Entscheidungsdatum: 14.06.2016
NV: Es ist nicht klärungsbedürftig, dass der Wechsel von der getrennten Veranlagung zur Zusammenveranlagung zur Aufhebung der ursprünglichen Steuerfestsetzungsbescheide und über § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO zum Widerruf der Anrechnungsverfügung über Steuerabzugsbeträge führt. Eine vom FA gezahlte Steuererstattung ist gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 AO zurückzufordern und mindert nicht über § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG die im Rahmen des neuen Zusammenveranlagungsverfahrens anzurechnenden Steuerabzüge .
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 25. März 2015 9 K 2717/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erließ gegenüber der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) einen Bescheid über die getrennte Veranlagung zur Einkommensteuer 2012. Nach Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen in Höhe von ... € ergab sich ein Erstattungsbetrag in Höhe von 3.557 € Einkommensteuer und 298,31 € Solidaritätszuschlag.
Nachdem ihr mittlerweile geschiedener Ehemann die Klägerin erfolgreich auf Zustimmung zur Zusammenveranlagung verklagt hatte, hob das FA den Bescheid über die getrennte Veranlagung auf und forderte von der Klägerin den Erstattungsbetrag in Höhe von insgesamt 3.855,31 € zurück. Auf den hiergegen gerichteten Einspruch erließ das FA gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) den streitigen Abrechnungsbescheid vom 18. Juli 2014 und bestätigte den Rückzahlungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO.
Das Finanzamt X erließ am 7. Februar 2014 einen Zusammenveranlagungsbescheid, aus dem sich nach Anrechnung sämtlicher Steuerabzugsbeträge der Klägerin und ihres geschiedenen Ehemanns eine Steuererstattung für das Jahr 2012 in Höhe von insgesamt 495,61 € ergab. Nach den Berechnungen des FA entfielen hiervon insgesamt 123,37 € auf die Klägerin (67,91 € Einkommensteuer und 65,46 € Solidaritätszuschlag).
Einspruch und Klage gegen den Abrechnungsbescheid vom 18. Juli 2014 blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) stützte sich unter anderem auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. Dezember 2007 III B 102/06 (BFH/NV 2008, 526). Durch die Aufhebung des Bescheids über die getrennte Veranlagung sei der Rechtsgrund für die der Klägerin gezahlte Erstattung entfallen, so dass dem FA ein Rückzahlungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO zustehe. Bei einem Wechsel der Veranlagungsart sei ein unabhängiges neues Veranlagungsverfahren durchzuführen. § 36 Abs. 4 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei nur anwendbar, wenn das Finanzamt im Rahmen der Zusammenveranlagung gezahlt habe. Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehe kein Widerspruch zum Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 26. Juni 2008 1 K 1365/05, da es dort im Rahmen der späteren Zusammenveranlagung zu einer Steuernachforderung gekommen sei, während es im Streitfall um eine Steuererstattung gehe.
Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision beruft sich die Klägerin zunächst auf den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG des Landes Sachsen-Anhalt habe in seinem Urteil vom 26. Juni 2008 1 K 1365/05 den Rechtssatz aufgestellt, § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG finde bei einem Wechsel zur Zusammenveranlagung rückwirkend Anwendung. Die Ausführungen des FG stünden hierzu im Widerspruch, zumal § 36 Abs. 4 EStG lex specialis zu § 37 AO sei. Das FG könne sich auch nicht auf den BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 526 berufen, da diesem ein zweifacher Wechsel der Veranlagungsart und damit ein gänzlich anders gelagerter Sachverhalt zugrunde gelegen habe.
Darüber hinaus habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und die Revision sei zur Fortbildung des Rechts erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO). Der BFH müsse entscheiden, ob ein Wechsel von der getrennten Veranlagung zur Zusammenveranlagung zur Aufhebung des Bescheids über die getrennte Veranlagung oder schlicht zu dessen Änderung führe. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BFH, wonach die Besteuerungsgrundlagen durch den Wechsel der Veranlagungsart unberührt blieben, sei verfahrensrechtlich nur eine Änderung des Bescheids denkbar. Außerdem müsse der BFH entscheiden, ob der Wechsel der Veranlagungsart zu einer Änderung bzw. Aufhebung der ursprünglichen Anrechnungsverfügung führen könne. Eine Steuererhebung, bei der die Ehefrau die zutreffende finanzielle Belastung trotz einer bereits bestandskräftigen Veranlagung im Zivilrechtsweg erstreiten müsse, sei nicht verfassungskonform.
Schließlich macht die Klägerin einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend. Das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Unabhängig davon, ob die Beschwerde den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt, liegt jedenfalls kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO vor.
1. Sowohl die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) als auch der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) setzen unter anderem voraus, dass eine Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind. Dagegen fehlt die Klärungsbedürftigkeit, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, d.h. wenn die Rechtslage eindeutig ist. Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 11. November 2015 VII B 57/15, BFH/NV 2016, 372, m.w.N.).
Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die nachträgliche Änderung der Veranlagungsart wirkt sich nach ständiger Rechtsprechung des BFH rechtsgestaltend auf die Steuerschuld aus, und zwar rückwirkend auf die Entstehung der Steuer zum Ablauf des Veranlagungszeitraums, § 36 Abs. 1 EStG (BFH-Beschluss vom 3. März 2005 III R 22/02, BFHE 209, 454, BStBl II 2005, 690; vgl. auch BFH-Urteil vom 28. Juli 2005 III R 48/03, BFHE 210, 393, BStBl II 2005, 865). Sie führt nicht zu einer Änderung der vorausgegangenen Steuerbescheide, sondern setzt ein neues, selbständiges Veranlagungsverfahren in Gang (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2015 X R 56/13, BFHE 252, 241, BFH/NV 2016, 618; BFH-Beschluss vom 18. November 2005 III B 114/04, BFH/NV 2006, 548; BFH-Urteil vom 19. Mai 2004 III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980). Die ursprünglichen Steuerbescheide sind nicht zu ändern, sondern aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufzuheben (BFH-Entscheidungen in BFH/NV 2006, 548, und in BFHE 209, 454, BStBl II 2005, 690; zu den Einschränkungen bei der Änderung der Veranlagungsart ab dem Veranlagungszeitraum 2013 vgl. § 26 Abs. 2 Satz 4 EStG). Inwieweit unter Berücksichtigung dieser Umstände von einer verfahrensrechtlichen Bindung an die Besteuerungsgrundlagen ausgegangen werden kann (BFH-Urteile vom 3. März 2005 III R 60/03, BFHE 209, 308, BStBl II 2005, 564 und in BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980, m.w.N.), braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Die Beteiligten streiten nicht um materielle Besteuerungsgrundlagen, sondern um die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG) auf die Steuerschuld, die der rechtsgestaltenden Wirkung des Wechsels der Veranlagungsart unterliegt.
Soweit dies für den Streitfall entscheidungserheblich ist, sind auch die Folgen des Wechsels der Veranlagungsart für die ursprüngliche Anrechnungsverfügung und den streitigen Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO) geklärt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Abrechnungsbescheid hinsichtlich der Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträge grundsätzlich an die Anrechnungsverfügung gebunden ist (zum Streitstand Klein/ Rüsken, Abgabenordnung, 13. Aufl., § 218 Rz 29, m.w.N.). Ebenso kann offen bleiben, ob die zum Erhebungsverfahren gehörende Anrechnungsverfügung durch die Aufhebung des Steuerfestsetzungsbescheids bereits automatisch entfällt, da sie (stillschweigend) unter einer entsprechenden auflösenden Bedingung stand (vgl. Senatsurteil vom 9. Dezember 2008 VII R 43/07, BFHE 223, 344, BStBl II 2009, 344), und wie weit die ähnlich einem Grundlagenbescheid bindende Wirkung des Steuerfestsetzungsbescheids für die Anrechnungsverfügung reicht (vgl. Senatsurteile vom 29. Oktober 2013 VII R 68/11, BFHE 243, 111, BStBl II 2016, 115; vom 12. November 2013 VII R 28/12, BFH/NV 2014, 339). Denn eine Aufhebung des Steuerfestsetzungsbescheids führt jedenfalls dazu, dass die Anrechnungsverfügung gemäß § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO widerrufen werden kann (Senatsurteile in BFHE 223, 344, BStBl II 2009, 344, und in BFH/NV 2014, 339; BFH-Urteil vom 8. September 2010 I R 90/09, BFHE 231, 97, BStBl II 2013, 11).
Im Streitfall hat das FA die ursprüngliche Anrechnungsverfügung spätestens mit Erlass des Abrechnungsbescheids auch tatsächlich widerrufen. Damit ist der Rechtsgrund für die an die Klägerin geleistete Erstattung entfallen, so dass sie gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 AO zur Rückzahlung verpflichtet ist (vgl. BFH in BFH/NV 2008, 526). Da zwischen der Rückforderung der Erstattung aus einem aufgehobenen Steuerfestsetzungsbescheid über eine getrennte Veranlagung und der Erstattung aus einem vorherigen Zusammenveranlagungsbescheid, der aufgrund der Aufhebung des Bescheids über die getrennte Veranlagung wieder in Kraft getreten ist, nach Auffassung des BFH in BFH/NV 2008, 526 kein rechtlicher Zusammenhang besteht, muss dies erst recht gelten, wenn es --wie im Streitfall-- nach Aufhebung der getrennten Veranlagung erstmalig zu einer Zusammenveranlagung kommt. Deshalb zieht das FG aus der Rechtsprechung des BFH den zutreffenden Schluss, dass § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG nicht für Zahlungen gelten kann, die im Rahmen der aufgehobenen getrennten Veranlagung geleistet worden sind. Dass das FG des Landes Sachsen-Anhalt in seinem Urteil vom 26. Juni 2008 1 K 1365/05 zu einem anderen Ergebnis kommt, ändert nichts an der fehlenden Klärungsbedürftigkeit.
Da im Rahmen von Erstattungen keine Möglichkeit der Aufteilung gemäß §§ 268 ff. AO besteht, kann die Klägerin den angestrebten finanziellen Ausgleich letztlich nur über den Zivilrechtsweg erreichen. Weshalb es aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sein soll, diesen Ausgleich zwingend in die Steuererhebung einzubeziehen, ist für den Senat nicht erkennbar und wurde von der Klägerin auch nicht näher ausgeführt.
2. Zwar hat die Klägerin Abweichungen in den tragenden und abstrakten Rechtssätzen zwischen dem FG-Urteil und dem Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 26. Juni 2008 1 K 1365/05 dargelegt. Wie bereits ausgeführt, entsprechen aber die Ausführungen des FG der Rechtsprechung des BFH, so dass daraus keine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO folgt (Senatsbeschluss vom 12. Mai 2009 VII B 210/08). Ob der Zulassungsgrund der Divergenz darüber hinaus an der fehlenden Vergleichbarkeit der vom FG und dem FG des Landes Sachsen-Anhalt entschiedenen Sachverhalte scheitert, kann dahingestellt bleiben.
3. Ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt nicht vor. Denn der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs führt jedenfalls nicht dazu, dass jedes Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen in den Entscheidungsgründen erörtert werden muss. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und erwogen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 13. November 2007 VIII B 214/06, m.w.N.). Dies gilt erst recht, wenn das FG --wie im Streitfall-- den entsprechenden Vortrag im Tatbestand erwähnt. Dass es sich dabei nicht um einen Tatsachenvortrag, sondern um einen reinen Rechtsvortrag gehandelt hat, und inwieweit dies für die Anforderungen an die Gewährung rechtlichen Gehörs von Bedeutung ist, braucht unter diesen Umständen nicht weiter problematisiert zu werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.