Entscheidungsdatum: 02.06.2015
Zur Frage der Ersatzfähigkeit von Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeugs liegen.
Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Offenburg vom 26. August 2014 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 2. Oktober 2012 geltend, für den die Einstandspflicht der Beklagten außer Streit steht. Der vorgerichtlich mit der Schätzung des Sachschadens an dem Pkw der Klägerin, einem Mercedes Benz C 200 D, beauftragte Sachverständige S. ermittelte die Reparaturkosten mit 2.973,49 € brutto, den Wiederbeschaffungswert mit 1.600 € und den Restwert mit 470 €. Die Klägerin ließ den Pkw in der Zeit vom 4. bis 13. Oktober 2012 reparieren. Die Reparatur, bei der auch Gebrauchtteile verwendet wurden, kostete 2.079,79 €.
Die Beklagte zu 2 regulierte den Schaden als wirtschaftlichen Totalschaden auf der Grundlage des Wiederbeschaffungsaufwands und zahlte an die Klägerin einen Betrag von 1.130 €. Darüber hinaus beglich sie die Sachverständigenkosten und zahlte 229,55 € vorgerichtliche Anwaltskosten sowie 25 € Unkostenpauschale.
Die auf Zahlung der noch mit 949,79 € offenen Reparaturkosten, 805,92 € Mietwagenkosten und weiterer 129,25 € Rechtsanwaltskosten nach dem höheren Gegenstandswert gerichtete Klage war beim Amtsgericht überwiegend erfolgreich, wobei das Amtsgericht die geltend gemachten Reparaturkosten in vollem Umfang und restliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 129,95 € zuerkannt hat. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage hinsichtlich der Reparaturkosten und darauf entfallende Rechtsanwaltskosten abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, trotz der Feststellung des gerichtlichen Sachverständigen C., wonach die Reparatur zu einem technisch und optisch einwandfreien Ergebnis geführt habe, habe die Beklagte mit Recht auf Totalschadensbasis abgerechnet. Die Instandsetzung eines beschädigten Fahrzeugs sei in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig, wenn die voraussichtlichen Reparaturkosten mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert lägen. So liege es im Streitfall. Ausweislich des Schadensgutachtens des Sachverständigen S. hätten die voraussichtlichen Reparaturkosten 2.973,49 € (brutto) und damit 186 % des angesetzten Wiederbeschaffungswerts in Höhe von 1.600 € betragen. Der Umstand, dass die der Klägerin tatsächlich in Rechnung gestellten Reparaturkosten die 130 %-Grenze knapp einhielten, rechtfertige keine andere Beurteilung. Die Reparatur sei bereits nicht entsprechend den Vorgaben des Sachverständigen durchgeführt worden. Die Fahrertür und eine Zierleiste seien durch Gebrauchtteile ersetzt worden. Der vom Sachverständigen S. vorgesehene Austausch weiterer Zierleisten und des Kniestücks hinten links ließen sich der Reparaturkostenrechnung der Firma M. nicht entnehmen. Die Verwendung von Gebrauchtteilen sei im Übrigen ebenso schädlich wie die Beschreitung eines abweichenden, günstigeren Reparaturwegs. Der Einholung eines Schadensgutachtens komme zentrale Bedeutung bei der Schadensregulierung zu. Diese Bedeutung würde untergraben, wenn man es gestatten wollte, es nachträglich durch eine ex post-Betrachtung in Frage zu stellen, und es nur noch darauf ankäme, ob sich die tatsächlich berechneten Kosten innerhalb der 130 %-Grenze hielten. Deshalb sei dem Geschädigten eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis zu versagen, wenn die prognostizierten Reparaturkosten 130 % des Wiederbeschaffungswerts überstiegen. Andernfalls ergebe sich auch eine nicht unerhebliche Manipulationsgefahr durch eine versteckte Rabattgewährung, z.B. durch Herunterrechnen von Arbeitszeiten und nicht auf der Rechnung ausgewiesene Positionen. Die Verwendung von Gebrauchtteilen in größerem Umfang könne unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit problematisch sein. Im Übrigen verhalte sich die Klägerin auch widersprüchlich, wenn sie das Gutachten des Sachverständigen S. als Ausgangsbasis für die 130 %-Grenze wähle, andererseits aber dessen Eignung in Frage stelle, indem sie sich darauf berufe, der Austausch diverser Zierleisten und des Griffs der Fahrertür sei nicht notwendig gewesen. Die Klägerin sei daher im Ergebnis trotz der Feststellung des gerichtlichen Sachverständigen C., die durchgeführte Reparatur habe zu einem technisch und optisch einwandfreien Ergebnis geführt, auf die von der Beklagten zu 2 bereits vorgenommene Regulierung auf Totalschadensbasis zu verweisen.
II.
Das Berufungsurteil hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Der Klägerin stehen weder die geltend gemachten Reparaturkosten noch Ersatz weiterer Nebenkosten zu.
1. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann in Abweichung von dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Ersatz des Reparaturaufwands (Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen Entschädigung für den merkantilen Minderwert) bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs nur verlangt werden, wenn die Reparatur fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (vgl. Senatsurteile vom 15. Februar 2005 - VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161, 167 ff.; vom 9. Juni 2009 - VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 Rn. 15; vom 10. Juli 2007 - VI ZR 258/06, VersR 2007, 1244 Rn. 7; vom 8. Dezember 2009 - VI ZR 119/09, VersR 2010, 363 Rn. 6; vom 14. Dezember 2010 - VI ZR 231/09, VersR 2011, 282 Rn. 8; vom 8. Februar 2011 - VI ZR 79/10, VersR 2011, 547 Rn. 7 und vom 15. November 2011 - VI ZR 30/11, VersR 2012, 75 Rn. 5).
2. Die Instandsetzung eines beschädigten Fahrzeugs ist - wovon das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend ausgeht - in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig, wenn die (voraussichtlichen) Kosten der Reparatur - wie hier - mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert liegen (vgl. Senatsurteil vom 8. Februar 2011 - VI ZR 79/10, aaO). In einem solchen Fall, in dem das Kraftfahrzeug nicht mehr reparaturwürdig ist, kann der Geschädigte vom Schädiger grundsätzlich nur Ersatz der für die Beschaffung eines gleichwertigen Fahrzeuges erforderlichen Kosten, also den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts, verlangen. Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug dennoch reparieren, so können die Kosten nicht in einen vom Schädiger auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen (bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts) und einen vom Geschädigten selbst zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgespalten werden (vgl. Senatsurteile vom 15. Oktober 1991 - VI ZR 67/91, BGHZ 115, 375, 378 ff.; vom 10. Juli 2007 - VI ZR 258/06, VersR 2007, 1244 Rn. 6 und vom 8. Februar 2011 - VI ZR 79/10, aaO Rn. 6).
3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat das vorgerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten im Rahmen der Schadensschätzung, die sich grundsätzlich an den Preisen der markengebundenen Fachwerkstatt zu orientieren hat, jedoch keine absolute Bedeutung für die Frage, welche Reparaturkosten tatsächlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ersatzfähig sind. Dementsprechend hat der erkennende Senat entschieden, dass jedenfalls in Fällen, in denen die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten über der 130 %-Grenze liegen, es dem Geschädigten aber - auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen - gelungen ist, eine nach Auffassung des sachverständig beratenen Berufungsgerichts fachgerechte und den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten unter Berücksichtigung eines merkantilen Minderwerts den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, dem Geschädigten aus dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots eine Abrechnung der konkret angefallenen Reparaturkosten nicht verwehrt werden kann (Senatsurteil vom 14. Dezember 2010 - VI ZR 231/09, VersR 2011, 282 Rn. 13).
4. Ob der Geschädigte, wenn es ihm tatsächlich gelingt, entgegen der Einschätzung des Sachverständigen die von diesem für erforderlich gehaltene Reparatur innerhalb der 130 %-Grenze fachgerecht in einem Umfang durchzuführen, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat, Ersatz von über dem Wiederbeschaffungswert liegenden Reparaturkosten verlangen kann, konnte der Senat bisher offen lassen (vgl. Senatsurteile vom 10. Juli 2007 - VI ZR 258/06, aaO Rn. 7; vom 8. Februar 2011 - VI ZR 79/10, VersR 2011, 547 Rn. 7 ff. und vom 15. November 2011 - VI ZR 30/11, VersR 2012, 75 Rn. 6 ff.).
Die Frage bedarf auch im Streitfall keiner Entscheidung. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Reparatur im Streitfall bereits nicht vollständig nach den Vorgaben des Sachverständigen S. erfolgt. Zwar stünde die Verwendung altersentsprechender und funktionsfähiger Gebrauchtteile einer vollständigen und fachgerechten Reparatur nach der vorgenannten Senatsrechtsprechung nicht grundsätzlich entgegen. Nach den getroffenen Feststellungen ist jedoch der vom Sachverständigen S. vorgesehene Austausch weiterer Zierleisten und des Kniestücks hinten links nicht erfolgt. Insoweit hilft es der Klägerin auch nicht, dass nach dem Gutachten des Gerichtssachverständigen C. "keine optischen Mängel" vorhanden waren. Denn es kommt nicht darauf an, ob die verbliebenen Defizite optisch nicht stören. Vielmehr kommt es im Rahmen der Vergleichsbetrachtung allein auf den erforderlichen, d.h. nach objektiven Kriterien zu beurteilenden und deshalb auch unschwer nachzuprüfenden Reparaturaufwand an (vgl. Senatsurteil vom 10. Juli 2007 - VI ZR 258/06, VersR 2007, 1244 Rn. 10 mwN).
Galke Wellner Stöhr
von Pentz Roloff