Entscheidungsdatum: 13.09.2011
Macht die bei einem auswärtigen Gericht verklagte Partei Reisekosten eines Rechtsanwalts geltend, der weder am Gerichtsort noch am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässig ist ("Rechtsanwalt am dritten Ort"), sind die Kosten jedenfalls bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts zu erstatten .
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 24. Februar 2010 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: bis 300 €
I.
Die Parteien streiten um die Reisekostenabrechnung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in den Vorinstanzen. Der Rechtsstreit endete in zweiter Instanz mit einem Prozessvergleich. Danach hat die Klägerin 7/12, die Beklagte 5/12 der Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.
Die Klägerin wohnt in Gröditz, das ca. 60 km entfernt von Dresden liegt. Ihr Prozessbevollmächtigter ist in Riesa niedergelassen, das zum Bezirk des Landgerichts Dresden gehört und ca. 45 km von Dresden entfernt ist. In seiner Kostenrechnung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin u.a. Reisekosten für drei Termine beim Landgericht Dresden und für den Verhandlungstermin beim Oberlandesgericht Dresden sowie Tage- und Abwesenheitsgelder geltend gemacht.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Reisekosten zugesprochen. Aus § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO folge nicht, dass Reisekosten eines Anwalts, der im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen sei, die Erstattungsfähigkeit abzusprechen wäre. Da die Klägerin in Gröditz wohne, sei die Einschaltung eines in Riesa niedergelassenen Rechtsanwalts eine Maßnahme notwendiger Rechtsverfolgung im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 ZPO, zumal Riesa nur knapp 20 km von Gröditz entfernt und näher an den Dresdner Prozessgerichten gelegen sei. Den Anfall und die Höhe der Reisekosten habe die Beklagte nicht beanstandet.
Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde macht die Beklagte weiterhin geltend, die Reisekosten des Prozessbevollmächtigten der Klägerin seien nicht zu ersetzen, weil die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht notwendig gewesen sei.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie ist aber nicht begründet. Das Beschwerdegericht hat zu Recht entschieden, dass die Beklagte der Klägerin die Reisekosten ihres Prozessbevollmächtigten erstatten muss (§ 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO).
1. Die Rechtsbeschwerde stellt nicht in Frage, dass Reisekosten eines Prozessbevollmächtigten der - wie hier - im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist, aber nicht am Ort des Prozessgerichts wohnt, von der unterlegenen Partei zu erstatten sind, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Dies entspricht der Auffassung des Beschwerdegerichts und der Systematik der in § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffenen Regelung. Das Beschwerdegericht weist zu Recht darauf hin, dass der Wortlaut des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO sogar eher dafür spricht, dass die Reisekosten eines solchen Prozessbevollmächtigten stets und nur die Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, eingeschränkt nur insoweit zu erstatten sind, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war (so N. Schneider in Prütting/Gehrlein, ZPO, 3. Aufl., § 91 Rn. 5; Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 91 Rn. 13 "auswärtiger Anwalt"; vgl. auch MünchKommZPO/Giebel, 3. Aufl. § 91 Rn. 90). Im Schrifttum wird allerdings die Auffassung vertreten, auch die Reisekosten eines Rechtsanwalts, der zwar im Gerichtsbezirk niedergelassen, aber nicht am Gerichtsort wohnhaft bzw. kanzleiansässig ist, seien nur zu erstatten, soweit diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren (vgl. MünchKommZPO/Giebel, aaO). Aus der Begründung zum Entwurf zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ergebe sich nämlich, dass die unterschiedliche Erstattungsfähigkeit von Reisekosten für Rechtsanwälte durch die Streichung des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 5. Mai 2004 (BGBl. I, S. 718) beseitigt werden sollte (vgl. BT-Drucks. 15/1971 S. 233).
2. Auf diese Streitfrage kommt es im Streitfall nicht an. Das Beschwerdegericht hat nämlich die geltend gemachten Reisekosten zu Recht als Maßnahme notwendiger Rechtsverfolgung im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Fall 2 ZPO angesehen. Dies entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
a) Danach stellt die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende Partei im Regelfall eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung dar. Ein tragender Grund hierfür ist die Annahme, dass üblicherweise ein persönliches mündliches Gespräch erforderlich und gewünscht ist. Ferner ist von Bedeutung, dass die Partei grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran hat, sich durch einen Rechtsanwalt ihres Vertrauens auch vor auswärtigen Gerichten vertreten zu lassen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. März 2004 - VII ZB 27/03, VersR 2005, 93; vom 13. September 2005 - X ZB 30/04, NJW-RR 2005, 1662; vom 25. Januar 2007 - V ZB 85/06, MDR 2007, 802, 803; vom 16. April 2008 - XII ZB 214/04, MDR 2008, 829, 830; vom 28. Januar 2010 - III ZB 64/09, JurBüro 2010, 369). Für die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten bedarf es nicht der Feststellung im Einzelfall, dass die Partei zu dem den Termin wahrnehmenden Rechtsanwalt ein besonderes Vertrauensverhältnis gehabt hat. Bei der Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme ist eine typisierende Betrachtungsweise geboten (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. September 2005 - X ZB 30/04, aaO; vom 28. Januar 2010 - III ZB 64/09, aaO, 370 mwN). Darauf, ob nach der Klageerhebung ein persönliches Gespräch zwischen der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten stattgefunden hat, kommt es mithin entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht an, zumal die klägerischen Prozessbevollmächtigten nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts bereits vorgerichtlich zum Gegenstand der Klage tätig waren.
b) Der Erstattung der Reisekosten steht nicht entgegen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht an ihrem Wohnort niedergelassen ist. Macht die obsiegende Partei Reisekosten eines Rechtsanwalts geltend, der - wie hier - eine Partei vertritt, die bei einem auswärtigen Gericht verklagt wird und der weder am Gerichtsort noch am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässig ist ("Rechtsanwalt am dritten Ort"), sind diese Kosten zwar regelmäßig nur bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts zu erstatten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. März 2004 - VII ZB 27/03, aaO; vom 23. Januar 2007 - I ZB 42/06, NJW-RR 2007, 1561 Rn. 13; vom 7. Juni 2011 - VIII ZB 102/08, WuM 2011, 433 Rn. 8). Auch nach diesem Grundsatz sind aber die zugesprochenen Reisekosten zu erstatten, weil der Sitz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin näher zu den Dresdner Prozessgerichten gelegen ist.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Galke Zoll Wellner
Diederichsen Stöhr