Entscheidungsdatum: 13.06.2017
1. Wird dem zunächst Verkehrssicherungspflichtigen mittels einer hoheitlichen Maßnahme (hier: vorzeitige Besitzeinweisung gemäß § 18f FStrG) die tatsächliche Verfügungsgewalt über ein Grundstück gegen oder ohne seinen Willen entzogen und verbleibt bei ihm infolge dieses Entzugs nur noch eine rein formale Rechtsposition im Sinne einer vermögensrechtlichen Zuordnung (Eigentum), so reicht dies für die Begründung einer deliktischen Haftung für die von dem Grundstück ausgehende Gefahr nicht aus.
2. Es verbleibt in solchen Fällen auch kein Raum für eine reduzierte Verkehrssicherungspflicht in Form von Überwachungspflichten.
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 15. Juli 2016 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsrechtszugs einschließlich der Kosten der Streithelferin.
Von Rechts wegen
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch.
Am 13. Juni 2012 parkte der Kläger seinen Pkw VW Golf auf einem Grundstück in Flöha. Aufgrund eines Windstoßes fiel ein Ast auf den Pkw und beschädigte diesen. Der Ast fiel von einem Baum, der sich auf dem Grundstück der Beklagten befand. Bereits mit Wirkung ab 4. Januar 2010 war die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Streithelferin, in den Besitz dieses Grundstücks gemäß § 18f FStrG eingewiesen worden. Der Kläger hat von der Beklagten Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 5.969,95 €, der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie Feststellung der Ersatzpflicht für künftige aus dem Unfallereignis herrührende Schäden verlangt.
Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil dahingehend abgeändert, dass es die Klage abgewiesen hat. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
I.
Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht verneint. Die Beklagte sei ab Wirksamwerden der Besitzeinweisung für das streitgegenständliche Grundstück nicht mehr verkehrssicherungspflichtig gewesen. Sie habe den unmittelbaren und den mittelbaren Besitz sowie jegliche unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf das Grundstück verloren. Zwar sei es ihr, weil die Fläche frei zugänglich gewesen sei, möglich gewesen, Baumkontrollen durchzuführen. Ab Wirksamkeit der Besitzeinweisung könne es jedoch nicht mehr Sache des Eigentümers sein, das Grundstück regelmäßig zu überprüfen, zumal es im Einzelfall auch ungewiss sein könne, ob der in den Besitz Eingewiesene Einwirkungen seitens des Eigentümers überhaupt dulden würde. Durch den Wegfall der Einflussmöglichkeiten infolge der Besitzeinweisung unterscheide sich der vorliegende Fall von Fällen der vertraglichen Übertragung der Verkehrssicherungspflicht, in welchen im Hinblick auf die fortbestehenden rechtlichen und tatsächlichen Einflussmöglichkeiten Kontroll- und Überwachungspflichten bei dem Übertragenden verblieben. Da die Besitzeinweisung gemäß § 18f FStrG nur zugunsten des Trägers der Straßenbaulast erfolgen könne, habe die Beklagte im Übrigen darauf vertrauen können, dass eine sachkundige und kompetente öffentlich-rechtliche Körperschaft nunmehr für das Grundstück zuständig sei.
II.
Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich aus § 823 Abs. 1 BGB grundsätzlich für jeden, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, die Verpflichtung, die notwendigen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um andere vor Schäden zu bewahren (Senatsurteile vom 1. Oktober 2013 - VI ZR 369/12, VersR 2014, 78 Rn. 13; vom 2. Oktober 2012 - VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 Rn. 6; vom 12. Februar 1985 - VI ZR 193/83, NJW 1985, 1773, 1774; BGH, Urteil vom 2. Februar 2006 - III ZR 159/05, VersR 2006, 803 Rn. 12; jeweils mwN).
Im Rahmen dieser Verkehrssicherungspflicht hat derjenige, der die Verfügungsgewalt über ein Grundstück ausübt, soweit möglich und zumutbar grundsätzlich dafür zu sorgen, dass von dort stehenden Bäumen keine Gefahr für die Rechtsgüter anderer - etwa auf öffentlichen Verkehrsflächen oder benachbarten Privatgrundstücken - ausgeht (Senatsurteile vom 31. Mai 1988 - VI ZR 275/87, VersR 1988, 957 f. mwN; vom 30. Oktober 1973 - VI ZR 115/72, VersR 1974, 88, 89; BGH, Urteile vom 8. Oktober 2004 - V ZR 84/04, juris Rn. 11; vom 21. März 2003 - V ZR 319/02, NJW 2003, 1732, 1733; anders zur Verkehrssicherungspflicht des Waldbesitzers: Senatsurteil vom 2. Oktober 2012 - VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 Rn. 10 ff.). Dazu gehört es, den Baumbestand in angemessenen Zeitabständen zum Beispiel auf Krankheitsbefall oder Äste, die herunterfallen könnten, zu überwachen (vgl. Senatsurteil vom 30. Oktober 1973 - VI ZR 115/72, aaO, 89; BGH, Urteil vom 8. Oktober 2004 - V ZR 84/04, juris Rn. 11; vom 2. Juli 2004 - V ZR 33/04, BGHZ 160, 18, 22).
2. Soweit eine Gefahrenquelle dem Einflussbereich des zunächst Verkehrssicherungspflichtigen ganz oder teilweise entzogen ist, kann sich eine neue Zuständigkeitsverteilung ergeben (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 2013 - VI ZR 369/12, VersR 2014, 78 Rn. 16). Für die haftungsrechtliche Zurechnung kommt es dann vor allem darauf an, wer in der Lage ist, die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, was wesentlich von der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die jeweilige Gefahrenquelle abhängen kann (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2006 - III ZR 159/05, VersR 2006, 803 Rn. 21).
a) Wird die Verkehrssicherungspflicht auf einen Dritten - unter Umständen, aber nicht notwendig unter gleichzeitiger Einräumung des unmittelbaren Besitzes - delegiert, so wird der Dritte für den Gefahrenbereich nach allgemeinen Deliktsgrundsätzen verantwortlich. Damit ist der ursprüngliche Verkehrssicherungspflichtige nicht völlig entlastet. Er bleibt - in Grenzen - zur Überwachung des Dritten verpflichtet und ist insofern neben diesem selbst noch verantwortlich (Senatsurteile vom 26. September 2006 - VI ZR 166/05, NJW 2006, 3628 Rn. 11; vom 27. November 1984 - VI ZR 49/83, NJW 1985, 484 f.; vom 2. Oktober 1984 - VI ZR 125/83, VersR 1984, 1190 f.; BGH, Urteil vom 22. Juli 1999 - III ZR 198/98, BGHZ 142, 227, 233). Dies gilt nicht nur dann, wenn die Verkehrssicherungspflicht vertraglich auf einen Dritten übertragen worden ist, sondern auch, wenn letzterer faktisch die Aufgabe der Verkehrssicherung in dem Gefahrenbereich übernommen hat und im Hinblick hierauf Schutzvorkehrungen durch den ursprünglich Verkehrssicherungspflichtigen unterbleiben, weil sich dieser auf ein Tätigwerden des Dritten verlässt (Senatsurteile vom 22. Januar 2008 - VI ZR 126/07, VersR 2008, 505 Rn. 9; vom 17. Januar 1989 - VI ZR 186/88, VersR 1989, 526). Eine völlige Entlastung des ursprünglich Verkehrssicherungspflichtigen findet auch in den Fällen nicht statt, in denen sich aufgrund der faktischen Gegebenheiten einer Geschäftssparte, etwa bei internationalen Warenlieferungs- und Transportketten, die Verlagerung der Möglichkeiten zur primären Gefahrenbeherrschung auf weitere Beteiligte nicht vermeiden lässt (Senatsurteil vom 1. Oktober 2013 - VI ZR 369/12, VersR 2014, 78 Rn. 16).
b) Von den genannten Fällen der Delegierung und der spartentypischen Verlagerung der Verkehrssicherungspflicht sind die Fälle zu unterscheiden, in denen dem zunächst Verkehrssicherungspflichtigen die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Gefahrenquelle gegen oder ohne seinen Willen entzogen wird, er sich seiner Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gefahrenquelle also nicht freiwillig begibt. Verbleibt infolge dieses Entzugs bei dem ursprünglich Verkehrssicherungspflichtigen nur noch eine rein formale Rechtsposition im Sinne einer vermögensrechtlichen Zuordnung (Eigentum), so reicht dies für die Begründung einer deliktischen Haftung für die von der Sache ausgehende Gefahr nicht aus. So hat bereits das Reichsgericht entschieden, dass für die Dauer der Zwangsverwaltung die Pflicht, für die Beseitigung der den Verkehr gefährdenden Mängel eines Grundstücks zu sorgen, ausschließlich dem Zwangsverwalter obliegt, weil dem Eigentümer infolge der Zwangsverwaltung jede Einwirkung auf das Grundstück verwehrt ist (RGZ 93, 1, 2 f.; vgl. auch BGH, Urteil vom 28. April 1952 - III ZR 118/51, BGHZ 5, 378, 382). Auch dort, wo eine öffentlich-rechtliche Herrschaft über eine Sache besteht, wie beispielsweise bei Widmung derselben zum Gemeingebrauch, kann der privatrechtliche Eigentümer dieser Sache sein privates Recht insoweit nicht mehr ausüben und in seiner Rolle als Privateigentümer nichts mehr zur Verkehrssicherung unternehmen. Soweit sein Eigentum durch die hoheitliche Verwaltung zurückgedrängt ist, kann aus ihm (dem Eigentum) eine Rechtspflicht zum Tätigwerden nicht hergeleitet werden (BGH, Urteil vom 30. April 1953 - III ZR 377/51, BGHZ 9, 373, 384 f.). Es verbleibt in solchen Fällen auch kein Raum für eine reduzierte Verkehrssicherungspflicht in Form von Überwachungspflichten. Wer mit der zwangsweisen Verlagerung seiner tatsächlichen Verfügungsgewalt auf einen Dritten konfrontiert wird, den er nicht auswählt und auf den er rechtlich nicht einwirken kann, hat diesen nicht zu überwachen.
3. Nach diesen Grundsätzen war die Beklagte zwar ursprünglich verkehrssicherungspflichtig. Sie hatte dafür zu sorgen, dass von den Bäumen auf ihrem Grundstück keine Gefahr auf die Parkfläche ausging. Diese Pflichtenstellung hat sie aber mit Wirksamwerden der vorzeitigen Besitzeinweisung gemäß § 18f FStrG gänzlich verloren; es verblieben auch keine Überwachungspflichten.
a) Eine vorzeitige Besitzeinweisung gemäß § 18f FStrG findet statt, wenn sich der Eigentümer oder Besitzer eines für eine Fernstraßenbaumaßnahme benötigten Grundstücks weigert, den Besitz an dem Grundstück dem Baulastträger freiwillig durch Vereinbarung zu überlassen. Die Enteignungsbehörde hat dann den Träger der Straßenbaulast auf Antrag nach Feststellung des Plans oder Erteilung der Plangenehmigung in den Besitz des benötigten Grundstücks einzuweisen, § 18f Abs. 1 Satz 1 FStrG. Durch die Besitzeinweisung, die einen Teil der Enteignung darstellt (Kromer/Müller in Müller/Schulz, FStrG, 2. Aufl., § 18f Rn. 6; Aust in Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl., Kap. 39 Rn. 30.1), wird gemäß § 18f Abs. 4 Satz 4 FStrG dem Besitzer der Besitz entzogen und der Träger der Straßenbaulast wird Besitzer, damit er auf dem Grundstück das Bauvorhaben ausführen und die dafür erforderlichen Maßnahmen treffen kann (§ 18f Abs. 4 Satz 5 FStrG). Mit Besitz ist die tatsächliche Gewalt über das Grundstück im Sinne von § 854 Abs. 1 BGB gemeint, also die Fähigkeit, über die Verwendung des Grundstücks unmittelbar zu bestimmen und jeden anderen an dessen Betreten oder Benutzen zu hindern (Kromer/Müller aaO Rn. 2, 13). Der Eigentümer kann nunmehr, notfalls mit Zwangsmaßnahmen, von der Nutzung des Grundstücks ausgeschlossen werden (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 1983 - III ZR 155/82, BGHZ 88, 337, 340).
b) Wie die Revision insoweit zutreffend erkennt, handelt es sich vorliegend mithin nicht um einen Fall, in dem die Verkehrssicherungspflicht in vertraglichem oder faktischem Einvernehmen - ggf. unter gleichzeitiger freiwilliger Einräumung des unmittelbaren Besitzes - delegiert wurde. Vielmehr wurde der Beklagten mittels einer hoheitlichen Maßnahme die Sachherrschaft und damit die Einwirkungsmöglichkeit auf das Grundstück entzogen. Die Beklagte hat damit trotz der ihr verbliebenen - formalen - Eigentümerstellung die deliktische Verantwortung für die Kontrolle der Bäume auf dem ihrem Besitz und ihrer Bestimmungsmacht entzogenen Grundstück für die Dauer der Besitzeinweisung gänzlich verloren, während gleichzeitig diesbezügliche Verkehrssicherungspflichten auf Seiten der in den Besitz eingewiesenen Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Streithelferin, begründet wurden. Da sich die Bäume nicht mehr im Verantwortungsbereich der Beklagten befanden, hatte diese die Streithelferin, auf die sie diesbezüglich ohnehin keine rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten gehabt hätte, nicht auf die Erfüllung der allein dieser obliegenden Verkehrssicherungspflicht zu überwachen. Der von der Revision angeführte Umstand, dass die Beklagte die Streithelferin rein tatsächlich zur Baumkontrolle hätte anhalten können, vermag eine diesbezügliche deliktsrechtliche Verpflichtung der Beklagten nicht zu begründen.
Darauf, ob die Beklagte zudem, wie im angefochtenen Urteil ausgeführt, darauf vertrauen konnte, dass nunmehr eine sachkundige und kompetente öffentlich-rechtliche Körperschaft für die Verkehrssicherung des Grundstücks zuständig sein würde, kommt es nicht an. Dieser Gesichtspunkt kann dem Umfang von Überwachungspflichten Grenzen setzen (vgl. Senatsurteile vom 1. Oktober 2013 - VI ZR 369/12, VersR 2014, 78 Rn. 16; vom 2. Oktober 1984 - VI ZR 125/83, VersR 1984, 1190, 1191; BGH, Urteil vom 22. Juli 1999 - III ZR 198/98, BGHZ 142, 227, 233), die hier aber schon nicht begründet wurden.
Galke |
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Wellner |
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von Pentz |
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Müller |
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Klein |
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