Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 05.05.2011


BGH 05.05.2011 - VII ZB 17/10

Forderungspfändung: Pfändbarkeit des Geldentschädigungsanspruchs eines Strafgefangenen wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
05.05.2011
Aktenzeichen:
VII ZB 17/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Bochum, 9. Februar 2010, Az: I-7 T 13/10, Beschlussvorgehend AG Bochum, 26. Oktober 2009, Az: 53 M 4571/09
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Die Pfändung des Geldentschädigungsanspruchs eines Strafgefangenen wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen durch den Staat ist unzulässig .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 9. Februar 2009 (richtig: 2010) wird zurückgewiesen.

Die Gläubigerin hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

1

Die Gläubigerin, eine Oberjustizkasse, betreibt als Vollstreckungsbehörde die Beitreibung von Justizkostenforderungen des Landes N. in Höhe von 4.126,29 € gegen den Schuldner, einen Strafgefangenen. Dieser macht wegen behaupteter menschenunwürdiger Haftunterbringung Schadensersatzansprüche gegen das Land geltend.

2

Die Gläubigerin hat als Vollstreckungsbehörde am 26. Oktober 2009 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem die angebliche Forderung des Schuldners an das Land als Drittschuldnerin auf Auszahlung von Beträgen aus

“1. allen gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüchen gegen das Land N. aufgrund seiner tatsächlichen Unterbringung oder Unterbringungen in Justizvollzugseinrichtungen des Landes N.,

2. allen gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüchen gegen das Land N. aufgrund der Rechtsverfolgung der in Ziffer 1 genannten Forderungen (insbesondere Rechtsanwalts- und Gerichtskosten)“

gepfändet und zur Einziehung überwiesen worden ist.

3

Die dagegen eingelegte Erinnerung hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben. Die Gläubigerin hat Rechtsbeschwerde eingelegt und zunächst die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Schuldners insgesamt erstrebt. Hinsichtlich einer Forderung in Höhe von 3.025,82 € haben die Parteien im Rechtsbeschwerdeverfahren die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

II.

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Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Pfändung möglicher Ansprüche des Schuldners gegen das Land auf Entschädigung wegen menschenunwürdiger Unterbringung in Justizvollzugsanstalten des Landes stelle ebenso wie die Aufrechnung gegen einen solchen Anspruch eine unzulässige Rechtsausübung dar. Gleiches gelte für die aus diesen Verfahren entstehenden Nebenforderungen.

6

2. Das hält der rechtlichen Überprüfung stand.

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a) Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde allerdings darauf hin, dass der Gläubiger grundsätzlich die Möglichkeit hat, eine dem Schuldner gegen ihn zustehende Forderung zu pfänden (Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 829 Rn. 124; Schuschke/Walker/Schuschke, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 4. Aufl., § 829 ZPO Rn. 11; PG/Ahrens, ZPO, 3. Aufl., § 829 Rn. 21; Musielak/Becker, ZPO, 8. Aufl., § 829 Rn. 14; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Aufl., § 829 Rn. 38). Er kann aufgrund der Pfändung und Überweisung in der Regel selbst die Aufrechnung mit der ihm gegen den Schuldner zustehenden Forderung erklären. Ob dies auch möglich ist, wenn der Gläubiger ohne die Pfändung und Überweisung wegen eines materiellen Aufrechnungsverbots nicht aufrechnen konnte, ist umstritten (vgl. die Nachweise bei Staudinger/Gursky, BGB [2006], § 393 Rn. 2).

8

b) Der Senat muss dieser Frage nicht nachgehen. Denn rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht entschieden, dass bei dem hier vorliegenden Sachverhalt gemäß dem auch für das Prozessrecht Geltung beanspruchenden § 242 BGB (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2007 - V ZB 83/06, BGHZ 172, 218, 222 m.w.N.) bereits die Pfändung des Anspruchs ausgeschlossen ist. Denn die Pfändung des Geldentschädigungsanspruchs wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen erweist sich unter Berücksichtigung der Funktion und des Zwecks dieses Anspruchs und der Eigenart des zwischen dem Schuldner und dem Land N. bestehenden Rechtsverhältnisses als unzulässige Rechtsausübung.

9

aa) Steht einem Strafgefangenen ein Anspruch auf Geldentschädigung für immaterielle Schäden infolge menschenunwürdiger Haftbedingungen gegen den Staat zu, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 1. Oktober 2009 - III ZR 18/09, BGHZ 182, 301, 304) eine Aufrechnung des Staates mit Gegenforderungen gemäß § 242 BGB unzulässig. Der Anspruch des Strafgefangenen auf Geldentschädigung leitet sich aus dem Schutzauftrag der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ab. Er hat neben der Genugtuung für den Verletzten auch den Zweck einer wirksamen Sanktion und Prävention in dem Sinne, dass der verpflichtete Staat dazu angehalten wird, menschenunwürdige Haftbedingungen von vornherein zu vermeiden oder aber zumindest alsbald zu beseitigen und nicht länger fortdauern zu lassen (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2009 - III ZR 18/09, aaO, S. 304 f.; Urteil vom 4. November 2004 - III ZR 361/03, BGHZ 161, 33, 35 ff.). Diesen Zweck kann der Geldentschädigungsanspruch wirksam nur erfüllen, wenn er für den ersatzpflichtigen Staat spürbare Auswirkungen hat. Dies ist nicht der Fall, wenn die Forderungen, mit denen der Staat aufrechnen möchte, bei wirtschaftlicher Betrachtung wertlos sind, weil - wie in vielen Fällen - der Strafgefangene vermögenslos ist (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2009 - III ZR 18/09, aaO, S. 305).

10

bb) Aus den gleichen Erwägungen ist dem Staat auch die Pfändung eines gegen ihn gerichteten Anspruchs eines Strafgefangenen auf Geldentschädigung wegen immaterieller Schäden infolge menschenunwürdiger Haftbedingungen zu versagen. Eine Zulassung der Pfändung eines aus einer menschunwürdigen Haftunterbringung herrührenden Entschädigungsanspruchs zur Befriedigung offener Verfahrenskosten würde - worauf die Rechtsbeschwerdeerwiderung zu Recht hinweist - die Funktion der Genugtuung, der Sanktion und der Prävention ebenso ins Leere laufen lassen wie die Zulassung einer Aufrechnung. Denn mit dem Zugriff auf die Forderung des Strafgefangenen würden deren nachteilige Wirkungen verblassen. Der Staat würde sich auf diese Weise eine Befriedigung der wirtschaftlich wertlosen Forderung verschaffen und gleichzeitig den mit der Zuerkennung des Entschädigungsanspruchs verfolgten Zweck umgehen. Letztlich träten nach der aufgrund einer Pfändung und Überweisung zur Einziehung regelmäßig erfolgenden Aufrechnung des Gläubigers mit dem Entschädigungsanspruch lediglich mit zeitlicher Verzögerung die wirtschaftlichen Folgen der unzulässigen Aufrechnung mit den Justizkostenforderungen ein.

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cc) Das Pfändungsverbot erstreckt sich - wie das Beschwerdegericht zu Recht angenommen hat - auch auf die aus der Rechtsverfolgung der Entschädigungsansprüche erwachsenen Ansprüche, insbesondere die Rechtsanwalts- und Gerichtskosten. Werden mit dem Aufrechnungsverbot - wie hier - Zwecke der Sanktion und der Prävention verfolgt, muss sich wegen der engen materiellen Verbindung mit der Hauptforderung das Pfändungsverbot auch auf die Kosten der Rechtsverfolgung erstrecken (vgl. auch BGH, Urteil vom 24. März 2011 - IX ZR 180/10, WM 2011, 756 Rn. 47 f.). Mit entsprechenden Erwägungen hat der Senat bereits entschieden, dass sich das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO auch auf Ansprüche auf Erstattung von Prozesskosten erstreckt, wenn diese Folge der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind (BGH, Beschluss vom 10. März 2011 - VII ZB 70/08, in juris Rn. 16).

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c) Die gegen dieses Ergebnis von der Rechtsbeschwerde erhobenen Einwände greifen nicht.

13

aa) Aus Entscheidungen, in denen der Bundesgerichtshof die Pfändung einer Forderung für möglich gehalten hat, gegen die der Gläubiger materiellrechtlich nicht aufrechnen durfte (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1985 - III ZR 219/83, BGHZ 95, 109, 115), lässt sich nicht ableiten, dass die beabsichtige Pfändung und Überweisung der Forderung auch bei dem hier gegebenen Sachverhalt zulässig sein müsste. Denn der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von diesen Fällen dadurch, dass der zu pfändende Anspruch insbesondere auch der Sanktion und Prävention dient und aus einer Verletzung eines besonderen Rechtsverhältnisses zwischen dem Strafgefangenen und dem Staat hergeleitet wird, das dem Staat besondere Fürsorgepflichten auferlegt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2009 - III ZR 18/09, BGHZ 182, 301 Rn. 14). Eine solche Grundlage hat auch der von der Rechtsbeschwerde vergleichsweise herangezogene Schmerzensgeldanspruch nicht. Aus dem gleichen Grund kommt es auch nicht darauf an, dass die Pfändung einer Forderung aus unerlaubter Handlung möglich ist.

14

bb) Ohne Belang ist, ob und inwieweit eine Pfändung stattfinden kann, wenn die Entschädigungsforderung des Schuldners befriedigt worden ist. Selbst wenn dann ein uneingeschränkter Zugriff von Gläubigern stattfinden könnte, führte dies entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu widersprüchlichen Ergebnissen. Solche hätten ihren Grund in den Pfändungsvorschriften. Diese untersagen es der Gläubigerin wegen der unzulässigen Rechtsausübung, auf die Forderung des Schuldners im Wege der Zwangsvollstreckung zuzugreifen.

15

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 91a ZPO. Soweit die Parteien die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, waren der Gläubigerin die Kosten aufzuerlegen, weil die Rechtsbeschwerde aus den dargelegten Gründen auch insoweit keinen Erfolg gehabt hätte.

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