Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 13.07.2011


BFH 13.07.2011 - VII S 54/10 (PKH)

Verrechnung einer Umsatzsteuervergütung aus insolvenzfreier Tätigkeit mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden - Befriedigung von Insolvenzforderungen vor Restschuldbefreiung - Keine Bewilligung von vor Eingang eines PKH-Antrages entstandenen Kosten - Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung im PKH-Verfahren bei Veränderung der Sachlage oder Rechtslage


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
13.07.2011
Aktenzeichen:
VII S 54/10 (PKH)
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Ein durch eine insolvenzfreie Tätigkeit erworbener Umsatzsteuervergütungsanspruch kann vom FA mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden verrechnet werden, auch wenn dies dem vom Gesetzgeber der Insolvenzordnung an sich verfolgten Ziel nicht dienlich sein mag, dem Insolvenzschuldner nach Abschluss des Insolvenzverfahrens einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen. Es würde die Grenzen zulässiger Rechtsauslegung und richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten, ein Aufrechnungsverbot allein aufgrund dieser allgemeinen Zielsetzung des Gesetzgebers anzunehmen .

2. NV: Eine während der Anhängigkeit eines PKH-Verfahrens eingetretene Klärung einer Rechtsfrage ist bei der PKH-Entscheidung jedenfalls insoweit zu berücksichtigen, als der Antragsteller sich diesbezüglich Gewissheit hätte verschaffen können und aufgrund eines entsprechenden Hinweises in der Instanzentscheidung sich Gewissheit zu verschaffen Anlass hatte .

Tatbestand

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I. Über das Vermögen des Antragstellers war ein Insolvenzverfahren anhängig, das inzwischen mangels Masse wieder eingestellt worden ist. Der Antragsteller befindet sich in der Wohlverhaltensperiode zur Erlangung der Restschuldbefreiung. Er hat inzwischen einen Anspruch auf Umsatzsteuervergütung gegen das Finanzamt (FA) erworben, dessentwegen er einen Rechtsstreit führt. Nachdem das Finanzgericht (FG) die Klage des Antragstellers gegen einen Abrechnungsbescheid des FA, in dem vorgenannter Vergütungsanspruch als durch Verrechnung mit rückständiger Einkommensteuer aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgewiesen worden ist, abgewiesen, jedoch die Revision gegen sein Urteil mit Rücksicht auf das bei dem beschließenden Senat damals anhängige Revisionsverfahren VII R 35/08 zugelassen hat, ist dieser Rechtsstreit bei dem beschließenden Senat unter dem Az. VII R 58/10 anhängig. Der Antragsteller begehrt Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für dieses Revisionsverfahren.

Entscheidungsgründe

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II. Der Antrag hat keinen Erfolg.

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1. Anspruch auf PKH hat nach § 142 der Finanzgerichtsordnung und § 114 der Zivilprozessordnung ein Beteiligter nur, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Die vom Antragsteller beabsichtigte Verfolgung seiner Rechte in dem bereits eingeleiteten Revisionsverfahren VII R 58/10 bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

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Denn der beschließende Senat hat in dem Verfahren VII R 35/08 durch Beschluss vom 1. September 2010 (BFHE 230, 490, BStBl II 2011, 336) entschieden, dass ein durch eine insolvenzfreie Tätigkeit erworbener Umsatzsteuervergütungsanspruch vom FA mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden verrechnet werden kann. Nach dieser Rechtsprechung, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat das FG auch im Streitfall zu Recht eine Aufrechnung des FA für zulässig und den angefochtenen Abrechnungsbescheid demgemäß für rechtmäßig gehalten. Das Vorbringen des Antragstellers in seinem PKH-Antrag, aber auch im Revisionsverfahren VII R 58/10 lässt nicht erwarten, dass der beschließende Senat vorgenannte Rechtsprechung aufgeben oder in einer sich zugunsten des Antragstellers auswirkenden Weise modifizieren könnte. Die vom Antragsteller vorgetragenen Gesichtspunkte, auch die, auf die er seine Revision VII R 58/10 stützt, sind der Sache nach von dem beschließenden Senat bereits in dem vorgenannten Urteil erwogen und berücksichtigt worden, insbesondere auch, dass weitergehende Aufrechnungsverbote, als sie die Insolvenzordnung tatsächlich enthält, dem vom Gesetzgeber der Insolvenzordnung an sich verfolgten Ziel dienlich sein könnten, dem Insolvenzschuldner nach Abschluss des Insolvenzverfahrens einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen. Wie in dem Urteil des Senats im Einzelnen ausgeführt worden ist, würde es jedoch die Grenzen zulässiger Rechtsauslegung und richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten, ein solches Aufrechnungsverbot allein aufgrund dieser allgemeinen Zielsetzung des Gesetzgebers anzunehmen. Auch der vom Antragsteller in dem Revisionsverfahren hervorgehobene Umstand, dass Insolvenzforderungen --wie die vom FA verrechneten-- nach erlangter Restschuldbefreiung gegenstandslos werden und folglich auch inzwischen erworbenen Vergütungsansprüchen des Steuerpflichtigen nicht mehr entgegengehalten werden könnten, lässt schwerlich den Rückschluss zu, Insolvenzgläubiger, die wie Aufrechungsberechtigte die Möglichkeit haben, während der Wohlverhaltensphase Befriedigung für ihre Insolvenzforderungen zu erlangen, dürften von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen; die Restschuldbefreiung erfasst die bis dahin nicht befriedigten Forderungen, steht aber einer vorherigen Befriedigung von Insolvenzforderungen --auf welche Weise auch immer-- nicht entgegen.

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2. Der beschließende Senat muss diese während des PKH-Verfahrens eingetretene Klärung der Rechtslage zu Lasten des Antragstellers berücksichtigen. Allerdings wird in Rechtsprechung und Schrifttum die Frage nicht einheitlich beantwortet, ob eine Veränderung der Sach- und/oder Rechtslage zu berücksichtigen ist, die in dem Zeitraum zwischen Eingang eines (an sich entscheidungsreifen, vollständigen) Antrags und der PKH-Entscheidung des Gerichts eingetreten ist, wobei mitunter noch danach differenziert wird, ob sich eine solche Veränderung zu Lasten oder zu Gunsten des Antragstellers auswirkt und ob das Gericht über den Antrag mit unangemessener Verzögerung entschieden hat und anderenfalls jene Veränderung überhaupt nicht hätte berücksichtigt werden können. Der beschließende Senat hat dazu in dem Beschluss vom 27. Juni 2005 VII S 11/05 (PKH) (BFH/NV 2005, 2215) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsansicht erkannt, maßgeblich für die Entscheidung über einen PKH-Antrag sei nicht die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt, in dem über den Antrag tatsächlich entschieden wird, sondern der Zeitpunkt, in dem die Entscheidung frühestens hätte getroffen werden können, weil der Antrag spruchreif war, was regelmäßig bereits bei Eingang des Antrages der Fall sein werde (ebenso Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 17. Aufl., § 166 Rz 14a; grundsätzlich auch Olbertz in Schoch/Schmidt-Assmann/ Pietzner, VwGO § 166 Rz 53, der jedoch im Falle einer ungeklärten Rechtsfrage auf einen isolierten PKH-Antrag verweisen will). Dem sind andere Senate des BFH nicht gefolgt (vgl. u.a. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Dezember 2007 VIII S 13/07 (PKH), BFH/NV 2008, 591; vom 9. Juli 2007 III S 1/07, BFH/NV 2007, 2113, und vom 20. Juli 2005 VI S 5/04 (PKH), BFH/NV 2005, 2000, überwiegend ohne nähere Begründung oder mit Verweis auf die ältere Rechtsprechung des beschließenden Senats; a.A. u.a. auch Schwarz in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 142 FGO Rz 45). Die Frage ist auch sonst in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten (Nachweise u.a. bei Olbertz, a.a.O.), wobei jedoch mitunter auch aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen eine Beantwortung im Sinne vorgenannter Entscheidung des Senats für geboten erachtet wird (Linke, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2003, 421).

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Die Frage bedarf indes in diesem Verfahren keiner Entscheidung. Denn bei Eingang des PKH-Antrages des Antragstellers am 14. Oktober 2010 war der Beschluss des Senats in der Sache VII R 35/08 bereits gefällt und der Geschäftsstelle des Senats übergeben, wenn auch noch nicht zugestellt und veröffentlicht, so dass der Antragsteller von ihm noch keine Kenntnis haben konnte. Ihm gleichwohl PKH zu versagen, weil der Senat bei Eingang des PKH-Antrages die strittige Rechtsfrage bereits --gleichsam zu Lasten des Antragstellers-- entschieden hatte und folglich nach der damals gegebenen Sachlage Erfolgaussichten der Revision des Antragstellers nicht (mehr) gegeben waren, erscheint auch nicht unbillig; denn der Antragsteller, der durch das Urteil des FG darauf hingewiesen war, dass die für die Entscheidung seiner Sache maßgebliche Rechtsfrage Gegenstand eines beim BFH bereits anhängigen, wesentlich älteren Revisionsverfahrens sei, hätte sich durch Rückfrage des Standes dieses Verfahrens vergewissern und erkennen können, dass er durch eigenen Vortrag in dem Revisionsverfahren VII R 58/10 auf die Urteilsbildung des Senats keinen Einfluss mehr nehmen könnte.

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Für die vor Eingang des PKH-Antrages --und der Beschlussfassung des Senats in der Sache VII R 35/08-- bereits entstandenen Kosten kann PKH schon deshalb nicht bewilligt werden, weil das Gesetz einen PKH-Anspruch nur für die Kosten einer "beabsichtigten" Rechtsverfolgung, mithin für zukünftig entstehende Kosten einräumt. Zwar hindert das nicht, PKH rückwirkend für im Zeitpunkt der Entscheidung über den PKH-Antrag bereits entstandene Kosten zu gewähren (vgl. statt aller Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. September 1981 IVb ZR 694/80, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1982, 376; BFH-Beschluss vom 28. August 2000 V B 133/00, BFH/NV 2000, 1497). Die Einbeziehung bei Antragstellung schon entstandener Kosten (hier: durch die Einlegung der Revision) ist hingegen nach allgemeiner Ansicht ausgeschlossen.