Entscheidungsdatum: 27.10.2015
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 15. Juli 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf bis zu 50.000 € festgesetzt.
I.
Die Parteien streiten um Ansprüche infolge einer ärztlichen Behandlung.
Die Klägerin wurde im September 2010 von ihrem Hausarzt wegen eines "Hallux valgus" (Fehlstellung der Großzehe mit vorspringendem Zehenballen am Grundgelenk) an den Beklagten überwiesen. Im Januar 2011 operierte der Beklagte die Klägerin, nachdem er sie zuvor, nämlich im Oktober 2010 sowie am Operationstag selbst, über die Hallux valgus-Operation aufgeklärt hatte. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf materiellen und immateriellen Schadensersatz mit der Behauptung in Anspruch, infolge der Operation an einem Morbus Sudeck zu leiden. Die Operationsaufklärung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil der Beklagte sie weder über das Risiko eines Morbus Sudeck noch darüber aufgeklärt habe, dass als echte Behandlungsalternative zum operativen Vorgehen auch konservative Maßnahmen zur Verfügung gestanden hätten.
Das Landgericht hat die Klage – ohne vorherige Einholung eines Sachverständigengutachtens - abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Ein Sachverständigengutachten hat es ebenfalls nicht eingeholt. Die Revision wurde nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
1. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, es sei nach Anhörung der Parteien zu der Überzeugung gelangt, dass dem Beklagten kein Aufklärungsfehler vorgeworfen werden könne. Dies gelte auch hinsichtlich des von der Klägerin erhobenen Vorwurfs, sie sei vom Beklagten nicht über konservative Behandlungsmethoden aufgeklärt worden. Zwar sei der diesbezügliche zweitinstanzliche Vortrag der Klägerin nicht präkludiert. Der Beklagte habe die Klägerin aber "hinreichend im Zusammenhang mit der Möglichkeit konservativer Behandlungen” aufgeklärt. Zudem bezweifle der Senat nach dem Eindruck der informatorischen Anhörung der Klägerin obendrein, dass diese sich im Falle einer noch ausführlicheren als der tatsächlich erfolgten Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin sei vom Beklagten auch im Zusammenhang mit der Möglichkeit konservativer Behandlungsalternativen hinreichend aufgeklärt worden, beruhe auf einem Gehörsverstoß. Denn das Berufungsgericht hat seiner Bewertung die Annahme zugrunde gelegt, dass die konservative (Weiter-)Behandlung der Klägerin keine echte Behandlungsalternative mehr darstellte, ohne das von der Klägerin für das Gegenteil angebotene Sachverständigengutachten eingeholt zu haben.
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Gerichte, erheblichen Beweisanträgen nachzugehen. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 16. September 2014 - VI ZR 118/13, VersR 2015, 338 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 23. April 2015 - V ZR 200/14, juris Rn. 7; BVerfGE 69, 141, 143 f.; BVerfG, WM 2012, 492 f.; NJW 1993, 254).
b) Im Streitfall hatte die Klägerin vorgetragen,
"[...] Hätte der Beklagte jedoch ihr [d. h. der Klägerin] gegenüber klar gemacht, dass eine Behandlung auch ohne Operation möglich wäre, hätte sie selbstverständlich [...] auf eine Operation zuerst einmal verzichtet und es mit der konservativen Behandlung versucht.
Zum Beweis dafür, dass der damalige Zustand der Klägerin auch nicht operativ behandlungsfähig gewesen wäre wird wiederum Beweis angeboten durch Sachverständigengutachten."
wobei die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend darauf hinweist, dass "nicht operativ” aus dem Gesamtzusammenhang nur im Sinne von "nichtoperativ" verstanden werden kann.
Die von der Klägerin damit unter Sachverständigenbeweis gestellte Behauptung, die konservative Behandlung der Klägerin habe als echte Behandlungsalternative zur tatsächlich durchgeführten Operation zur Verfügung gestanden, war aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts auch erheblich. Zwar scheint das Berufungsgericht die Frage, ob konservative Behandlungsmethoden im Falle der Klägerin Besserung versprochen hätten, zunächst offen zu lassen. Denn es führt einleitend aus, es sei bereits fraglich, ob und inwieweit der Beklagte überhaupt eine solche Aufklärung schuldete, weil insoweit medizinisch ungeklärt sei, ob der Hallux valgus so weit fortgeschritten gewesen sei, dass konservative Behandlungsmethoden keine Besserung versprochen und insoweit keine "echte" Behandlungsmethode dargestellt hätten. Tatsächlich gelangt es - im Widerspruch zu diesem Einleitungssatz - aber nur deshalb zu der Annahme, der Beklagte habe "konservative Methoden in Erwägung gezogen und mit der Klägerin besprochen", weshalb er die Klägerin insoweit hinreichend aufgeklärt habe, weil es davon ausgeht, dass die konservative Behandlung im Falle der Klägerin keine echte Behandlungsalternative mehr darstellte.
Dies ergibt sich zunächst daraus, dass das Berufungsgericht die im von der Klägerin unterzeichneten Aufklärungsbogen enthaltene Aussage
"Da konservative Maßnahmen, wie konsequentes Tragen von Einlagen, Fußgymnastik und/oder passgerechtes Schuhwerk bei Ihnen keinen Erfolg versprechen oder brachten, raten wir zur Operation."
als Indiz für eine hinreichende Aufklärung wertet, obwohl sie im Falle, die konservative Behandlung hätte eine echte Behandlungsalternative dargestellt, gerade falsch gewesen wäre. Auch der Umstand, dass das Berufungsgericht die Aussage des Beklagten im Rahmen seiner persönlichen Anhörung, in seiner Klinik werde vor einer Operation stets zunächst gefragt und geprüft, ob die konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien, als Argument für eine ordnungsgemäße Aufklärung in Bezug auf Behandlungsalternativen wertet, spricht dafür, dass das Berufungsgericht die von dem Beklagten durchgeführte "Aufklärung" nur deshalb für ausreichend hielt, weil es gerade nicht davon ausgegangen ist, dass die konservative Behandlung der Klägerin noch eine echte Behandlungsalternative darstellte. Zuletzt wird im Berufungsurteil sogar noch ausdrücklich ausgeführt, das Gericht halte den Einwand der Klägerseite, es sei nicht hinreichend der Frage nachgegangen, ob und inwieweit echte konservative Behandlungsmöglichkeiten nicht doch noch gegeben gewesen seien, für "unbehelflich"; die Klägerin habe selbst bestätigt, dass "nach einjähriger konservativer Behandlung eine Besserung nicht eingetreten sei und sie wegen fortschreitender Schmerzen überwiesen worden sei - vor allem vor dem Hintergrund, dass ihr eigener Hausarzt den Hallux valgus für sehr weit fortgeschritten hielt". Aufklärungspflichtige "echte" Behandlungsalternativen seien - so das Berufungsgericht - "daher vorliegend weder tatsächlich vorgetragen noch sonst ersichtlich".
Das Übergehen des Beweisangebots der Klägerin findet im Prozessrecht keine Stütze. Insbesondere hat das Berufungsgericht auch nicht dargelegt, dass es selbst über die notwendige Sachkunde verfügt (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 13. Januar 2015 - VI ZR 204/14, VersR 2015, 472 Rn. 5).
c) Der Gehörsverstoß ist auch - wie die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend darlegt - erheblich. Nachdem das Berufungsgericht gerade nicht festgestellt hat, dass der Beklagte die Klägerin auf die Möglichkeit des konservativen Vorgehens als echte Alternative zur Operation hingewiesen hatte, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass es zu einem haftungsbegründenden Aufklärungsfehler des Beklagten gekommen wäre, wenn die konservative Behandlung im Falle der Klägerin eine solche Alternative gewesen wäre. Wie wahrscheinlich es ist, dass das von der Klägerin beantragte Sachverständigengutachten tatsächlich zu dem von ihr gewünschten Ergebnis führt, ist dabei unerheblich.
Soweit das Berufungsgericht "ergänzend" ausführt, dass es "nach dem Eindruck der informatorischen Anhörung der Klägerin obendrein bezweifelt, dass die Klägerin sich im Falle einer noch ausführlicheren als der tatsächlich erfolgten Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte", steht dies der Annahme der Erheblichkeit des dargestellten Gehörsverstoßes nicht entgegen. Denn das Berufungsgericht begründet dies mit dem Vertrauen der Klägerin auf den tatsächlich gegebenen ärztlichen Rat, der zumindest nicht vollständig gewesen wäre, wäre neben der Operation auch eine konservative Behandlung als echte Alternative in Betracht gekommen. Der dargestellte Gehörsverstoß schlägt mithin auch auf die das Vorliegen eines Entscheidungskonflikts betreffenden Zweifel des Berufungsgerichts durch. Daran änderte sich im Übrigen auch dann nichts, wenn man mit der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung davon ausginge, das Berufungsgericht habe mit dem "ärztlichen Rat" nicht den Rat des Beklagten, sondern den Rat des Hausarztes der Klägerin gemeint.
3. Im Rahmen der erneuten Befassung wird das Berufungsgericht insbesondere zu beachten haben, dass, sollten konservative Behandlungsmethoden wie von der Klägerin beweisbewehrt behauptet eine echte Behandlungsalternative dargestellt haben, über diese nur dann hinreichend aufgeklärt worden wäre, wenn sie der Klägerin auch als echte Behandlungsalternative vorgestellt worden wären. Nicht ausreichend wäre es in diesem Fall, wenn der Beklagte mit der Klägerin konservative Behandlungsmöglichkeiten zwar erörtert, ihr aber mitgeteilt hätte, diese kämen in ihrem konkreten Fall nicht mehr in Betracht. Das Recht des Beklagten, der Klägerin mitzuteilen, welche der Alternativen aus seiner Sicht vorzugswürdig ist, bliebe davon auch in diesem Falle freilich unberührt.
Galke Stöhr Offenloch
Oehler Roloff