Entscheidungsdatum: 20.10.2015
Zum notwendigen Inhalt der Berufungsbegründungsschrift.
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 28. April 2015 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert beträgt 3.000 €.
I.
Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und Ersatz außergerichtlicher Anwaltskosten wegen der Folgen einer tätlichen Auseinandersetzung mit der Beklagten.
Das Amtsgericht hat die Klage durch Urteil vom 23. Januar 2015, dem anwaltlichen Vertreter der Klägerin zugestellt am 3. Februar 2015, abgewiesen. Dagegen hat der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 11. Februar 2015, beim Landgericht eingegangen am 19. Februar 2015, Berufung eingelegt.
Zur Begründung hat er ausgeführt, auf den bisherigen Vortrag werde Bezug genommen. Da die beigezogene Ermittlungsakte offenbar unvollständig und der Zeuge nicht rechtzeitig erschienen sei, habe die Klägerin keine Gelegenheit gehabt, den Klagevortrag zu belegen.
Mit Verfügung vom 9. April 2015 hat der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des Landgerichts den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin darauf hingewiesen, dass eine Rechtsmittelbegründungsschrift nicht vorgelegt worden sei. Es sei deshalb beabsichtigt, die Berufung durch kostenpflichtigen Beschluss zu verwerfen. Darauf hat sich der Anwalt der Klägerin mit Schriftsatz vom 24. April 2015, eingegangen beim Landgericht am 27. April 2015, geäußert. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 28. April 2015, zugestellt am 6. Mai 2015, die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht binnen einer Frist von zwei Monaten seit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils begründet worden sei. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 iVm § 522 Abs. 1 Satz 4, § 575 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Nach dieser Bestimmung ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das ist hier nicht der Fall. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das macht die Rechtsbeschwerde auch nicht geltend.
2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine höchstrichterliche Entscheidung auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat keine überzogenen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung gestellt. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin weder in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) noch in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Begründung im Schriftsatz vom 11. Februar 2015 genügt nicht den Anforderungen an die Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
a) Unerheblich ist allerdings, dass der Schriftsatz keine ausdrücklichen Berufungsanträge enthält (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO), weil aus dem Schriftsatz zweifelsfrei zu erkennen ist, dass die Klägerin ihr Klageziel, mit dem sie in erster Instanz unterlag, uneingeschränkt weiterverfolgen wollte (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2006 - VIII ZR 212/04, NJW 2006, 2705 Rn. 8 und Beschluss vom 2. Februar 2012 - V ZB 184/11, NJW-RR 2012, 397).
b) Besondere formale Anforderungen bestehen grundsätzlich auch nicht für die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit ergeben (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO). Gleiches gilt für die Bezeichnung der konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO). Insbesondere ist es ohne Bedeutung, ob die Ausführungen des Berufungsklägers schlüssig, hinreichend substantiiert und rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, lediglich auf das Vorbringen in der ersten Instanz zu verweisen. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche und weshalb der Berufungskläger bestimmte Punkte des angefochtenen Urteils bekämpft (st. Rspr., vgl. Senat, Beschlüsse vom 3. März 2015 - VI ZB 6/14, NJW-RR 2015, 757 Rn. 5; vom 10. Februar 2015 - VI ZB 26/14, NJW-RR 2015, 756 Rn. 7; vom 27. Januar 2015 - VI ZB 40/14, VersR 2015, 728 Rn. 7; vom 11. März 2014 - VI ZB 22/13, VersR 2014, 895 Rn. 8 f.; BGH, Beschluss vom 22. Mai 2014 - IX ZB 46/12, juris Rn. 7 mwN).
Diesen Anforderungen genügte der Schriftsatz der Klägerin vom 11. Februar 2015 nicht. Die Rüge, die beigezogene Ermittlungsakte sei offenbar unvollständig gewesen und der Zeuge sei nicht rechtzeitig erschienen, weshalb die Klägerin keine Gelegenheit gehabt habe, den Klagevortrag zu belegen, setzt sich nicht mit den konkreten Erwägungen des Amtsgerichts auseinander, mit denen im angegriffenen Urteil begründet worden ist, warum die Klägerin hinsichtlich des von ihr vorgetragenen und von der Beklagten bestrittenen Geschehensablaufs beweisfällig geblieben ist. Der Berufungsbegründung ist nicht zu entnehmen, weshalb nach Auffassung der Klägerin das Amtsgericht den Antrag auf Vernehmung des Zeugen M. zu Unrecht gemäß § 296 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen hat. Auch lässt sich nicht nachvollziehen, welche Ermittlungsakte beigezogen worden und wegen Unvollständigkeit nicht verwertbar gewesen ist. Weder im Urteil des Amtsgerichts noch im Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht vom 23. Januar 2015 findet sich ein Hinweis darauf, dass Ermittlungsakten beigezogen worden sind und in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben. Der Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 24. April 2015 erfolgte erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Berufung der Klägerin war daher unzulässig.
Galke Diederichsen von Pentz
Offenloch Roloff