Entscheidungsdatum: 22.05.2012
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war 2005 in Insolvenz geraten. Nachdem das Insolvenzverfahren eingestellt worden war, der Kläger sich aber noch in der Wohlverhaltensphase zur Erlangung der Restschuldbefreiung befand, hat er einen Gewerbebetrieb eröffnet und einen Umsatzsteuervergütungsanspruch September 2006 in Höhe von rund 6.500 € erworben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hat diesen Betrag auf rückständige Einkommensteuer 1995 umgebucht und hierüber den angefochtenen Abrechnungsbescheid erlassen.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat der Kläger Klage erhoben, weil er die vom FA vorgenommene Aufrechnung für unwirksam hält.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es urteilte, der Umsatzsteuervergütungsanspruch des Klägers sei nicht unpfändbar und auch nicht Gegenstand der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO). Ein allgemeines Aufrechnungsverbot während der Wohlverhaltensphase bestehe ebenfalls nicht.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er ist der Ansicht, das Zwangsvollstreckungsverbot des § 294 Abs. 3 InsO stehe auch einer Aufrechnung entgegen. Es erscheine nicht einsichtig, weshalb eine Aufrechnung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens möglich sein sollte, die vor Eröffnung des Verfahrens anfechtbar und während des Verfahrens unzulässig gewesen wäre. Zumindest sei eine analoge Anwendung des § 294 InsO geboten, um eine sich aus den Vorschriften der InsO ergebende Regelungslücke systemgerecht zu schließen.
Der Kläger tritt ferner der Auffassung des erkennenden Senats in dem Prozesskostenhilfe-Beschluss vom 13. Juli 2011 VII S 54/10 (PKH) (BFH/NV 2011, 2114) entgegen, der Gesetzgeber habe nicht unabsichtlich versäumt, den Insolvenzschuldner während der Wohlverhaltensphase gegen eine Aufrechnung zu schützen. Die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers gehe vielmehr dahin, dass bei natürlichen Personen nach Erteilung der Restschuldbefreiung eine Durchsetzung früherer Forderungen nicht mehr möglich sei. Einer solchen Regelung hätte es nicht bedurft, wenn der Gesetzgeber den früheren Schuldner während der Wohlverhaltensphase erneut einer Aufrechnung früherer Gläubiger hätte aussetzen wollen. § 294 Abs. 3 InsO enthalte anders als die bisherige Rechtsprechung angenommen habe, kein Aufrechnungsverbot, sondern eine Aufrechnungserlaubnis.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG und den Abrechnungsbescheid des FA in der Form der Einspruchsentscheidung aufzuheben und festzustellen, dass sein Umsatzsteuererstattungsanspruch aus September 2006 nicht durch Aufrechnung erloschen ist.
Das FA beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen. Es weist auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 21. Juli 2005 IX ZR 115/04 (BGHZ 163, 391) und die diesem folgenden Urteile des erkennenden Senats vom 21. November 2006 VII R 66/05 (BFH/NV 2007, 1066) und VII R 1/06 (BFHE 216, 1, BStBl II 2008, 272) hin, wonach Steuererstattungsansprüche des ehemaligen Schuldners nicht zu den an den Treuhänder abgetretenen Forderungen gehörten, so dass die Aufrechnung gegen sie nicht durch § 294 Abs. 3 InsO ausgeschlossen werde. Ein allgemeines Aufrechnungsverbot in der Wohlverhaltensphase enthalte die Insolvenzordnung nicht, insbesondere auch nicht § 294 Abs. 1 InsO. Diese für ertragsteuerliche Erstattungsansprüche herausgearbeiteten Grundsätze würden auch für Vorsteuerguthaben gelten.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil des FG entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
Nach der Entscheidung des Senats vom 1. September 2010 VII R 35/08 (BFHE 230, 490, BStBl II 2011, 336) darf ein durch eine insolvenzfreie Tätigkeit erworbener Umsatzsteuervergütungsanspruch vom Finanzamt mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden verrechnet werden. Dies gilt auch für Ansprüche, die der Schuldner nach Einstellung des Insolvenzverfahrens während der Wohlverhaltensphase erwirbt. Denn dass sich nach Maßgabe der Regelungen der InsO im Fall der Restschuldbefreiung die gegen den Schuldner gerichteten Forderungen in Obligationen verwandeln, also nicht mehr durchsetzbar sind, lässt nicht den Rückschluss zu, sie dürften vor Gewährung der Restschuldbefreiung nicht von Gläubigern, die --wie Aufrechnungsberechtigte-- die Möglichkeit einer bevorzugten Befriedigung besitzen, nicht geltend gemacht werden. Zu Unrecht unterstellt die Revision im Übrigen, die vom FA aufgerechnete Forderung bzw. die insofern ausgenutzte Aufrechnungsmöglichkeit beruhe auf einer anfechtbaren Rechtshandlung und habe daher während des Insolvenzverfahrens dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unterlegen; es ist offensichtlich, dass die Anfechtungsvoraussetzungen der §§ 129 ff. InsO hinsichtlich Aufrechnungsmöglichkeiten nicht gegeben sein können, die durch erst nach Einstellung des Verfahrens vorgenommene Rechtshandlungen begründet werden.
Wegen der Einzelheiten der in diesem Zusammenhang von der Rechtsprechung des Senats und des BGH angestellten Erwägungen kann auf den eingangs genannten Beschluss des Senats, die dort angeführten Entscheidungen und den Prozesskostenhilfe-Beschluss des Senats in BFH/NV 2011, 2114 zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden.