Entscheidungsdatum: 21.04.2015
Zur Beweiskraft des Protokolls für die Vorlesung einer schriftlich fixierten Entscheidungsformel (Anschluss an BGH, Beschluss vom 11. März 2015, XII ZB 571/13, Rn. 14, NJW 2015, 1529).
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 11. September 2012 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Wert des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 23.586,78 € festgesetzt.
I.
Der Kläger verlangt von den Beklagten Ersatz eines Verdienstausfallschadens infolge eines Unfalls vom 28. Februar 2005, bei dem er auf einer glatten, ungestreuten Fläche auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu Fall kam. Die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten steht außer Streit.
Das Landgericht hatte die Klage am 27. Oktober 2009 abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht mit Urteil vom 13. Juli 2010 das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht hat danach mit Urteil vom 27. Oktober 2011 die Klage erneut abgewiesen.
Auf die erneute Berufung des Klägers fand am 11. September 2012 vor dem Einzelrichter des Berufungsgerichts eine mündliche Verhandlung statt. Nach Anhörung des Klägers, Erörterung der Sach- und Rechtslage und nachdem die Parteien die eingangs gestellten Anträge erneuert hatten, verkündete der Einzelrichter, dass eine Entscheidung am Schluss der Sitzung verkündet werden solle. Nach der Wiedergabe ergänzender Erklärungen der Parteien zum Sachverhalt heißt es im Protokoll:
"Bei Wiederaufruf der Sache am Schluss der Sitzung erschien niemand. Es wurde folgendes Urteil verkündet:
Im Namen des Volkes
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Die Beklagten sind verpflichtet, dem Kläger als Gesamtschuldner den Verdienstausfall zu ersetzen, der diesem dadurch entstanden ist, dass er nicht ab dem 1.03.2005 zu einem monatlichen Bruttolohn von 1.620 € beschäftigt worden ist.
Hinsichtlich des Streits über die Höhe des dem Kläger aufgrund des Entgangs dieses monatlichen Bruttolohns zustehenden Ersatzanspruchs wird die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen, das auch über die Kosten der Berufungsinstanz mit zu entscheiden haben wird.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen."
Das Protokoll war vom Einzelrichter und unter dem Vermerk "Für die Richtigkeit der Übertragung vom Tonträger" von der Schreibkraft unterzeichnet.
Dieses Protokoll ist den Parteien am 18. September 2012 mit einem Anschreiben des Gerichts vom 14. September 2012 übersandt worden.
Das mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehene und vom Einzelrichter unterschriebene Urteil ist ausweislich des Vermerks auf dem Urteil am 6. März 2013 zur Geschäftsstelle gelangt. Es ist den Prozessbevollmächtigten der Parteien auf Veranlassung des Gerichts am 8. März 2013 zugestellt worden. Am 26. März 2013 haben die Beklagten Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil eingelegt und sie nach entsprechender Fristverlängerung am 4. Juli 2013 begründet.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 544 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 ZPO unzulässig, denn sie wurde nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils beim Bundesgerichtshof eingelegt. Nach der Verkündung des Urteils am 11. September 2012 war die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am 11. März 2013 abgelaufen. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch erst am 26. März 2013 eingelegt worden.
1. Das Urteil vom 11. September 2012 stellt ein Urteil im Rechtssinne, kein Scheinurteil dar, denn es ist an diesem Tag wirksam verkündet worden, wie das Protokoll vom 11. September 2012 belegt.
Ein Urteil wird erst durch seine förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen existent. Vorher liegt nur ein - allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugender - Entscheidungsentwurf vor (BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 14. Juni 1954 - GSZ 3/54, BGHZ 14, 39, 44; BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 - XII ZB 165/11, NJW 2012, 1591 Rn. 11). Die Verlautbarung eines Urteils erfolgt grundsätzlich öffentlich im Anschluss an die mündliche Verhandlung oder in einem hierfür anzuberaumenden Termin durch Vorlesung der Urteilsformel (§ 310 Abs. 1 Satz 1, § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die wirksame Urteilsverkündung weiter voraus, dass zumindest die Urteilsformel im Zeitpunkt der Verkündung schriftlich niedergelegt ist, weil sie sonst weder verlesen noch in Bezug genommen werden kann (§ 311 Abs. 2 Sätze 1 und 2 ZPO, vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1998 - LwZR 3/98, NJW 1999, 794; Senatsurteil vom 16. Oktober 1984 - VI ZR 205/83, NJW 1985, 1782, 1783; BGH, Urteil vom 13. April 2011 - XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rn. 17; Musielak in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl., § 311 Rn. 7; Vollkommer in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 310 Rn. 2; Thole in Prütting/Gehrlein, ZPO, 6. Aufl., § 310 Rn. 8).
Eine wirksame Verkündung gemäß § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist hier durch das Protokoll nachgewiesen. Nach § 165 ZPO kann die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, zu denen nach § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO die Verkündung der Entscheidung gehört (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 1989 - III ZB 38/88, VersR 1989, 604), nur durch das Protokoll bewiesen werden.
Aufgrund der Beweiskraft des Protokolls steht fest, dass dieses Formerfordernis hier beachtet worden ist. Grundsätzlich erbringt die Protokollierung der Verkündung des Urteils in Verbindung mit der nach § 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO vorgeschriebenen Aufnahme der Urteilsformel in das Protokoll - sei es direkt oder als Anlage zum Protokoll - Beweis dafür, dass das Urteil auch in diesem Sinne ordnungsgemäß, d.h. auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteilsformel, verkündet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Oktober 1984 - VI ZR 205/83, NJW 1985, 1782, 1783; BGH, Urteil vom 13. April 2011 - XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rn. 17; Beschluss vom 11. März 2015 - XII ZB 571/13, juris Rn. 14). Dabei kommt es nicht darauf an, dass das Verkündungsprotokoll nicht genau erkennen lässt, ob das Urteil durch Bezugnahme auf die Urteilsformel oder durch Verlesen der Formel verkündet wurde und ob das Urteil zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig abgefasst war (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2004 - VIII ZB 121/03, BGH-Report 2004, 979, 980; Musielak in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl., § 311 Rn. 4). Denn jede Form der Verlautbarung - durch Verlesen der Urteilsformel oder durch Bezugnahme hierauf - setzt voraus, dass der Urteilstenor im Zeitpunkt der Verkündung schriftlich niedergelegt war (BGH, Urteil vom 13. April 2011 - XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rn. 17; Beschluss vom 11. März 2015 - XII ZB 571/13, juris Rn. 14). Die Zivilprozessordnung fordert nicht, dass die schriftlich fixierte Urteilsformel Bestandteil der Akten wird.
Gegen den diese nur durch das Protokoll beweisbaren Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig. Eine Fälschung des Protokolls wird jedoch nicht behauptet. Die Beweiskraft etwa hindernde äußere Mängel des Protokolls im Sinne des § 419 ZPO sind nicht ersichtlich.
Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es weiter unverzichtbar, dass das beweiskräftige Protokoll über die Verkündung eines Urteils innerhalb der Fünf-Monats-Frist erstellt wird, denn allein durch das Protokoll kann bewiesen werden, dass und mit welchem Inhalt ein Urteil verkündet worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2012 - VIII ZB 104/11, AnwBl. 2012, 558 Rn. 12; Urteil vom 13. April 2011 - XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rn. 20; Beschluss vom 11. März 2015 - XII ZB 571/13, juris Rn. 15). Dies ist hier mit Erstellung des Protokolls im Anschluss an die mündliche Verhandlung noch im September 2012 geschehen.
Da die Parteien im Verhandlungstermin, in dem verkündet worden war, dass eine Entscheidung am Schluss der Sitzung ergehen werde, vertreten waren und ihnen zeitnah zum Verhandlungstermin das Protokoll, das auch die Urteilsformel enthielt, übersandt worden war, sind auch keine besonderen Umstände gegeben, die es zulassen würden, eine Ausnahme von der Bestimmung des § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO anzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 1998 - KZB 11/98, NJW 1999, 143, 144).
2. Zutreffend weist die Nichtzulassungsbeschwerde zwar darauf hin, dass das Urteil als nicht mit Gründen versehen anzusehen ist, weil es nicht innerhalb von fünf Monaten nach der Verkündung in vollständiger Form unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben worden ist (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27. April 1993 - GmS-OGB 1.92, BVerwGE 92, 367, 375 ff.; BVerfG, NJW 2001, 2161, 2162) und deshalb ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 6 ZPO vorliegen könnte, der auch eine Zulassung der Revision gebieten könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 30. November 2011 - I ZR 26/11, NJW-RR 2012, 760 Rn. 6). Dies wirkt sich jedoch weder auf den Fristbeginn noch den Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO aus. Auch bei Fehlen von Gründen liegt nämlich eine wirksame Entscheidung vor, die nur auf ein zulässiges Rechtsmittel hin aufgehoben werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 1998 - KZB 11/98, NJW 1999, 143, 144).
3. Durch die spätere Zustellung des Urteils ist auch eine neue Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Gang gesetzt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 1998 - IV ZB 31/97, BGHR ZPO § 516 Fristbeginn 11; Heßler in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 517 Rn. 18).
4. Ein Wiedereinsetzungsantrag ist nicht gestellt worden. Wiedereinsetzung ohne Antrag kann nicht gewährt werden, da innerhalb der Antragsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO, deren Lauf spätestens mit Zustellung des vollständigen Urteils begonnen hat, die versäumte Prozesshandlung nicht nachgeholt worden ist (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Galke Wellner Stöhr
von Pentz Oehler