Entscheidungsdatum: 27.09.2016
Im Zusammenhang mit der Presseberichterstattung über ein bedeutendes politisches Ereignis (hier: Misstrauensabstimmung im Berliner Abgeordnetenhaus) kann die ohne Einwilligung erfolgende Veröffentlichung von Fotos, die den davon möglicherweise betroffenen Regierenden Bürgermeister am Vorabend in einer an sich privaten Situation zeigen (hier: "bei einem Drink" beim Abendessen in einer bekannten Berliner Bar), durch das Informationsinteresse der Allgemeinheit gerechtfertigt sein.
Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des Kammergerichts vom 7. Juli 2014 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. August 2013 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen
Der Kläger, ehemaliger Regierender Bürgermeister des Landes Berlin, wendet sich gegen die Veröffentlichung von drei Bildern in der Berlin-Ausgabe der von der Beklagten verlegten "BILD"-Zeitung unter der Überschrift "Vor der Misstrauens-Abstimmung ging´s in die Paris-Bar ...". Die Bilder zeigen den Kläger beim Besuch dieses Restaurants am Vorabend der gegen ihn gerichteten Misstrauensabstimmung im Berliner Abgeordnetenhaus; Anlass dieser Abstimmung war die sich weiter verzögernde Fertigstellung des neuen Berliner Flughafens. Im Begleittext zu den Bildern heißt es: "Es ist Freitagabend vor der Misstrauens-Abstimmung im Parlament. Klaus Wowereit (59, SPD) weiß noch nicht, dass er sie gewinnt. Und entspannt bei einem Drink in der Paris-Bar - mit M., Gründer der heute beginnenden Modemesse 'Bread & Butter'". In die Bilder sind folgende Texte eingeblendet: "'Bread & Butter' - Chef M. (im Folgenden: M.) und seine Frau mit Klaus Wowereit", "Der Regierende wirkt am Vorabend der Abstimmung im Parlament sichtlich entspannt ...", "... und genehmigt sich einen Drink in der Paris-Bar (Kantstraße)". Die Bilder sind eingeschoben in einen Bericht über den Kläger mit der Überschrift "Vom Partybürgermeister zum Bruchpiloten". Dort wird über die Amtsjahre des Klägers und seinen "Absturz in 11,5 Jahren" berichtet, beginnend mit dem "Putsch" gegen den "Ewig-Bürgermeister Diepgen", über das "Tabubrecher-Jahr" 2002, das "Glamour-Jahr" 2003, das "Sorgen-Jahr" 2004, das "Anwärter-Jahr" 2005, das "Jammer-Jahr" 2006, das "Hollywood-Jahr" 2007, das "Tempelhof-Jahr" 2008, das "Chaos-Jahr" 2009, das "Sightseeing-Jahr" 2010, das "Jubiläums-Jahr" 2011 bis hin zum "Abstiegs-Jahr" 2012 und dem "Ausstiegs-Jahr" 2013.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, die Bilder des Klägers zu veröffentlichen. Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten durch Beschluss im Sinne des § 522 ZPO zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
I.
Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf die Begründung des landgerichtlichen Urteils die angegriffene Bildberichterstattung nach § 22, § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG als unzulässig erachtet. Der private Aufenthalt in der Paris-Bar sei kein zeitgeschichtliches Ereignis. Er stehe auch nicht im Zusammenhang mit der am Tag darauf angesetzten Misstrauensabstimmung. Dass der Kläger am Vorabend der Abstimmung eine Bar besucht habe, lasse insbesondere keine Rückschlüsse darauf zu, wie er mit der für ihn wichtigen politischen Entscheidung umgehe. Auch die Tatsache, dass der Kläger in der Paris-Bar den "Bread & Butter"-Chef getroffen habe, sei kein zeitgeschichtliches Ereignis. Denn die Misstrauensabstimmung sei nicht wegen der Verpachtung eines Teils des Flughafens Tempelhof, sondern wegen der Probleme um den neuen Berliner Flughafen angesetzt worden.
II.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat - wie die Revision mit Recht geltend macht - den Kontext der beanstandeten Bildberichterstattung nicht hinreichend berücksichtigt und deshalb rechtsfehlerhaft dem Persönlichkeitsrecht des Klägers den Vorrang vor der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Pressefreiheit eingeräumt.
1. Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen (vgl. grundlegend Senatsurteile vom 6. März 2007 - VI ZR 51/06, BGHZ 171, 275 Rn. 9 ff.; vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 5/10, VersR 2012, 116 Rn. 8 f.; vom 22. November 2011 - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 23 f.; vom 18. September 2012 - VI ZR 291/10, VersR 2012, 1403 Rn. 26, vom 28. Mai 2013 - VI ZR 125/12, VersR 2013, 1178 Rn. 10, vom 8. April 2014 - VI ZR 197/13, VersR 2014, 890 Rn. 8 und vom 21. April 2015 - VI ZR 245/14, VersR 2015, 898 Rn. 14, jeweils mwN), das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfGE 120, 180, 210) als auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht (vgl. EGMR NJW 2004, 2647 Rn. 57 ff.; 2006, 591 Rn. 37 ff., sowie NJW 2012, 1053 Rn. 95 ff., und 1058 Rn. 75 ff.). Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Die Veröffentlichung des Bildes von einer Person begründet grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. BVerfG NJW 2011, 740 Rn. 52 mwN). Die nicht von der Einwilligung des Abgebildeten gedeckte Verbreitung seines Bildes ist nur zulässig, wenn dieses Bild dem Bereich der Zeitgeschichte oder einem der weiteren Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 KUG positiv zuzuordnen ist und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Dabei ist schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK andererseits vorzunehmen (vgl. z.B. Senatsurteile vom 19. Juni 2007 - VI ZR 12/06, VersR 2007, 1135 Rn. 17 und vom 21. April 2015 - VI ZR 245/14, VersR 2015, 898 Rn. 14; ausführlich dazu v. Pentz, AfP 2013, 20, 23 f.).
2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger in die Veröffentlichung der Fotos nicht eingewilligt (§ 22 Satz 1 KUG). Die Fotos sind jedoch - wie die Revision mit Recht geltend macht - dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG) zuzuordnen.
a) Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Der Begriff des Zeitgeschehens darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Zeitgeschehen, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Er wird mithin vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt. Zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört es, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht, und dass sich im Meinungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist, wobei sogar unterhaltende Beiträge davon nicht ausgenommen sind (vgl. BVerfGE 101, 361, 389 ff.; BVerfG, AfP 2008, 163, 166 f. Nr. 61 ff.; Senatsurteile vom 19. Juni 2007 - VI ZR 12/06, aaO; vom 3. Juli 2007 - VI ZR 164/06, aaO; vom 24. Juni 2008 - VI ZR 156/06, BGHZ 177, 123 Rn. 15 ff. und vom 21. April 2015 - VI ZR 245/14, VersR 2015, 898 Rn. 17, jeweils mwN). Ein Informationsinteresse besteht jedoch nicht schrankenlos, vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (Senatsurteile vom 22. November 2011 - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 24 und vom 11. Juni 2013 - VI ZR 209/12, VersR 2013, 1272 Rn. 9, jeweils mwN).
b) Es bedarf mithin einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen (vgl. Senatsurteile vom 1. Juli 2008 - VI ZR 243/06, aaO, Rn. 20 und vom 13. April 2010 - VI ZR 125/08, aaO Rn. 14; BVerfGE 120, 180, 205). Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich zum Persönlichkeitsschutz des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen, insbesondere zum Schutz des Kernbereichs der Privatsphäre (vgl. Senatsurteile vom 19. Dezember 1995 - VI ZR 15/95, BGHZ 131, 332, 337 f. und vom 9. Dezember 2003 - VI ZR 373/02, VersR 2004, 522, 523), der in Form der Gewährleistung des Rechts am eigenen Bild sowie der Garantie der Privatsphäre teilweise auch verfassungsrechtlich fundiert ist (vgl. BVerfGE 101, 361, 381 ff.; 120, 180, 214). Bei der Gewichtung des Informationsinteresses im Verhältnis zu dem kollidierenden Persönlichkeitsschutz kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgeblicher Bedeutung zu. Entscheidend ist insbesondere, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen oder ob sie - ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis - lediglich die Neugier der Leser oder Zuschauer nach privaten Angelegenheiten prominenter Personen befriedigen (vgl. Senatsurteile vom 1. Juli 2008 - VI ZR 243/06, aaO, Rn. 21 und vom 22. November 2011 - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 25; BVerfGE 34, 269, 283; 101, 361, 391; 120, 180, 205, 214; BVerfG, NJW 2006, 3406, 3407). Der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung ist im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, zu ermitteln, insbesondere unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung. Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird (vgl. Senatsurteile vom 22. November 2011 - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 26 und vom 28. Mai 2013 - VI ZR 125/12, VersR 2013, 1178 Rn. 13).
c) Im Streitfall zeigen die veröffentlichten Bilder den Kläger zwar in einer für sich genommenen privaten Situation "bei einem Drink" beim Abendessen. Dieses fand jedoch in einem in Berlin bekannten, insbesondere von Prominenten besuchten Restaurant statt. Hier musste der Kläger als Regierender Bürgermeister davon ausgehen, gesehen und erkannt zu werden. Die Lichtbilder stehen sowohl hinsichtlich der Darstellung als auch inhaltlich im Kontext zu der - nicht angegriffenen - Wortberichterstattung über ein hochpolitisches zeitgeschichtliches Ereignis von herausragendem öffentlichem Interesse, nämlich der am nächsten Tag bevorstehenden Misstrauensabstimmung im Berliner Abgeordnetenhaus aus Anlass der sich weiter verzögernden Fertigstellung des neuen Berliner Flughafens. Diese Abstimmung war entscheidend für das weitere politische Schicksal des Klägers als langjähriger Regierender Bürgermeister von Berlin. Die Bilder sind eingebettet in einen Bericht über seine Amtsjahre mit der Überschrift "Vom Partybürgermeister zum Bruchpiloten", in dem pointiert und schlagwortartig das Auf und Ab seiner Regierungszeit und deren möglicherweise bevorstehendes Ende im Zusammenhang mit dem neuen Berliner Flughafen beschrieben wird. Die Bilder zeigen, wie der - von ihm unbeanstandet - als "Partybürgermeister" beschriebene Kläger in der Öffentlichkeit am Vorabend des möglichen Endes seiner politischen Laufbahn mit dieser Belastung umgeht und zwar - wie im Kontext beschrieben - entspannt "bei einem Drink" in der Paris-Bar. Dabei zeigt er sich in der Gesellschaft von M., einer weiteren in Berlin bekannten Person - die Kontakte zu M. waren in der Vergangenheit in den Medien umfassend thematisiert worden - und Gründer einer damals aktuell beginnenden Modemesse auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof. Dessen Verpachtung war in Berlin ebenfalls Gegenstand politischer und öffentlicher Auseinandersetzungen.
Das Verhalten von bedeutenden Politikern vor oder nach einem für sie persönlich bedeutsamen politischen Ereignis, insbesondere einem (möglichen) Amtsverlust kann durchaus Gegenstand öffentlicher Diskussionen sein, wozu die angegriffene Bildberichterstattung einen wesentlichen Beitrag leisten kann. Das Verhalten von Politikern in derartigen Situationen kann der Öffentlichkeit wertvolle Anhaltspunkte nicht nur für die Einschätzung der jeweiligen Person im Verlauf ihrer weiteren politischen Laufbahn, sondern auch für die Beurteilung des politischen Geschehens im Allgemeinen geben (vgl. Senatsurteil vom 24. Juni 2008 - VI ZR 156/06, aaO Rn. 21).
Im Streitfall bestand - wie die Revision mit Recht geltend macht - die Aussage der drei Abbildungen darin, die für den Kläger vor der Misstrauensabstimmung persönlich wie politisch brisante Situation - nicht zuletzt im Kontext mit in dem Artikel als Teil eines "Absturzes" gesehenen Ereignissen in seiner bisherigen Amtsführung - einem Verhalten gegenüberzustellen, das sichtlich entspannt wirke. Soweit das Berufungsgericht meint, dass der Kläger am Vorabend der Abstimmung eine Bar besuche, lasse keine Rückschlüsse darauf zu, wie er mit der erwarteten für ihn wichtigen politischen Entscheidung umgehe, übersieht es, dass es Sache des jeweiligen Betrachters ist, aus dem äußeren Verhalten eines Politikers seine eigenen Rückschlüsse zu ziehen.
3. Durch die beanstandete Bildberichterstattung werden auch keine berechtigten Interessen des abgebildeten Klägers im Sinne des § 23 Abs. 2 KUG verletzt. Die veröffentlichten Bilder zeigen den Kläger in einer eher unverfänglichen Situation beim Abendessen in einer bekannten, von sogenannten prominenten Personen besuchten Bar. Er konnte, wie schon dargelegt, unter diesen Umständen - gerade am Vorabend der Misstrauensabstimmung wegen der sich verzögernden Fertigstellung des neuen Berliner Flughafens - nicht damit rechnen, den Blicken der Öffentlichkeit und der Presse entzogen zu sein (vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 653/96, aaO Rn. 114; Senatsurteil vom 19. Dezember 1995 - VI ZR 15/95, NJW 1996, 1128 Rn. 44 f.). Wenn sich der Kläger als Regierender Bürgermeister in einer für ihn politisch wie persönlich heiklen Lage in ein solches Umfeld begibt, kann dies eher der Sozialsphäre als der Privatsphäre zuzuordnen sein und kann dem deshalb im Rahmen der Abwägung kein die Meinungs- und Pressefreiheit der Beklagten zurückdrängendes Gewicht zukommen.
III.
Da keine weiteren Feststellungen mehr zu treffen sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden und im Ergebnis die Klage abweisen.
Galke Wellner Oehler
Roloff Klein