Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 15.03.2011


BFH 15.03.2011 - VI B 151/10

Überraschungsentscheidung - Rechtliches Gehör - Grundsätzliche Bedeutung - Divergenz - Auslagenersatz


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsdatum:
15.03.2011
Aktenzeichen:
VI B 151/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 21. Oktober 2010, Az: 1 K 1564/06, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste .

2. NV: Allerdings verpflichtet das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, das Gericht nicht, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern und ihnen die einzelnen für die Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten oder das Ergebnis einer Gesamtwürdigung einzelner Umstände offenzulegen .

3. NV: Da es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, Rechtsfragen abstrakt zu klären, kommt eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung insoweit nicht in Betracht .

4. NV: Für eine schlüssige Divergenzrüge ist u. a. auszuführen, dass dem angefochtenen Urteil und der Divergenzentscheidung vergleichbare Sachverhalte und identische Rechtsfragen zugrunde liegen .

Gründe

1

Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) oder wegen des Erfordernisses einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO oder wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen nicht vor oder sind nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt worden.

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1. Die Klägerin macht zu Unrecht geltend, das Finanzgericht (FG) habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör durch Erlass einer sog. Überraschungsentscheidung und die gerichtliche Hinweispflicht verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO, § 76 Abs. 2 FGO).

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Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2010 IX B 75/10, BFH/NV 2011, 448, m.w.N.). Andererseits verpflichtet das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, das Gericht nicht, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern und ihnen die einzelnen für die Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten oder das Ergebnis einer Gesamtwürdigung einzelner Umstände offenzulegen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25. Mai 2000 VI B 100/00, BFH/NV 2000, 1235; vom 7. Dezember 2006 IX B 50/06, BFH/NV 2007, 1135). Auch verlangt das Recht auf Gehör vom Gericht nicht, der von einem Beteiligten vertretenen Rechtsansicht zu folgen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 2008  2 BvR 2062/07, Deutsches Verwaltungsblatt 2008, 1056).

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Danach liegt im Streitfall keine Überraschungsentscheidung vor. Denn das FG hat sein Urteil entgegen dem klägerischen Vorbringen nicht auf einen bis dahin unerörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt. Das FG hat die Klage vielmehr abgewiesen, da die Klägerin den Nachweis der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bzw. § 3 Nr. 16 EStG schuldig geblieben sei. Denn aus den vorliegenden Aufzeichnungen sei nicht zu erkennen, dass den streitigen Erstattungsbeträgen des Arbeitgebers im Großen und Ganzen entsprechende dienstliche Aufwendungen des Arbeitnehmers gegenübergestanden hätten. Mit dieser Wendung des Rechtsstreits musste die sachkundig vertretene Klägerin nach dem bisherigen Verfahrensverlauf rechnen. Schließlich war zwischen den Beteiligten sowohl im Einspruchs- als auch im Klageverfahren streitig, ob die Klägerin ihrer Nachweisverpflichtung hinsichtlich der Steuerfreiheit des Fahrtkostenersatzes nachgekommen sei. Der Umstand, dass zwischen den Beteiligten die Angemessenheit des Fahrtkostenersatzes unstreitig gewesen ist, steht dem nicht entgegen. Denn dadurch ist die Nachweispflicht der Klägerin nicht entfallen.

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2. Soweit die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO und wegen des Erfordernisses einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO begehrt, kann die Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls keinen Erfolg haben.

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a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem voraussichtlichen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, s. etwa BFH-Beschluss vom 24. Juli 2008 VI B 7/08, BFH/NV 2008, 1838).

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Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass die Abgrenzung des nicht steuerbaren Auslagenersatzes vom steuerpflichtigen Werbungskostenersatz "noch nicht im einzelnen für alle Fälle abschließend geklärt" ist (vgl. BFH-Urteil vom 28. März 2006 VI R 24/03, BFHE 212, 556, BStBl II 2006, 473, m.w.N.). Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, "ob Fahrtkostenerstattungen eines Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer für in seinem Auftrag von diesem mit seinem privaten PKW ausgeführte Dienstfahrten als 'Erstattung von Reisekosten' nach § 3 Nr. 16 EStG steuerfrei sind oder ob es sich bei solchen Zahlungen vielmehr nach § 3 Nr. 50 2. Alt. EStG um sog. Auslagenersatz handelt", ist aber in einem voraussichtlichen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Denn das FG hat die Klage der Klägerin abgewiesen, da sie weder die Voraussetzungen des § 3 Nr. 50 EStG noch die des § 3 Nr. 16 EStG nachgewiesen habe. Die zu klärende Rechtsfrage ist damit für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht rechtserheblich.

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Da es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, Rechtsfragen abstrakt zu klären, kommt eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung insoweit nicht in Betracht (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 30, m.w.N. aus der Rechtsprechung).

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b) Auch die Divergenzrüge der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidung sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung erkennbar zu machen. Für eine schlüssige Divergenzrüge ist überdies weiterhin auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt (BFH-Beschluss vom 17. Januar 2006 VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799, unter 2.a und b, m.w.N.).

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Die von der Klägerin behauptete Divergenz i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO liegt nicht vor. Eine Abweichung des angefochtenen Urteils von der Entscheidung des BFH vom 2. Oktober 2003 IV R 4/02 (BFHE 203, 459, BStBl II 2004, 129) ist nicht zu beklagen. Die Klägerin verkennt, dass dieser Entscheidung nicht der Rechtssatz zugrunde liegt, dass angemessener Auslagenersatz gemäß § 3 Nr. 50 EStG steuerfrei ist. Der BFH hat mit Urteil in BFHE 203, 459, BStBl II 2004, 129 vielmehr entschieden, dass eine pauschale Kostenerstattung, die neben einem Gehalt geleistet wird, nur dann als nach § 3 Nr. 50 EStG steuerfreier Auslagenersatz anzusehen ist, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass die Pauschale den tatsächlichen Aufwendungen im Großen und Ganzen entspricht. Kann der Nachweis nicht erbracht werden, ist die Pauschale als Bestandteil des Arbeitslohns steuerpflichtig. Von diesen Rechtsmaßstäben geht auch die angefochtene FG-Entscheidung aus. Das FG sieht lediglich den erforderlichen Nachweis als nicht geführt.

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3. Gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO wird von einer weiteren Begründung abgesehen, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.