Entscheidungsdatum: 12.11.2013
NV: Der gegen den Steuerpflichtigen erlassene Steuerbescheid hat für die Anrechnungsverfügung ähnlich einem Grundlagenbescheid bindende Wirkung. Steuerabzüge, die auf Einkunftsteile entfallen, die bei der Veranlagung nicht erfasst worden sind, sind von der Anrechnung ausgeschlossen.
Wird die Steuerfestsetzung geändert, ist die Anrechnungsverfügung ggf. gemäß § 131 Abs. 2 Nr. 3 AO zu ändern.
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), zusammenveranlagte Eheleute, verlangen vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--), dass die für den Kläger in der Lohnsteuerbescheinigung seines Arbeitgebers ausgewiesenen Steuerabzugsbeträge bei der Abrechnung der Einkommensteuer 2008 unbeschadet dessen im vollen Umfang berücksichtigt werden, dass ihnen ein Abfindungsanspruch zugrunde liegt, der von dem Arbeitgeber bisher nur teilweise befriedigt worden ist.
Dem Kläger ist im Rahmen eines zur Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses geschlossenen Abwicklungsvertrags eine Abfindung von … € zugesagt worden. Auf diesen Anspruch wurden im November 2008 in zwei Teilbeträgen von … € bzw. … € Leistungen erbracht. Der Arbeitgeber hat dazu eine Abrechnung erstellt und dem Kläger übersandt, in der er Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag auf den vorgenannten Abfindungsbetrag ausgewiesen (die jedoch nicht abgeführt worden sind) und mithin einen "Netto-Verdienst" von … € angegeben hat. Da der Arbeitgeber im Dezember 2008 in Insolvenz geriet, ist dem Kläger die Differenz zwischen diesem Betrag und der ihm versprochenen Abfindung abzüglich Steuern bislang nicht ausgezahlt worden. Sie ist vom Kläger im Insolvenzverfahren angemeldet worden.
In der Steuerbescheinigung für 2008 hat der Arbeitgeber --neben laufenden Einkünften-- die (volle) Abfindung und die hierauf errechneten, bereits in der dem Kläger erteilten Abrechnung angegebenen Steuerbeträge ausgewiesen. Die Kläger haben daraufhin in ihrer Einkommensteuererklärung 2008 neben den laufenden Einkünften und den darauf entfallenden Steuerabzugsbeträgen die auf die Abfindung tatsächlich geleisteten Zahlungen und die auf den vollen Abrechnungsbetrag entfallenden Steuerabzugsbeträge erklärt.
Nach Änderung des daraufhin zunächst ergangenen Steuerbescheids hat das FA den Abrechnungsbescheid vom 31. Oktober 2012 erlassen, der gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Mit ihm hat das FA die Steueranrechnung der am gleichen Tag erfolgten geänderten Festsetzung der Einkommensteuer 2008 angepasst, bei welcher nur der tatsächlich an den Kläger ausgezahlte Teil der Abfindung in Höhe von … € zugrunde gelegt worden ist, vermehrt allerdings um die Abzugssteuern, die der Arbeitgeber hat einbehalten müssen, um diesen Nettobetrag auszahlen zu dürfen. Es ergibt sich nach der Berechnung des FA insofern ein Bruttolohnbetrag von … € (Besteuerungsgrundlage in dem geänderten Einkommensteuerbescheid 2008 vom 31. Oktober 2012). Auf die in dieser Weise neu festgesetzte Einkommensteuer (sowie Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag) hat das FA die eben erwähnten Steuerabzugsbeträge angerechnet und unter Berücksichtigung der ursprünglichen Festsetzungen einen Nachzahlungsbetrag von insgesamt 938,13 € ausgewiesen. Es ist der Meinung, nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dürften nur die auf die durch Hochrechnung des tatsächlichen Auszahlungsbetrags von … € ermittelten Bruttolohnbeträge entfallenden Steuerabzugsbeträge berücksichtigt werden. Die vom Arbeitgeber ausgewiesenen, die versprochene, aber bislang nicht ausbezahlte Abfindung betreffenden Steuerabzugsbeträge hätten bei der Einkommensteuerveranlagung nicht als Arbeitslohn und dementsprechend auch nicht bei der Steueranrechnung berücksichtigt werden dürfen.
Die gegen den ursprünglich erlassenen Abrechnungsbescheid gerichtete Klage hat Erfolg gehabt und zur Änderung des damals verfahrensgegenständlichen ursprünglichen Abrechnungsbescheids geführt. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1935 veröffentlicht worden. Gegen dieses richtet sich die Revision des FA.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Revisionsbeklagten halten an ihrem Begehren fest, die vom Arbeitgeber ausgewiesenen Steuerbeträge in voller Höhe anzurechnen. Sie meinen, das FA verkenne den Unterschied zwischen in der Veranlagung erfassten Einkünften und versteuerten Einkünften. Ihre Einkünfte seien in der Einkommensteuererklärung erfasst worden und nur aufgrund des Zuflussprinzips des § 11 EStG nicht [gemeint: nur teilweise] versteuert worden. Die Lohnsteuer auf die Abfindung sei durch Lohnsteuerabzug erhoben worden; die Entrichtung durch den Arbeitgeber sei unabhängig von der Anrechnung beim Arbeitnehmer. Auch ohne Wissen des Steuerpflichtigen nicht an das FA abgeführte Lohnsteuer sei durch Steuerabzug erhoben.
II. Die Revision des FA ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Der zum Gegenstand des Verfahrens gewordene geänderte Abrechnungsbescheid entspricht dem Bundesrecht, so dass das Urteil des FG ungeachtet dessen, ob es dem Gesetz entsprach, gemäß § 118 Abs. 1 FGO keinen Bestand haben kann.
Nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG wird auf die Einkommensteuer die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt und nicht die Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist. Die Vorschrift stellt, wie der erkennende Senat insbesondere in seinem Urteil vom 19. Dezember 2000 VII R 69/99 (BFHE 194, 162, BStBl II 2001, 353) näher ausgeführt hat, eine inhaltliche Verknüpfung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren her; die im Wege des Steuerabzugs erhobene Einkommensteuer darf nur angerechnet werden, "soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt". Der Grundsatz der Anrechenbarkeit der tatsächlich einbehaltenen Lohnsteuer gilt also nicht uneingeschränkt. Eine Steueranrechnung ist nicht geboten, wenn und soweit die mit Steuern belasteten Einnahmen bei der Einkommensteuerveranlagung nicht erfasst worden sind. Denn dann verhinderte die Anrechnung nicht eine doppelte Besteuerung --durch Lohnsteuerabzug und nachfolgende Belastung mit veranlagter Einkommensteuer--, sondern gewährte dem Steuerpflichtigen etwas, mit dem seine steuerliche Belastung im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung nicht "korrespondiert" (auch dazu Urteil in BFHE 194, 162, BStBl II 2001, 353).
Steuerabzüge, die auf Einkunftsteile entfallen, die bei der Veranlagung nicht erfasst, d.h. --soweit nicht steuerfrei-- mit Einkommensteuer belastet worden sind --z.B. weil sie dem Steuerpflichtigen nur versprochen, aber nicht auch tatsächlich gewährt worden, ihm also nicht zugeflossen sind und die deshalb gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht zu den Einnahmen gehören--, sind danach von der Anrechnung ausgeschlossen. Der gegen den Steuerpflichtigen erlassene Steuerbescheid hat mithin für die Anrechnungsverfügung bzw. einen Abrechnungsbescheid ähnlich einem Grundlagenbescheid bindende Wirkung.
Die auf rechtlich unzutreffenden Überlegungen in der eingangs erwähnten, vom Arbeitgeber ausgestellten Lohnsteuerbescheinigung beruhenden Angaben vermögen daran nichts zu ändern.
Das FA hatte aufgrund der geänderten Steuerfestsetzung die Anrechnungsverfügung --ungeachtet dessen, ob sie ursprünglich rechtmäßig oder rechtswidrig war-- gemäß § 131 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) zu ändern (vgl. zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs vom 8. September 2010 I R 90/09, BFHE 231, 97, BStBl II 2013, 11); dass es stattdessen seine Verfügung auf § 130 Abs. 1 AO gestützt hat, ist dabei ohne Belang. Die Anrechnungsverfügung vom 31. Oktober 2012 setzt den am gleichen Tag erlassenen Einkommensteuerbescheid 2008 zutreffend um und ist folglich rechtmäßig. Ob dieser rechtmäßig oder --ggf. mit der Folge einer erneuten Änderung der Steueranrechnung-- zu ändern ist, bedarf hier keiner Erörterung.