Entscheidungsdatum: 11.06.2013
Zur Zulässigkeit eines satirisch gefärbten Fernsehbeitrags über das Streitgespräch eines Journalisten mit einer Teilnehmerin an einer Mahnwache im Hinblick auf das Recht am eigenen Bild und am eigenen Wort.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19. April 2012 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22. September 2011 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittel.
Von Rechts wegen
Die Klägerin nimmt die beklagte Rundfunkanstalt auf Unterlassung der erneuten Ausstrahlung einer Fernsehsendung in Anspruch, in deren Verlauf sie in einem Streitgespräch mit einem Journalisten und Protagonisten der Sendung zu sehen und zu hören ist.
Die ARD strahlte am 21. November 2010 die dritte Folge einer fünfteiligen Sendung "Entweder Broder - Die Deutschland-Safari" aus, eine Koproduktion verschiedener Rundfunkanstalten innerhalb der ARD, darunter auch der Beklagten, bei der die Produktionsleitung lag. Die Sendereihe wird von der Beklagten selbst als Mischung zwischen "Roadmovie-Doku" und gesellschaftskritischer Satire gesehen. In der genannten Folge der Sendereihe tritt die Klägerin als Mitglied einer Gruppe von drei Frauen in Erscheinung, die sich als "Großmütter gegen den Krieg" bezeichnen. Sie hatten sich am Nachmittag des 24. Juni 2010 auf dem Pariser Platz in Berlin anlässlich der am 30. Mai 2010 erfolgten israelischen Marineintervention gegen die "Gaza-Solidaritätsflotte" zu einer gemeinsamen Mahnwache eingefunden. Die Klägerin erschien in der Sendung zwischen den Marken 2:00 min. bis etwa 5:30 min. mehrmals im Bild und mit Ton, wobei sie mit dem Protagonisten der Sendung, dem Journalisten Henryk M. Broder, lebhaft und kontrovers über das Anliegen der Mahnwache sowie allgemein über Fragen des Völkerrechts und der Legitimität militärischer Aktionen diskutierte.
Mit E-Mails vom 25. Juni 2010 und 29. Juni 2010 widerrief die Klägerin gegenüber der Produktionsfirma und der Beklagten vorsorglich eine etwaige Einwilligung in Bezug auf die Aufzeichnung und Ausstrahlung der Aufnahmen. Sie hat geltend gemacht, weder ausdrücklich noch stillschweigend hierin eingewilligt zu haben. Weder Zweck, Art und Umfang der geplanten Sendung noch Herr Broder seien ihr zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt gewesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht dem Unterlassungsantrag - beschränkt auf die konkrete Verletzungsform - sowie dem Antrag auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.
I.
Das Berufungsgericht bejaht einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Unterlassung der Ausstrahlung des beanstandeten Beitrages aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 1004 BGB analog i.V.m. § 22 Satz 1 KUG. Es geht zwar davon aus, dass die Klägerin bemerkt habe, dass sie gefilmt werde. Gleichwohl habe sie jedoch - weder ausdrücklich noch stillschweigend - zum Ausdruck gebracht, auch mit einer Ausstrahlung der Szene durch die Beklagte im Rahmen der Sendung "Entweder Broder - Die Deutschland-Safari" einverstanden zu sein. Eine stillschweigende Einwilligung setze nämlich voraus, dass dem Abgebildeten Zweck und Umfang der geplanten Veröffentlichung im Zeitpunkt der Aufnahme erkennbar bzw. bekannt gewesen seien. Dies habe die hierzu darlegungs- und beweisbelastete Beklagte erstinstanzlich nicht substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt. Soweit sie hierzu in der Berufungsinstanz vorgetragen und Beweis angeboten habe, sei dies im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO verspätet gewesen. Auch die Umstände des vorliegenden Einzelfalles gäben keine Veranlassung, von dem Erfordernis der Bekanntgabe von Zweck und Umfang der geplanten Veröffentlichung als Voraussetzung für die Annahme einer konkludenten Einwilligung abzusehen. Die Klägerin sei auch keine "relative Person der Zeitgeschichte".
II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auf Unterlassung der erneuten Veröffentlichung des beanstandeten Fernsehbeitrages.
1. Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen (vgl. grundlegend Senatsurteile vom 6. März 2007 - VI ZR 51/06, BGHZ 275, 278 Rn. 9 ff.; vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 5/10, VersR 2012, 116 Rn. 8 f.; vom 22. November 2011 - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 23 f.; vom 18. September 2012 - VI ZR 291/10, VersR 2012, 1403 Rn. 26 f. und vom 28. Mai 2013 - VI ZR 125/12, z.V.b.; jeweils mwN), das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfGE 120, 180, 201 ff.) als auch mit der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht (vgl. EGMR, NJW 2012, 1053, 1056 ff.). Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Hiervon besteht allerdings gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme gilt aber nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG).
2. Nach diesen Grundsätzen war die von der Klägerin angegriffene Bildberichterstattung in dem Fernsehbeitrag der Beklagten als solche über ein zeitgeschichtliches Ereignis zulässig. Einer (stillschweigenden) Einwilligung der Klägerin bedurfte es im Streitfall deshalb - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG nicht.
a) Bei den beanstandeten Filmaufnahmen mit der Klägerin handelt es sich um eine Bildberichterstattung aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Schon die Beurteilung, ob Abbildungen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG sind, erfordert eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits (vgl. etwa Senatsurteil vom 13. April 2010 - VI ZR 125/08, NJW 2010, 3025 Rn. 12 und vom 28. Mai 2013 - VI ZR 125/12, z.V.b.). Der für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, maßgebende Begriff des Zeitgeschehens umfasst alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse, insbesondere Vorgänge aus dem Bereich des politischen Meinungskampfes. Ein Informationsinteresse besteht allerdings nicht schrankenlos, vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (vgl. Senatsurteile vom 1. Juli 2008 - VI ZR 67/08, VersR 2008, 1411 Rn. 13 und VI ZR 243/06, VersR 2008, 1506 f. und vom 28. Mai 2013 - VI ZR 125/12, z.V.b.).
b) Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei den veröffentlichten Aufnahmen mit der Klägerin um eine Bildberichterstattung aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin als Mitglied zahlreicher der Friedensbewegung zuzurechnender Organisationen zusammen mit zwei anderen Frauen an einer "Mahnwache" auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor in Berlin teilgenommen, um gegen die kurz zuvor erfolgte israelische Marineintervention gegen die "Gaza-Solidaritätsflotte" zu protestieren. Eine solche Veranstaltung auf einem belebten Platz mit einem politischen Anliegen im Zusammenhang mit einer kurz zuvor erfolgten Militäraktion, die national und international Aufsehen erregt hat, in der Absicht, von einer möglichst breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden und auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken, ist ein zeitgeschichtliches Ereignis. Das Verhalten der Klägerin war Teil dieses zeitgeschichtlichen Ereignisses. Denn sie hat sich an dieser Veranstaltung aktiv beteiligt und vor laufender Kamera mit einem Journalisten lebhaft und kontrovers über ihr Anliegen sowie allgemein über Fragen des Völkerrechts und der Legitimität militärischer Aktionen diskutiert. Hierüber darf die Presse grundsätzlich auch ohne Einwilligung der Klägerin gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG mit Bildaufnahmen berichten.
3. Durch die Verbreitung dieser Aufnahmen werden berechtigte Interessen der Klägerin im Sinne des § 23 Abs. 2 KUG nicht verletzt.
a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war die Klägerin vor dem Zustandekommen der Aufnahmen im Zusammenhang mit ihrer Mahnwache als Mitglied zahlreicher der Friedensbewegung zuzurechnender Organisationen als Regisseurin und Produzentin zweier Dokumentarfilme ("Europa in schlechter Verfassung", "Venezuela in guter Verfassung") und auch publizistisch zu verschiedenen politischen Themen in Erscheinung getreten. Das veröffentlichte Streitgespräch zwischen ihr und dem Journalisten steht im unmittelbaren thematischen Bezug mit dem von ihr im Zusammenhang mit der "Mahnwache" vertretenen Standpunkt gegen die erfolgte israelische Militärintervention. Die Veröffentlichung eines von der Klägerin im Zusammenhang mit der von ihr mitveranstalteten "Mahnwache" vor laufender Kamera mit einem Journalisten geführten Streitgesprächs im Fernsehen entspricht dem im allgemeinen zu erwartenden Zweck der Aufnahme und damit dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge. Da sich der Journalist in dieser Diskussion nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kritisch und ablehnend mit ihrer Haltung auseinandersetzt, die Klägerin vor laufender Kamera fortgesetzt in ihrer Rede unterbricht und ihr dabei durchgehend widerspricht, um ihr sodann Unkenntnis der geschichtlichen Zusammenhänge vorzuhalten, musste die Klägerin damit rechnen, dass die Darstellung ihres Verhaltens Gegenstand einer kritischen Dokumentation sein kann. Bei der von ihr als engagierte Friedensaktivistin geführten Auseinandersetzung muss die Klägerin aber im politischen Meinungskampf auch hieran anknüpfende satirische Bemerkungen hinnehmen (vgl. BVerfG, NJW 2002, 3767, 3768). Die satirische Auseinandersetzung in dem ausgestrahlten Fernsehbeitrag überschreitet inhaltlich nicht die Grenzen des Zulässigen und Zumutbaren. Insbesondere sind Anhaltspunkte für eine Schmähkritik nicht ersichtlich und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.
b) Eine Verletzung berechtigter Interessen liegt - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - auch nicht darin begründet, dass sich Herr Broder nicht darauf beschränkt hat, in dem von ihm geführten Interview den Standpunkt der Klägerin wiederzugeben, sondern es dazu benutzt hat, seine eigene Meinung in Form einer "Gegendemonstration" zu der von der Klägerin und den beiden anderen Frauen gebildeten "Mahnwache" für eine satirisch gefärbte Sendung darzustellen. Dies muss die Klägerin in dem von ihr geführten politischen Meinungskampf hinnehmen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 101, 361, 380; 120, 180, 198; NJW 2000, 2191, 2192) und des erkennenden Senats (Senatsurteil vom 26. Oktober 2010 - VI ZR 230/08, WRP 2011, 70, 72) hat niemand einen Anspruch darauf, von anderen nur so dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder gesehen werden möchte. Wer sich anlässlich einer "Mahnwache" mit einem Journalisten vor laufender Kamera auf ein beiderseits engagiert geführtes Streitgespräch über sein politisches Anliegen einlässt und dadurch an herausgehobener Stelle aktiv am öffentlichen Meinungsbildungsprozess über ein außenpolitisches Ereignis teilnimmt, muss sich - wie bereits ausgeführt - grundsätzlich eine kritische und auch satirisch gefärbte Auseinandersetzung mit seinem Standpunkt in einem daraufhin veröffentlichten Fernsehbeitrag gefallen lassen (vgl. Senatsurteil vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93, VersR 1994, 57, 58 f.).
4. Auch das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht am gesprochenen Wort als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin ist nicht verletzt.
a) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass das Grundgesetz neben dem Recht am eigenen Bild auch das Recht am gesprochenen Wort schützt (vgl. BVerfGE 34, 238, 246 f.; 54, 148, 154; 106, 28, 39). Dieses gewährleistet die Selbstbestimmung über die eigene Darstellung der Person in der Kommunikation mit anderen (vgl. BVerfGE 54, 148, 155). Der Schutz umfasst die Möglichkeit, sich in der Kommunikation nach eigener Einschätzung situationsangemessen zu verhalten und sich auf die jeweiligen Kommunikationspartner einzustellen. Zum Grundrecht gehört die Befugnis selbst zu bestimmen, ob der Kommunikationsinhalt einzig dem Gesprächspartner, einem bestimmten Personenkreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein soll (vgl. BVerfGE 106, 28, 39 mwN). Das Selbstbestimmungsrecht erstreckt sich also auf die Auswahl der Personen, die Kenntnis vom Gesprächsinhalt erhalten sollen. Verhält ein Sprecher sich allerdings so, dass seine Worte von unbestimmt vielen Menschen ohne besondere Bemühungen gehört werden können, hat er sich das Zuhören Dritter selbst zuzuschreiben. Er ist gegen deren Kommunikationsteilhabe nicht geschützt (vgl. BVerfGE 106, 28, 40).
b) Der vorbeschriebene Schutzbereich des Rechts am eigenen Wort ist im Streitfall nicht eröffnet. Denn die Klägerin führte das Streitgespräch mit dem Interviewer Broder im öffentlichen Raum, nämlich im Zusammenhang mit einer "Mahnwache" auf dem Pariser Platz in Berlin vor laufender Kamera. Sie sprach in ein Aufnahmemikrofon. Ihr kam es auch darauf an, mit Wirkung in die Öffentlichkeit der Kritik des Journalisten entgegen zu treten. Auf Grund dieser Rahmenbedingungen durfte sie nicht begründetermaßen erwarten, nicht von Dritten gehört zu werden.
5. Nach alledem war das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederherzustellen.
Galke Zoll Wellner
Stöhr von Pentz