Entscheidungsdatum: 15.01.2013
Die Zustellung einer Klageschrift im Ausland kann nach § 183 Abs. 4 Satz 2 ZPO durch das schriftliche Zeugnis der ersuchten Behörde mit der Beweiskraft des § 418 Abs. 1 ZPO, die auch der entsprechenden Urkunde der türkischen Behörde zukommt, nachgewiesen werden.
Die Revision gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 12. April 2012 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen des Ankaufs von Aktien einer Tochtergesellschaft der Beklagten.
Nach Eingang der Klage vom 17. November 2008 hat der Vorsitzende der mit der Sache befassten Zivilkammer des Landgerichts in Zusammenhang mit der Zustellung nach § 183 ZPO durch Verfügung vom 28. Januar 2009 angeordnet, dass der Beklagten im Hinblick auf das angeordnete schriftliche Vorverfahren eine Notfrist von zwei Wochen zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft gesetzt werde und dass sie innerhalb von zwei Wochen gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen habe. Auf die anderenfalls eintretenden rechtlichen Folgen der Zustellung von Schriftstücken durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift der Beklagten hat der Vorsitzende hingewiesen. Diese Verfügung und die Klageschrift sind der Beklagten am 7. Juni 2010 nach Maßgabe des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15. November 1965 (BGBl. 1977 II S. 1452, 1453; im Folgenden HZÜ) zugestellt worden. Nach dem Ablauf der Frist zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft hat das Landgericht am 31. Mai 2011 die Beklagte im schriftlichen Verfahren durch Teil-Versäumnisurteil antragsgemäß verurteilt. Eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils ist nach dem Vermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit der Belehrung über die Möglichkeit eines Einspruchs innerhalb von zwei Wochen nach der Zustellung unter der Anschrift der Beklagten am 3. Juni 2011 zur Post aufgegeben worden. Nach Festsetzung der Einspruchsfrist auf zwei Wochen durch Beschluss des Landgerichts vom 3. August 2011 ist auf Antrag der Kläger das Versäumnisurteil der Beklagten am 12. Oktober 2011 erneut, nunmehr auf diplomatischem Weg, zugestellt worden. Dagegen hat die Beklagte mit am 18. Oktober 2011 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Einspruch eingelegt.
Mit Urteil vom 22. November 2011 hat das Landgericht den Einspruch als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, das Berufungsurteil und das Urteil des Landgerichts vom 22. November 2011 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Landgericht habe den Einspruch gegen das Versäumnisurteil zu Recht gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil er nicht rechtzeitig eingelegt worden sei. Die Einspruchsfrist habe nicht erst mit der förmlichen Zustellung des Versäumnisurteils in der Türkei am 12. Oktober 2011, sondern bereits am 17. Juni 2011 aufgrund der Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post (§ 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO) zu laufen begonnen und sei dementsprechend am 2. Juli 2011 abgelaufen. Weder bestünden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der maßgebenden Bestimmung des § 184 ZPO noch verletze das vom Landgericht gewählte Verfahren das Haager Übereinkommen. Aufgrund der der Beklagten mit der Klageschrift zugestellten Anordnung im Sinne des § 184 ZPO habe die Beklagte im weiteren Verfahren mit Zustellungen durch Aufgabe zur Post rechnen müssen. Sie hätte die Gelegenheit gehabt, eine rechtzeitige Kenntnis von beschwerenden Entscheidungen und Rechtsbehelfsmöglichkeiten sicherzustellen.
Sowohl die Klageschrift als auch die Anordnung des Vorsitzenden im Sinne des § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO vom 28. Januar 2009 seien wirksam zugestellt worden. Die Anordnung müsse nicht zwingend durch den gesamten Spruchkörper der zuständigen Zivilkammer erfolgen. Sie sei durch den Vorsitzenden jedenfalls wirksam. Das Zustellungsreformgesetz vom 25. Juni 2001 (BGBl. I S. 1206), durch das § 184 ZPO an die Stelle des § 174 Abs. 1 ZPO a.F. getreten ist, habe lediglich die in § 20 Nr. 7 RPflG vorgesehene Zuständigkeitsübertragung auf den Rechtspfleger aufgehoben. Zwar scheine der Wortlaut der Vorschrift zunächst für die funktionelle Zuständigkeit des Spruchkörpers zu sprechen. Doch falle die Anordnung der Zustellung richterlicher Entscheidungen grundsätzlich in die Zuständigkeit des Vorsitzenden. Auch wenn bei der Anordnung Ermessen auszuüben sei, sei diese nicht schon deshalb unwirksam, weil die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gesichtspunkte nicht daraus erkennbar seien. Aus der Verfügung der Geschäftsstelle vom 3. Juni 2011 ergebe sich, dass eine Ausfertigung des Versäumnisurteils am selben Tag zur Post aufgegeben worden sei.
Die erneute Zustellung des Versäumnisurteils nebst Beschluss gemäß § 339 Abs. 2 ZPO am 12. Oktober 2011 habe die bereits verstrichene Einspruchsfrist nicht erneut in Lauf setzen können. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, weil bei der Frage des Verschuldens an der Fristversäumnis zu berücksichtigen sei, dass die Beklagte infolge der Zustellung der Klageschrift und der Anordnung des Vorsitzenden gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO von zukünftig bevorstehenden Zustellungen Kenntnis gehabt habe.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
1. Das Landgericht hatte auf den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil gemäß § 341 Abs. 1 Satz 1 ZPO zunächst nur zu prüfen, ob der Einspruch an sich statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt worden ist. Da die Beklagte die Einspruchsfrist nicht gewahrt hat, musste der Einspruch gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO ohne Sachprüfung und ohne Rücksicht auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des Versäumnisurteils verworfen werden (BGH, Beschluss vom 5. März 2007 - II ZB 4/06, NJW-RR 2007, 1363 Rn. 9 ff.; Hk-ZPO/Pukall, 4. Aufl., § 341 Rn. 1).
2. Rechtlich ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Zustellung des Versäumnisurteils im Inland durch Aufgabe zur Post für wirksam erachtet hat.
a) Zur Frage, auf deren Klärungsbedürftigkeit die Zulassung der Revision gestützt worden ist, ob - wie im Streitfall - der Vorsitzende der zuständigen Kammer oder der Spruchkörper die Anordnung nach § 184 Abs. 1 ZPO zu treffen habe, hat sich der erkennende Senat zwischenzeitlich in mehreren Urteilen gegen die Beklagte umfassend geäußert (vgl. Senat, Urteile vom 25. September 2012 - VI ZR 230/11, juris und - VI ZR 287/11, juris; vom 18. September 2012 - VI ZR 225/11, NJW-RR 2012, 1459 = MDR 2012, 1306; vom 26. Juni 2012 - VI ZR 241/11, NJW 2012, 2588 = WM 2012, 1499; vom 3. Juli 2012 - VI ZR 227/11, juris und - VI ZR 239/11, juris sowie vom 17. Juli 2012 - VI ZR 222/11, juris - VI ZR 226/11, juris und - VI ZR 288/11, juris). Insoweit wird auf die entsprechenden Ausführungen in den Urteilsgründen (so Senatsurteile vom 17. Juli 2012 - VI ZR 226/11, juris Rn. 14 bis 27 und - VI ZR 288/11, juris Rn. 18 bis 27; vom 18. September 2012 - VI ZR 223/11 n.v.) zur Vermeidung gleichlautender Wiederholungen Bezug genommen.
b) Die Wirksamkeit der Zustellung des Versäumnisurteils vom 31. Mai 2011 ist auch nicht deshalb zweifelhaft, weil die Klageschrift und die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen, der Beklagten nicht förmlich zugestellt worden wären.
Die förmliche Zustellung der Klageschrift und der Anordnung nach § 184 Abs. 1 ZPO am 7. Juni 2010 ist bewiesen durch die von einem Richter unterschriebene Urkunde vom 16. Juni 2010 (Art. 6 HZÜ), die mit dem Schreiben des Generaldirektorats für Internationales Recht und Außenbeziehungen des Justizministeriums der Türkischen Republik an das Landgericht Köln nach Erledigung des Rechtshilfeersuchens übersandt worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 13. November 2001 - VI ZB 9/01, NJW 2002, 521). Erfolglos macht die Revision dagegen geltend, eine förmliche Zustellung an die Beklagte sei nicht nachgewiesen. Zwar ist grundsätzlich der Beweis der Unrichtigkeit gegen die inhaltliche Richtigkeit einer Zustellungsurkunde zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Doch ist ein solcher Beweis aufgrund des Vorbringens der Revision nicht erbracht. Tatsächliche Umstände, die Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Zustellung durch Aushändigung der Schriftstücke an Rechtsanwalt P. begründen könnten, werden von der Revision nicht aufgezeigt. Sie ergeben sich jedenfalls nicht schon daraus, dass den Zustellungsunterlagen eine Vollmacht für Rechtsanwalt P. nicht beigefügt worden ist.
c) Entgegen der Auffassung der Revision vermochte die Anregung der Klägerin, die Klageschrift sowie ein gegebenenfalls noch zu erlassendes Versäumnisurteil gegen die Beklagte im Wege der Rechtshilfe förmlich zuzustellen (Nr. 6 der Klageanträge), nicht einen Ermessensfehler des nicht an eine solche Anregung der Partei gebundenen Richters bei der Anordnung gemäß § 184 Abs. 1 ZPO zu begründen. Auch in Fällen mit Auslandsbezug steht den Prozessparteien ein prozessualer Anspruch auf eine bestimmte Form der Urteilszustellung nicht zu. Es ist allein nach den Regelungen des autonomen deutschen Prozessrechts zu bestimmen, in welchen Fällen die Zustellung im Ausland bewirkt werden muss. Da die förmliche Zustellung zu erheblichen Verzögerungen im Prozessablauf führen kann, wodurch der Justizgewährungsanspruch der betroffenen Partei maßgeblich beeinträchtigt würde, ist der Richter gehalten, vermeidbaren Verzögerungen mit den ihm gegebenen prozessrechtlichen Möglichkeiten entgegenzuwirken.
d) Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass das Versäumnisurteil gemäß § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO als am 17. Juni 2011 zugestellt gilt. Die für den Eintritt der Zustellungsfiktion erforderliche Aufgabe zur Post unter der Anschrift der Partei am 3. Juni 2011 ist durch den Zustellungsvermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bewiesen. Der Zustellungsvermerk nach § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO, in dem die Zeit und die Anschrift, unter der das Schriftstück zur Post gegeben wurde, zu vermerken sind, ersetzt die Zustellungsurkunde gemäß § 182 ZPO (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2001 - V ZB 20/01, VersR 2003, 345). Erfolglos wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht aufgrund des Vermerks der Geschäftsstelle vom 3. Juni 2011 von der Zustellung auch einer Urteilsausfertigung und nicht nur einer Urteilsabschrift ausgegangen ist. In der die Zustellung des Urteils an die Parteien anordnenden Verfügung vom 31. Mai 2011 hat die zuständige Richterin angeordnet, dass eine Ausfertigung und eine Abschrift des Urteils an die Beklagte zu übersenden sind. Dementsprechend wird in dem von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beurkundeten Vermerk über die Zuleitung der Briefsendung an die Wachtmeisterei zur Aufgabe zur Post als deren Inhalt angegeben: "Ab.U. 31.05.11; Ausf.U. 31.05.11".
3. Die nachträgliche förmliche Zustellung des Teil-Versäumnisurteils am 12. Oktober 2011 und die nachträgliche Festsetzung der Einspruchsfrist vermögen die bereits eingetretene Rechtskraft nicht zu durchbrechen. Die Anordnung der erneuten Zustellung lässt die Wirkung der zuvor erfolgten Zustellung gemäß § 184 Abs. 2 ZPO unberührt; sie setzt eine bereits abgelaufene Frist trotz der beigefügten unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht nochmals in Lauf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2005 - IX ZB 147/01, NJW-RR 2006, 563, 564; vom 20. November 2006 - NotZ 35/06, juris Rn. 7; Versäumnisurteil vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 27/09, NJW 2011, 522 Rn. 20; OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 1631, 1632; OLG Hamm, Urteile vom 10. August 2011 - I-8 U 3/11, juris Rn. 40 und - 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64). Ein ausreichender Schutz der Rechte der Beklagten wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das am 17. Juni 2011 als zugestellt geltende Urteil nicht mit einer Übersetzung der Entscheidung verbunden war. Die Beklagte war über den Inhalt des Rechtsstreits hinreichend durch die förmliche Zustellung der Klageschrift mit der Übersetzung in die türkische Sprache informiert. Trotz Kenntnis der gegen sie rechtshängigen Klage und der ebenfalls ins Türkische übersetzten Hinweise des Gerichts auf die Folgen bei Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten ist die Beklagte nach dem nicht zweifelhaften Zugang des Versäumnisurteils untätig geblieben.
Galke Zoll Diederichsen
Stöhr von Pentz