben Sache erfolgte, § 8 Abs. 5 HessHintG.
Die Befürchtung der Gläubigerin, die Hinterlegungen seien auf den Pfändungsbeschluss vom 12. Oktober 2016 bezogen, weshalb die Schuldnerin die hinterlegten Beträge bei Aufhebung des Pfändungsbeschlusses zurückfordern könnte, ist unbegründet. Der von der Schuldnerin als Hinterlegungsgrund in Bezug genommene § 20 Abs. 1 AVAG hat die Abwendung der Zwangsvoll-streckung aus einem Titel zum Gegenstand; bei dem Pfändungsbeschluss handelt es sich jedoch nicht um einen Titel. Die Schuldnerin hat ihrem Antrag auf Hinterlegung den Pfändungsbeschluss vom 12. Oktober 2016 lediglich beigefügt. Eine auch inhaltlich fernliegende Erklärung, der Hinterlegungszweck würde entfallen, sobald der Pfändungsbeschluss aufgehoben sei, ist ihrem Antrag nicht zu entnehmen. Die Beifügung erklärt sich daraus, dass ihr einerseits der Titel noch nicht zugestellt, dieser aber im Pfändungsbeschluss genannt war, und sie andererseits im Ergebnis mit der Hinterlegung die Aufhebung dieses Beschlusses bezweckte.
c) Die Höhe der von der Schuldnerin geleisteten Sicherheitsleistung entspricht der Festsetzung in der Vollstreckbarerklärung vom 23. September 2016, die erkennbar eine Sicherheit im Sinne von § 20 AVAG betrifft. Sie reicht daher zur Abwendung der Zwangsvollstreckung vor Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung aus.
Ob die hinterlegten 13.200.000 € dem Betrag entsprechen, wegen dessen der Berechtigte vollstrecken darf (§ 20 Abs. 1 AVAG), kann insoweit offen bleiben. Da allein die inländische Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung die maßgebliche Grundlage für die Zwangsvollstreckung in Deutschland ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 1993 - IX ZB 55/92, BGHZ 122, 16, 18, juris Rn. 17 m.w.N.), ist eine Zwangsvollstreckung nicht über die in der Vollstreckbarerklärung enthaltenen Beschränkungen hinaus zulässig. Zu diesen Beschränkungen gehört auch die Festsetzung, dass die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in einer bestimmten Höhe abgewendet werden kann.
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